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Art. 29 GG - Neugliederung des Bundesgebietes (Kommentar)
(1) ¹Das Bundesgebiet kann neu gegliedert werden, um zu gewährleisten, daß die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können. ²Dabei sind die landsmannschaftliche Verbundenheit, die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit sowie die Erfordernisse der Raumordnung und der Landesplanung zu berücksichtigen.
(2) ¹Maßnahmen zur Neugliederung des Bundesgebietes ergehen durch Bundesgesetz, das der Bestätigung durch Volksentscheid bedarf. ²Die betroffenen Länder sind zu hören.
(3) ¹Der Volksentscheid findet in den Ländern statt, aus deren Gebieten oder Gebietsteilen ein neues oder neu umgrenztes Land gebildet werden soll (betroffene Länder). ²Abzustimmen ist über die Frage, ob die betroffenen Länder wie bisher bestehenbleiben sollen oder ob das neue oder neu umgrenzte Land gebildet werden soll. ³Der Volksentscheid für die Bildung eines neuen oder neu umgrenzten Landes kommt zustande, wenn in dessen künftigem Gebiet und insgesamt in den Gebieten oder Gebietsteilen eines betroffenen Landes, deren Landeszugehörigkeit im gleichen Sinne geändert werden soll, jeweils eine Mehrheit der Änderung zustimmt. ⁴Er kommt nicht zustande, wenn im Gebiet eines der betroffenen Länder eine Mehrheit die Änderung ablehnt; die Ablehnung ist jedoch unbeachtlich, wenn in einem Gebietsteil, dessen Zugehörigkeit zu dem betroffenen Land geändert werden soll, eine Mehrheit von zwei Dritteln der Änderung zustimmt, es sei denn, daß im Gesamtgebiet des betroffenen Landes eine Mehrheit von zwei Dritteln die Änderung ablehnt.
(4) Wird in einem zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraum, dessen Teile in mehreren Ländern liegen und der mindestens eine Million Einwohner hat, von einem Zehntel der in ihm zum Bundestag Wahlberechtigten durch Volksbegehren gefordert, daß für diesen Raum eine einheitliche Landeszugehörigkeit herbeigeführt werde, so ist durch Bundesgesetz innerhalb von zwei Jahren entweder zu bestimmen, ob die Landeszugehörigkeit gemäß Absatz 2 geändert wird, oder daß in den betroffenen Ländern eine Volksbefragung stattfindet.
(5) ¹Die Volksbefragung ist darauf gerichtet festzustellen, ob eine in dem Gesetz vorzuschlagende Änderung der Landeszugehörigkeit Zustimmung findet. ²Das Gesetz kann verschiedene, jedoch nicht mehr als zwei Vorschläge der Volksbefragung vorlegen. ³Stimmt eine Mehrheit einer vorgeschlagenen Änderung der Landeszugehörigkeit zu, so ist durch Bundesgesetz innerhalb von zwei Jahren zu bestimmen, ob die Landeszugehörigkeit gemäß Absatz 2 geändert wird. ⁴Findet ein der Volksbefragung vorgelegter Vorschlag eine den Maßgaben des Absatzes 3 Satz 3 und 4 entsprechende Zustimmung, so ist innerhalb von zwei Jahren nach der Durchführung der Volksbefragung ein Bundesgesetz zur Bildung des vorgeschlagenen Landes zu erlassen, das der Bestätigung durch Volksentscheid nicht mehr bedarf.
(6) ¹Mehrheit im Volksentscheid und in der Volksbefragung ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wenn sie mindestens ein Viertel der zum Bundestag Wahlberechtigten umfaßt. ²Im übrigen wird das Nähere über Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung durch ein Bundesgesetz geregelt; dieses kann auch vorsehen, daß Volksbegehren innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren nicht wiederholt werden können.
(7) ¹Sonstige Änderungen des Gebietsbestandes der Länder können durch Staatsverträge der beteiligten Länder oder durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen, wenn das Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, nicht mehr als 50 000 Einwohner hat. ²Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates und der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages bedarf. ³Es muß die Anhörung der betroffenen Gemeinden und Kreise vorsehen.
(8) ¹Die Länder können eine Neugliederung für das jeweils von ihnen umfaßte Gebiet oder für Teilgebiete abweichend von den Vorschriften der Absätze 2 bis 7 durch Staatsvertrag regeln. ²Die betroffenen Gemeinden und Kreise sind zu hören. ³Der Staatsvertrag bedarf der Bestätigung durch Volksentscheid in jedem beteiligten Land. ⁴Betrifft der Staatsvertrag Teilgebiete der Länder, kann die Bestätigung auf Volksentscheide in diesen Teilgebieten beschränkt werden; Satz 5 zweiter Halbsatz findet keine Anwendung. ⁵Bei einem Volksentscheid entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wenn sie mindestens ein Viertel der zum Bundestag Wahlberechtigten umfaßt; das Nähere regelt ein Bundesgesetz. ⁶Der Staatsvertrag bedarf der Zustimmung des Bundestages.
