BVerwG, 30.08.2000 - 1 D 37.99
Amtlicher Leitsatz
Eine einmalige außerdienstliche Trunkenheitsfahrt im Sinne von § 316 StGB bedeutet bei einem Beamten, der dienstlich nicht mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs betraut ist, keine Verletzung der ihm gemäß § 54 Satz 3 BBG obliegenden Dienstpflicht (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).
Bei außerdienstlichem Verhalten ist ein Verstoß gegen § 54 Satz 3 BBG Tatbestandsmerkmal eines Dienstvergehens. Nur wenn durch das Verhalten eines Beamten Ansehen und Vertrauen in Bezug auf sein konkretes Amt oder das Ansehen des Berufsbeamtentums beeinträchtigt sind, liegt eine Pflichtverletzung nach § 54 Satz 3 i.V.m. § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG vor. Den Tatbestand eines Dienstvergehens verwirklicht ein pflichtwidriges außerdienstliches Verhalten nur dann, wenn die in § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG normierten besonderen Voraussetzungen der allgemeinen Bedeutsamkeit und der besonderen einzelfallbezogenen Eignung erfüllt sind.
Das Bundesverwaltungsgericht, 1. Disziplinarsenat, hat
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 30. August 2000,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Albers,
Richter Dr. H. Müller, Richter Prof. Dr. Dörig,
Zollbetriebsinspektor Kurt Neuhoff,
Postbetriebsassistentin Klaudia Krümberg als ehrenamtliche Richter,
sowie Leitender Regierungsdirektor ... für den Bundesdisziplinaranwalt,
Rechtsanwalt ..., Berlin, als Verteidiger,
Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor
Auf die Berufung des Postbetriebsassistenten a.D. ... wird das Urteil des Bundesdisziplinargerichts, Kammer XII - ... -, vom 22. Februar 1999 aufgehoben.
Der Ruhestandsbeamte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der dem Ruhestandsbeamten hierin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.
I. Tatbestand
1.
Der Bundesdisziplinaranwalt hat den Ruhestandsbeamten angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass er am 24. September 1996 eine außerdienstliche Trunkenheitsfahrt begangen und unter Restalkoholeinfluss seinen Dienst angetreten hat.
2.
Das Bundesdisziplinargericht hat durch Urteil vom 22. Februar 1999 entschieden, dass gegen den seinerzeit noch aktiven Beamten eine Gehaltskürzung von einem Zwanzigstel auf die Dauer von sechs Monaten verhängt wird. Es ist davon ausgegangen, dass der Beamte in den frühen Morgenstunden des 24. September 1996 außerdienstlich ein Vergehen nach § 316 StGB begangen und später gegen 8.00 Uhr unter Einfluss von Restalkohol "spürbar über 0,5 %o") seinen Dienst bei der Deutschen Telekom AG, Niederlassung T., angetreten habe. Damit habe er zumindest fahrlässig gegen seine Pflichten aus § 54 Sätze 1 und 3 BBG verstoßen und ein einheitliches - teils innerdienstliches, teils außerdienstliches - Dienstvergehen nach § 77 Abs. 1 BBG begangen, das mit der verhängten Gehaltskürzung zu ahnden sei.
3.
Gegen das ihm am 12. März 1999 zugestellte Urteil hat der Verteidiger des Ruhestandsbeamten am 14. April 1999 Berufung eingelegt. Der Senat hat ihm wegen der Fristversäumnis durch Beschluss vom 9. Juni 1999 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Der Ruhestandsbeamte erstrebt mit der Berufung die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und die Freistellung vom Vorwurf eines Dienstvergehens. Er bestreitet, am 24. September 1996 den Dienst angetreten zu haben. Er habe sein Dienstzimmer nicht betreten, lediglich die Abwicklung von Überstunden von einem Dienstapparat aus angezeigt, wie das auch von zu Hause aus möglich sei. Seine außerdienstliche Trunkenheitsfahrt erfülle nicht die besonderen Voraussetzungen für ein Dienstvergehen gemäß § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG.
II. Entscheidungsgründe
Die Berufung hat Erfolg und führt zum Freispruch des Ruhestandsbeamten.
