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BVerfG, 14.11.1973 - 1 BvR 719/69

Daten
Fall: 
Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft
Fundstellen: 
BVerfGE 36, 146; NJW 1974, 545; BayVBl 1974, 193; FamRZ 1974, 122; JuS 1974, 663; JZ 1974, 325; MDR 1974, 555
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
14.11.1973
Aktenzeichen: 
1 BvR 719/69
Entscheidungstyp: 
Beschluss

1. Das Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft (§ 4 Abs. 2 Ehegesetz) ist mit der in Art. 6 Abs. 2 gewährleisteten Eheschließungsfreiheit nicht vereinbar.
2. § 4 Abs. 2 Ehegesetz ist Kontrollratsrecht und gilt nach dem Überleitungsvertrag ohne Rücksicht auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zunächst fort. Die zuständigen Verfassungsorgane sind jedoch gehalten, die Vorschrift nach Konsultation der 3 Mächte bis zum Ende der Legislaturperiode außer Wirksamkeit zu setzen (Ergänzung zu BVerfGE 15, 337 - Höfeordnung).

Beschluß

des Ersten Senats vom 14. November 1973
- 1 BvR 719/69 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Frau St..., - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Dieter Moojer, Hamburg 1, Glockengießerwall 1 - gegen a) den Beschluß des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg vom 22. Oktober 1969 - 1 T 233/69 -,
b)
c) den Beschluß des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 20. Juni 1969 - 308 X 291/68 -.

Entscheidungsformel:
1. Die für die Gesetzgebung zuständigen Verfassungsorgane des Bundes sind auf Grund des Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes verpflichtet, bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode - Herbst 1976 - § 4 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 16 des Kontrollrats - Ehegesetz - vom 20. Februar 1946 (ABlKR S. 77) außer Wirksamkeit zu setzen.
2. Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.
3. Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen Gerichtsentscheidungen, die der Beschwerdeführerin die Befreiung von dem sogenannten Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft verweigert haben, mittelbar gegen dieses Eheverbot selbst.

Das Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft ist zusammen mit den Eheverboten der Verwandtschaft und Schwägerschaft im Gesetz Nr. 16 des Kontrollrats - Ehegesetz - vom 20. Februar 1946 (ABlKR S. 77) in der geltenden Fassung - im folgenden: EheG - innerhalb des Abschnitts "Eheverbote" wie folgt geregelt:

§ 4
Verwandtschaft und Schwägerschaft
(1) Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Verwandten in gerader Linie, zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern sowie zwischen Verschwägerten in gerader Linie.
(2) Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Personen, von denen die eine mit Eltern, Voreltern oder Abkömmlingen der anderen Geschlechtsgemeinschaft gepflogen hat.
(3) Das Vormundschaftsgericht kann von dem Eheverbot wegen Schwägerschaft und Geschlechtsgemeinschaft Befreiung erteilen. Die Befreiung soll versagt werden, wenn wichtige Gründe der Eingehung der Ehe entgegenstehen.

Das Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft (§ 4 Abs. 2 EheG), das bereits durch einen einmaligen Geschlechtsverkehr ausgelöst wird, begründet nur ein aufschiebendes Ehehindernis: die entgegen dem Verbot geschlossene Ehe ist von Anfang an gültig. Dagegen ist das Ehehindernis der Schwägerschaft trennend: die entgegen dem Verbot geschlossene Ehe ist nichtig, sofern nicht noch nachträglich Befreiung bewilligt wird (vgl. § 16 i. V. m. § 21 EheG). Meist treffen beide Eheverbote zusammen, besonders in dem am häufigsten vorkommenden Fall, daß ein geschiedener oder verwitweter Mann seine Stieftochter heiraten will.

I.

1.

Das Ehehindernis der Geschlechtsgemeinschaft geht auf das kanonische Recht zurück. Dort wurde es seit dem 8. Jahrhundert, zunächst im Anschluß an das römische Recht aus dem Verlöbnis, später auch aus der nicht vollzogenen Ehe entwickelt und zum Teil sehr weit erstreckt. Das evangelische Kirchenrecht übernahm es, allerdings nur für Verwandte in gerader Linie. Nach katholischem Kirchenrecht (can. 1078 Codex Iuris Canonici von 1917) entsteht das Ehehindernis als Ehehindernis der öffentlichen Ehrbarkeit (impedimentum publicae honestatis) nur noch aus einer ungültigen Ehe, mag diese vollzogen sein oder nicht, und aus einem öffentlich bekannten oder offenkundigen Konkubinat, d. h. aus einem länger dauernden eheähnlichen Geschlechtsverhältnis ohne Ehewillen (dagegen nicht aus einem einmaligen Geschlechtsverkehr) sowie nur noch in der auf- und absteigenden Linie bis zum zweiten Grad. Dieses Hindernis der öffentlichen Ehrbarkeit ist trennend; jedoch ist unbeschränkt Befreiung möglich (vgl. Eichmann-Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, 11. Aufl., Bd. II [1967], S. 202 f.).

2.

Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten kannte das Ehehindernis nicht, wohl aber das sächsische BGB von 1863 (§ 1613). Im Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar 1875 (RGBl. S. 23) war es nicht enthalten. Auch der 1. Entwurf zum BGB sah es nicht vor. In der Begründung heißt es dazu: Zwar sei nicht zu verkennen, daß die Schließung einer Ehe zwischen Personen, von denen die eine mit Verwandten der anderen in gerader Linie außereheliche Geschlechtsgemeinschaft gepflogen habe, geeignet sei, das Schamgefühl zu verletzen und Veranlassung zu Ärgernis zu geben. Jedoch bestehe kein praktisches Bedürfnis, das Eheverbot wieder einzuführen. Hinzu komme, daß die Feststellung des Verbots regelmäßig mit großen praktischen Schwierigkeiten und Unzuträglichkeiten für den Standesbeamten verbunden sei (Motive S. 22 = Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. IV [1899], S. 12 f.).

Mit Rücksicht auf kirchliche Anschauungen wurde das Ehehindernis wegen Geschlechtsgemeinschaft auf Anregung der Zentrumspartei von der Kommission für die zweite Lesung als aufschiebendes Ehehindernis ohne Befreiungsmöglichkeit in das BGB aufgenommen und wurde in der Vorschrift des § 1310 Abs. 2 BGB Gesetz, die bis auf die Befreiung wörtlich der heutigen Regelung entsprach (vgl. Protokolle S. 4911 ff. = Mugdan, a.a.O., S. 694 f.; Denkschrift S. 163 = Mugdan, a.a.O., S. 1141).

Das Gesetz über die Änderung und Ergänzung familienrechtlicher Vorschriften und über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 12. April 1938 (RGBl. I S. 380) fügte dem § 1310 BGB einen neuen Absatz 4 an, wonach von den Eheverboten der Geschlechtsgemeinschaft und der Schwägerschaft Befreiung erteilt werden konnte. Zuständig für die Befreiung war der Landgerichtspräsident, der bei seiner Entscheidung alle Umstände des Falles zu berücksichtigen hatte.

Das Ehegesetz vom 6. Juli 1938 (RGBl. I S. 807) beseitigte das Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft völlig, während es das Eheverbot der Schwägerschaft mit Befreiungsmöglichkeit beibehielt. Die amtliche Begründung (DJ 1938, S. 1103) führt dazu aus:

"Die Bestimmung des § 1310 Abs. 2 BGB ist nicht übernommen worden, weil der Tatbestand des dort geregelten Ehehindernisses der Geschlechtsgemeinschaft, sofern er nicht gleichzeitig ein Eheverbot wegen Schwägerschaft begründet, nur in seltenen Fällen überhaupt festgestellt werden kann, so daß sich schon aus Gründen der Gerechtigkeit die Beseitigung dieser auch den meisten anderen Rechtsordnungen fremden Bestimmung empfahl."

3.

