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Art. 21 GG - Parteien (Kommentar)
(1) ¹Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. ²Ihre Gründung ist frei. ³Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. ⁴Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.
(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.
(3) ¹Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. ²Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.
(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.
1. Allgemeines
Artikel 21 des Grundgesetzes (GG) regelt die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist von zentraler Bedeutung für das demokratische Gemeinwesen, da politische Parteien als Mittler zwischen Staat und Gesellschaft fungieren und maßgeblich an der politischen Willensbildung des Volkes beteiligt sind. Der Kommentar zu Art. 21 GG beleuchtet den umfassenden Schutz der Parteien durch das Grundgesetz, die Parteifreiheit, die verfassungsrechtlichen Pflichten der Parteien, die Anforderungen an die innere Ordnung der Parteien, das Parteiverbot sowie das Parteiensystem in Deutschland.
2. Entstehungsgeschichte und Systematik
Art. 21 GG wurde von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes in bewusster Abkehr von der negativen Erfahrung der Weimarer Republik und den exzessiven Parteiverboten der NS-Zeit konzipiert. Die Norm schafft eine Balance zwischen Parteifreiheit und der Sicherung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Parteien wurden als "notwendige Institutionen des politischen Lebens" anerkannt, die unverzichtbar für die Funktionsweise einer pluralistischen Demokratie sind. Die verfassungsrechtliche Systematik des Art. 21 GG stützt sich auf vier wesentliche Elemente: die Parteienfreiheit (Abs. 1), die demokratische innere Ordnung (Abs. 1), die öffentliche Rechenschaftspflicht (Abs. 1 Satz 2), und das Parteiverbot (Abs. 2).
3. Persönlicher und Sachlicher Schutzbereich
3.1. Persönlicher Schutzbereich
Art. 21 GG gilt primär für politische Parteien, die sich an der politischen Willensbildung beteiligen. Der Begriff der „Partei“ wird weder im Grundgesetz noch im Parteiengesetz (PartG) abschließend definiert, aber § 2 PartG bietet eine Legaldefinition. Parteien sind demnach Vereinigungen von Bürgern, die auf Dauer Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen und an der Vertretung des Volkes im Bundestag oder in einem Landtag mitwirken wollen. Geschützt sind dabei nicht nur die Parteien als juristische Personen, sondern auch ihre Mitglieder, Funktionäre und Anhänger.
3.2. Sachlicher Schutzbereich
3.2.1. Parteienfreiheit
Der erste Halbsatz des Art. 21 Abs. 1 GG garantiert die Freiheit der Parteien und schützt ihre Gründung, ihre Betätigung und die Teilnahme am politischen Wettbewerb. Die Parteienfreiheit ist ein speziell normiertes Grundrecht sui generis, das nicht nur die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 8, 9 GG) umfasst, sondern darüber hinaus einen besonderen Schutz der politischen Willensbildung bietet. Die Gründung von Parteien ist frei; staatliche Eingriffe sind nur unter den engen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 GG möglich.
3.2.2. Demokratische innere Ordnung
Art. 21 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG fordert, dass die innere Ordnung der Parteien demokratischen Grundsätzen entsprechen muss. Diese Regelung soll sicherstellen, dass die Parteien demokratisch strukturiert sind und ihre inneren Prozesse von demokratischer Partizipation und Kontrolle geprägt sind. Das Parteiengesetz konkretisiert diese Anforderungen in § 6 PartG, der u.a. festlegt, dass die Willensbildung „von unten nach oben“ erfolgen muss. Demokratische Mindestanforderungen umfassen die Wahl des Vorstandes durch Mitglieder oder Delegierte, die gleiche und geheime Abstimmung und die innerparteiliche Meinungsfreiheit.
3.2.3. Rechenschaftspflicht
Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG schreibt den Parteien vor, ihre Finanzen offenzulegen. Diese Rechenschaftspflicht soll die Transparenz der Parteienfinanzierung gewährleisten und damit verhindern, dass Parteien von illegalen oder unlauteren Mitteln abhängig werden. Das Parteiengesetz konkretisiert diese Pflicht in den §§ 23 ff. PartG. Die Parteien müssen einen jährlichen Rechenschaftsbericht über ihre Einkünfte, Ausgaben und Vermögen erstellen und diesen dem Präsidenten des Deutschen Bundestages vorlegen. Die Nichtbeachtung dieser Pflicht kann Sanktionen zur Folge haben.