Die Berufung ist zulässig. Dem Ruhestandsbeamten ist durch den Senat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumnis der Berufungsfrist gewährt worden.
Das Rechtsmittel ist unbeschränkt. Der Ruhestandsbeamte bestreitet in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht den Anschuldigungspunkt des Dienstantritts unter Alkoholeinfluss. Ferner ist er der Auffassung, durch die außerdienstliche Trunkenheitsfahrt kein Dienstvergehen begangen zu haben. Der Senat hat daher den Sachverhalt des angeschuldigten Dienstvergehens selbst festzustellen und disziplinarrechtlich zu würdigen.
1.
Der Senat geht aufgrund der zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten Beweismittel von folgendem Sachverhalt aus:
Am Abend des 23. September 1996 konsumierte der Ruhestandsbeamte in einer Gaststätte in der Nähe des ... Hauptbahnhofs in erheblicher, im Einzelnen aber nicht mehr feststellbarer Menge alkoholische Getränke, wobei es sich seinen Angaben zufolge um Bier und Schnaps gehandelt haben soll. Gegen 0.37 Uhr am 24. September 1996 fiel er einer Polizeistreife in T. dadurch auf, dass er mit einem Pkw in starken Schlangenlinien fuhr. Die Polizeibeamten veranlassten die Entnahme einer Blutprobe. Deren Auswertung ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,16 Promille zum Entnahmezeitpunkt um 1.05 Uhr. In dem anschließenden Strafverfahren wurde der Ruhestandsbeamte durch Strafbefehl des Amtsgerichts Trier vom 12. November 1996 wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs trotz alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 60 DM verurteilt. Außerdem wurde ihm die Fahrerlaubnis mit einer Sperrfrist von acht Monaten entzogen und der Führerschein eingezogen. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Ruhestandsbeamte strafrechtlich unbelastet.
Am Morgen des 24. September 1996 begab sich der seinerzeit noch aktive Beamte zwischen 7.30 und 8.00 Uhr in das Dienstgebäude der Deutschen Telekom AG, Niederlassung T., in der ...straße ..., wobei er infolge des nächtlichen Alkoholkonsums - ausgehend von einem maximalen Alkoholabbau von 0,2 %o je Stunde - noch einen Restalkohol von etwa 0,6 bis 0,7 Promille im Blut hatte. Der Ruhestandsbeamte war Innendienstmitarbeiter der Deutschen Telekom AG und im hier maßgeblichen Zeitraum als Vertrauensmann der Schwerbehinderten bei der Niederlassung T. von seinen Dienstaufgaben freigestellt. In der Gestaltung seiner Dienstgeschäfte hatte er weitgehende Freiheit. Er hatte ein eigenes Dienstzimmer im Gebäude der Niederlassung in der ...straße. Organisatorisch und personalbuchungsmäßig war er seit Mai 1996 dem Betriebsrat zugeordnet. Die für ihn zuständige Mitarbeiterin beim Betriebsrat war die Zeugin Sch. Bei ihr beantragte er seinen Urlaub, meldete sich bei Krankheit, Abwicklung von Überstunden, Fortbildungen etc. ab, wobei seine Angaben erfasst und anschließend an das Personalreferat weitergeleitet wurden. Keine Abmeldung erfolgte hingegen bei dienstlicher Abwesenheit.