- 1. Allgemeines
- 2. Art. 29 Abs. 1 GG
- 3. Art. 29 Abs. 2 GG: Voraussetzungen für die Änderung der Ländergrenzen
- 4. Art. 29 Abs. 3 GG: Durchführung von Volksentscheiden
- 5. Art. 29 Abs. 4 GG: Recht auf Antragstellung für Volksentscheide
- 6. Art. 29 Abs. 5 GG: Ergebnis eines Volksentscheides
- 7. Art. 29 Abs. 6 GG: Weitere Ausgestaltung durch Bundesgesetz
1. Allgemeines
Artikel 29 des Grundgesetzes (GG) regelt die Neugliederung des Bundesgebiets. Diese Norm befasst sich mit der Möglichkeit und den Verfahren zur Änderung der Ländergrenzen und zur Bildung neuer Länder. Art. 29 GG ist daher von besonderer Bedeutung für die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland. Der Artikel dient dazu, eine Anpassung der Länderstruktur an gesellschaftliche, wirtschaftliche und administrative Erfordernisse zu ermöglichen und stellt gleichzeitig sicher, dass die Beteiligung der betroffenen Bevölkerung durch Volksentscheide gewährleistet wird. Im Folgenden wird Art. 29 GG Absatz für Absatz detailliert analysiert und kommentiert.
2. Art. 29 Abs. 1 GG
2.1. Grundsatz der Neuordnung des Bundesgebiets
Artikel 29 Abs. 1 GG legt die grundsätzliche Möglichkeit der Neugliederung des Bundesgebiets fest. Diese Vorschrift eröffnet den Raum für eine Neuordnung der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, wobei bestimmte Kriterien maßgeblich sind: die regionale Verbundenheit, die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge sowie die Wirtschaftlichkeit und die Leistungsfähigkeit der Länder.
2.1.1. Regionale Verbundenheit
Die regionale Verbundenheit bezieht sich auf die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen in bestimmten geografischen Gebieten. Ziel ist es, dass die Ländergrenzen so gestaltet sind, dass innerhalb eines Landes möglichst einheitliche und harmonische Bedingungen herrschen.
2.1.2. Geschichtliche und kulturelle Zusammenhänge
Die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge spielen eine zentrale Rolle bei der Neugliederung des Bundesgebiets. Diese Aspekte sollen sicherstellen, dass historische gewachsene Strukturen respektiert werden und nicht ohne Notwendigkeit aufgebrochen werden. Historische Regionen und kulturelle Eigenheiten der Bevölkerung sind daher bei der Festlegung der Ländergrenzen besonders zu berücksichtigen.
2.2. Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der Länder
Die Kriterien der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit zielen auf die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Länder ab. Länder müssen in der Lage sein, die ihnen übertragenen Aufgaben effizient zu erfüllen und eine stabile wirtschaftliche Grundlage zu besitzen. Die Bildung von Ländern, die nicht ausreichend wirtschaftliche Ressourcen oder administrative Kapazitäten aufweisen, soll vermieden werden.
3. Art. 29 Abs. 2 GG: Voraussetzungen für die Änderung der Ländergrenzen
Art. 29 Abs. 2 GG konkretisiert die Bedingungen, unter denen eine Änderung der Ländergrenzen möglich ist. Eine solche Änderung kann durch ein Bundesgesetz erfolgen, das der Zustimmung der betroffenen Länder bedarf. Zusätzlich muss die Bevölkerung unmittelbar durch einen Volksentscheid beteiligt werden.
3.1. Erforderlichkeit eines Bundesgesetzes
Das Bundesgesetz dient als formales Instrument zur Regelung der Neugliederung. Es stellt sicher, dass Änderungen der Ländergrenzen nicht willkürlich oder unüberlegt erfolgen, sondern durch ein förmliches Gesetzgebungsverfahren, das die politische und rechtliche Bedeutung der Maßnahme widerspiegelt.
3.2. Zustimmung der betroffenen Länder
Die Zustimmung der betroffenen Länder ist Ausdruck des föderalen Prinzips der Bundesrepublik Deutschland. Länder dürfen nicht ohne ihre eigene Zustimmung in ihrer territorialen Struktur verändert werden. Dies stärkt ihre Stellung als eigenständige Gliedstaaten innerhalb der föderalen Ordnung.
3.3. Beteiligung der Bevölkerung durch Volksentscheid
Der Volksentscheid stellt sicher, dass die Bevölkerung der betroffenen Gebiete direkt in den Prozess der Neugliederung einbezogen wird. Dies stärkt die demokratische Legitimation solcher weitreichenden Veränderungen und sichert die Akzeptanz der betroffenen Bürger.
