BVerfG, 14.12.1965 - 1 BvL 14/60

Daten
Fall: 
Sachkundenachweis
Fundstellen: 
BVerfGE 19, 330; BayVBl 1966, 88; DÖV 1966, 93; DVBl 1966, 73; JuS 1966, 160; JZ 1966, 136; MDR 1966, 302; NJW 1966, 291
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
14.12.1965
Aktenzeichen: 
1 BvL 14/60
Entscheidungstyp: 
Beschluss
Instanzen: 
  • OLG Saarbrücken, 18.04.1960 - Ws 15/60

Es ist mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar, für die Aufnahme des Einzelhandels mit Waren aller Art (mit Ausnahme der im § 3 Abs. 3 Satz 2 EzHdlG genannten Waren) den Nachweis der Sachkunde zu fordern.

Inhaltsverzeichnis 

Beschluß

des Ersten Senats vom 14. Dezember 1965
- 1 BvL 14/60 -
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des § 3 des Gesetzes über die Berufsausübung im Einzelhandel vom 5. August 1957 (BGBl. I S. 1121), eingeführt im Saarland durch Gesetz vom 30. Juni 1959 (BGBl. I S. 313), - Vorlagebeschluß des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 18. April 1960 - Ws 15/60.
Entscheidungsformel:

§ 3 Absatz 2 Nummer 1 des Gesetzes über die Berufsausübung im Einzelhandel vom 5. August 1957 (Bundesgesetzbl. I S. 1121) ist mit Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und daher nichtig, soweit er den Einzelhandel mit Waren aller Art mit Ausnahme der in § 3 Absatz 3 Satz 2 genannten Waren betrifft.

Gründe

I.

1. Zum Schutz des mittelständischen Einzelhandels verhängte die Notverordnung des Reichspräsidenten vom 9. März 1932 (RGBl. I S. 121) eine vorübergehende Sperre der Errichtung von Einheitspreisgeschäften. Auf diese Notverordnung folgte am 12. Mai 1933 (RGBl. I S. 262) "zur Abwehr der dem Einzelhandel aus der gegenwärtigen wirtschaftlichen Not drohenden Gefahren und zur Sicherung des Bestandes der mittelständischen Betriebe des Einzelhandels" das Gesetz zum Schutz des Einzelhandels, das Einheitspreisgeschäfte für unbefristete Zeit verbot und zur Errichtung, zur Übernahme und zur Erweiterung anderer Verkaufsstellen eine besondere Genehmigung vorschrieb. Die Genehmigung wurde in das Ermessen der Behörde gestellt, die sie insbesondere versagen konnte, wenn der Bewerber nicht die erforderliche Sachkunde besaß oder unzuverlässig war, vor allem aber auch zur Vermeidung der Übersetzung des Einzelhandels, wenn ein Bedürfnis fehlte.

Nach dem Krieg wurde das Einzelhandelsschutzgesetz in der amerikanischen Zone außer Kraft gesetzt, in der britischen und französischen Zone in geänderter Fassung beibehalten. Ferner erließen einige Länder Gewerbezulassungsgesetze, die u.a. Sperren für den Einzelhandel vorsahen. Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 2, 295) und Bundesgerichtshof (BGHSt. 10, 344) haben übereinstimmend ausgesprochen, das Einzelhandelsschutzgesetz und seine Durchführungsverordnungen seien vom Inkrafttreten des Grundgesetzes an nur mit der Maßgabe anzuwenden, daß der Bewerber einen Anspruch auf die Erlaubnis zur Eröffnung eines Einzelhandelsgeschäftes habe, wenn er die gesetzlichen subjektiven Voraussetzungen erfülle. Die objektiven Voraussetzungen - Bedürfnis und Verhinderung der Übersetzung des Einzelhandels - ebenso wie das freie Entscheidungsermessen der Verwaltungsbehörde seien mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Ein am 11. Juni 1953 eingebrachter Initiativentwurf für ein Übergangsgesetz zur Berufsordnung des Handels (BT-Drucks. I/4532) sah eine allgemeine Erlaubnispflicht für den Einzelhandel vor. Die für die Erlaubnis geforderte Sachkunde bezog sich auf bestimmte Warenkreise. Wegen des Ablaufs der Legislaturperiode konnte dieser Gesetzentwurf nicht mehr verabschiedet werden.