Das Gesetz Nr. 16 des Kontrollrats - Ehegesetz - vom 20. Februar 1946 (ABlKR S. 77) führte das Eheverbot entsprechend dem früheren § 1310 Abs. 2 BGB wieder ein. Eine ausdrückliche Regelung über die Befreiung fehlte bei diesem Ehehindernis, während das Gesetz das Eheverbot der Schwägerschaft in der bisherigen Form, also mit Befreiungsmöglichkeit, übernahm. Nach der in der amerikanischen und französischen Besatzungszone grundsätzlich fortgeltenden Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz 1938 vom 27. Juli 1938 (RGBl. I S. 923) und nach der in der britischen Besatzungszone ergangenen Verordnung des Zentraljustizamts zur Ausführung des Ehegesetzes vom 12. Juli 1948, ergänzt durch Verordnung vom 27. August 1948 (VOBl.BrZ S. 210 und 247), entschied über diese Befreiung der Landgerichtspräsident durch Justizverwaltungsakt; er hatte hierbei die gesamten Umstände des Falles zu berücksichtigen. Gegen die Ablehnung der Befreiung konnte Beschwerde an den Oberlandesgerichtspräsidenten, gegen dessen ablehnende Entscheidung in der amerikanischen und französischen Zone Beschwerde an den Landesjustizminister eingelegt werden.

In der Kontroverse darüber, ob auch vom Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft in dieser Weise Befreiung bewilligt werden könne, setzte sich in der Verwaltungspraxis sowie in Rechtsprechung und Schrifttum die Auffassung durch, daß die in § 4 Abs. 3 EheG 1946 vorgesehene Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft auch die Befreiung vom Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft umfasse oder für dieses entsprechend anwendbar sei (vgl. § 3 der Ausführungsverordnung des Zentraljustizamts für die Britische Zone und die entsprechenden amtlichen Bekanntmachungen in den Ländern Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz; BVerwGE 10, 340 [342]; Dölle, Familienrecht, Bd. I [1964], S. 110 f., und Dietz in Staudinger, BGB, 10./11. Aufl., Bd. IV, Teil 1, Lieferung 2 [1968], § 4 EheG Anm. 67, jeweils m. weit. Nachw.).

4.

Das Gesetz zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften - Familienrechtsänderungsgesetz - vom 11. August 1961 (BGBl. I S. 1221) gab durch Art. 2 Abs. 1 der Vorschrift des § 4 Abs. 3 EheG 1946 die heutige Fassung, die nunmehr die Möglichkeit der Befreiung vom Ehehindernis der Geschlechtsgemeinschaft ausdrücklich vorsieht. Ferner wurde die unbestimmte "Kann"-Bestimmung des Satzes 1 durch den Satz 2 etwas präzisiert: danach soll die Befreiung versagt werden, wenn wichtige Gründe der Eingehung der Ehe entgegenstehen. Schließlich wurde die Zuständigkeit für die Befreiung auf das Vormundschaftsgericht übertragen, so daß an die Stelle eines Justizverwaltungsaktes nunmehr eine im Rechtsweg vor den Zivilgerichten nachprüfbare Gerichtsentscheidung getreten ist.

Der Regierungsentwurf zu diesem Gesetz begründete die Umwandlung der Verwaltungsakte zu gerichtlichen Entscheidungen mit den veränderten staatsrechtlichen Verhältnissen. Die bisherige Bestimmung, daß bei der Entscheidung alle Umstände des Falles zu berücksichtigen seien, sei selbstverständlich und könne entbehrt werden (vgl. BTDrucks. III/530 S. 31 f.).

II.

1.

Nach allgemeiner Ansicht ist § 4 Abs. 3 EheG in der geltenden Fassung dahin auszulegen, daß die Befreiung nicht in das Ermessen des Vormundschaftsgerichts gestellt und von einer Ausnahme zur Regel geworden ist: Wenn keine "wichtigen Gründe" der Eingehung der Ehe entgegenstehen, muß Befreiung erteilt werden (vgl. Dietz in Staudinger, a.a.O., § 4 Anm. 43 f.; Hefermehl in Erman, BGB, 5. Aufl., 1972, § 4 EheG Anm. 7; die angefochtene Entscheidung des HansOLG Hamburg, FamRZ 1970, S. 27 [28]; OLG Hamm, FamRZ 1964, S. 212 [214] - zu § 6 Abs. 1 EheG -).

In Betracht kommen nach überwiegender Auffassung lediglich Versagungsgründe, die mit Sinn und Zweck des Eheverbots in Zusammenhang stehen, nicht aber andere, weil sonst auf einem Umwege neue Ehehindernisse geschaffen würden. Der Altersunterschied zwischen den Partnern, ihre persönlichen Eigenschaften und ihr Gesundheitszustand, die Bestandsaussichten der beabsichtigten Ehe dürfen danach keine Rolle spielen (vgl. Donau in Soergel-Siebert, BGB, 10. Aufl., Bd. V [1971], § 4 EheG Anm. 10; Dietz in Staudinger, a.a.O., § 4 Anm. 45; Hoffmann-Stephan, Ehegesetz, 2. Aufl., 1968, § 4 Anm. 22, 24; Dölle, a.a.O., S. 108 f.; HansOLG Hamburg, a.a.O.; a. A. Wüstenberg in RGRKomm. z. BGB, 10./11. Aufl., Bd. IV, Teil 3 [1968], § 4 EheG Anm. 33 f.).

Als häufigster Grund einer Versagung der Befreiung wird im Schrifttum genannt, daß die früheren Geschlechtspartner familienartig zusammengelebt haben und daß aus der Geschlechtsgemeinschaft Kinder hervorgegangen sind. Jedoch wird auch insoweit vor jeder Schematisierung gewarnt und jeweils eine genaue Prüfung des Einzelfalls gefordert (vgl. Dölle, a.a.O., S. 109; Dietz in Staudinger, a.a.O., § 4 Anm. 46).

2.

In der Praxis hat das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft nur sehr geringe Bedeutung (vgl. Scholl, StAZ 1973, S. 156). Die wenigen einschlägigen Gerichtsentscheidungen betreffen mit Ausnahme des angefochtenen Beschlusses des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg (FamRZ 1970, S. 27) sämtlich Fälle in denen das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft mit dem wegen Schwägerschaft zusammentraf (vgl. BVerwGE 10, 340 = FamRZ 1960, S. 435 mit Anm. Bosch; OLG Hamm, FamRZ 1963, S. 248; AG Ingolstadt, DAVorm. 1968, S. 274; LG Karlsruhe, DAVorm. 1973, S. 50).

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts sind die Eheverbote der Schwägerschaft und der Geschlechtsgemeinschaft getragen von der Vorstellung der Anstößigkeit derartiger ehelicher Verbindungen und der Widernatürlichkeit der verwandtschaftlichen Beziehungen, die sich namentlich dann aus einer solchen Verbindung ergeben könnten, wenn aus der die Schwägerschaft begründenden Ehe oder aus der Geschlechtsgemeinschaft Kinder hervorgegangen seien. Sie dienten also dem Schutz der dem christlich-abendländischen Vorstellungsbild entsprechenden, in starkem Maß vom Sittengesetz beherrschten Institution der Ehe und könnten deswegen nicht mit Art. 6 GG kollidieren.

Auch nach Ansicht des Oberlandesgerichts Hamm (a.a.O., S. 249) ist das Eheverbot der Schwägerschaft, das das Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft einschließt, verfassungsmäßig. Es gehe auf "uralte, lediglich geschichtlich verfolgbare, aber letztlich rational nicht enthüllbare ethische Auffassungen zurück, nach denen derartige eheliche Verbindungen anstößig und widernatürlich" seien. Ihre Verhinderung diene der vom Sittengesetz beherrschten Einrichtung der Ehe, wie sie im abendländisch-christlichen Rechtskreis Gestalt gewonnen habe.