4. Art. 29 Abs. 3 GG: Durchführung von Volksentscheiden
Artikel 29 Abs. 3 GG spezifiziert, dass ein Volksentscheid durchgeführt wird, wenn eine Neugliederung zu erwarten ist, die den Interessen der Bevölkerung eines Gebietes gerecht wird. Dies bedeutet, dass eine Neugliederung nicht nur von oben verordnet werden kann, sondern im Einklang mit den Interessen der betroffenen Bevölkerung stehen muss.
4.1. Interessen der Bevölkerung
Die Interessen der Bevölkerung beziehen sich auf verschiedene Aspekte, darunter kulturelle, wirtschaftliche und soziale Belange. Eine Neugliederung soll im Sinne einer Verbesserung der Lebensverhältnisse der betroffenen Bevölkerung erfolgen und keine Nachteile oder Belastungen für die Menschen mit sich bringen.
4.2. Prozedurale Anforderungen an Volksentscheide
Die Durchführung von Volksentscheiden muss so ausgestaltet sein, dass die Willensbildung der Bevölkerung transparent und fair erfolgt. Dazu gehören Regelungen über das Quorum, die Wahlmodalitäten und die klare Formulierung der Abstimmungsfrage.
5. Art. 29 Abs. 4 GG: Recht auf Antragstellung für Volksentscheide
Nach Art. 29 Abs. 4 GG können Volksentscheide zur Neugliederung des Bundesgebiets auf Antrag von einem Drittel der Mitglieder des Bundestages oder des Bundesrates verlangt werden. Diese Regelung stellt sicher, dass auch die gesetzgebenden Körperschaften des Bundes Einfluss auf die territoriale Organisation der Bundesrepublik haben.
5.1. Beteiligung des Bundestages und des Bundesrates
Die Möglichkeit, dass ein Drittel der Mitglieder des Bundestages oder des Bundesrates die Durchführung eines Volksentscheides verlangen kann, stärkt die parlamentarische Beteiligung und Kontrolle im föderalen System. Es wird sichergestellt, dass auch in Angelegenheiten der territorialen Gliederung der Bundesrepublik eine parlamentarische Debatte geführt werden kann.
5.2. Bedeutung des Quorums
Das Quorum von einem Drittel der Mitglieder stellt sicher, dass ein hinreichendes Maß an parlamentarischer Unterstützung vorhanden sein muss, um eine solche weitreichende Entscheidung wie die Einleitung eines Volksentscheids zu treffen. Dies verhindert eine Instrumentalisierung des Volksentscheids durch Minderheiten.
6. Art. 29 Abs. 5 GG: Ergebnis eines Volksentscheides
Artikel 29 Abs. 5 GG regelt die Anforderungen an ein erfolgreiches Ergebnis eines Volksentscheides. Ein Volksentscheid ist erfolgreich, wenn die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen und zugleich die Mehrheit in jedem betroffenen Gebiet dafür stimmen.
6.1. Doppelte Mehrheitserfordernis
Die Anforderung einer doppelten Mehrheit – sowohl der Stimmenmehrheit insgesamt als auch der Mehrheit in jedem betroffenen Gebiet – stellt sicher, dass nicht nur eine gesamtstaatliche Mehrheit, sondern auch eine regionale Mehrheit in den betroffenen Gebieten besteht. Dies verhindert, dass einzelne Gebiete gegen ihren ausdrücklichen Willen Teil einer Neugliederung werden.
6.2. Wahrung regionaler Interessen
Die Regelung schützt regionale Interessen und vermeidet eine „Tyrannei der Mehrheit“, bei der größere Bevölkerungsgruppen kleinere Gebiete zwingen könnten, eine Neugliederung zu akzeptieren. Sie stellt somit sicher, dass die territoriale Integrität und die politischen Präferenzen der betroffenen Regionen respektiert werden.
7. Art. 29 Abs. 6 GG: Weitere Ausgestaltung durch Bundesgesetz
Nach Art. 29 Abs. 6 GG regelt ein Bundesgesetz das Nähere. Dies bedeutet, dass die Details zur Durchführung von Neugliederungen, insbesondere die Verfahren für Volksentscheide, die Festlegung von Wahlkreisen und die Modalitäten der Stimmabgabe, durch einfaches Bundesrecht bestimmt werden können.
7.1. Kompetenz zur Ausgestaltung
Die Übertragung der Ausgestaltungsbefugnis an den einfachen Gesetzgeber ermöglicht es, die Verfahren flexibel an sich ändernde gesellschaftliche und politische Gegebenheiten anzupassen. Das Bundesgesetz muss jedoch im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 29 GG stehen.
7.2. Notwendigkeit einer detaillierten Regelung
Das Gesetz muss sicherstellen, dass das Verfahren zur Neugliederung des Bundesgebiets transparent, demokratisch und rechtssicher erfolgt. Dazu gehört auch, dass die Bürger umfassend informiert und die Verfahren korrekt durchgeführt werden.