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Art. 39 GG - Wahlperiode, Zusammentritt, Einberufung des Bundestages (Kommentar)

(1) ¹Der Bundestag wird vorbehaltlich der nachfolgenden Bestimmungen auf vier Jahre gewählt. ²Seine Wahlperiode endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages. ³Die Neuwahl findet frühestens sechsundvierzig, spätestens achtundvierzig Monate nach Beginn der Wahlperiode statt. ⁴Im Falle einer Auflösung des Bundestages findet die Neuwahl innerhalb von sechzig Tagen statt.

(2) Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl zusammen.

(3) ¹Der Bundestag bestimmt den Schluß und den Wiederbeginn seiner Sitzungen. ²Der Präsident des Bundestages kann ihn früher einberufen. ³Er ist hierzu verpflichtet, wenn ein Drittel der Mitglieder, der Bundespräsident oder der Bundeskanzler es verlangen.

Inhaltsverzeichnis 

1. Allgemeines

Art. 39 des Grundgesetzes (GG) regelt die zentralen verfassungsrechtlichen Bestimmungen zur Wahlperiode des Deutschen Bundestages, dessen Zusammentritt nach den Wahlen und die Voraussetzungen für eine Vertagung des Parlaments. Diese Norm stellt somit sicher, dass der Bundestag als zentrales Organ der Legislative kontinuierlich arbeitsfähig bleibt und die demokratische Legitimation durch regelmäßige Wahlen erneuert wird. Art. 39 GG ist damit ein wesentlicher Bestandteil des parlamentarischen Systems der Bundesrepublik Deutschland.

2. Absatz 1: Wahlperiode und Zusammentritt

2.1. Wahlperiode des Deutschen Bundestages

2.1.1. Vierjährige Legislaturperiode

Die Festlegung auf eine vierjährige Wahlperiode des Deutschen Bundestages ist Ausdruck der Verfassungsentscheidung für eine regelmäßige Erneuerung der demokratischen Legitimation der Abgeordneten. Durch diese Bestimmung wird eine Balance zwischen politischer Kontinuität und demokratischer Kontrolle geschaffen. Die vierjährige Wahlperiode ermöglicht es den gewählten Abgeordneten und der Bundesregierung, politische Programme zu entwickeln und umzusetzen, ohne allzu kurzfristig auf Wahlen reagieren zu müssen. Gleichzeitig sichert die vierjährige Periode, dass die Bürgerinnen und Bürger regelmäßig die Gelegenheit haben, ihre politische Vertretung zu überprüfen und gegebenenfalls eine neue Zusammensetzung des Parlaments herbeizuführen.

2.1.2. Verhältnis zu anderen Verfassungsordnungen

Im internationalen Vergleich entspricht die vierjährige Wahlperiode einer gängigen Praxis. Viele Parlamente in demokratischen Systemen wie den USA (Repräsentantenhaus), Japan oder Kanada haben ähnliche Wahlperioden. Abweichungen existieren etwa im Vereinigten Königreich, wo das Parlament in der Regel für fünf Jahre gewählt wird, oder in Frankreich, wo die Assemblée Nationale ebenfalls eine fünfjährige Amtszeit hat.

2.1.3. Verkürzung und Verlängerung der Wahlperiode

Eine Verkürzung oder Verlängerung der Wahlperiode ist nicht ohne weiteres möglich und würde einer Verfassungsänderung nach Art. 79 GG bedürfen. In der Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik wurden entsprechende Vorschläge, etwa zur Verlängerung der Wahlperiode auf fünf Jahre, mehrfach diskutiert, aber bislang nicht umgesetzt. Die Frage nach einer möglichen Anpassung der Wahlperiode betrifft auch grundlegende verfassungsrechtliche Überlegungen zur Stabilität des politischen Systems und zur Gewährleistung demokratischer Legitimation.

