LG Görlitz, 07.06.2023 - 3 Qs 103/23
Das Landgericht Bautzen hat einen Durchsuchungsbeschluss für unverhältnismäßig erklärt. Dem minderjährigen wurde der Versand eines „Dick-Pics" an eine ihm unbekannte Person vorgeworfen.
Tenor
- Auf die Beschwerde des Beschuldigten vom 4. April 2023 wird festgestellt, dass die in Umsetzung des Beschlusses des Amtsgerichts Bautzen – Ermittlungsrichter – vom 8. Februar 2023 erfolgte Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten vom 31. März 2023 rechtswidrig war.
- Die Staatskasse und der Beschuldigte tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens jeweils hälftig. Daneben trägt die Staatskasse hälftig die notwendigen Auslagen des Beschuldigten.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Görlitz ermittelt gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts der Geschädigten … am 30. Juni 2022 zwischen 14:05 Uhr und 14.25 Uhr unaufgefordert per iPhone ein Penisbild („Dick-Pic“) geschickt zu haben, strafbar als Verbreiten pornographischer Schriften gemäß § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB. Dieses Bild ist zur Beweismittelakte befindlich und zeigt eine linke Hand an einem unbekleideten Penis. Die Versendung erfolgte über AirDrop, also von iPhone zu iPhone unter Aktivierung von Bluetooth und WLAN/mobile Daten, und die Telefonnummer … des Absenders war der Empfängerin sichtlich. Diese Telefonnummer konnte dem Beschuldigten als Anschlussinhaber zugeordnet werden. Der Übersendung des Bildes waren mehrfache Anfragen von … R… vorausgegangen, die die Geschädigte zunächst abgelehnt, schließlich aber doch angenommen hatte.
Auf den entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft Görlitz erließ das Amtsgericht Bautzen – Ermittlungsrichter – am 8. Februar 2023 einen Beschluss zur Anordnung der Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten nach dem iPhone mit der vorstehenden Telefonnummer. Am 31. März 2023 wurde dieser Beschluss umgesetzt. Der Beschuldigte gab dabei freiwillig die SIM-Karte zum iPhone heraus und erklärte, das iPhone an einen – von ihm benannten – Dritten verkauft und übergeben zu haben.
Am 4. April 2023 legte der Beschuldigte Beschwerde gegen den Beschluss vom 3. Februar 2023 ein und beantragte festzustellen, dass die Anordnung der Durchsuchung und auch die Art und Weise des Vollzugs der angeordneten Durchsuchung rechtswidrig waren. Er stellt hinsichtlich des erstgenannten Antrages im Rahmen seiner Beschwerdebegründung vom 26. April 2023 maßgeblich auf eine Unverhältnismäßigkeit der Durchsuchung ab. Den zweitgenannten Antrag hat der Beschuldigte am 6. Juni 2023 zurückgenommen.
Das Amtsgericht Bautzen hat der Beschwerde nicht abgeholfen und dem Landgericht Gorlitz vorgelegt. Die Staatsanwaltschaft ist angehört worden. Auf den Akteninhalt wird Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der – Anordnung der – Durchsuchung ist nach § 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog auch noch nach Erledigung zulässig, da mit einer Wohnungsdurchsuchung ein tiefgreifender Grundrechtseingriff verbunden ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Aufl., § 98 StPO, Rn. 23). Das gilt unabhängig davon, dass der Beschuldigte die SIM-Karte zum gegenständlichen Mobiltelefon sofort freiwillig herausgegeben und so eine weitere Umsetzung dieser Durchsuchung abgewendet hat.
Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung setzt auf konkrete Tatsachen beruhende Verdachtsgründe zum Zeitpunkt seines Erlasses (BGH v. 20.04.2023 – StB 59/22. juris Rn. 10) voraus, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (vgl. LG Offenburg v. 20.01.2023 – 3 Qs 129/22, juris Rn. 7). Die Durchsuchung darf also nicht allein der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung des Anfangsverdachts erst erforderlich sind (BVerfG StV Spezial 2022, 126 (Rn. 17)). Ein solcher Verdacht, das stellt auch der Beschuldigte nicht in Frage, bestand. Es ist danach irrelevant, wie sich der Verdachtsgrad aktuell darstellt.
Im Ergebnis war die angefochtene Entscheidung aber – und allein das bedarf hier einer Problematisierung – unverhältnismäßig. Bei der dieser Beurteilung zugrunde liegenden Interessenabwägung spricht zunächst der vom Beschuldigten ins Feld geführte – allgemeine – Umstand für eine Rechtswidrigkeit, dass der in Rede Tatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB lediglich Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr vorsteht. Aber auch unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des hiesigen Einzelfalls stellt sich die – angeordnete – Durchsuchung als unverhältnismäßig dar. So war im konkreten Fall allenfalls eine besonders geringe Strafe zu erwarten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt 65. Aufl., § 102 StPO, Rn. 15); Unabhängig davon, ob – so heißt es in der polizeilichen Erklärung vom 25. Oktober 2022 (Bl. 22 d. A.) – es sich tatsächlich lediglich um „eine – wenn auch sehr plumpe – Anmache handelte und das „Übersenden sog. ‚Dick-Pics‘ (…) aufgrund der vermeintlichen Anonymität im Internet nunmehr beinahe Alltag“ ist, stellt die hiesige Versendung des gegenständlichen Fotos – ggfls. anders als die Versendung anderer pornografischer Bilder – durch den jungen Beschuldigten lediglich eine eher leicht wiegende Verfehlung dar.
Vor diesem Hintergrund war die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung auszusprechen (vgl. LG Bremen v. 10.07.2019 – 6 Qs 199/19, juris; anders LG Nürnberg-Fürth v. 15.05.23 – 18 Os 8/23, juris: Ausspruch der Rechtswidrigkeit der Anordnung der Durchsuchung). Dass die Geschädigte dem Empfang des Bildes schlicht durch Abschalten von Bluetooth hätte entgegenwirken können, spielt dabei keine Rolle.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 S. 1 StPO (teilweise Rücknahme der Beschwerde) und §§ 464, 467 Abs. 1 StPO analog (teilweiser Erfolg der Beschwerde).