Die Regelarbeitszeit bei der Niederlassung T. der Deutschen Telekom AG begann seinerzeit um 7.30 Uhr. Der Ruhestandsbeamte praktizierte eine flexible Dienstzeit, deren Beginn und Ende sich nach den jeweiligen Aufgaben des Tages richtete. Nach Betreten des Dienstgebäudes am Morgen des 24. September 1996 suchte er das Zimmer der Zeugin T. auf, die zur Redaktion - seiner früheren Arbeitseinheit - gehörte, um mit ihr aufgrund der persönlichen Verbundenheit über den nächtlichen Vorfall der Trunkenheitsfahrt zu sprechen. Im Büro der Zeugin T. wird auch die Post für die Schwerbehindertenvertretung abgeliefert. Als der Ruhestandsbeamte die Zeugin T. wegen Urlaubsabwesenheit nicht antraf, rief er von ihrem Telefonapparat zwischen 7.45 Uhr und 8.00 Uhr die Zeugin Sch. an, um sich für den 24. September und die drei Folgetage abzumelden. Er teilte ihr mit, dass ihm in der vorangegangenen Nacht wegen Trunkenheit am Steuer der Führerschein entzogen worden sei und er für den 24. September Überstunden abwickeln sowie für den 25., 26. und 27. September Urlaub nehmen wolle. Die Zeugin Sch. buchte den Ruhestandsbeamten am 24. September 1996 als anwesend, obwohl er nach dem Telefonat das Dienstgebäude verließ. Dies hat die Zeugin damit erklärt, dass der Ruhestandsbeamte während der Dienstzeit vom Dienstgebäude angerufen habe, er damit als anwesend zu buchen gewesen sei und das Betriebssystem beim Betriebsrat Überstundenbuchungen unter acht Stunden nicht zugelassen habe. Sein Dienstzimmer hat der Ruhestandsbeamte nicht aufgesucht, sondern nach dem Telefonat mit der Zeugin Sch. das Dienstgebäude verlassen.
2.
Durch die nächtliche Trunkenheitsfahrt hat der Ruhestandsbeamte seine beamtenrechtlichen Pflichten nicht verletzt. Ein Verstoß gegen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten außerhalb des Dienstes gemäß § 54 Satz 3 BBG liegt nicht vor.
§ 54 Satz 3 BBG normiert u.a. die Pflichten, die ein Beamter außerhalb des Dienstes zu beachten hat. Sein Verhalten muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Beruf erfordert. Verstößt er gegen diese Pflicht, begeht er eine außerdienstliche Pflichtverletzung. Diese erfüllt aber nur dann den Tatbestand eines Dienstvergehens, wenn als weiteres Tatbestandsmerkmal die besonderen qualifizierenden Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG erfüllt sind. Danach muss die Pflichtverletzung zu einer allgemein bedeutsamen Beeinträchtigung von Achtung und Vertrauen in Bezug auf das konkrete Amt des Beamten oder das Ansehen des Berufsbeamtentums führen, und sie muss hierzu auch nach den Umständen des Einzelfalles in besonderem Maße geeignet sein.
Die zu der dienstrechtlichen Grundnorm des § 54 Satz 3 BBG hinzutretenden besonderen Hürden für die Bejahung eines außerdienstlichen Dienstvergehens im Sinne von § 77 BBG wurden durch das Gesetz zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts vom 20. Juli 1967 (BGBl I S. 725) eingeführt. Mit der Einfügung eines neuen Satzes 2 in § 77 Abs. 1 BBG verfolgte der Gesetzgeber den Zweck, den Tatbestand des Dienstvergehens im Bereich außerdienstlichen Verhaltens einzuschränken. Insbesondere im Hinblick auf den Bereich der Straßenverkehrsdelikte sollte die disziplinare Verfolgung durch verschärfte tatbestandliche Anforderungen auf Fälle von besonderer Bedeutsamkeit beschränkt werden (vgl. Schriftlicher Bericht des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, BTDrucks V/1693 S. 10 zu Art. II § 2). Mit den in § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG normierten mehrfachen Einschränkungen, die als weitere Tatbestandsmerkmale eines Dienstvergehens zu demjenigen der Dienstpflichtverletzung hinzutreten, wollte der Gesetzgeber auch der Tatsache Rechnung tragen, dass "die Veränderungen in unserer Gesellschaftsstruktur und der technischen Umwelt die Stellung des Beamten in der sozialen Gemeinschaft" bereits im Jahr 1967 gegenüber früher gewandelt hatten und daher die Frage, wann eine Vertrauens- und Ansehensschädigung durch ein außerdienstliches Verhalten des Beamten als Dienstvergehen zu verfolgen sei, anders als seither gesehen werden müsse (vgl. Schriftlicher Bericht des Innenausschusses a.a.O.).
