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Deutscher Anwaltverein: Aktuelle Pressemitteilungen

PM 43/23: Ausschreibung des DAV-Medienpreises 2024
Berlin (DAV). Seit 1985 verleiht der Deutsche Anwaltverein (DAV) alle zwei Jahre den DAV-Pressepreis – seit 2020 neu konzipiert als DAV-Medienpreis. Der DAV würdigt Medienschaffende, die der Bevölkerung Rechtsthemen nahebringen. Der Medienpreis wird unabhängig von der Mediengattung verliehen; je nach Ermessen der Jury können zusätzlich auch Nachwuchs- oder Sonderpreise vergeben werden. Die Verleihung findet im Juni 2024 beim Deutschen Anwaltstag in Bielefeld statt.
Mit seinem Medienpreis will der DAV Journalistinnen und Journalisten ermutigen, sich Rechtsthemen zu widmen, um in der Bevölkerung das Verständnis für Rechtspolitik zu stärken. Entscheidend ist daher – jenseits von Informationen im verbraucherrechtlichen Bereich – vor allem auch die Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger über die Rechts- und Innenpolitik in Deutschland. „Prämiert werden Medienschaffende, die den Menschen die Stärken, aber auch Schwächen unseres Rechtssystems vermitteln oder die Vorschläge zur Verbesserung der Rechtsgewährung und zur Durchsetzung des Rechts diskutieren“, erläutert der Vorsitzende der Jury, Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Duve.
Gerade die Einhaltung der rechtstaatlichen Grundsätze bedarf der medialen Kontrolle, betont der DAV. Auch das Aufdecken von Missständen in der Justiz oder die Vermittlung von Anregungen und Denkanstößen seien auszeichnungswürdig. Mit dem Medienpreis möchte der DAV die Medien bestärken, sich diesen Aufgaben weiter zu stellen. „In einer Zeit, in der Fake News und populistische Verkürzungen oft für die höchsten Klick-Zahlen sorgen, verdient die sachliche, fundierte Auseinandersetzung mit der manchmal trockenen Materie des Rechts besondere Anerkennung“, betont der Jury-Vorsitzende.
Die Beiträge müssen in der Zeit zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2023 publiziert worden sein. Statt der klassischen Kategorien „Print“, „Hörfunk“ und „Fernsehen“ wird der Medienpreis unabhängig von der Mediengattung verliehen. Auch Sonderpreise oder Nachwuchspreise können je nach Ermessen der Jury vergeben werden. Der Stichtag für die Einsendung von Vorschlägen und Bewerbungen für den DAV-Medienpreis 2024 ist der 1. März 2024.
Die Verleihung ist geplant im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung des Deutschen Anwaltstags am Donnerstag, 6. Juni 2024 in Bielefeld. Den Preisträger:innen wird neben einer Urkunde eine Skulptur des in Berlin lebenden Künstlers Assaf Gruber überreicht. Der Medienpreis des DAV wird alle zwei Jahre verliehen. Hier finden Sie die Liste der bisherigen Preisträgerinnen und Preisträger sowie das Statut des Medienpreises.
Ihre Bewerbungsunterlagen senden Sie bitte per Mail an Frau Schläfke unter schlaefke@anwaltverein.de. Fernseh- und Hörfunkbeiträgen ist das Manuskript beizufügen. Pro Bewerber:in ist die Anzahl auf maximal fünf Beiträge begrenzt.
PM 42/23: StGB: Endlich Modernisierung!
Berlin (DAV). In einem Eckpunktepapier legt das Bundesministerium der Justiz offen, welche Strafrechtsnormen in einer geplanten Modernisierung gestrichen oder angepasst werden sollen. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) begrüßt das Vorhaben, aus der Zeit gefallene Regelungen zu streichen oder zu entkriminalisieren.