3.

Soweit sich das Schrifttum rechtspolitisch mit dem Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft befaßt hat, berufen sich die wenigen Befürworter dieses Eheverbots fast ausschließlich auf sittlich-moralische Gründe und die traditionelle Vorstellung von der Ehe (vgl. Wüstenberg in RGRKomm. z. BGB, a.a.O., § 4 Anm. 2; Hoffmann-Stephan, a.a.O., § 4 Anm. 2 und 22; Beitzke, DRZ 1946, S. 137, anders aber jetzt Familienrecht, 16. Aufl., 1972, S. 38 f.).

Ganz überwiegend wird das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft als "fragwürdiges Relikt des älteren Rechtes" (Gernhuber, Lehrbuch des Familienrechts, 2. Aufl., 1971, S. 85) abgelehnt und die Wiedereinführung des Ehehindernisses durch das Ehegesetz 1946 bedauert. Das Eheverbot sei in seinen Auswirkungen sittlich fragwürdiger als die Ehen, gegen die es sich richte. Im Einzelfall sei es kaum zu beweisen, führe zu peinlichen Eingriffen in die Intimsphäre und rufe Denunzianten und Erpresser auf den Plan. In der Regel entscheide der Zufall, ob das Eheverbot dem Standesbeamten bekannt werde; schon dies widerspreche der Gerechtigkeit (vgl. Dölle, a.a.O., S. 91 f., 110; Donau in Soergel- Siebert, a.a.O., § 4 Anm. 7; Dietz in Staudinger, a.a.O., § 4 Anm. 57; Müller-Freienfels, Ehe und Recht, 1962, S. 112; Lutter, Das Eheschließungsrecht in Frankreich, Belgien, Luxemburg und Deutschland, 1963, S. 118 f.; Henrich, Familienrecht, 1970, S. 37; Boehmer, DRZ 1948, S. 472 f.; Krönig, JZ 1953, S. 76).

Ungeachtet dieser weitgehenden rechtspolitischen Ablehnung sieht das Schrifttum überwiegend das Eheverbot als verfassungsgemäß an (vgl. außer den genannten Befürwortern besonders Dölle, a.a.O., S. 34 f., 91, 110; Lauterbach in Palandt, BGB, 32. Aufl., 1973, § 4 EheG Anm. 1; Donau in Soergel-Siebert, a.a.O., § 4 Anm. 7; Dietz in Staudinger, a.a.O., § 4 Anm. 58 f.; Hefermehl in Erman, a.a.O., § 4 Anm. 1; Henrich, a.a.O., S. 37; Katholnigg, FamRZ 1964, S. 124; Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz, Art. 6 Anm. 17).

Dagegen halten Lüke (NJW 1962, S. 2179 f.), Ramm (JZ 1963, S. 49 f., und Grundgesetz und Eherecht [1972], S. 25, 31) sowie Guradze (Die Europäische Menschenrechtskonvention [1968], Art. 12 Anm. 10) das Eheverbot für verfassungswidrig.

III.

1.

a) Bereits der im ersten Deutschen Bundestag (1952) von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Gleichberechtigungsgesetzes (BTDrucks. I/3802) sah vor, das Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft ersatzlos zu beseitigen. Die Begründung führte dazu aus, dieses Ehehindernis habe starke Kritik hervorgerufen; es sei nur in seltenen Fällen feststellbar und auch den meisten fremden Rechtsordnungen unbekannt (a.a.O., S. 43). Im Verlauf der Gesetzesberatung im Bundestag wurden jedoch alle Vorschriften des Eherechts, die nach Ansicht der zuständigen Gremien nicht unmittelbar Fragen der Gleichberechtigung betrafen, von der Beratung ausgenommen (vgl. Protokoll der 239. Sitzung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht vom 27. Februar 1953, S. 2).

b) Das gleiche galt für den von der Fraktion der FDP im zweiten Deutschen Bundestag (1953) eingebrachten Entwurf eines Gleichberechtigungsgesetzes (BTDrucks. II/112), der weitgehend der eben genannten Regierungsvorlage entsprach und ebenfalls das Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft nicht mehr vorsah (vgl. Kurzprotokoll der konstituierenden Sitzung des Unterausschusses "Familienrechtsgesetz" vom 10. Februar 1955, S. 3; Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wp., 206. Sitzung vom 3. Mai 1957, S. 11762).

2.

Die beim Bundesministerium der Justiz gebildete Eherechtskommission empfiehlt in ihren 1972 vorgelegten Vorschlägen zur Reform des formellen und materiellen Eheschließungsrechts einstimmig, das Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft zu beseitigen; mit großer Mehrheit spricht sich die Kommission weiter für den Wegfall des Eheverbots der Schwägerschaft aus (S. 80 f.). Begründet werden diese Vorschläge in erster Linie damit, daß die Eheverbote rechtspolitisch verfehlt seien. Betroffene, denen die beabsichtigte Heirat verweigert werde, lebten oft im Konkubinat zusammen mit der Folge, daß Kinder aus der dann illegitimen Verbindung stärker benachteiligt seien, als wenn die Eltern hätten heiraten dürfen. Die vom Gesetz bezweckte Verhinderung sexueller Beziehungen im Familienverband und die Vermeidung der Umwandlung eines Kindschaftsverhältnisses in ein Verhältnis legitimer oder illegitimer Geschlechtsgemeinschaft werde also nicht erreicht. Da das Gesetz selbst als Regel die Befreiung vorschreibe und damit zu erkennen gebe, daß ein Unwerturteil über die in Betracht kommenden Ehen das Eheverbot nicht rechtfertige, müsse diese Entscheidung gegen die Eheverbote für alle diese Ehen in gleicher Weise wirken. Die geltende Regelung benachteilige demgegenüber eine bestimmte Gruppe von Eheschließungswilligen, ohne daß für diese Ungleichheit hinreichend konkretisierte und damit letztlich überzeugende Gründe existierten.

B.

I.

1.

Die Beschwerdeführerin ist im September 1951 geboren. Die Ehe ihrer Eltern, aus der insgesamt acht Kinder hervorgegangen sind, ist seit langem geschieden, der Vater inzwischen verstorben. Die Mutter der Beschwerdeführerin lebte nach der Scheidung mehrere Jahre mit dem im März 1937 geborenen Bauhilfsarbeiter D. zusammen; aus dieser Verbindung stammen zwei 1965 und 1967 nichtehelich geborene Kinder.

Seit Mitte 1968 entwickelte sich ein Verhältnis zwischen D. und der bei ihrer Mutter lebenden Beschwerdeführerin. Die Mutter versuchte dies zunächst zu unterbinden, willigte jedoch schließlich in die Eheschließung zwischen der damals noch minderjährigen Beschwerdeführerin und D. ein. Beide beantragten im Herbst 1968 Befreiung vom Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft.

2.

Durch den angefochtenen Beschluß vom 20. Juni 1969 lehnte das Amtsgericht nach Anhörung der Antragsteller, des Großvaters der Beschwerdeführerin und des Jugendamtes den Antrag ab.

Mit der Beschwerde gegen diesen Beschluß machte die Beschwerdeführerin unter anderem geltend, sie erwarte von D. ein Kind.

3.

Durch den weiter angefochtenen Beschluß vom 29. Juli 1969 wies das Landgericht die Beschwerde zurück. Zur Begründung führte es aus:

Maßgeblich sei, daß die Mutter der Beschwerdeführerin noch lebe und aus der jahrelangen eheähnlichen Gemeinschaft zwischen ihr und D. zwei Kinder hervorgegangen seien. Die mit der beabsichtigten Eheschließung eintretende Umwandlung der Verwandtschaftsverhältnisse - die Halbgeschwister der Beschwerdeführerin würden zugleich ihre Stiefkinder; der Vater D. würde zugleich der Schwager dieser Kinder - werde auch heute noch als widernatürlich und dem sittlichen Wesen der Ehe widersprechend empfunden. Da die Beschwerdeführerin während der eheähnlichen Gemeinschaft zwischen D. und ihrer Mutter überwiegend in deren Haushalt gelebt habe, entstehe zudem jedenfalls nach außen der Eindruck, daß D. gleichzeitig mit Mutter und Tochter in geschlechtlichen Beziehungen gestanden habe. Es würde das allgemeine sittliche Empfinden auf das gröbste verletzen, trotz dieses bösen Scheins die Befreiung zu erteilen.