Die Rechtsprechung hat die vom Gesetzgeber zitierten gewandelten gesellschaftlichen Anschauungen zum außerdienstlichen Verhalten eines Beamten in der Folgezeit nicht nur bei der Prüfung der Frage berücksichtigt, ob ein Dienstvergehen im Sinne des § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG vorliegt, sondern auch auf die Frage erstreckt, ob der Beamte überhaupt seine beamtenrechtlichen Pflichten aus § 54 Satz 3 BBG verletzt hat (vgl. Urteil vom 9. Mai 1968 - BVerwG III D 22.67 -; Urteil vom 16. Dezember 1970 - BVerwG II D 19.70 -). An diese Rechtsprechung knüpft der Senat an.
Die gewandelten Anschauungen, auf die der Gesetzgeber bei der damaligen Neuregelung des § 77 BBG abgestellt hat, dürfen bei der Konkretisierung der Generalklausel des § 54 Satz 3 BBG nicht außer Acht gelassen werden.
Der Senat teilt daher die in der Literatur vertretene Auffassung, dass die Einfügung des § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG Auswirkungen auf die Auslegung des § 54 Satz 3 BBG hat (vgl. Weiss, in GKÖD, Bd. 2, Teil 2, J 208, Rn. 2 ff.; Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., Kap. A II, Rn. 50; Döring, ZBR 1967, 228 <229>; Dau, DVBl 1968, 62<69>). Hingegen entspricht es nicht den Intentionen des Gesetzgebers anzunehmen, § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG stelle einen eigenen und abschließenden Tatbestand des außerdienstlichen Dienstvergehens dar, der eine Bezugnahme auf § 54 Satz 3 BBG für außerdienstliches Verhalten entbehrlich mache (so Weiss, a.a.O., Rn. 7; ähnlich Köhler/Ratz, a.a.O.). Die Befürworter dieser Auffassung sehen es als vermeintlich unhaltbare Konsequenz an, wenn es im außerdienstlichen Bereich Pflichtwidrigkeiten gebe, die vom Dienstherrn nicht geahndet werden könnten, weil sie nicht das besondere Maß von Pflichtwidrigkeit im Sinne des § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG erreichten. Dem steht entgegen, dass die Rechtsordnung regelmäßig zwischen rechtswidrigem Verhalten einerseits und einem als Ordnungswidrigkeit, Straftat oder Dienstvergehen zu verfolgendem Verhalten andererseits unterscheidet. Nicht jeder Rechtsverstoß wird im freiheitlichen Rechtsstaat sanktioniert. Dienstpflichten sind auch auf andere Weise durchzusetzen- und nicht etwa ausschließlich mit den Mitteln nachträglicher disziplinarischer Sanktionierung. Der Verzicht auf eine Differenzierung zwischen einer Pflichtwidrigkeit nach § 54 Satz 3 BBG und ihrer Qualifizierung als Dienstvergehen nach § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG würde auch dem mit der Gesetzesnovelle von 1967 verfolgten Liberalisierungsziel der Einschränkung von Dienstvergehen im Bereich außerdienstlichen Verhaltens zuwiderlaufen. Denn nicht jeder außerdienstliche Verstoß gegen die Rechtsordnung, nicht einmal jeder Verstoß gegen Strafgesetze, führt notwendigerweise zu einer Ansehens- und Vertrauensschädigung des Beamten in seiner dienstlichen Eigenschaft (so schon Urteil vom 16. Dezember 1970 - BVerwG II D 19.70 - ). Werden aber im Einzelfall das berufserforderliche Ansehen und Vertrauen nicht geschädigt, dann hat der Beamte einen Anspruch auf die gerichtliche Feststellung, dass sein Verhalten nicht gegen seine beamtenrechtlichen Pflichten nach § 54 Satz 3 BBG verstoßen hat und schon deshalb der Tatbestand eines Dienstvergehens nicht erfüllt ist. Das Disziplinargericht darf sich in derartigen Fällen nicht auf die Feststellung beschränken, dass sein Verhalten nicht die besonderen Voraussetzungen eines Dienstvergehens im Sinne des § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG erfülle (Urteil vom 9. Mai 1968 - BVerwG III D 22.67 - ).