2. Nach § 1 Abs. 1 des geltenden, ebenfalls auf einer Initiative aus der Mitte des Bundestages beruhenden Gesetzes über die Berufsausübung im Einzelhandel vom 5. August 1957 (BGBl. I S. 1121) - EinzelHG - betreibt Einzelhandel, wer gewerbsmäßig Waren anschafft und sie unverändert oder nach im Einzelhandel üblicher Be- oder Verarbeitung in einer oder mehreren offenen Verkaufsstellen zum Verkauf an jedermann feilhält. Zu den offenen Verkaufsstellen gehören nach einhelliger Ansicht gemäß § 1 Abs. 1 des Ladenschlußgesetzes vom 28. November 1956 (BGBl. I S. 875) auch Warenautomaten.

Zur Ausübung des Einzelhandels ist eine Erlaubnis erforderlich (§ 3 Abs. 1), die gemäß § 3 Abs. 2 EinzelHG zu versagen ist, wenn

1. weder der Unternehmer noch eine zur Vertretung des Unternehmers gesetzlich berufene noch eine von dem Unternehmer mit der Leitung des Unternehmens beauftragte Person die erforderliche Sachkunde nachweisen kann oder
2. Tatsachen vorliegen, aus denen sich der Mangel der für die Leitung des Unternehmens erforderlichen Zuverlässigkeit einer der in Nummer 1 genannten Personen ergibt.

Innerhalb des Einzelhandels differenziert das Einzelhandelsgesetz nach folgenden Gruppen:

Einzelhandel mit Lebensmitteln nach § 1 Abs. 1 des Lebensmittelgesetzes, Einzelhandel mit Arzneimitteln und ärztlichen Hilfsmitteln - ausgenommen aus amtsärztlich kontrollierten Drogenschränken -, Einzelhandel mit den übrigen Waren (im folgenden als allgemeiner Einzelhandel bezeichnet).

Für den Einzelhandel mit Lebensmitteln und Arzneimitteln verlangt § 4 Abs. 2 EinzelHG im Gegensatz zur allgemeinen Einzelhandelserlaubnis besondere Warenkunde. Den Nachweis der erforderlichen Sachkunde für den allgemeinen Einzelhandel hat erbracht, wer eine Kaufmannsgehilfenprüfung in einem beliebigen Zweig des Handelsgewerbes bestanden und danach eine praktische Tätigkeit im Handel von mindestens zwei Jahren ausgeübt hat (§ 4 Abs. 1 EinzelHG). Für den Nachweis der Sachkunde genügt ferner eine mindestens fünfjährige kaufmännische, davon eine zweijährige leitende Tätigkeit (§ 4 Abs. 3 EinzelHG). Letztlich sieht das Gesetz vor, daß der Bewerber, der die vorgenannten Voraussetzungen nicht erfüllt, seine Sachkunde für den Einzelhandel in einer besonderen Prüfung nachweist (§ 4 Abs. 4 EinzelHG). Hierzu bestimmt § 4 Abs. 1 der Verordnung vom 4. März 1960 (BGBl. I S. 172) folgendes:

Die in der Prüfung nach § 4 Abs. 4 des Gesetzes zu fordernde Sachkunde umfaßt die allgemeinen Kenntnisse der beim Einzelhandel vorkommenden kaufmännischen Vorgänge, jedoch nicht Warenkenntnisse.

Die Erlaubnis nach dem Einzelhandelsgesetz ist u.a. nicht erforderlich, wenn nach dem Tode des bisherigen Unternehmers der überlebende Ehegatte (§ 6 Nr. 1 EinzelHG) oder die Erben - diese allerdings nur bis zur Dauer von fünf Jahren - den Einzelhandel fortsetzen (§ 6 Nr. 2 EinzelHG).

II.

