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OLG Brandenburg, 31.07.2023 - 1 Ws 87/23 (S)

Daten
Fall: 
Keine präventive DNA-Probe bei Jahre zurückliegendem leichten sexuellen Missbrauch
Fundstellen: 
StraFo 2023, 350; BeckRS 2023, 19307
Gericht: 
Oberlandesgericht Brandenburg
Datum: 
31.07.2023
Aktenzeichen: 
1 Ws 87/23 (S)
Entscheidungstyp: 
Beschluss
Instanzen: 
  • LG Potsdam, Beschluss vom 04.04.2023 - 27 Ns 9/23 (unveröffentlicht)
Stichwörter: 
  • DNA-Probe, sexueller Missbrauch, Wiederholungsgefahr, Anlasstat, Kinderpornographie

Das OLG Brandenburg hat der Beschwerde eines Beschuldigten gegen die Anordnung einer DNA-Probe stattgegeben. In die Prognoseentscheidung des § 81g I 1 StPO sind demnach alle Umstände des Einzelfalls einzustellen. Hierbei ist von Bedeutung, ob gerade die Begehung solcher Taten zu erwarten ist, bei denen typischerweise DNA hinterlassen wird.

Tenor

  1. Der Beschluss der 7. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 04. April 2023 (Az. 27 Ns 9/23) wird aufgehoben.
  2. Der Antrag der Staatsanwaltschaft Cottbus vom 18. Juli 2022 auf Anordnung der Entnahme einer Speichelprobe und deren molekulargenetischer Untersuchung (§ 81g StPO) wird zurückgewiesen.
  3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Cottbus hat unter dem 31. Mai 2022 gegen den Beschwerdeführer Anklage zum Amtsgericht Brandenburg an der Havel erhoben, das den Beschwerdeführer sodann mit Urteil vom 06. Dezember 2022 (Az. 21 Ls 1951 Js 16680/20) wegen des sich Verschaffens kinderpornographischer Schriften in 5 Fällen sowie wegen Besitzes von kinderpornographischen Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt hat, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf die Feststellungen des Urteils Bezug genommen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Nachdem die Staatsanwaltschaft Cottbus den Beschwerdeführer zur Abgabe einer Speichelprobe zum 05. Juli 2022 geladen hatte und dieser durch seine Rechtsanwältin mit Schriftsatz vom 05. Juli 2022 hat mitteilen lassen, eine solche freiwillig nicht abzugeben, beantragte sie gemäß § 81g StPO bei der Berufungskammer des Landgerichts Potsdam unter dem 23. März 2023 die Anordnung der Entnahme einer Speichelprobe sowie deren molekulargenetische Untersuchung.

Die 7. Kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam hat mit Beschluss vom 04. April 2023 (Az. 27 Ns 9/23) angeordnet, dass dem Beschwerdeführer Körperzellen entnommen und diese zur Feststellung der DNA-Identifizierungsmuster sowie des Geschlechts molekular-genetisch untersucht werden dürfen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die mit anwaltlichem Schriftsatz vom 18. April 2023 angebrachte Beschwerde. Zur Begründung hat der Beschwerdeführer im Wesentlichen ausgeführt, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei, weil ihm der Antrag der Staatsanwaltschaft Cottbus nicht zur Kenntnis gegeben worden sei, darüber hinaus bestünden keine Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr und keine hinreichenden Gründe für die Annahme, dass gegen ihn künftige Strafverfahren zu führen sein werden, bei denen er körperlich auf andere Personen einwirken und so typischerweise DNA-Spuren hinterlassen würde, sodass sein DNA-Identifizierungsmuster keinen tatsächlichen Aufklärungsansatz bieten konnte. Im Übrigen wird auf den Beschwerdeschriftsatz Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 26. Juni 2023 beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Die Voraussetzungen für die Anordnung der DNA-Identitätsfeststellung nach § 81 g Abs. 1 und 4 StPO liegen nicht vor.

Nach § 81g Abs. 1 und 4 StPO dürfen einem wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung rechtskräftig Verurteilten (Anlasstat) zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren Körperzellen entnommen und zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters sowie des Geschlechts molekulargenetisch untersucht werden, wenn wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftige Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden (Wiederholungsgefahr). Hinzutreten muss, dass das DNA-Identifizierungsmuster einen Aufklärungsansatz für einen Spurenabgleich bezüglich der Straftat von erheblicher Bedeutung bieten muss (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 14.12.2000 – 2 BvR 1741/99).

a)

Eine vom Gesetz geforderte Anlasstat besteht, da der Beschwerdeführer wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung rechtskräftig verurteilt wurde.

aa)

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat mit Urteil vom 25. April 2012, rechtskräftig seit dem 03. Mai 2012, gegen ihn wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit versuchtem schweren Missbrauch von Kindern und dem sexuellen Missbrauch von Kindern auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren erkannt, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafaussetzung zur Bewährung wurde später widerrufen und die Strafe bis zum 23. Januar 2017 verbüßt.

bb)