Hinzu komme, daß die Persönlichkeit von D., aber auch die der Beschwerdeführerin keine Gewähr für eine harmonische und dauerhafte Ehe biete. Selbst wenn D. jetzt ständig arbeite, könne nach seinem früheren Verhalten nicht mit einer stetigen Arbeitshaltung gerechnet werden. Da er zumindest für die beiden Halbgeschwister der Beschwerdeführerin Unterhalt zahlen müsse, sei auch die wirtschaftliche Grundlage der beabsichtigten Ehe unsicher. Die Beschwerdeführerin habe häufig die Arbeitsstellen gewechselt; Ersparnisse seien nicht erwiesen. Auch ihre Schwangerschaft nehme der beabsichtigten Ehe weder die Anstößigkeit noch rechtfertige sie eine günstige Prognose.

4.

Die weitere Beschwerde der Beschwerdeführerin wies das Oberlandesgericht mit dem angefochtenen Beschluß vom 22. Oktober 1969 (FamRZ 1970, S. 27) zurück. In den Gründen führte es aus:

§ 4 EheG sei auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüfbar, weil diese Bestimmung durch das Familienrechtsänderungsgesetz vom 11. August 1961 ihre gegenwärtige Formulierung erhalten habe und deswegen als nachkonstitutionelles Recht anzusehen sei. Obwohl die Bestimmung das aus Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG herzuleitende Recht auf ungehinderte Eheschließung einschränke, sei sie mit dem Grundgesetz, besonders mit den genannten Grundrechten vereinbar. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG werde unter anderem durch Art. 6 GG beschränkt, der nicht nur das Recht auf ungehinderte Eheschließung gewähre, sondern auch Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stelle. Vorschriften, die darauf ausgerichtet seien, die Institution der Ehe zu schützen und zu garantieren, also vom Schutzzweck des Art. 6 umgriffen würden, gehörten zur verfassungsmäßigen Ordnung. Ebenso wie das Eheverbot der Schwägerschaft solle das Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft einen Schutz vor ehelichen Verbindungen ermöglichen, die von der allgemeinen Sittenordnung als widernatürlich und anstößig empfunden würden. Dabei sei das Eheverbot nicht absolut ausgesprochen; gemäß § 4 Abs. 3 EheG sei vielmehr für den Einzelfall zu prüfen, ob der Schutz der Institution der Ehe und Familie im Rahmen der Sittenordnung ein Verbot der beabsichtigten Ehe erheische oder nicht.

Im Rahmen der Entscheidung über den Dispens dürften allerdings entgegen der Auffassung des Landgerichts keine Erwägungen Raum finden, die außerhalb des Bereichs der Sittenordnung lägen und die Eheaussichten überhaupt beträfen. Denn das Ehehindernis der Geschlechtsgemeinschaft finde seinen Grund nicht darin, daß Ehen mit Verwandten früherer Geschlechtspartner in besonderem Maße gefährdet seien, und wolle das Recht auf Eheschließung auch nicht generell aus familienfürsorgerischen Gründen einschränken. Jedoch trügen die weiteren Gründe, aus denen das Landgericht die Befreiung versagt habe, namentlich die mit einer Eheschließung verbundene Umwandlung der Verwandtschaftsverhältnisse, seine Entscheidung ausreichend und hielten einer rechtlichen Nachprüfung stand. Es könne dahingestellt bleiben, ob auch eine längere geschlechtliche Beziehung zur Mutter nicht generell einer späteren Eheschließung mit der Tochter entgegenstehe. Jedoch sei anerkannt, daß eine eheliche Verbindung zu sittlich als widernatürlich empfundenen Familien- und Verwandtschaftsverhältnissen führe, wenn aus der früheren Geschlechtsgemeinschaft Kinder hervorgegangen seien. Gegenüber dem Hinweis auf die Veränderung der sittlichen Auffassungen und auf die schwankende Beurteilung des Eheverbots in der Gesetzgebung seit 1900 stelle die Begründung des Landgerichts ohne Rechtsverstoß auf die in Art. 6 GG konkretisierte verfassungsmäßige Ordnung ab. Diese Verfassungsnorm wolle Ehe und Familie schützen und widerstreite ihrem Inhalt nach Umwandlungen von Verwandtschaftsverhältnissen. Eine Veränderung der sittlichen Anschauungen und der Wegfall der Bestrafung des Ehebruchs könnten bestehen gebliebene Gesetzesvorschriften nicht ihres Sinngehalts entkleiden.

5.

Aus der Verbindung zwischen der Beschwerdeführerin und D. sind bisher zwei Kinder (geboren im Februar 1970 und im Juni 1971) hervorgegangen.

II.

Die Beschwerdeführerin hat Verfassungsbeschwerde gegen die genannten Entscheidungen erhoben. Sie macht eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG geltend und beantragt, die Entscheidungen aufzuheben und festzustellen, daß die Vorschrift des § 4 Abs. 2 EheG verfassungswidrig sei. Zur Begründung trägt sie vor:

Das Eheverbot wegen Geschlechtsgemeinschaft beschränke das Recht auf Eingehung der Ehe in verfassungswidriger Weise, da es mit sachlichen Argumenten nicht zu begründen sei. Insbesondere werde es nicht von einer allgemeinen Anschauung über das im abendländischen Kulturkreis entwickelte Wesen der Ehe getragen. Eine entgegen dem Verbot geschlossene Ehe unterliege keinerlei Sanktionen. Bei gleichliegenden Fällen entscheide also möglicherweise der Zufall der Aufdeckung der persönlichen Verhältnisse darüber, ob eine gültige Ehe geschlossen werden könne oder nicht. Die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Eheverbots würden auch nicht durch die Dispensmöglichkeit des § 4 Abs. 3 EheG ausgeräumt.

Wenn nach der Auffassung des Oberlandesgerichts für die Prüfung im Einzelfall in erster Linie die sittlichen Anschauungen maßgebend seien, so hätte das Gericht würdigen müssen, daß infolge des raschen Wandels dieser Anschauungen heute Sachverhalte der hier vorliegenden Art weit weniger streng beurteilt würden. Dies gelte um so mehr, als es keine über einen längeren Zeitraum gewachsene Wertordnung gebe, die das Eheverbot bejahe.

Die Argumentation mit der Umwandlung der Verwandtschaftsverhältnisse gehe auch deswegen fehl, weil selbst durch ein längerdauerndes Konkubinat kein Familienverband begründet werde. Das moralische Unwerturteil richte sich im Grunde nicht gegen die beabsichtigte Ehe, sondern gegen das frühere Konkubinat.

Schließlich betreffe das Eheverbot unmittelbar den privaten Bereich der Betroffenen und enge im Widerspruch zu den in BVerfGE 6, 32 [41] ausgesprochenen Grundsätzen die Intimsphäre in unerträglicher Weise ein.

III.