Der Betroffene des Ausgangsverfahrens ist Friseur. Er hatte ohne Erlaubnis einen Zigarettenautomaten an seiner Wohnung angebracht. Wegen des hierdurch begangenen Verstoßes gegen baurechtliche Vorschriften ist der Betroffene gemäß § 367 Nr. 15 StGB durch Strafverfügung vom 10. November 1959 rechtskräftig mit einer Geldstrafe von 10 DM bestraft worden. Ferner verhängte der Landrat gemäß § 9 EinzelHG mit Bußgeldbescheid vom 12. November 1959 gegen ihn ein Bußgeld von 20 DM, weil er aus dem Zigarettenautomaten im Oktober 1959 jedermann Waren zum Verkauf angeboten habe, ohne im Besitz der Einzelhandelserlaubnis zu sein.

Gegen den Bußgeldbescheid beantragte der Betroffene gerichtliche Entscheidung. Das Amtsgericht hob den Bußgeldbescheid mit Beschluß vom 4. Januar 1960 als unzulässig auf, weil die Polizei die Vorschrift des § 28 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten nicht beachtet habe und die Verhängung einer Geldbuße gegen den schon nach § 367 Nr. 15 StGB wegen derselben Tat bestraften Betroffenen gegen den Grundsatz "ne bis in idem" verstoße. Hiergegen legte der Landrat Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht ein mit der Begründung, daß die gerichtlich bereits rechtskräftig geahndete Handlung und die durch Bußgeldbescheid zu ahndende Handlung des Betroffenen im Verhältnis der Tatmehrheit ständen.

Das Oberlandesgericht hat das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber erbeten, ob § 3 EinzelHG mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Es hält die Rechtsbeschwerde des Landrats für zulässig und begründet. Tateinheit zwischen Verstößen gegen die baurechtlichen Vorschriften und gegen das Einzelhandelsgesetz liege nicht vor; der Grundsatz "ne bis in idem" greife also nicht ein. Das Oberlandesgericht will trotzdem den angefochtenen Beschluß des Amtsgerichts bestätigen, aber mit der Maßgabe, daß der Bußgeldbescheid als unbegründet aufgehoben wird. Das Oberlandesgericht hält § 3 EinzelHG für unvereinbar mit Art. 12 Abs. 1 GG:

Art. 12 Abs. 1 GG übertrage dem Gesetzgeber die Befugnis, die Berufsausübung zu regeln. Der Regelungsvorbehalt, der den Schutz der Gemeinschaftsinteressen sicherstellen solle, stehe unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Allgemeinwohl sei nicht in jedem Fall und von allen Personen, die Einzelhandel betreiben wollten, gefährdet. Für den, der z.B. verschlossene Waren wie Konserven oder Zigaretten verkaufe, sei eine Sachkunde ohne Bedeutung. Eine Einflußnahme auf die Qualität der von ihm veräußerten Ware sei von vornherein ausgeschlossen, zumal wenn die Ware nicht durch eine Person, sondern durch einen Automaten abgegeben werde. Hier erschöpfe sich die Tätigkeit des Einzelhändlers darin, den leer gewordenen Automaten aufzufüllen. Die Erfordernisse einer kaufmännischen Sachkunde oder Zuverlässigkeit gemäß § 4 EinzelHG seien in diesen Berufszweigen nicht erforderlich. Die Allgemeinheit werde bei Vorhandensein einer Sachkunde nicht mehr und nicht weniger geschützt. Ihre gesetzliche Notwendigkeit bedeute für den Einzelhändler in gewissen Berufszweigen eine Auflage, die in keinem Verhältnis zu dem Schutze stehe, der der Allgemeinheit daraus erwachse.

Keines der nach §§ 77, 82 BVerfGG anzuhörenden Verfassungsorgane hat sich zu der Vorlage geäußert.

III.

Die Vorlage ist zulässig.

1. Das vorlegende Gericht hat im einzelnen dargetan, daß dem bei ihm in der Rechtsbeschwerde anhängigen Bußgeldverfahren der Rechtsgrundsatz "ne bis in idem" nicht entgegenstehe, da zwischen der bereits rechtskräftig bestraften Übertretung nach § 367 Nr. 15 StGB und der dem Bußgeldverfahren zugrunde liegenden Tat keine Tateinheit bestehe. Demnach könnte der Betroffene des Ausgangsverfahrens wegen einer Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 3, 4 und 9 EinzelHG mit einer Geldbuße belegt werden. Diese Ansicht ist jedenfalls nicht offensichtlich unhaltbar.