4. Eingriffe und deren verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Eingriffe in die Freiheit der Parteien nach Art. 21 GG können auf verschiedene Weise erfolgen, etwa durch gesetzliche Regelungen, durch Maßnahmen der Verwaltung oder durch gerichtliche Entscheidungen. Solche Eingriffe sind nur dann verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn sie im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stehen und auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen.
4.1. Verhältnismäßigkeitsprinzip
Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit erfordert, dass staatliche Eingriffe einen legitimen Zweck verfolgen, geeignet, erforderlich und angemessen sind. Insbesondere das Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG ist als ultima ratio zu verstehen und darf nur bei besonders schwerwiegenden Verstößen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung angewendet werden.
4.2. Gesetzesvorbehalt
Art. 21 Abs. 2 GG erlaubt die Einschränkung der Parteienfreiheit durch die Verfassungswidrigerklärung einer Partei. Diese Verfassungswidrigkeit wird jedoch nur durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG müssen Parteien, die verfassungswidrig sind, eine "kämpferisch-aggressive" Haltung gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung einnehmen (vgl. BVerfGE 5, 85 - SRP-Urteil; BVerfGE 2, 1 - KPD-Urteil).
5. Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG
5.1. Voraussetzungen für ein Parteiverbot
Ein Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG ist nur möglich, wenn eine Partei nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Dies erfordert eine gezielte, aktive und systematische Bekämpfung der demokratischen Grundordnung. Der Begriff der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ wird durch die Rechtsprechung des BVerfG konkretisiert und meint eine Ordnung, die in der Selbstbestimmung des Volkes und der Menschenwürde verankert ist (BVerfGE 2, 1 - KPD).
5.2. Verfahrensrechtliche Aspekte
Das Parteiverbotsverfahren ist in §§ 43 ff. des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) geregelt. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet auf Antrag des Bundestages, des Bundesrates oder der Bundesregierung. Die Beweislast liegt bei den Antragstellern. Das Verfahren folgt den Grundsätzen des rechtlichen Gehörs, der Fairness und der Unparteilichkeit.
5.3. Rechtliche Folgen eines Parteiverbots
Wird eine Partei vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt, so ist sie aufzulösen. Das Parteivermögen wird zugunsten des Staates eingezogen (§ 46 Abs. 3 BVerfGG). Ferner sind alle Ersatzorganisationen der verbotenen Partei ebenfalls untersagt (§ 46 Abs. 2 BVerfGG).
6. Wichtige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
6.1. SRP-Urteil
Das BVerfG (BVerfGE 2, 1) verbot die Sozialistische Reichspartei (SRP) im Jahr 1952 als verfassungswidrig. Die SRP sei "wesensverwandt mit dem Nationalsozialismus" und damit eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung. Dieses Urteil stellte die Anforderungen an ein Parteiverbot dar, die bis heute maßgeblich sind.
6.2. KPD-Urteil
Im Jahr 1956 verbot das BVerfG (BVerfGE 5, 85) die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Das Gericht stellte fest, dass die KPD darauf abziele, die freiheitliche demokratische Grundordnung durch eine Diktatur des Proletariats zu ersetzen. Das Urteil ist ein Beispiel für die Anwendung von Art. 21 Abs. 2 GG in der Frühphase der Bundesrepublik.
6.3. NPD-Verbotsverfahren
Im Jahr 2017 entschied das BVerfG (BVerfGE 144, 20), dass die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) zwar verfassungsfeindlich sei, jedoch mangels konkret feststellbarer Erfolgsaussichten in der Verwirklichung ihrer verfassungswidrigen Ziele nicht verboten werde. Diese Entscheidung stellt die Bedeutung des zweiten Merkmals, nämlich der "Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland", heraus.