Der Bundesminister der Justiz, der sich namens der Bundesregierung geäußert hat, führt insbesondere aus:

a) Es sei beabsichtigt, entsprechend der Empfehlung der Eherechtskommission beim Bundesministerium der Justiz den gesetzgebenden Körperschaften die Streichung des § 4 Abs. 2 EheG vorzuschlagen. Mit der Vorlage eines solchen Gesetzentwurfs sei noch in der laufenden Legislaturperiode zu rechnen (vgl. auch die Ankündigung in BTDrucks. 7/650 S. 94). Der beabsichtigten Streichung der Vorschrift lägen in erster Linie rechtspolitische Erwägungen zugrunde. Angesichts der weiten, nur an das Vorliegen einer früheren Geschlechtsgemeinschaft anknüpfenden Fassung des § 4 Abs. 2 EheG und der Unbestimmtheit der Dispensregelung in § 4 Abs. 3 Satz 1 EheG erscheine es aber auch als zweifelhaft, ob die gesetzliche Regelung mit der in Art. 6 Abs. 1 GG verankerten grundsätzlichen Verbürgung der Eheschließungsfreiheit vereinbar sei.

b) Das Ehegesetz sei Kontrollratsrecht. Gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 des Vertrags zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen vom 26. Mai 1952 in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. März 1955 (BGBl. II S. 405) - Überleitungsvertrag - sei die Bundesrepublik lediglich befugt, solches Recht nach jeweiliger Konsultation mit den Drei Mächten innerhalb des Bundesgebietes außer Wirksamkeit zu setzen.

Mit den Drei Mächten habe bisher weder eine Konsultation hinsichtlich des gesamten Ehegesetzes noch speziell hinsichtlich § 4 Abs. 2 stattgefunden. Die Konsultation anläßlich des Gleichberechtigungsgesetzes könne nicht als "globale Preisgabe" des Ehegesetzes durch die Alliierten verstanden werden.

C.

Die Verfassungsbeschwerde ist in ihrem wesentlichen Anliegen begründet. § 4 Abs. 2 EheG ist mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Da diese Vorschrift Kontrollratsrecht ist, kann sie das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht für nichtig oder förmlich für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklären. Deswegen können auch die darauf gestützten angefochtenen Entscheidungen nicht aufgehoben werden.

I.

1.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthält das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG als wesentlichen Bestandteil das Recht oder die Freiheit, die Ehe mit einem selbst gewählten Partner einzugehen (vgl. BVerfGE 31, 58 [67] - Spanier-Entscheidung -). Dieses Recht der Eheschließungsfreiheit ist weder durch einen Gesetzesvorbehalt noch auf andere Weise beschränkt. Die Schranken, wie sie Art. 2 Abs. 1 GG für die allgemeine Handlungsfreiheit normiert, gelten daher für die Eheschließungsfreiheit nicht. Besonders kann diese nicht von vornherein nur in den Grenzen, die durch die Eheverbote des einfachen Rechts gezogen sind, ausgeübt werden (vgl. BVerfGE 31, 58 [68 f.]).

Dennoch läßt die Freiheit der Eheschließung - wie in BVerfGE 31, 58 [69 f.] weiter ausgeführt ist - gesetzliche Regeln über die sachlichen Voraussetzungen der Eheschließung nicht nur zu, sondern setzt sie geradezu voraus. Dies ergibt sich aus der untrennbaren Verbindung des Grundrechts mit der Garantie des Instituts "Ehe", die notwendig eine rechtliche Ordnung verlangt. Die Verwirklichung der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG bedarf einer allgemeinen familienrechtlichen Regelung, welche diejenige Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau, die als Ehe den Schutz der Verfassung genießt, rechtlich definiert und abgrenzt. Diese Regelung muß aber die wesentlichen, das Institut der Ehe bestimmenden Strukturprinzipien beachten, die sich aus der Anknüpfung des Art. 6 Abs. 1 GG an vorgefundene, überkommene Lebensformen in Verbindung mit dem Freiheitscharakter des verbürgten Grundrechts und anderen Verfassungsnormen ergeben. Mag auch das hergebrachte bürgerliche Recht weitgehend mit diesen Strukturprinzipien übereinstimmen, so kann nicht umgekehrt der Inhalt der Institutsgarantie überhaupt erst aus dem einfachen Recht erschlossen werden, so daß dieses niemals der Verfassung widersprechen könnte. Vielmehr müssen die einzelnen Regelungen des bürgerlichen Rechts an Art. 6 Abs. 1 GG als vorrangiger, selbst die Grundprinzipien enthaltender Leitnorm gemessen werden. Gewiß hat der Gesetzgeber hierbei einen erheblichen Gestaltungsraum. Dennoch können etwa zu strenge oder zu geringe Sach- oder Formvoraussetzungen der Eheschließung mit der Freiheit der Eheschließung oder anderen sich aus der Verfassung selbst ergebenden Strukturprinzipien der Ehe unvereinbar sein.

Diese Freiheit, mit dem selbst gewählten Partner die Ehe einzugehen, bildet einen elementaren Bestandteil der durch die Grundrechte gewährleisteten freien persönlichen Existenz des Menschen. Sie ergibt sich nicht nur unmittelbar aus der Verfassung, sondern hat inzwischen auch in dem innerhalb der Vereinten Nationen erarbeiteten Internationalen Pakt vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte weltweite Anerkennung gefunden, den die Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes zur Zustimmung vorgelegt hat (BT- Drucks. 7/660, s. dort Art. 23 Abs. 2).

2.

An diesen Maßstäben gemessen ist das Eheverbot des § 4 Abs. 2 EheG mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar.

Die Freiheitsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG fordert vom Staat äußerste Zurückhaltung bei der Aufstellung von Ehehindernissen. Er darf sich nur dort verbietend dem Wunsch eines ehefähigen Mannes und einer ehefähigen Frau, miteinander die Ehe einzugehen, entgegenstellen, wo einleuchtende Sachgründe, die sich aus Wesen und Gestalt der den heutigen Auffassungen entsprechenden Ehe ergeben und ihrerseits aus einem das Institut der Ehe im Sinne der Verfassung bestimmenden Strukturprinzip oder Strukturelement erwachsen, dies erfordern. Das Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft genügt diesen Anforderungen nicht. Im Lichte des Art. 6 Abs. 1 GG lassen sich keine rationalen Gründe finden, die das Eheverbot stichhaltig zu tragen vermöchten.

3.

Soweit das Eheverbot aus "uralten kultischen Vorstellungen", aus "rational nicht enthüllbaren Auffassungen" oder sonst aus metaphysischen Gründen oder bestimmten religiös-kirchlichen Regeln hergeleitet wird, ist von vornherein darauf hinzuweisen, daß dem Grundgesetz "das Bild der 'verweltlichten' bürgerlich-rechtlichen Ehe" zugrunde liegt (BVerfGE 31, 58 [83]; vgl. auch BVerfGE 10, 59 [85]; 12, 45 [54]). Das heißt: der Staat darf die Eheschließungsfreiheit nicht allein auf Grund einer "uralten kultischen Regel" beschränken, sondern die Beschränkung muß sich aus dem Bild der heutigen verweltlichten Ehe ergeben oder mit diesem vereinbar sein. Das verlangt aber grundsätzlich, daß sachliche, verstandesmäßig faßbare Gründe das Eheverbot zu rechtfertigen vermögen.

4.

