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Art. 22 GG - Bundeshauptstadt und Bundesflagge (Kommentar)

(1) ¹Die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland ist Berlin. ²Die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt ist Aufgabe des Bundes. ³Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.

(2) Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold.

1. Allgemeines

Artikel 22 des Grundgesetzes (GG) regelt zwei symbolisch und politisch bedeutsame Aspekte der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland: Die Festlegung der Bundesflagge sowie die Bestimmung der Bundeshauptstadt. Beide Regelungen tragen dazu bei, die Identität und Kontinuität des deutschen Staates zu betonen. Während die Vorschrift zur Bundesflagge (Art. 22 Abs. 2 GG) tief in die Geschichte der deutschen Nationalfarben eingebettet ist, ist die Bestimmung der Hauptstadt (Art. 22 Abs. 1 GG) ein Ausdruck des föderalen Charakters und der Einheit der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Kommentar analysiert die historischen Wurzeln, die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Auswirkungen der Regelungen, die in Art. 22 GG festgehalten sind.

2. Entstehungsgeschichte und verfassungshistorischer Kontext

Art. 22 GG wurde im Rahmen der Wiedervereinigung Deutschlands und der Debatte um die nationale Identität und Repräsentation des wiedervereinigten Deutschlands neu verfasst. Der Artikel, wie er heute besteht, ist das Ergebnis des Einigungsvertrages von 1990 und der damit verbundenen Neufassung des Grundgesetzes. Während das Grundgesetz in seiner ursprünglichen Fassung von 1949 die Hauptstadtfrage nicht regelte, wurde die Festlegung auf Berlin erst im Zuge der Vereinigung beider deutscher Staaten von 1990 notwendig. Historisch symbolisiert Berlin die Einheit und den Willen zur Demokratie in Deutschland. Die Entscheidung, Berlin als Hauptstadt festzulegen, war eine deutliche Abkehr von der Status-quo-Politik der Teilung.

Die Farben Schwarz-Rot-Gold (Art. 22 Abs. 2 GG) gehen auf die Freiheitsbewegungen des 19. Jahrhunderts zurück und wurden 1919 zur Nationalflagge der Weimarer Republik. Diese Tradition wurde von der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgenommen, um die demokratische und republikanische Tradition des deutschen Staates zu betonen und sich gleichzeitig von den nationalsozialistischen Symbolen abzugrenzen.

3. Systematik des Art. 22 GG

Art. 22 GG steht im Abschnitt "Der Bund und die Länder" und befasst sich mit den symbolischen Elementen des deutschen Staatswesens. Während Art. 20 GG die verfassungsmäßigen Grundsätze der Staatsordnung (Republik, Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat und Bundesstaat) definiert und Art. 21 GG die Stellung der politischen Parteien beschreibt, übernimmt Art. 22 GG die Aufgabe, die Hauptstadt und die Nationalflagge als wichtige Symbole des Staates festzulegen. Damit ergänzt Art. 22 GG die materiellen Verfassungsgrundsätze durch Elemente der Staatssymbolik.

4. Persönlicher und sachlicher Schutzbereich

4.1. Persönlicher Schutzbereich

Der persönliche Schutzbereich des Art. 22 GG ist auf den Staat als solchen beschränkt. Es handelt sich hierbei nicht um ein Grundrecht, sondern um eine verfassungsrechtliche Festlegung, die für den Bund und mittelbar für die Länder verbindlich ist. Der Bürger kann sich nicht unmittelbar auf Art. 22 GG berufen; der Artikel enthält keine subjektiv-öffentlichen Rechte. Er richtet sich vielmehr an die staatlichen Organe und legt verbindlich fest, wie sie die Repräsentation des Staates in der Bundeshauptstadt sowie die Staatssymbolik zu gestalten haben.

4.2. Sachlicher Schutzbereich

Der sachliche Schutzbereich des Art. 22 GG umfasst zwei wesentliche Elemente:

4.2.1. Hauptstadtregelung (Abs. 1)

Art. 22 Abs. 1 GG legt fest, dass die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland Berlin ist. Diese Festlegung ist von erheblicher politischer, administrativer und symbolischer Bedeutung. Die Vorschrift impliziert, dass der Bundestag und der Bundesrat ihren Sitz in Berlin haben und dass Berlin als Ort der repräsentativen Organe der Bundesrepublik fungiert. Die Repräsentation des Gesamtstaates in Berlin ist dabei „Aufgabe des Bundes“, was bedeutet, dass der Bund alle notwendigen Maßnahmen zur Wahrnehmung dieser Aufgabe trifft. Dies umfasst insbesondere den Erhalt und die Pflege der Gebäude der obersten Bundesorgane und die Organisation von staatlichen Veranstaltungen in Berlin.