2.2. Ende der Wahlperiode und Zusammentritt des neuen Bundestages

2.2.1. Ende der Wahlperiode mit Zusammentritt des neuen Bundestages

Der zweite Satz von Art. 39 Abs. 1 GG regelt, dass die Wahlperiode des amtierenden Bundestages erst mit dem Zusammentritt des neu gewählten Bundestages endet. Diese Bestimmung stellt sicher, dass es zu keinem Zeitpunkt ein gesetzgeberisches Vakuum gibt. Selbst nach erfolgten Neuwahlen bleibt der bisherige Bundestag im Amt, bis der neue Bundestag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentritt. Die Fortdauer des alten Bundestages bis zum Zusammentritt des neuen gewährleistet die kontinuierliche Funktionsfähigkeit des Parlaments und verhindert, dass die Bundesrepublik Deutschland in eine Phase ohne arbeitsfähige Legislative gerät.

2.2.2. Übergangsparlamentarismus und seine Bedeutung

Die Regelung des Übergangsparlamentarismus hat besondere Bedeutung in Situationen, in denen die Regierungsbildung nach einer Wahl verzögert ist, etwa aufgrund komplexer Koalitionsverhandlungen. Sie vermeidet Unsicherheiten in der Regierungspraxis und in der Gesetzgebung und sichert die Handlungsfähigkeit des Staates. Allerdings sind dem scheidenden Bundestag in der Praxis durch die Wählerentscheidung und die bevorstehende Ablösung faktische Grenzen gesetzt.

2.3. Frist für den Zusammentritt des neuen Bundestages

2.3.1. Frist von 30 Tagen für den Zusammentritt

Nach Art. 39 Abs. 1 Satz 3 GG muss der neu gewählte Bundestag spätestens am dreißigsten Tag nach der Wahl zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentreten. Diese Frist soll gewährleisten, dass die neue Volksvertretung zügig ihre Arbeit aufnimmt und der Zeitraum des Übergangs möglichst kurzgehalten wird. Der Bundestagspräsident oder sein Stellvertreter lädt zur konstituierenden Sitzung ein, wobei diese Regelung die demokratische Kontinuität betont.

2.3.2. Verfassungsgeschichtlicher Hintergrund

Die Frist von 30 Tagen wurde bewusst gewählt, um einerseits ausreichend Zeit für eine organisatorische Vorbereitung der konstituierenden Sitzung und für Koalitionsverhandlungen zu lassen, andererseits aber auch sicherzustellen, dass der politische Übergang reibungslos verläuft. Die demokratische Legitimation eines Parlaments erfordert dessen rasches Zusammentreten nach einer Wahl, um den Volkswillen angemessen zum Ausdruck zu bringen.

3. Absatz 2: Zusammentritt des Bundestages

3.1. Funktion und Ziel der Vorschrift

Art. 39 Abs. 2 GG stellt sicher, dass der neu gewählte Bundestag seine Arbeit zeitnah aufnimmt und die demokratische Legitimation der Volksvertretung durch die Wahl auch tatsächlich zügig umgesetzt wird. Dies ist notwendig, um ein kontinuierliches Funktionieren des parlamentarischen Systems und damit der Legislative in der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten.

3.2. Verfassungsrechtliche Bedeutung

3.2.1. Sicherung der Handlungsfähigkeit der Legislative

Die Vorschrift zielt darauf ab, eine zügige Konstituierung des Parlaments nach einer Bundestagswahl sicherzustellen. Damit wird verhindert, dass es zu einer längeren Phase ohne ein voll arbeitsfähiges Parlament kommt. Dieser Zeitraum ist als „Zwischenparlamentarismus“ zu verstehen, in dem der bisherige Bundestag gemäß Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages weiter im Amt bleibt, jedoch nur noch eingeschränkte Legitimation besitzt, da der Wählerwille bereits neu artikuliert wurde.

3.2.2. Verhinderung eines Machtvakuums

Die verfassungsrechtliche Bestimmung wirkt einem möglichen Machtvakuum entgegen. Würde die Regelung fehlen oder wäre sie weniger präzise, könnte es zu Verzögerungen im Regierungsprozess kommen, insbesondere in Krisenzeiten oder bei besonders schwierigen Koalitionsverhandlungen. Die Festlegung auf maximal 30 Tage nach der Wahl schafft daher einen klaren Zeitrahmen, innerhalb dessen die politische Handlungsfähigkeit der neu gewählten Volksvertretung hergestellt sein muss.