Die Normstruktur der §§ 54 Satz 3, 77 Abs. 1 Satz 2 BBG stellt sich nach Auffassung des Senats in den näheren Einzelheiten wie folgt dar: § 54 Satz 3 BBG bildet den Grundtatbestand. Anhand der Merkmale dieser Norm ist im dienstrechtlichen Zusammenhang die Pflichtwidrigkeit eines angeschuldigten außerdienstlichen Verhaltens zu bestimmen. Es ist also zu prüfen, ob das Verhalten eines Beamten die Achtung und das Vertrauen beeinträchtigt, die sein Beruf erfordert. Dabei ist das Merkmal "die sein Beruf erfordert" durch die später erlassene Vorschrift des § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG inhaltlich dahin zu konkretisieren, dass sich die Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung entweder auf das Amt des Beamten oder auf das Ansehen des Beamtentums zu beziehen hat. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, liegt ein pflichtwidriges Verhalten im Sinne des § 54 Satz 3 BBG vor. Ist ein pflichtwidriges Verhalten nach § 54 Satz 3 BBG als eines von mehreren tatbestandlich vorausgesetzten Merkmalen eines Dienstvergehens zu bejahen, sind weiterhin noch die besonderen Voraussetzungen eines außerdienstlichen Dienstvergehens nach § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG zu prüfen, nämlich (1) die allgemeine Bedeutsamkeit der Ansehens- und Vertrauensbeeinträchtigung sowie (2) die auf den Einzelfall bezogene besondere Eignung des Verhaltens zur Ansehens- und Vertrauensbeeinträchtigung.
Im vorliegenden Fall kommt eine Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung gemäß § 54 Satz 3 BBG in Bezug auf das Amt des damals aktiven Beamten nicht in Betracht, weil dieser als freigestellter Vertrauensmann der Schwerbehinderten im September 1996 kein konkretfunktionales Amt im dienstrechtlichen Sinne ausgeübt hat. Dies aber ist Voraussetzung für das Vorliegen des Amtsbegriffs im Sinne des zur inhaltlichen Konkretisierung von § 54 Satz 3 BBG herangezogenen § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG (vgl. Plog/Wiedow/Beck/Lemhöfer, BBG, Stand: Juni 2000, § 77 Rn. 9; Fürst, GKÖD, Bd. I, K § 77 Rn. 30). Der Vertrauensmann der Schwerbehinderten übt gemäß § 26 Abs. 1 SchwbG ein Ehrenamt besonderer Art aus, das wie das Ehrenamt eines Betriebsrats nach § 37 Abs. 1 BetrVG keine öffentlich-rechtlichen Amtsbefugnisse zum Inhalt hat (Dörner, SchwbG, Stand: 15. Februar 2000, § 26 Anm. I). Der Ruhestandsbeamte war Vertrauensmann der Schwerbehinderten in einer privatrechtlich verfassten Aktiengesellschaft, sein Ehrenamt daher - trotz fortbestehendem Beamtenstatus - privatrechtlicher Natur wie das eines Betriebsrats.
Der Ruhestandsbeamte hat durch seine erstmalige außerdienstliche Trunkenheitsfahrt aber auch das Ansehen des Berufsbeamtentums nicht beeinträchtigt. Die Wahrung des "Ansehens des Beamtentums" dient als disziplinarrechtliche Kategorie der Erhaltung der Grundlagen eines allgemeinen Vertrauens in eine rechtsstaatliche gesetzestreue Verwaltung. Sie bezieht sich nicht auf das gesellschaftliche Ansehen des Beamten, indem dieser in die erzieherische Rolle eines Vorbilds für die Gesellschaft gedrängt und an bestimmten Moral- und Anstandsregeln gemessen wird. Aufgabe des Berufsbeamtentums ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, eine stabile gesetzestreue Verwaltung zu sichern, die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung zu verteidigen und durch Unabhängigkeit und Unparteilichkeit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften darzustellen (BVerfGE 7, 155 <162>; 56, 146 <162>; 70, 69 <80>). Das Vertrauen, dass er diesem Auftrag gerecht wird, darf der Beamte durch sein Verhalten nicht beeinträchtigen.