Bei der Entscheidung kommt es darauf an, ob die zur Prüfung gestellte Norm mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Zwar will das Oberlandesgericht ebenso wie das Amtsgericht im Ergebnis den Bußgeldbescheid aufheben, aber nicht als unzulässig, sondern als unbegründet. Dies ist eine andere Entscheidung, zu der das Oberlandesgericht nur kommen kann, wenn das Bundesverfassungsgerichts die zu prüfende Norm für nichtig erklärt (vgl. BVerfGE 18, 353 [360]).

2. Wenngleich die Ausführungen des Oberlandesgerichts nicht frei von Unklarheiten sind, läßt sich aus ihnen doch entnehmen, daß das Gericht von der Auffassung ausgeht, es könne den Betroffenen nicht mit einer Geldbuße belegen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erlaubnis wegfallen. Die Ausführungen zeigen in ihrem Zusammenhang, daß es dem Gericht dabei nur auf das Erfordernis der Sachkunde ankommt. Zur Frage der Zuverlässigkeit hat es keine näheren Ausführungen, auch nicht in tatsächlicher Hinsicht, gemacht. Für die Entscheidung des Oberlandesgerichts kommt es somit nach seiner nicht offensichtlich unhaltbaren Ansicht darauf an, ob der diese Voraussetzungen statuierende § 3 Abs. 2 Nr. 1 EinzelHG ganz oder doch für einen sachgemäß abzugrenzenden Kreis von Einzelhändlern, zu denen der Betroffene in jedem Fall gehören müßte, mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

IV.

Die Zulassungsvoraussetzung der Sachkunde ist in ihrer gegenwärtigen gesetzlichen Ausgestaltung mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

1. Maßstab der Prüfung ist Art. 12 Abs. 1 GG. Die Auslegung dieser Bestimmung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist an dem Grundgedanken orientiert, daß im Hinblick auf den besonderen Rang gerade dieses Grundrechts, der in seinem engen Zusammenhang mit der freien Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit im ganzen begründet liegt, die aus Gründen des Gemeinwohls unumgänglichen Einschränkungen unter dem Gebot strikter Wahrung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit stehen. Darauf beruht die sogenannte Stufentheorie, wie sie im Apotheken-Urteil (BVerfGE 7, 377) entwickelt ist (vgl. auch BVerfGE 13, 97 [104 f.]). Eingriffe in die Berufsfreiheit dürfen deshalb nicht weiter gehen, als die sie legitimierenden öffentlichen Interessen erfordern; die Eingriffsmittel müssen zur Erreichung der angestrebten Zwecke geeignet und dürfen nicht übermäßig belastend sein.

2. Das Gesetz über die Ausübung des Einzelhandels regelt trotz dieser Bezeichnung nicht die Berufsausübung, sondern den Zugang zum Beruf. Das Erfordernis der Sachkunde ist eine subjektive Zulassungsvoraussetzung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 7, 377 [406 f.]). Die Aufnahme des Berufs als Einzelhändler wird von dem Besitz bestimmter Kenntnisse abhängig gemacht, die durch einen besonderen Ausbildungsgang und grundsätzlich auch in einer Prüfung nachzuweisen sind.

Subjektive zulassungsvoraussetzungen sind nur zum Schutze eines wichtigen Gemeinschaftsgutes gerechtfertigt. Sie beschränken die freie Berufswahl empfindlich, da sie dem Bewerber den Beginn der Tätigkeit in dem von ihm gewählten Beruf verwehren, bis er den Nachweis erbringt, daß er eine längere Zeit erfordernde Ausbildung durchlaufen und eine besondere Prüfung bestanden hat (BVerfGE 13, 97 [107]).