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat sodann mit Urteil vom 16. Januar 2017, rechtskräftig seit dem 24. Januar 2017, gegen ihn wegen Verbreitung kinderpornographischer Schriften in 23 Fällen sowie wegen Besitzes von kinderpornographischen Schriften in 12 Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verhängt, die teilweise verbüßt wurde.

cc)

Mit Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 06. Dezember 2022 (Az. 21 Ls 1951 Js 16680/20) wurde der Beschwerdeführer – wie eingangs erwähnt – wegen des sich Verschaffens kinderpornographischer Schriften in 5 Fällen sowie wegen Besitzes von kinderpornographischen Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf die Feststellungen des Urteils, die die Beschwerde nicht in Zweifel zieht, Bezug genommen.

b)

Es liegen indes die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 81g Abs. 1 StPO jedenfalls deshalb nicht vor, weil kein ausreichender Grund zu der Annahme besteht, dass gegen den Betroffenen künftig Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu fuhren sein werden, bei denen der Täter deliktstypisch Identifizierungsmaterial am Tatort hinterlassen wird.

Bei der Frage, ob Grund zu einer solchen Annahme besteht, handelt es sich um eine Prognosefrage, deren Beantwortung unter Prüfung und Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles zu erfolgen hat, wobei insbesondere auf die Anlasstat, Vorstrafen, Rückfallgeschwindigkeit, Prägung in Richtung bestimmter Delikte, Motivationslage bei früheren Straftaten, das Verhalten des Betroffenen in einer Bewährungszeit oder nach einem Straferlass sowie frühere und derzeitige Lebensumstande abzustellen ist (vgl. BVerfGE 103, 21; BVerfG 2 BvR 2391/07). Die Prognoseentscheidung muss sich dabei mit den Umstanden des Einzelfalls auseinandersetzen. Eine bloß abstrakte Wahrscheinlichkeit eines künftigen Strafverfahrens genügt für die Anordnung der Maßnahme nach § 81g StPO nicht.

Zwar hat sich der Beschwerdeführer in der Vergangenheit wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit versuchten schweren Missbrauchs von Kindern und sexuellen Missbrauchs von Kindern strafbar gemacht. Der Beschwerdeführer hatte an einem nicht naher zu bestimmenden Tag im Zeitraum 15. Oktober 2009 bis 04. März 2010 seine damals bei ihm wohnende, etwa 12 jährige Tochter veranlasst, sich auf die Couch im Wohnzimmer der Wohnung zu legen. Dort hatte er ihr die Schlafanzughose ausgezogen, mit seinen Händen an deren Geschlechtsteil manipuliert und versucht, einen Vibrator in die Scheide des Mädchens einzuführen. Da das Kind durch diese Handlung Schmerzen empfunden und begonnen hatte, Abwehrhandlungen zu tätigen, hatte der Beschwerdeführer von dem weiteren Vorhaben abgelassen, wonach das Kind das Wohnzimmer verlassen hatte.

Diese Tat, die einmalig war und ihrer Schwere nach wohl eher im unteren Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern einzustufen sein wird, liegt inzwischen bereits mehr als 13 Jahre zurück. Zudem hat der Angeklagte diese Tat im familiären Kontext begangen, welcher durch das Heranwachsen seiner Tochter so nicht mehr besteht.

Auch ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer nach den Urteilsfeststellungen inzwischen bereits mehr als 2 ½ Jahre an einer Sexualtherapie teilnimmt, in der ihm Vermeidungsstrategien vermittelt werden, er Medikamente zur Dämmung seines Sexualtriebes einnimmt und gegenüber seiner Familie offen mit seiner sexuellen Neigung umgeht. Diese halte zu ihm und unterstütze ihn bei der Therapie.

Unter Gesamtwürdigung dieser Umstände ist dem Beschwerdeführer jedenfalls hinsichtlich möglicher Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung mit Körperkontakt eine positive Kriminalprognose zu stellen. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer wiederholt wegen in § 184 b StGB genannten Straftaten verurteilt werden musste.

Anzeichen dafür, dass der Beschwerdeführer seine Neigungen künftig auch durch Körperkontakt mit Kindern ausleben könnte und somit auch Strafverfahren wegen sog. „Hands-on-Delikte“ im Bereich der Sexualstraftaten geführt werden konnten, bestehen in Ansehung der beim Beschwerdeführer zu verzeichnenden abnehmenden Deliktschwere und der o. g. Umstände gegenwärtig nicht (vgl. LG Dresden, Beschluss vom 6. Dezember 2022 – 15 Qs 63/22).

Es fehlt mithin an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass der Beschwerdeführer künftig Straftaten von erheblichem Gewicht begehen wird, bei denen er DNA-Material hinterlassen wird. Das dem Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Urteil des Amtsgerichts Brandenburg vom 06. Dezember 2022 keine positive Sozialprognose gestellt wurde, da die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, spricht nicht dagegen. Zum einen liegen die letzten vom Beschwerdeführer begangenen Taten zwischenzeitlich 2 ¾ Jahre zurück, zum anderen ist das Urteil mit der Berufung angefochten und es ergeben sich aus ihm keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die vom Amtsgericht gestellte Prognose auch auf Delikte bezieht, bei denen DNA-Material hinterlassen wird.