Ziel der gesetzgeberischen Neuregelung des außerdienstlichen Dienstvergehens im Jahre 1967 war es, der veränderten Stellung des Beamten in der Gesellschaft, die schon damals durch wachsende Toleranz gegenüber dem außerdienstlichen Verhalten geprägt war, Rechnung zu tragen. Der gesellschaftliche Wandlungsprozess hat sich in den mehr als 30 Jahren seither fortgesetzt. Vom Beamten wird außerdienstlich kein wesentlich anderes Sozialverhalten erwartet als vom Durchschnittsbürger. Etwas anderes gilt für außerdienstliches Verhalten, das sich zum Nachteil des Staates auswirkt. Begeht ein Beamter z.B. eine Straftat im Sinne des ersten bis sechsten Abschnitts des Besonderen Teils des StGB (§§ 80 bis 120 StGB), so ist seine Stellung als Repräsentant des demokratischen Rechtsstaates betroffen, was in der Regel zu einer erheblichen Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung für das Ansehen des Berufsbeamtentums führt (vgl. dazu auch § 48 Satz 1 Nr. 2 BBG). Entsprechendes gilt für Straftaten, durch die das Vermögen des Staates betroffen ist, wie z.B. Steuer- und Abgabenhinterziehungen. Eine Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung liegt darüber hinaus in der Regel bei vorsätzlich begangenen schwerwiegenden Straftaten vor, die mit einer Freiheitsstrafe geahndet worden sind, wie die gesetzgeberische Wertung in § 48 Satz 1 Nr. 1 BBG zeigt.
Im Übrigen lässt ein einmaliges außerdienstliches Fehlverhalten eines Beamten - selbst wenn es den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt - nicht ohne besondere qualifizierende Umstände den Rückschluss auf mangelnde Gesetzestreue oder mangelndes Verantwortungsbewusstsein bei der Erfüllung der dem Beamten obliegenden Dienstpflichten zu. Eine Indizwirkung kommt dem außerdienstlichen Fehlverhalten für die Erfüllung der Dienstpflichten umso eher zu, je näher sein Bezug zu den dem Beamten übertragenen Dienst- und Obhutspflichten ist. So sind außerdienstliche Vermögensdelikte z.B. eher geeignet, Rückschlüsse auf die dienstliche Vertrauenswürdigkeit eines Kassenbeamten zu ziehen als Straßenverkehrs- oder Ehrverletzungsdelikte. Eine außerdienstliche Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB beeinträchtigt das Vertrauen in die pflichtgemäße Amtserfüllung eines Beamten, wenn ihm das Führen eines Kraftfahrzeuges als Dienstaufgabe obliegt. Sofern der Beamte hingegen dienstlich nicht mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges betraut ist, lässt eine einmalige vorsätzliche oder fahrlässige Trunkenheitsfahrt keinen Schluss auf ein dienstliches Verhalten zu, das die Gesetze oder die dem Beamten anvertrauten Rechtsgüter missachtet. Ein solcher Schluss erscheint dem Senat unter Aufgabe seiner bisherigen anderslautenden Rechtsprechung nur bei einer Mehrzahl entsprechender außerdienstlicher Gesetzesverstöße möglich, wenn das Fehlverhalten dadurch eine neue Qualität im Hinblick auf die Beurteilung der dienstlichen Vertrauenswürdigkeit des Beamten erhält. Ob und in welchen Fällen dies bei Wiederholungstaten der Fall ist, kann hier offen bleiben. Im vorliegenden Fall war der Ruhestandsbeamte dienstlich weder mit dem Führen von Kraftfahrzeugen betraut noch erlaubt seine einmalige Trunkenheitsfahrt einen Rückschluss auf mangelnde Vertrauenswürdigkeit als Innendienstmitarbeiter der Deutschen Telekom AG. Er war daher vom Vorwurf dienstpflichtwidrigen Verhaltens freizustellen.
3.
Durch das festgestellte Verhalten im Zusammenhang mit dem Aufsuchen des Dienstgebäudes am Morgen des 24. September 1996 hat der Ruhestandsbeamte seine beamtenrechtlichen Pflichten ebenfalls nicht verletzt. Ein Verstoß gegen seine Pflicht zur vollen Hingabe an den Beruf und zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im Dienst nach § 54 Satz 1 und Satz 3 BBG liegt nicht vor.
Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen den Vorwurf des Dienstantritts unter Alkoholeinfluss nicht. Der Ruhestandsbeamte hat am 24. September 1996 den Dienst bei der Deutschen Telekom AG nicht angetreten. Ein Dienstantritt wird dadurch charakterisiert, dass ein Bediensteter nach außen erkennbar seinen Dienst aufnimmt. Bei Behörden mit Zeiterfassungssystemen geschieht dies durch Betätigung des Erfassungsgeräts, da von diesem Zeitpunkt die im Dienstgebäude verbrachte Zeit als Dienst gilt. Ohne ein solches Erfassungssystem dokumentiert ein Beamter seinen Dienstantritt dadurch, dass er sich in sein Dienstzimmer oder zu einem sonstigen ihm dienstlich zugewiesenen Arbeitsplatz begibt, um mit der Verrichtung von Dienstgeschäften zu beginnen.
Nicht jedes Betreten des Dienstgebäudes stellt danach eine Dienstaufnahme dar. Im vorliegenden Fall ging der Ruhestandsbeamte nicht in sein Dienstzimmer, sondern in das seiner Kollegin Frau T. Er suchte das Zimmer von Frau T. nicht zur Besprechung einer dienstlichen Angelegenheit auf, sondern um mit ihr über den nächtlichen Vorfall der Trunkenheitsfahrt zu sprechen. Er wollte sich von ihr persönlichen, nicht dienstlichen Rat einholen, denn Frau T. war für Personalangelegenheiten gar nicht zuständig. Dass er durch die Zeugin Sch. als Ergebnis des Telefonats in der Zeit zwischen 7.45 Uhr und 8.00 Uhr als anwesend gebucht wurde, liegt offenbar daran, dass die Zeugin einen sich im Dienstgebäude aufhaltenden Mitarbeiter automatisch als dienstlich anwesend erfasst. Das ergibt sich aus ihrer Antwort auf die Frage des Vorermittlungsführers, warum sie den Ruhestandsbeamten am 24. September 1996 nicht als abwesend gebucht hat: Das Betriebssystem lasse beim Betriebsrat keine Überstundenbuchungen unter acht Stunden zu. Da der Ruhestandsbeamte während der Dienstzeit zwischen 07.45 und 08.00 Uhr angerufen habe, und somit kein ganzer Tag Überzeit mehr abgefeiert werden konnte, habe sie ihn als anwesend buchen müssen, selbst wenn er den Rest des Tages nicht anwesend war.
Die Anwesenheit im Dienstgebäude außerhalb genehmigten Urlaubs oder Freistellung ist zwar regelmäßig ein Indiz für einen Dienstantritt und macht damit den an ein solches Regelverhalten anknüpfenden Buchungsvorgang der Zeugin nachvollziehbar. Ausreichend zum Nachweis eines Dienstantritts ist dieses Indiz jedoch nicht. Denn ein Bediensteter kann sich auch in das Dienstgebäude begeben, um eine Krankmeldung abzugeben oder um den Anlass für eine unvorhergesehen notwendig gewordene sofortige Beurlaubung dem Dienstvorgesetzten persönlich mitzuteilen und den Urlaubsantrag abzuzeichnen. Wenn sich ein Mitarbeiter ausschließlich zum Zwecke der Erledigung solcher persönlicher Angelegenheiten in das Dienstgebäude begibt, ist darin kein Dienstantritt zu sehen.
Der Ruhestandsbeamte könnte sich zwar in das Dienstzimmer der Frau T. begeben haben, um die für die Schwerbehindertenvertretung eingegangene Post zu sichten, die nach seinen eigenen Angaben im Zimmer der Zeugin T. abgeliefert wird. Ein solcher Grund für das Aufsuchen des Zimmers ist denkbar, und zwar auch vor dem Telefonat mit der Zeugin Sch. Es gibt hierfür jedoch weder Indizien noch Beweise. Daher ist zugunsten des Ruhestandsbeamten von seiner unwiderlegten Aussage auszugehen, dass er während seiner etwa halbstündigen Anwesenheit in der Dienststelle keine Dienstgeschäfte verrichtet hat.
Damit war der Ruhestandsbeamte auch von dem Vorwurf freizustellen, durch Dienstantritt unter Alkoholeinfluss seine Dienstpflichten verletzt zu haben.