Die Prüfung der Geeignetheit und Notwendigkeit dieser Zulassungsvoraussetzungen wird im vorliegenden Fall dadurch erschwert, daß das Gesetz sie allgemein "für den Einzelhandel mit Waren aller Art" (die Ausnahmen des § 4 Abs. 2 EinzelHG kommen für das Ausgangsverfahren nicht in Betracht) aufstellt, obwohl unter der Bezeichnung "Einzelhandel", wie bekannt, Betriebe zusammengefaßt werden, die sich nach Größe, Warensortiment und Personalausstattung erheblich unterscheiden.

3. Während das Einzelhandelsschutzgesetz einen Konkurrenzschutz des Einzelhandels durch eine mehr oder weniger dichte Sperre für die Errichtung neuer oder die Erweiterung bestehender Einzelhandelsgeschäfte bezweckte, will das Einzelhandelsgesetz den Beruf des Einzelhändlers ordnen. Sein Ziel ist eine Leistungssteigerung des Einzelhandels. Außerdem will es verhindern, "daß durch eine schrankenlose Gewerbefreiheit der Einzelhandel mehr und mehr zu einem Ausweichplatz und Versuchsfeld für gescheiterte Existenzen und für unlautere Elemente wird" (vgl. Bericht des Ausschusses für Sonderfragen des Mittelstandes, BT-Drucks. II/3654 S. 1). Auf diese Weise soll, wie bei den Gesetzesberatungen mehrfach betont wurde, zugleich der Verbraucher geschützt werden.

4. Diese Erwägungen des Gesetzgebers vermögen das Zulassungserfordernis der Sachkunde, jedenfalls so wie es in § 3 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1, 3 und 4 EinzelHG unterschiedslos für alle Unternehmer des allgemeinen Einzelhandels vorgeschrieben ist, nicht zu rechtfertigen. a) Der Schutz des Verbrauchers, der dem Einzelhändler als Kunde gegenübersteht, vor der Gefahr gesundheitlicher oder auch wirtschaftlicher Schädigung könnte als ein wichtiges Gemeinschaftsinteresse angesehen werden, das an sich auch subjektive Zulassungsvoraussetzungen rechtfertigen würde. Für diesen Zweck ist aber das hier gewählte Mittel ungeeignet.

Der Einzelhändler wirkt durch "Warendistribution" an der Bedarfsdeckung mit. Seine volkswirtschaftliche Funktion ist es, Waren zu beschaffen, zu lagern und - regelmäßig an private Verbraucher - abzusetzen. Die Be- und Verarbeitung der Ware ("Manipulation") tritt ganz zurück, sie ist weitgehend von den Produktions- und Großhandelsbetrieben übernommen worden; in der Regel werden verwendungsbereite Konsumwaren abgesetzt (vgl. Hans Buddeberg, "Einzelhandelsbetrieb" in Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 3 1961 S. 101 f.).

Gesundheitliche Gefahren könnten dem Verbraucher von einem fachlich ungeeigneten Einzelhändler beim Handel mit Lebensmitteln, Arzneimitteln und dergleichen drohen. Für diese Warenzweige gelten aber besondere Vorschriften, die hier nicht zu prüfen sind. Der allgemeine Einzelhandel kann den Kunden in aller Regel gesundheitlich nicht gefährden. Die Möglichkeit wirtschaftlicher Gefährdung ist dagegen nicht auszuschließen, wenn der Einzelhändler etwa mangelhafte Ware beschafft, die Ware unsachgemäß lagert oder den Kunden unzulänglich berät. Diese Gefahr könnte ausgeschlossen oder doch gemindert werden, wenn von dem Einzelhändler der Nachweis der Warenkunde in seiner besonderen Branche gefordert würde. Gerade diesen Nachweis verlangt das Gesetz aber nicht. Es begnügt sich mit dem Nachweis allgemeiner kaufmännischer Kenntnisse, die in einer ganz anderen Branche erworben sein können.

b) Offensichtlich soll die Zulässigkeitsvoraussetzung der Sachkunde in erster Linie den Interessen des Berufsstandes selbst, der Erhaltung seiner Leistungsfähigkeit und seines sozialen Ansehens, dienen. Jedoch hat der Gesetzgeber bei der Verfolgung dieses - an sich berechtigten - Zieles die Schranken nicht beachtet, die ihm durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gezogen sind.

