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Art. 16a GG - Asylrecht (Kommentar)
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) ¹Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. ²Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. ³In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) ¹Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. ²Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) ¹Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. ²Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
- 1. Allgemeines
- 2. Systematische Stellung
- 3. Historische Entwicklung und verfassungsrechtlicher Kontext
- 4. Art. 16a Abs. 1 GG – Grundrecht auf Asyl
- 5. Art. 16a Abs. 2 GG – Sicherer Drittstaat und das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten
- 6. Art. 16a Abs. 4 GG – Verfahrensregelungen
- 7. Art. 16a Abs. 5 GG – Internationaler Rahmen
- 8. Zusammenfassung und Ausblick
1. Allgemeines
Art. 16a des Grundgesetzes (GG) garantiert das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte in Deutschland. Dieses Recht ist historisch tief in den Erfahrungen Deutschlands mit Verfolgung, Flucht und Vertreibung verankert und spiegelt die humanitären Verpflichtungen wider, die sich Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere nach den Erfahrungen des NS-Regimes auferlegt hat. Art. 16a GG stellt in seiner geltenden Fassung jedoch nicht nur das Grundrecht auf Asyl sicher, sondern enthält auch erhebliche Einschränkungen, die insbesondere mit der Reform des Asylrechts 19931 und dem Inkrafttreten der sogenannten Asylkompromisse2 einhergingen.
2. Systematische Stellung
Art. 16a GG befindet sich im Grundrechtekatalog des Grundgesetzes, unter dem ersten Abschnitt, der die Grundrechte umfasst. Die Regelung wird in diesem Abschnitt systematisch direkt nach dem allgemeinen Staatsangehörigkeitsrecht und dem Verbot der Auslieferung nach Art. 16 GG aufgeführt, was die Bedeutung des Asylrechts in der deutschen Verfassungsordnung unterstreicht.
3. Historische Entwicklung und verfassungsrechtlicher Kontext
3.1. Ursprüngliche Fassung des Asylrechts
Die ursprüngliche Fassung des Art. 16 Abs. 2 GG (vor der Änderung 1993) garantierte allen politisch Verfolgten das Asylrecht, ohne Einschränkungen hinsichtlich des Herkunftslandes oder der Einreisewege. Diese weitgehende Schutzgewährung war eine Reaktion auf die Verfolgung und Vertreibung, die viele Deutsche während des Nationalsozialismus erlebt hatten. Die offene und bedingungslose Formulierung entsprach der damaligen Auffassung einer "offenen Tür"-Politik.
3.2. Reformen und Einführung des Art. 16a GG
Die Asylrechtsreform von 1993 führte zur Einführung des neuen Art. 16a GG und schränkte das Grundrecht auf Asyl erheblich ein. Die Reform war eine Reaktion auf die stark ansteigenden Asylbewerberzahlen Anfang der 1990er Jahre und sollte der Überlastung der deutschen Asylbehörden entgegenwirken. Kernpunkte der Reform waren die Einführung des Konzepts der sicheren Drittstaaten und der sicheren Herkunftsstaaten sowie eine Beschleunigung der Asylverfahren. Diese Maßnahmen zielten darauf ab, Missbrauch des Asylrechts zu verhindern und die Verfahrensdauer zu verkürzen.
4. Art. 16a Abs. 1 GG – Grundrecht auf Asyl
Art. 16a Abs. 1 GG garantiert politisch Verfolgten ein subjektives öffentliches Recht auf Asyl. Der Begriff der "politischen Verfolgung" ist dabei eng auszulegen. Er umfasst nur solche Verfolgungsmaßnahmen, die zielgerichtet gegen die individuelle politische Überzeugung, Weltanschauung oder religiöse Praxis einer Person gerichtet sind und eine erhebliche Intensität aufweisen. Diese Verfolgung muss den Kernbereich der Menschenwürde berühren. Demnach fallen allgemeine Notsituationen wie Bürgerkriege, Naturkatastrophen oder wirtschaftliche Notlagen nicht unter den Schutzbereich des Art. 16a GG, sondern sind im Kontext des Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) zu prüfen.
5. Art. 16a Abs. 2 GG – Sicherer Drittstaat und das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten
5.1. Sicherer Drittstaat
Abs. 2 Satz 1 schließt Personen, die über einen sogenannten sicheren Drittstaat einreisen, vom Asylrecht in Deutschland aus. Ein sicherer Drittstaat ist ein Staat, der die Grundsätze der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) beachtet und in dem ein gerechtes Asylverfahren sowie Schutz vor Verfolgung gewährleistet sind. Mit dieser Regelung wird der Grundsatz des Ersteinreisestaates aus dem Dublin-Verfahren implementiert, das die Zuständigkeit für Asylverfahren in der Europäischen Union regelt.
5.2. Sichere Herkunftsstaaten
Art. 16a Abs. 3 GG ermöglicht es dem Gesetzgeber, Staaten als "sichere Herkunftsstaaten" zu definieren. Es wird dabei vermutet, dass aus diesen Staaten keine politische Verfolgung erfolgt. Diese Vermutung kann der Asylsuchende widerlegen, indem er darlegt, dass er in seinem speziellen Fall trotzdem einer Verfolgung ausgesetzt ist. Diese Regelung erleichtert die Bearbeitung von Asylanträgen aus solchen Staaten und dient der Entlastung der Behörden.
6. Art. 16a Abs. 4 GG – Verfahrensregelungen
Art. 16a Abs. 4 GG erlaubt es dem Gesetzgeber, das Asylverfahren durch Gesetz anderen Behörden als dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu übertragen, sofern das Verfahren für den Antragsteller nicht länger als einen Tag dauert. Diese Vorschrift bietet eine rechtliche Grundlage für Schnellverfahren in sogenannten Transitbereichen von Flughäfen, um offensichtlich unbegründete Asylanträge rasch abzulehnen. Diese Praxis wurde insbesondere im sogenannten "Flughafenverfahren" angewandt, das vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 1996 für verfassungsgemäß erklärt wurde, solange bestimmte Mindestgarantien eingehalten werden.
7. Art. 16a Abs. 5 GG – Internationaler Rahmen
Abs. 5 von Art. 16a GG stellt klar, dass die Regelungen dieses Artikels internationale Verträge, die für die Durchführung eines Asylverfahrens maßgeblich sind, unberührt lassen. Dies bezieht sich insbesondere auf das europäische Asylsystem und die Verpflichtungen Deutschlands aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention.
8. Zusammenfassung und Ausblick
Art. 16a GG repräsentiert eine grundlegende Veränderung des deutschen Asylrechts, indem es das traditionelle Asylrecht mit erheblichen Einschränkungen versieht. Diese Änderungen reflektieren sowohl die Notwendigkeit, die Asylverfahren zu ordnen und zu beschleunigen, als auch die Herausforderungen, die mit einer zunehmenden europäischen und internationalen Zusammenarbeit in Flüchtlingsfragen einhergehen. In Zukunft bleibt zu beobachten, wie sich das Spannungsverhältnis zwischen nationalen Interessen und europäischen Verpflichtungen weiterentwickelt und wie der Schutz der Menschenrechte in Asylverfahren auf europäischer Ebene gewährleistet bleibt.