3.3. Historische Entwicklung und gesetzgeberische Überlegungen

3.3.1. Ursprünge und Normierung in der Verfassung

Die 30-Tage-Frist hat ihre Wurzeln in der Verfassungsentwicklung der Weimarer Republik, wo es ähnliche Regelungen gab, um die Arbeitsfähigkeit des Parlaments nach Wahlen sicherzustellen. Der Parlamentarische Rat, der das Grundgesetz erarbeitete, übernahm diese Idee, um die Stabilität und Kontinuität des neuen demokratischen Systems zu gewährleisten. Es sollte ein institutionelles Vakuum nach einer Wahl vermieden und die neue politische Legitimation zügig in parlamentarische Arbeit umgesetzt werden.

3.3.2. Diskussionen im Parlamentarischen Rat

Während der Verfassungsberatungen wurde auch über kürzere Fristen diskutiert, doch entschied man sich für einen Zeitraum von 30 Tagen, um ausreichend Zeit für organisatorische Vorbereitungen und erste Koalitionsverhandlungen zu ermöglichen. Eine zu kurze Frist hätte möglicherweise den geordneten Übergang erschwert und zu logistischen und administrativen Problemen geführt.

3.4. Praktische Umsetzung und Auswirkungen

3.4.1. Einberufung durch den Bundestagspräsidenten

Die Einberufung des neu gewählten Bundestages zur konstituierenden Sitzung erfolgt durch den Präsidenten des Bundestages. Der Termin muss innerhalb der 30-Tage-Frist liegen, was in der Praxis regelmäßig eingehalten wird. Die Regelung stellt somit auch eine wichtige Kompetenz und Verantwortung des Bundestagspräsidenten dar, der als unparteiischer Hüter der parlamentarischen Ordnung gilt.

3.4.2. Flexibilität in der Praxis

Auch wenn die Frist von 30 Tagen als Obergrenze festgelegt ist, kann der Bundestag bereits früher zusammentreten. Dies hängt von der Schnelligkeit der Stimmenauszählung, der Klarheit der Wahlergebnisse und den politischen Verhandlungen ab. In der Vergangenheit wurde diese Frist regelmäßig nicht ausgeschöpft, da oft bereits vor Ablauf der 30 Tage eine konstituierende Sitzung stattfand.

3.4.3. Bedeutung für die Regierungsbildung

Die Frist von 30 Tagen ermöglicht es den Parteien, erste Verhandlungen zur Bildung einer Regierungskoalition zu führen. Sie stellt damit sicher, dass das Parlament funktionsfähig ist, sobald die Verhandlungen weit genug fortgeschritten sind, um eine Regierung zu bilden. Ein längerer Zeitraum könnte dazu führen, dass der alte Bundestag als „geschäftsführend“ tätig bleibt, was die Legitimation der Entscheidungen beeinträchtigen könnte.

3.5. Verfassungsdogmatische Einordnung

3.5.1. Verhältnis zu Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG

Art. 39 Abs. 2 GG ergänzt die Regelung in Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach die Wahlperiode des alten Bundestages erst mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages endet. Die Kombination dieser Regelungen stellt sicher, dass es zu keinem Zeitpunkt eine vollständige Handlungsunfähigkeit der Legislative gibt. Solange der neue Bundestag noch nicht zusammengetreten ist, übt der alte Bundestag weiterhin seine Funktionen aus.

3.5.2. Einbindung in die Systematik des Grundgesetzes

Art. 39 GG ist eng verbunden mit anderen Vorschriften des Grundgesetzes, die die Funktionsfähigkeit und die Organisation der Staatsorgane regeln. Die Vorschrift ist Ausdruck des Prinzips der Gewaltenteilung und der demokratischen Legitimation der Staatsgewalt, wie sie in Art. 20 GG verankert sind.

3.6. Kritik und Reformüberlegungen

3.6.1. Mögliche Verkürzung der Frist

In jüngeren Diskussionen wurde vereinzelt gefordert, die Frist auf weniger als 30 Tage zu verkürzen, um einen noch schnelleren Übergang zu ermöglichen. Solche Überlegungen müssten jedoch mit den praktischen Notwendigkeiten der Regierungsbildung und den logistischen Anforderungen bei der Vorbereitung der konstituierenden Sitzung abgewogen werden.