Allerdings ist nach der erwähnten Rechtsprechung die "Anknüpfung des Art. 6 Abs. 1 GG an vorgefundene, überkommene Lebensformen" zu beachten, wenn auch nur in Verbindung mit dem Freiheitscharakter des Grundrechts der Eheschließungsfreiheit (BVerfGE 31, 58 [69]). Insoweit kann sich die Frage stellen, ob eine die Eheschließungsfreiheit beschränkende Regelung des einfachen Rechts schon dann mit dem Bild der heutigen Ehe vereinbar ist, wenn sie den überkommenen Lebensformen, besonders dem christlich-abendländischen Vorstellungsbild der Ehe entspricht, oder ob hinzukommen muß, daß das überkommene Vorstellungsbild auch von den in der Gegenwart herrschenden Auffassungen vom Wesen der säkularisierten Ehe getragen wird (vgl. BVerfGE 6, 55 [82]; 15, 328 [332]; 31, 58 [82 f.]), namentlich wenn sich insofern seit Erlaß der Regelung ein grundlegender Wandel vollzogen haben sollte. Diese Frage bedarf hier jedoch keiner Entscheidung; denn das Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft entspricht weder dem christlich-abendländischen Vorstellungsbild der Ehe noch sonst überkommenen Lebensformen. Für dieses Eheverbot läßt sich keine ungebrochene Rechtstradition nachweisen; demgemäß handelt es sich nicht um eine "konsequent beibehaltene gesetzliche Regelung" im Sinne von BVerfGE 15, 328 [332].

a) Der einleitende Überblick über die deutsche Rechtsentwicklung (oben A I) zeigt, daß sich für den deutschen Gesetzgeber das Eheverbot nicht zwingend aus einer allgemein überkommenen Anschauung vom Wesen der Ehe ergab. Bis zum Jahre 1875 war ein derartiges Verbot in weiten Teilen Deutschlands, besonders im Geltungsbereich des Preußischen Allgemeinen Landrechts, unbekannt. Zwischen 1875 und 1900 sowie zwischen 1938 und 1945 gab es in ganz Deutschland kein solches Verbot. Dabei war die Beseitigung des Eheverbots in den Jahren von 1938 bis 1945 nicht durch nationalsozialistische Vorstellungen von der Ehe beeinflußt; die für den Wegfall des Eheverbots im Ehegesetz 1938 gegebene Begründung stimmt wesentlich mit der Argumentation zum Fehlen einer solchen Vorschrift im 1. Entwurf zum BGB und mit der Begründung für die Streichung des § 4 Abs. 2 EheG im Entwurf des Gleichberechtigungsgesetzes 1952 (s. oben A I 2 und A III 1) sowie mit den Überlegungen der Eherechtskommission (s. oben A III 2) überein. In diesem Zusammenhang ist besonders von Bedeutung, daß bereits kurze Zeit nach der Wiedereinführung des Eheverbots durch den Kontrollrat sowohl von seiten der Bundesregierung wie aus der Mitte des Bundestages Initiativen für die Aufhebung der Vorschrift ergriffen wurden (s. oben A III 1); sie kamen nur deswegen nicht zur Beratung, weil die dringende Durchführung der Gleichberechtigung im Familienrecht vor der Reform anderer Fragen des Eherechts den Vorrang beanspruchte.

b) Ein Blick über die Grenzen bestätigt dieses Ergebnis. Außerhalb Deutschlands ist das Eheverbot - und zwar schon seit langem - so gut wie unbekannt (vgl. Dölle, a.a.O., S. 110; Müller-Freienfels, Ehe und Recht, 1962, S. 112). Nicht nur in den sozialistischen Staaten Ost- und Südosteuropas, auch im anglo-amerikanischen Rechtskreis und in Skandinavien besteht kein solches Verbot; in Dänemark nicht mehr seit Erlaß des neuen Ehegesetzes vom 4. Juni 1969 (Bergmann-Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Dänemark, S. 11 f.). Es fehlt vor allem auch im übrigen deutschen Rechtskreis (Österreich, Schweiz) und in den romanischen Rechten, jedenfalls für zivile Ehen.

5.

Auch aus dem Gesichtspunkt des Schutzes der Institution der Ehe läßt sich das Eheverbot nicht rechtfertigen. Die Erwägung, daß der Schutz einer früheren ehelichen Verbindung und der durch diese entstandenen Familienbeziehungen das Verbot der neuen Ehe erfordere, scheidet hier aus. Konkubinate, auch wenn sie, wie hier, jahrelang bestanden haben, können keinen verfassungsrechtlichen Schutz beanspruchen, welcher der Begründung einer den gesetzlichen Formen entsprechenden Ehe im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG entgegenstünde (vgl. auch BVerfGE 9, 20 [34 f.]).

Auch die beabsichtigte Ehe ist als solche nicht geeignet, die Institution der Ehe zu beeinträchtigen. Gewiß ist das Verhalten der Beteiligten vor der Eheschließung sittlich nicht zu billigen; in den gegebenen typischen Fällen wird die Umwelt namentlich das Verhalten des von der Mutter zur Tochter wechselnden Mannes, aber auch das Verhalten der Tochter als moralisch anstößig empfinden. Daraus folgt aber noch nicht, daß die Ehe zwischen den neuen Partnern für sich gesehen der wesentlichen Gestalt der bürgerlichen Ehe nicht entsprechen könnte. Hiergegen spricht bereits der Blick auf die geschichtliche Entwicklung in Deutschland und auf das Ausland. Hinzu kommt, daß eine entgegen dem Verbot geschlossene Ehe von Anfang an gültig ist und daß von dem Ehehindernis in der Regel Befreiung erteilt wird. Gerade diese weitgehende Befreiungsmöglichkeit nach § 4 Abs. 3 EheG zehrt - worauf Dölle (a.a.O., S. 108) zu Recht hinweist - an der Substanz und damit an der Überzeugungskraft des Ehehindernisses: Der Gesetzgeber hat damit kundgetan, daß ein allgemeines Unwerturteil über die "Geschlechtsgemeinschaftsehe" nicht mehr besteht (vgl. Ramm, JZ 1963, S. 49).

Zudem richtet sich das moralische Unwerturteil in erster Linie gegen die sexuellen Beziehungen, die unabhängig von der beabsichtigten Eheschließung bestehen und vom Staat als solche nicht verboten sind. Die als anstößig empfundenen sexuellen Beziehungen und die daraus etwa resultierenden Spannungen im Kreise der Beteiligten werden aber durch das Eheverbot rechtlich und praktisch nicht berührt. Dann läßt es sich jedoch nicht rechtfertigen, die Eheschließung zu verbieten, die nach dem Willen der Partner Ordnung in ihre Beziehungen bringen und diese auf eine legale Grundlage stellen soll. Nach menschlicher Erfahrung werden die Partner, wenn ihnen die Befreiung versagt wird, weiter im Konkubinat zusammen leben, und die aus dieser Verbindung hervorgegangenen Kinder werden nichtehelich sein. Diese Auswirkungen sind aber sittlich fragwürdiger und in ihren Folgen für die Gesellschaft schädlicher als die beabsichtigte Ehe.

Mit gutem Grund geht der Gesetzgeber der Frage, ob das Zustandekommen einer Ehe im Einzelfall sittlich anstößig ist, sonst nicht nach. Lediglich bei einer früheren Geschlechtsgemeinschaft mit auf- oder absteigenden Verwandten des Partners die Eingehung der Ehe zu verhindern, weil sie sittlich anstößig sei, erscheint als ungerecht.

6.

Anders als beim Eheverbot der Verwandtschaft (§ 4 Abs. 1 EheG) scheiden medizinische oder erbbiologische Gesichtspunkte für das Verbot der beabsichtigten Ehe von vornherein aus. Jedoch hat die Verhinderung sexueller Beziehungen im Familienverband auch darüber hinaus ihren guten Sinn. Die lebenswichtige Funktion der Familie für die menschliche Gemeinschaft, wie sie der allgemeinen Auffassung entspricht und der Verfassungsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG zugrunde liegt (vgl. BVerfGE 24, 119 [149 f.]; 25, 167 [196]), wird entscheidend gestört, wenn das vorausgesetzte Ordnungsgefüge durch sexuelle Beziehungen "über Kreuz" ins Wanken gerät. Die Ordnungsvorstellung der auf natürlichen und rechtlichen Bindungen beruhenden Familie prägt auch die nur rechtlich entstandene Bindung innerhalb der Stieffamilie, die tatsächlich und von der Rechtsordnung anerkannt weitgehend die Funktion der natürlichen Familie erfüllt (vgl. BVerfGE 22, 163 [172 f.]). Dieses Vorstellungsbild läßt sich aber nicht in der Weise auf allein durch sexuelle Beziehungen entstandene Verhältnisse übertragen, daß aus einer solchen, rechtlich nicht anerkannten Beziehung nunmehr ein rechtliches Hindernis für die Neubegründung einer Familie im Rechtssinne hergeleitet wird.