Selbstverständlich bedarf jeder Einzelhändler gewisser kaufmännischer Kenntnisse. Das Maß dessen, was "erforderlich" ist, d.h. billigerweise erwartet und verlangt werden kann, ist aber sehr verschieden. Gerade hier wirkt sich der bereits hervorgehobene Umstand bedenklich aus, daß das Gesetz für alle Einzelhändler schematisch gleiche Voraussetzungen aufstellt, während doch eine Differenzierung nach Größe und Art des Betriebes offensichtlich allein der Sachlage entsprochen hätte. Im Einzelhandel überwiegt noch immer der Klein- und Kleinstbetrieb, in dem der Inhaber mit seinen Familienangehörigen den wesentlichen Teil aller Arbeiten selbst leistet. Er kommt mit einem verhältnismäßig geringen Maß kaufmännischer Kenntnisse aus; im Fall des Ausgangsverfahrens hat das Oberlandesgericht mit Recht dargelegt, daß die (kaufmännische) Sachkunde für den betroffenen Automatenaufsteller ohne jede Bedeutung sei. Auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, daß diese kaufmännische Sachkunde vor allem im Interesse des Einzelhändlers selbst liegt; sie sichert seinen Wirtschaftserfolg und vermindert sein Berufsrisiko. Daraus folgt aber, daß der Einzelhändler schon von sich aus bestrebt sein wird, die für seinen Betrieb notwendigen kaufmännischen Kenntnisse sich anzueignen. Die Erfahrung zeigt, daß ihm das in der Regel auch gelingt, zumal ihm für Fragen der Betriebsführung der Rat seiner Standesorganisationen (Betriebsberatungsstellen) zur Verfügung steht. Außerdem sorgen für die laufende Weiterbildung besondere Einrichtungen der Berufsorganisation. Wenn der Einzelhändler es unterläßt, sich diese Kenntnisse zu verschaffen, hat er die wirtschaftlichen Folgen selbst zu tragen; er wird im Konkurrenzkampf auf die Dauer nicht bestehen können. Das Interesse der Allgemeinheit oder auch nur seiner Kunden erfordert es nicht, ihn gegen die Folgen seines wirtschaftlich unvernünftigen Verhaltens durch gesetzliche Vorschriften zu sichern; vor allem ist es nicht vertretbar, aus diesem Grunde auch einwandfrei tüchtigen und wirtschaftskundigen Bewerbern den Zutritt zum Beruf unnötig zu erschweren.

Es geht deshalb weit über das Maß des Erforderlichen hinaus, wenn der Gesetzgeber von allen Einzelhändlern den Nachweis beträchtlicher kaufmännischer Kenntnisse durch eine schematisch gleiche Ausbildung und Prüfung bereits als Voraussetzung für die Aufnahme des Berufs verlangt. Wenn nach Ansicht des Gesetzgebers die Verhältnisse in bestimmten Einzelhandelszweigen wirklich die Einführung einer solchen Zulassungsvoraussetzung als notwendig erscheinen lassen sollten, müßten die der Allgemeinheit sonst drohenden Gefahren im einzelnen dargelegt und wahrscheinlich gemacht werden. Auch dann müßte der Gesetzgeber versuchen, solchen Gefahren zunächst auf der Stufe der Ausübungsregelung zu begegnen. Mit der verfassungsrechtlichen Garantie einer freien Berufswahl ist es dagegen nicht vereinbar, wegen solcher vielleicht in Einzelfällen drohender Gefahren gewissermaßen prophylaktisch einen ganzen Berufsstand fühlbaren Einschränkungen der Berufsfreiheit zu unterwerfen.

