Art. 6 GG

BVerfG, 04.12.1974 - 1 BvL 14/73

Die zeitliche Beschränkung der Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes durch den Mann (§ 1594 Abs. 1 und 2 BGB) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

BVerfG, 05.11.1974 - 2 BvL 6/71

Die Notwendigkeit, Wehrgerechtigkeit im Inneren ebenso aufrechtzuerhalten wie Verteidigungsbereitschaft des grundrechtsgarantierenden Staatswesens nach außen, fordert eine enge und überschaubare, normative Ausgestaltung der Ausnahmen von der Wehrpflicht.

BVerfG, 14.11.1973 - 1 BvR 719/69

1. Das Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft (§ 4 Abs. 2 Ehegesetz) ist mit der in Art. 6 Abs. 2 gewährleisteten Eheschließungsfreiheit nicht vereinbar.
2. § 4 Abs. 2 Ehegesetz ist Kontrollratsrecht und gilt nach dem Überleitungsvertrag ohne Rücksicht auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zunächst fort. Die zuständigen Verfassungsorgane sind jedoch gehalten, die Vorschrift nach Konsultation der 3 Mächte bis zum Ende der Legislaturperiode außer Wirksamkeit zu setzen (Ergänzung zu BVerfGE 15, 337 - Höfeordnung).

BVerfG, 18.07.1973 - 1 BvR 23/73, 1 BvR 155/73

1. § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG verletzt nicht das Rechtsstaatsprinzip.
2. Der in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Rechtsschutz gilt in vollem Umfang auch für Ausländer.
3. Die Anforderungen an das für die sofortige Vollziehung von Ausweisungsverfügungen erforderliche öffentliche Interesse dürfen im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes nicht weniger streng sein als die Anforderungen an die Gründe für die Ausweisung selbst; vielmehr muß ein besonderes öffentliches Interesse gerade an der sofortigen Vollziehung bestehen.
4. Bei der gebotenen Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem privaten Interesse des Ausländers an weiterem Aufenthalt im Inland ist auch zur berücksichtigen, daß die sofortige Vollziehung einer Ausweisungsverfügung den Ausländer in seiner Rechtsverfolgung im Hauptsacheverfahren behindern kann.
5. Werden durch die sofortige Vollziehung von Ausweisungen vor ihrer gerichtlichen Überprüfung vollendete Tatsachen geschaffen, so besteht für die Widerspruchsbehörden und die VG die Pflicht, die Hauptsacheverfahren mit möglichster Beschleunigung zu betreiben. Andernfalls kann auch eine zunächst gerechtfertigte Anordnung der sofortigen Vollziehung verfassungswidrig werden.
6. Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG gebietet, dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung auch die eigenen Interessen des deutschen Ehepartners gegenüberzustellen.

BVerfG, 06.12.1972 - 1 BvR 230/70, 1 BvR 95/71

1. Wenn gesetzliche Vorschriften nach dem Willen des Gesetzgebers sich generell auf die Normadressaten erst von einem Zeitpunkt ab auswirken sollen, der jeweils für bestimmte örtliche Bereiche durch Rechtsverordnung festgelegt wird, so endet die Frist des § 93 Abs. 2 BVerfGG jedenfalls nicht früher als ein Jahr nach dem Inkrafttreten der Rechtsverordnung.
2. Das Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG umschließt grundsätzlich die freie Wahl zwischen den verschiedenen Bildungswegen, die der Staat in der Schule zur Verfügung stellt.
3. Zum staatlichen Gestaltungsbereich im Rahmen des Art. 7 Abs. 1 GG gehört nicht nur die organisatorische Gliederung der Schule, sondern auch die Festlegung der Ausbildungsgänge und Unterrichtsziele.
4. Die gemeinsame Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule, welche die Bildung der einen Persönlichkeit des Kindes zum Ziele hat, verlangt ein sinnvolles Zusammenwirken der beiden Erziehungsträger.
5. Die Aufnahme des Kindes in einen bestimmten Bildungsweg kann an Zulassungsvoraussetzungen geknüpft werden. Jedoch darf das Wahlrecht der Eltern zwischen den vom Staat zur Verfügung gestellten Schulformen nicht mehr als notwendig begrenzt werden.
6. Die wesentlichen Merkmale einer als Pflichtschule eingeführten Förderstufe müssen durch Gesetz festgelegt werden.
7. Art. 7 Abs. 4 GG erfordert, daß die Möglichkeit offenbleibt, nach Abschluß der Grundschule statt einer öffentlichen Schule eine private Ersatzschule zu besuchen.
8. Die Einführung der obligatorischen Förderstufe in Hessen verletzt grundsätzlich nicht das Elternrecht. Jedoch ist SchulPflG-HE § 5 Abs. 2 Satz 2 mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG insoweit unvereinbar, als in Schuljahrgängen 5 und 6 der Besuch einer weiterführenden öffentlichen Schule außerhalb des Schulbezirks oder einer privaten Ersatzschule ausgeschlossen wird.