7.

Auch der in den angefochtenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts und des Landgerichts als wichtigster Grund für die Ablehnung des Befreiungsantrags der Beschwerdeführerin angeführte Gesichtspunkt der Verwirrung oder Widernatürlichkeit der verwandtschaftlichen Beziehungen durch die beabsichtigte Ehe vermag den Eingriff in die Eheschließungsfreiheit der Beschwerdeführerin und ihres Partners nicht zu rechtfertigen.

Da infolge der Geschlechtsgemeinschaft selbst bei längerdauerndem Konkubinat kein Familienverband im Rechtssinne entsteht, kann anders als beim Ehehindernis der Schwägerschaft hier von der Umwandlung eines Kindschaftsverhältnisses in ein Ehegattenverhältnis nicht die Rede sein (vgl. Lüke, NJW 1962, S. 2179 f.). Das Motiv, die Verwirrung der Verwandtschaftsbeziehungen zu verhindern, trifft daher die Fälle, in denen aus der früheren Geschlechtsgemeinschaft Kinder hervorgegangen sind: Diese Kinder werden aus nichtehelichen Kindern eines Partners der neuen Geschlechtsgemeinschaft durch die Eheschließung zugleich dessen Schwäger und aus Halbgeschwistern des anderen Partners zugleich dessen Stiefkinder. Da sich an den biologischen Tatsachen aber nichts ändert und die dadurch unmittelbar begründeten Verwandtschaftsbeziehungen bestehen bleiben, wird durch die Verhinderung der neuen, zusätzlichen Familienbeziehungen nichts gewonnen. Überdies vermag auch das Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft verwickelte Verwandtschaftsverhältnisse nicht zu vermeiden. So sind bereits jetzt die aus der früheren Beziehung zur Mutter stammenden Söhne gleichzeitig Stiefbrüder und Onkel der aus dem Konkubinat mit der Tochter hervorgegangenen Kinder.

Vor allem führt diese Argumentation zwangsläufig dazu, das Eheverbot auf die Fälle zu beschränken, in denen Kinder aus der früheren Beziehung vorhanden sind. Es läßt sich aber mit dem Schutz der Familie nicht rechtfertigen, wenn die Legalisierung der neuen Beziehungen an diesem Umstand scheitert. Damit würden praktisch diejenigen begünstigt, deren frühere Bindung zufällig ohne Kinder blieb oder die bewußt die Geburt von Kindern verhindert haben. Eine solche Differenzierung wäre nicht nur ungerecht gegenüber den Partnern der neuen Bindung, besonders gegenüber dem an dem früheren Verhältnis nicht beteiligten Partner, sondern auch in ihrer Auswirkung auf die davon betroffenen Kinder aus der neuen Beziehung. Das Argument der Verwirrung der Verwandtschaftsverhältnisse wirkt, wenn es ernst genommen wird, sogar in beiden Richtungen: Es dürfen weder die alten noch die neuen sexuellen Beziehungen legalisiert werden, d. h. im vorliegenden Fall: weder die von der Mutter der Beschwerdeführerin noch die von der Beschwerdeführerin geborenen nichtehelichen Kinder können durch eine Heirat ihrer Mutter mit dem Vater ehelich werden und in einer geordneten, legalen Familiengemeinschaft aufwachsen. Dieses Ergebnis steht nicht im Einklang mit Art. 6 Abs. 1 GG und widerspricht auch Art. 6 Abs. 5 GG (vgl. BVerfGE 22, 163 [173]).

8.

Ob eine frühere Geschlechtsbeziehung zu Verwandten eines Partners generell geeignet ist, den Bestand der beabsichtigten ehelichen Verbindung in besonderem Maße zu gefährden, kann dahingestellt bleiben, da auch mit dieser Begründung das Eheverbot nicht gerechtfertigt werden darf. Das Grundrecht der Eheschließungsfreiheit und die das Wesen der Ehe im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG kennzeichnende Eigenverantwortlichkeit lassen auch sonst nicht zu, daß der Staat fürsorglich Ehen verhindert, deren Bestand etwa wegen besonders großer Altersunterschiede, verschiedener Nationalität oder charakterlicher Mängel der Partner von vornherein als fraglich erscheint (BVerfGE 31, 58 [84]).

9.

Wie die Eherechtskommission zutreffend hervorhebt (vgl. oben A III 2), behandelt das Eheverbot im Ergebnis eine bestimmte Gruppe Eheschließungswilliger ohne hinreichend konkretisierte und damit letztlich überzeugende Gründe ungleich. Faktisch werden keineswegs alle oder auch nur die meisten Fälle erfaßt, in denen sexuelle Beziehungen zu Verwandten des Ehepartners bestanden haben; vielmehr greift das Eheverbot nur in den wenigen Fällen ein, in denen der Standesbeamte durch das Vorhandensein von Kindern, durch Zufall oder durch Denunziation von der früheren Geschlechtsgemeinschaft Kenntnis erhält. Das widerspricht der Gerechtigkeit. Es läßt sich auch nicht sagen, daß von diesem - weithin unbekannten - Eheverbot eine generelle präventive Wirkung dahin ausgehen könnte, den anstößigen Partnerwechsel in derselben Familie zu vermeiden.

II.

Obwohl § 4 Abs. 2 EheG mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht im Einklang steht, kann das Bundesverfassungsgericht diese Vorschrift weder gemäß § 95 Abs. 3 in Verbindung mit § 31 Abs. 2 BVerfGG für nichtig erklären, noch mit der Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG ihre Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz förmlich feststellen. § 4 Abs. 2 EheG ist eine vom Kontrollrat erlassene Rechtsvorschrift. Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 des Überleitungsvertrages steht Kontrollratsrecht nicht wie anderes Besatzungsrecht (vgl. BVerfGE 12, 281 [291]) zur uneingeschränkten Disposition der Bundesrepublik; es kann von den deutschen Verfassungsorganen weder aufgehoben nocht geändert, sondern nur "nach jeweiliger Konsultation mit den Drei Mächten" außer Wirksamkeit gesetzt werden.

1.

Die Verfassungsmäßigkeit des Zustimmungsgesetzes zum Überleitungsvertrag ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (BVerfGE 15, 337 [348 ff.] - Höfeordnung -). Die Erwägungen, die dort im Rahmen der verfassungsgerichtlichen Prüfung einer zum gewöhnlichen Besatzungsrecht gehörenden Rechtsnorm zu Art. 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Überleitungsvertrages angestellt werden, gelten ebenso auch für die in Art. 1 Abs. 1 Satz 3 des Überleitungsvertrages enthaltene Regelung für Kontrollratsrecht.

2.

Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts (vgl. ebenso OLG Hamm, FamRZ 1963, S. 248 [249]; Lüke, NJW 1962, S. 2177, Fußn. 3; Dietz in Staudinger, a.a.O., Einl. EheG Anm. 110, § 4 Anm. 30) ist § 4 Abs. 2 EheG durch die Änderung des § 4 Abs. 3 EheG nicht Bundesrecht geworden. Nach Auskunft der Bundesregierung bezog sich die vor dieser Änderung vorgenommene Konsultation mit den westlichen Alliierten nur auf § 4 Abs. 3 EheG; nur dieser Teil der Gesamtbestimmung ist in der im Überleitungsvertrag vorgesehenen Weise außer Wirksamkeit gesetzt und durch eine neue bundesrechtliche Vorschrift ersetzt worden. Hierdurch änderte sich nichts an dem Rechtscharakter des § 4 Abs. 2 EheG als Kontrollratsrecht, einerlei, ob der Bundesgesetzgeber bei der Neufassung der Befreiungsvorschrift das Fortgelten des Ehehindernisses wegen Geschlechtsgemeinschaft in seinen Willen aufgenommen hat oder nicht (vgl. BVerfGE 4, 45 [50]; OLG Hamm, FamRZ 1964, S. 212 [213] unter Aufgabe seines früheren Standpunkts; Maunz/Sigloch/Schmidt-Bleibtreu/ Klein, BVerfGG, § 80 Anm. 61 a. E.).