4.2.2. Bundesflagge (Abs. 2)

Art. 22 Abs. 2 GG schreibt die Farben der Bundesflagge verbindlich fest. Die Flagge ist ein wichtiges Symbol staatlicher Einheit und Souveränität. Die Farben Schwarz-Rot-Gold haben eine historische und politische Bedeutung, die auf die Freiheitsbewegungen des 19. Jahrhunderts und die republikanische Tradition Deutschlands zurückgeht. Art. 22 Abs. 2 GG schützt diese Farben und deren Reihenfolge als verbindliche Staatssymbolik. Jegliche Abweichung oder Verfälschung dieser Darstellung könnte als Verstoß gegen das Grundgesetz betrachtet werden und würde nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen.

5. Verfassungsrechtliche Fragen und Probleme

5.1. Die Hauptstadtfrage

Die Entscheidung, Berlin als Hauptstadt festzulegen, war in den Jahren nach der Wiedervereinigung Deutschlands umstritten. Der sogenannte "Hauptstadtbeschluss" von 1991 legte fest, dass die Bundesregierung und der Bundestag von Bonn nach Berlin verlegt werden sollten. Die Diskussionen rund um diese Entscheidung zeigen, dass die Hauptstadtfrage mehr als nur eine Frage des Sitzes der politischen Institutionen ist. Sie berührt tiefere Fragen der Identität und der politischen Kultur Deutschlands. Die Verlegung der Hauptstadt von Bonn nach Berlin wurde durch das „Berlin/Bonn-Gesetz“ von 1994 geregelt. Art. 22 Abs. 1 GG schafft einen klaren verfassungsrechtlichen Rahmen für diese Entscheidung und stellt die Stadt Berlin als Zentrum der politischen Macht in Deutschland heraus.

5.2. Die Regelung der Bundesflagge

Die Festlegung der Bundesflagge auf Schwarz-Rot-Gold durch Art. 22 Abs. 2 GG lässt keinen Raum für alternative Darstellungen, Farben oder Interpretationen. Dies dient der Wahrung der Einheitlichkeit der Staatssymbole. Rechtlich relevant ist die Frage, ob die Verwendung dieser Farben durch Dritte zu kommerziellen oder anderen Zwecken zulässig ist und unter welchen Bedingungen. Grundsätzlich unterliegt die Verwendung staatlicher Symbole wie der Flagge den Vorschriften des Markengesetzes und des Strafrechts, etwa bei Missbrauch oder Verunglimpfung der Bundesflagge (§ 90a StGB).

5.3. Verfassungsrechtliche Änderungen

Eine Änderung der Regelung des Art. 22 GG wäre grundsätzlich möglich, bedürfte jedoch einer qualifizierten Mehrheit gemäß Art. 79 GG. Insbesondere die Festlegung der Hauptstadt könnte theoretisch durch ein einfaches verfassungsänderndes Gesetz geändert werden. Praktisch ist dies jedoch unwahrscheinlich, da dies tief in die historische und politische Symbolik des deutschen Staates eingreifen würde.

6. Rechtsprechung und Kommentare

6.1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht hat zu Art. 22 GG bislang keine grundlegenden Entscheidungen getroffen, da die Norm weitgehend deklaratorischen Charakter hat und weniger als Rechtsnorm mit unmittelbaren Eingriffen wirkt. Es wird jedoch als selbstverständlich betrachtet, dass Verstöße gegen die Vorgaben des Art. 22 GG im Bereich der Staatssymbolik (z.B. Verunglimpfung der Bundesflagge) potenziell Verfassungsbeschwerden nach sich ziehen könnten.

6.2. Wissenschaftliche Kommentare

In der Kommentarliteratur wird Art. 22 GG im Kontext der deutschen Staatssymbolik und der föderalen Struktur des Landes erörtert. Kommentare wie Maunz/Dürig, Sachs und Schmidt-Bleibtreu/Klein heben hervor, dass die Festlegung von Berlin als Hauptstadt insbesondere ein Ausdruck der Kontinuität und der Einheit der Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung ist. Hinsichtlich der Flaggenregelung betonen sie die Bedeutung der nationalen Symbole für die demokratische Identität Deutschlands.