BVerfG, 25.01.1972 - 1 BvL 3/70

1. Art. 6 Abs. 4 GG (Mutterschutz) enthält einen bindenden Auftrag an den Gesetzgeber.
2. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß die schwangere Arbeitnehmerin in den Kündigungsschutz nach dem Mutterschutzgesetz in den Fällen, in denen dem Arbeitgeber die Schwangerschaft zur Zeit der Kündigung nicht bekannt war, jedenfalls dann verliert, wenn sie trotz Kenntnis der Schwangerschaft die in § 9 Abs. 1 S 1 MuSchG vorgesehene Mitteilungsfrist schuldhaft versäumt.

BVerfG, 15.06.1971 - 1 BvR 192/70

Es verstößt nicht gegen Art. 6 GG, wenn das Vormundschaftsgericht bei einer Regelung des persönlichen Verkehrs zwischen einem geschiedenen, nichtsorgeberechtigten Elternteil und seinem Kind nach § 1634 Abs. 2 BGB zugleich Anordnungen zur Durchsetzung des Verkehrsrechts trifft, namentlich den sorgeberechtigten Elternteil verpflichtet, das Kind dem anderen Elternteil zu überlassen.

BVerfG, 04.05.1971 - 1 BvR 636/1968

1. Das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet jedermann - auch einem Ausländer - die Freiheit, die Ehe mit einem selbst gewählten Partner einzugehen (Eheschließungsfreiheit).
2. Die Vorschriften des deutschen internationalen Privatrechts und die Anwendung des durch sie berufenen ausländischen Rechts im Einzelfall sind an den Grundrechten zu messen.
3. a) Art. 13 Abs. 1 EGBGB Art. 13 Abs. 1, wonach die Ehefähigkeit jedes Verlobten nach seinem Heimatrecht zu beurteilen ist, verstößt nicht gegen Art. 6 Abs. 1.
b) Art. 6 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn einem Spanier, der eine Deutsche heiraten will, deren frühere Ehe mit einem Deutschen durch ein deutsches Gericht geschieden worden ist, die Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses verweigert wird, weil das spanische Recht diese Ehescheidung nicht anerkennt.

BVerfG, 27.05.1970 - 1 BvL 22/63, 1 BvL 27/64

Die Heiratsklauseln bei den Waisenrenten in der sozialen Rentenversicherung (§ 44 Abs. 1 Satz 2 AVG, 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO) sind mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit sie in der Ausbildung stehende Waisen mit der Heirat auch dann vom Bezug der Rente ausschließen, wenn ihr Ehegatte zur Unterhaltsleistung außerstande ist.

BVerfG, 29.01.1969 - 1 BvR 26/66

1. Erfüllt der Gesetzgeber den ihm von der Verfassung in Art. 6 Abs. 5 GG erteilten Auftrag zur Reform des Unehelichenrechts auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts nicht bis zum Ende der laufenden (5.) Legislaturperiode des Bundestages, so ist der Wille der Verfassung soweit wie möglich von der Rechtsprechung zu verwirklichen. Die Verfassungsnorm erlangt insoweit derogierende Kraft gegenüber entgegenstehendem einfachen Recht.
2. Art. 6 Abs. 5 GG gewährt ein Grundrecht, das als eine besondere Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes anzusehen ist.
3. Zwischen Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 5 GG besteht keine Antinomie.
4. Es ist mit Art. 6 Abs. 5 GG nicht vereinbar, auf den Anspruch des unehelichen Kindes nach § 1712 BGB eine Waisenrente aus der Sozialversicherung anzurechnen, die dem Kind wegen des Todes seines Vaters gewährt wird.