c) Die Sorge um die Leistungsfähigkeit und das soziale Ansehen eines ganzen Berufsstandes kann nur ausnahmsweise die Einführung subjektiver Zulassungsvoraussetzungen rechtfertigen. Das Bundesverfassungsgericht hat dies für das Handwerk angenommen (BVerfGE 13, 97). An der Erhaltung eines gesunden und leistungsfähigen Handwerkerstandes besteht ein hohes Gemeinschaftsinteresse, vor allem deshalb, weil im Handwerk auch weitgehend der Nachwuchs für die übrige gewerbliche Wirtschaft, insbesondere auch die industriellen Betriebe, ausgebildet wird. Zum Schutz des Handwerks durfte der Gesetzgeber deshalb die Stufe der Ausübungsregelungen überschreiten und den sogenannten großen Befähigungsnachweis in Gestalt der Meisterprüfung verlangen. Vergleichbare Verhältnisse liegen beim Einzelhandel nicht vor; einmal wird hier die Ware nicht be- oder verarbeitet; an das persönliche fachliche Können des Unternehmers brauchen also nicht so hohe Anforderungen gestellt zu werden; zum anderen vereinigt der Einzelhandel in sich Betriebe verschiedenster Art und Größe, vom Einzelautomaten (wie im Ausgangsverfahren) bis zum Kaufhaus. Mit der Berufung auf ein allgemeines Gemeinschaftsinteresse an der Erhaltung "des Einzelhandels" schlechthin lassen sich daher Grundrechtsbeschränkungen nicht sinnvoll rechtfertigen. Die sehr verschiedene Stellung und Funktion der beiden Berufszweige im wirtschaftlichen und sozialen Leben wird auch in der Rechtsentwicklung sichtbar: Im Handwerk entsprechen Befähigungsnachweis und Meisterprüfung alter Rechtstradition, der Einzelhandel war bis in die neueste Zeit von jeder rechtlichen Zulassungsbeschränkung grundsätzlich frei.

d) Der Gesetzgeber ist offenbar selbst nicht völlig davon überzeugt, daß die Sachkunde beim Einzelhändler bereits zu Beginn der Berufstätigkeit unumgänglich notwendig sei. Denn das Gesetz läßt zu, daß nach dem Tod des Geschäftsinhabers der Ehegatte oder die Erben den Betrieb ohne Erlaubnis, also auch ohne den Nachweis der Sachkunde, weiterführen, offenbar in der - häufig nicht zutreffenden - Annahme, diese Personen hätten sich durch die Mitarbeit im Betrieb die nötige Sachkunde bereits erworben oder könnten sie in einer fünfjährigen Praxis noch nachträglich erwerben. Auch dies zeigt, daß das Erfordernis des Sachkundenachweises in der jetzigen Form über das Maß des Notwendigen hinausgeht.

5. An der rechtlichen Beurteilung ändert sich auch dadurch nichts, daß das Gesetz dem Unternehmer, der die erforderliche Sachkunde selbst nicht nachweisen kann oder will, gestattet, einen Vertreter einzustellen, der seinerseits diese Sachkunde besitzt. Abgesehen davon, daß wohl in der Mehrzahl der Fälle dieser Ausweg die wirtschaftliche Kraft des Einzelhandelsunternehmens übersteigen dürfte und dem Unternehmer auch aus anderen Gründen nicht zuzumuten ist, würde für den Vertreter wie für den Unternehmer selbst gelten, daß diese Zulassungsvoraussetzung nicht in angemessenem Verhältnis zu den zu schützenden Gemeinschaftsinteressen steht.

6. Da aus den dargelegten Gründen die gesetzliche Regelung mit der Berufsfreiheit nicht vereinbar ist, braucht nicht geprüft zu werden, ob der Gesetzgeber etwa mit der vorgeschriebenen verhältnismäßig langen Ausbildungszeit auch einen versteckten Konkurrenzschutz für die bereits im Beruf stehenden Einzelhändler bezweckte. Dies wäre mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar (vgl. BVerfGE 7, 377 [408]).

7. § 3 Abs. 2 Nr. 1 EinzelHG erweist sich sonach insoweit als verfassungswidrig, als er beim allgemeinen Einzelhandel schon als Voraussetzung für die Zulassung zum Beruf den Nachweis der erforderlichen Sachkunde fordert. Damit werden § 4 Abs. 1, 3 und 4 EinzelHG sowie die entsprechenden Vorschriften der Verordnung über den Nachweis der Sachkunde für den Einzelhandel vom 4. März 1960 (BGBl. I S. 172) insoweit gegenstandslos.