3.

Ebensowenig läßt sich die mehrfach vertretene Auffassung halten, die Konsultation der Drei Westmächte anläßlich der Eingriffe des Gleichberechtigungsgesetzes in das Ehegesetz könne angesichts der politischen Zwecke, die Art. 1 des Überleitungsvertrages zugrunde lägen, nur als Freigabe des gesamten Ehegesetzes zur Disposition des deutschen Gesetzgebers verstanden werden (vgl. Gernhuber, a.a.O., S. 49; Simitis, StAZ 1969, S. 282; ähnlich Donau in Soergel-Siebert, a.a.O., Einl. EheG Anm. 3). Sie ist mit Wortlaut und Sinn des Überleitungsvertrages nicht zu vereinbaren (ebenso die wohl überwiegende Meinung in Schrifttum und Rechtsprechung, vgl. E. Scheffler in Bettermann-Nipperdey- Scheuner, Die Grundrechte, IV. Bd., 1. Halbbd. [1960], S. 278 f. m. weit. Nachw.; Beitzke, Familienrecht, S. 8). Es hängt nach Art. 1 Abs. 2 des Überleitungsvertrages allein vom Gegenstand und Inhalt der jeweils geführten Konsultation ab, in welchem Umfang der deutsche Gesetzgeber von der Kompetenz, Kontrollratsrecht außer Wirksamkeit zu setzen, Gebrauch machen darf. Nach Auskunft der Bundesregierung hat aber bis jetzt eine sich auf das ganze Ehegesetz beziehende Konsultation nicht stattgefunden.

4.

Da § 4 Abs. 2 EheG Kontrollratsrecht ist, gilt die Vorschrift gemäß Art. 1 des Überleitungsvertrages ohne Rücksicht auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zunächst fort und ist für Verwaltung und Gerichte verbindlich. Die Verwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts ist insoweit ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 15, 337 [346 ff.]).

5.

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung zur Höfeordnung weiter ausgesprochen, der Gesetzgeber sei seit dem 5. Mai 1955 verpflichtet, im Rahmen seiner Kompetenz besatzungsrechtliche Vorschriften, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind, aufzuheben oder zu ändern, also eine dem Grundgesetz entsprechende Rechtsordnung zu schaffen (a.a.O., S. 349 f.). Für Kontrollratsrecht ergibt sich aus dieser verfassungsrechtlichen Pflicht entsprechend, daß die zuständigen Verfassungsorgane gehalten sind, in angemessener Zeit nach vorheriger Konsultation der Drei Mächte Kontrollratsrecht, das mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist, außer Wirksamkeit zu setzen (vgl. E. Scheffler, a.a.O., S. 279; Lauterbach in Palandt, a.a.O., Einl. EheG Anm. 1 B).

Ob diese Frist nach den in BVerfGE 15, 337 [351 f.] aufgestellten Kriterien hier bereits abgelaufen ist, kann dahingestellt bleiben. Da die Bundesrepublik verpflichtet ist, die Drei Mächte zu konsultieren, bevor eine Rechtsvorschrift des Kontrollrats außer Wirksamkeit gesetzt wird, kann jedenfalls bei solchem Besatzungsrecht der Ablauf der Frist nicht automatisch zu einer Unwirksamkeit der Vorschrift führen.

Es ist nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, die gebotene Konsultation selbst vorzunehmen. Das Gericht muß jedoch, nachdem durch seine Entscheidung geklärt ist, daß § 4 Abs. 2 EheG mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist, die zuständigen Verfassungsorgane verpflichten, nunmehr auf dem im Überleitungsvertrag vorgesehenen Wege in angemessener Frist § 4 Abs. 2 EheG außer Wirksamkeit zu setzen. Unter Berücksichtigung der bereits eingeleiteten Reform des Eherechts ist diese Frist bis zum Herbst 1976, d. h. bis zum Ablauf der jetzigen Legislaturperiode des Bundestags, zu erstrecken (vgl. BVerfGE 15, 337 [351 f.]).

III.

Obwohl die angefochtenen Entscheidungen auf einer mit dem Grundgesetz nicht im Einklang stehenden Rechtsvorschrift beruhen, können sie deswegen verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden, weil diese Vorschrift zur Zeit noch gültig ist.

1.

Solange das Eheverbot der Geschlechtsgemeinschaft nach § 4 Abs. 2 EheG noch in Geltung steht, muß es von den Gerichten beachtet werden. Eine Auslegung, die von vornherein bestritte, daß es "wichtige Gründe", die "der Eingehung der Ehe entgegenstehen", geben könne, so daß die Befreiung in allen Fällen unbesehen erteilt werden müßte, würde im Ergebnis das Verbot aus der Rechtsordnung eliminieren und damit den gesetzgebenden Instanzen vorgreifen. Damit würden die dem Richter gezogenen Grenzen überschritten (vgl. BVerfGE 34, 269 [280] - immaterielle Schäden -).

2.

Das Oberlandesgericht hat in seinem angefochtenen Beschluß die Auffassung vertreten, daß als "wichtige Gründe" nur solche anerkannt werden können, die mit dem Sinn und Zweck des Eheverbots in Zusammenhang stehen; Erwägungen, die außerhalb des Bereichs der Sittenordnung lägen, dürften dagegen keinen Raum finden. Einen derartigen Grund hat es darin gesehen, daß die beabsichtigte Ehe zu einer solchen Umwandlung der Verwandtschaftsverhältnisse führen werde, die auch heute noch als widernatürlich und dem sittlichen Wesen der Ehe widersprechend angesehen werde. Diese Rechtsanwendung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, solange § 4 Abs. 2 EheG für die Gerichte verbindliches Recht ist.

3.

Einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen bedarf es auch nicht unter dem Gesichtspunkt, der Beschwerdeführerin die Chance einer günstigeren Gesetzesregelung offenzuhalten (vgl. BVerfGE 22, 349 [363]; 23, 1 [11]; 25, 101 [111]). Zunächst kann die Herstellung einer dem Grundgesetz entsprechenden Rechtsordnung hier nur in einer vollständigen Beseitigung des Eheverbots bestehen. Sobald dies geschieht, können die Beschwerdeführerin und ihr Partner ihre Heiratsabsicht verwirklichen, ohne irgendwie durch die frühere Ablehnung der Befreiung von diesem Verbot und die zu ihrem Nachteil ergangenen Entscheidungen der Beschwerdegerichte behindert zu sein.

Im übrigen sind die zuständigen Gerichte schon jetzt nicht gehindert, auf einen neuen Antrag die Befreiung zu bewilligen, etwa weil sie die Beständigkeit der Heiratsabsicht der Betroffenen, die Geburt von zwei Kindern aus dieser Verbindung und den Zeitablauf seit der Geschlechtsgemeinschaft mit der Mutter zugunsten der Antragsteller würdigen.

IV.

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht beruht auf § 34 Abs. 3 BVerfGG. Es entspricht der Billigkeit, daß die Beschwerdeführerin, die in der verfassungsrechtlichen Hauptfrage obsiegt, ihre notwendigen Auslagen erstattet erhält (vgl. auch Beschluß vom 9. Oktober 1973 - 2 BvR 677/72 -).

Erstattungspflichtig ist die Bundesrepublik, da dem Bundesgesetzgeber der Fortbestand des mit der Verfassung nicht vereinbaren Kontrollratsrechts zuzurechnen ist.

Benda Ritterspach Rupp-v. Brünnneck Faller Brox Simon