3.6.2. Verlängerung der Frist in Ausnahmefällen

In Ausnahmesituationen, wie z. B. einer Naturkatastrophe oder einer nationalen Krise, könnte eine Verlängerung der Frist von 30 Tagen in Betracht gezogen werden. Dies würde jedoch eine explizite Verfassungsänderung erfordern und könnte auch die politische Stabilität und Kontinuität gefährden.

4. Absatz 3: Tagung des Bundestages

4.1. Autonomie des Bundestages über seine Sitzungsperioden

4.1.1. Bestimmung von Schluss und Wiederbeginn

Art. 39 Abs. 3 Satz 1 GG stellt klar, dass der Bundestag selbst über Schluss und Wiederbeginn seiner Sitzungsperioden entscheidet. Dies ist Ausdruck der Autonomie des Parlaments und der Gewaltenteilung. Durch die Möglichkeit, die eigenen Sitzungsperioden zu bestimmen, wird sichergestellt, dass der Bundestag flexibel auf politische Erfordernisse reagieren und seine Arbeitsweise selbst organisieren kann. Die Sitzungspraxis folgt den Bedürfnissen des Gesetzgebungsverfahrens und der Kontrolle der Regierung.

4.1.2. Verhältnis zur Exekutive

Diese Regelung betont die Unabhängigkeit des Parlaments gegenüber der Exekutive. Es stellt sicher, dass die Regierung nicht durch ihre bloße Anordnung die Arbeit des Parlaments beenden oder unterbrechen kann. Damit schützt Art. 39 Abs. 3 GG die Funktionsfähigkeit und Autonomie des Bundestages als Legislative.

4.2. Einberufung durch den Präsidenten des Bundestages

4.2.1. Rechte des Bundestagspräsidenten

Art. 39 Abs. 3 Satz 2 GG ermächtigt den Präsidenten des Bundestages, das Parlament außerplanmäßig einzuberufen. Diese Regelung trägt der Möglichkeit Rechnung, dass dringende politische oder gesetzgeberische Erfordernisse auftreten können, die ein unverzügliches Handeln des Parlaments notwendig machen. Der Bundestagspräsident hat hierbei eine Schlüsselrolle, da er nicht nur für die ordnungsgemäße Einberufung, sondern auch für die Wahrung der parlamentarischen Ordnung zuständig ist.

4.2.2. Krisen- und Notfallsituationen

Die Regelung ist insbesondere relevant in Krisen- und Notfallsituationen, in denen schnell politische Entscheidungen getroffen werden müssen. Der Bundestagspräsident kann in diesen Fällen unabhängig von der regulären Sitzungsperiode das Parlament einberufen, um seine Handlungsfähigkeit zu gewährleisten.

4.3. Zwingende Einberufung auf Verlangen

4.3.1. Einberufungspflicht bei Verlangen

Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG sieht vor, dass der Bundestagspräsident zur Einberufung des Bundestages verpflichtet ist, wenn dies von einem Drittel der Mitglieder, dem Bundespräsidenten oder dem Bundeskanzler verlangt wird. Diese Bestimmung stellt sicher, dass die Exekutive und eine bedeutende Minderheit des Parlaments in der Lage sind, den Bundestag auch gegen den Willen einer möglicherweise passiven Mehrheit einzuberufen. Dadurch wird verhindert, dass notwendige Diskussionen und Entscheidungen durch die Mehrheit blockiert werden.

4.3.2. Bedeutung für die Minderheitenrechte

Die Einberufungsrechte schützen die Rechte parlamentarischer Minderheiten und sichern die Handlungsfähigkeit der Legislative. Das Quorum von einem Drittel der Abgeordneten ist eine niedrige Hürde, um sicherzustellen, dass auch eine erhebliche Minderheit bei wichtigen Fragen eine Einberufung des Bundestages erreichen kann. Dies stärkt die demokratische Debatte und die Kontrolle der Exekutive.

4.3.3. Verfassungsrechtliche Funktion

Diese Bestimmung spiegelt das Prinzip der „wehrhaften Demokratie“ wider, indem sie sicherstellt, dass das Parlament auch in Situationen politischer Pattsituationen handlungsfähig bleibt. Sie trägt dazu bei, dass die parlamentarische Demokratie nicht durch Mehrheitsbeschlüsse gelähmt werden kann und dass die Exekutive nicht die Möglichkeit erhält, eine parlamentarische Kontrolle zu umgehen.