„Das Strafrecht ist das schärfste Schwert der Justiz“, erklärt Rechtsanwalt Dr. Rainer Spatscheck, Vorsitzender des Ausschusses Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins. „Wo dieses Schwert gezogen wird, muss mit Augenmaß beurteilt werden. Das bedeutet auch, dass das Strafrecht nicht hinter der gesellschaftlichen Entwicklung zurückbleiben darf.“ Noch immer fänden sich Tatbestände wie der Missbrauch von Scheckkarten im Gesetz. „Dabei werden Scheckkarten schon seit mehr als 20 Jahren nicht mehr verwendet.“
Auch der verfassungswidrige § 217 StGB, der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt, soll mit der Reform entfallen, ebenso wie die überholten Bestimmungen des § 134 StGB, der das Entfernen amtlicher Bekanntmachungen von einem schwarzen Brett verbietet. „Das Strafrecht muss möglichst schlank bleiben. Deswegen ist es richtig, jene Normen zu entfernen, die keine aktuelle Relevanz mehr besitzen“, so Spatscheck.
Mit der Streichung und Anpassung dieser und weiterer Normen werde deutlich, welchen Stellenwert das Strafrecht im Rechtsstaat besitze. So soll auch die Beförderungserschleichung zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden – der Unrechtsgehalt sei beim bloßen Fahren ohne Fahrschein zu gering, als dass er eine Strafbarkeit begründen könne. Der Deutsche Anwaltverein wies auf dieses Missverhältnis in der Vergangenheit bereits mehrfach hin. „Strafrecht ist stets die ultima ratio. Es darf nur dort eingesetzt werden, wo kein anderes Mittel zur Anwendung kommen kann“, erklärt Rechtsanwalt Dr. Spatscheck. Deswegen heißt der DAV es gut, dass auch weitere Normen – beispielsweise zum unerlaubten Glücksspiel, der verbotenen Prostitution oder zur Unfallflucht –, die auf anderem Wege oder als Ordnungswidrigkeiten behandelt werden können, entfallen sollen.
PM 41/23: Unterhalts-, Vormundschafts- und Betreuungsrecht: dringende Reformen im Familienrecht
Fulda (DAV). Die Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) endete am Wochenende mit Informationen aus dem Bundesministerium der Justiz über geplante Gesetzesänderungen. Konkret soll es Änderungen beim Kindesunterhalt und beim Betreuungsunterhalt geben. Demnach sollen künftig die Betreuungszeiten bei der Berechnung der Unterhaltszahlungen mehr berücksichtig werden. Ob die Vorschläge aus dem Ministerium die Situation verbessern, ist jedoch in der Fachdiskussion umstritten. Isabell Götz, Vorsitzende Richterin beim OLG München a.D., bezweifelt zum Beispiel, ob die vorgesehenen Pauschalierungen das Streitpotential zwischen Eltern spürbar verringern würden.
Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechtes, steuerliche Fallstricke bei Scheidungsfolgenvereinbarungen, Eheverträge ohne (aktuelle) Scheidungsabsicht waren weitere Themen aus der familienrechtlichen Praxis.
Auf den jährlichen Herbsttagungen haben die Familienanwälte und -anwältinnen Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch und zur Fortbildung. Namhafte Richter und Richterinnen, Wissenschaftler und renommierte Anwältinnen und Anwälte waren der Einladung der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht gefolgt. Die Tagung wurde in diesem Jahr hybrid durchgeführt, von den insgesamt fast 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern hatten sich etwa 140 online zugeschaltet.
In der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im DAV sind bundesweit fast 6.000 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte organisiert. Sie ist damit die größte Vereinigung von auf Familienrecht spezialisierten Anwältinnen und Anwälten.
PM 40/23: Türkei: Justiz muss unabhängig bleiben
Berlin/Brüssel (DAV). Nach einem Urteil des türkischen Staatsgerichtshofs soll die Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen gegen dessen Mitglieder einleiten. Ihnen wird vorgeworfen, ihre Befugnisse überschritten und entgegen der Verfassung geurteilt zu haben. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) beobachtet die Entwicklungen mit großer Sorge.
„Der türkische Staatsgerichtshof ist das Verfassungsgericht der Türkei und die höchste Instanz in Streitigkeiten um verfassungsmäßige Rechte“, stellt Rechtsanwalt Stefan von Raumer, Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins, klar. Ein türkischer Oppositionspolitiker, der sein Abgeordnetenamt nicht antreten konnte, weil er inhaftiert worden war, hatte gegen seine Inhaftierung geklagt. Der türkische Staatsgerichtshof gab der Klage statt. Nicht nur sieht das oberste Berufungsgericht für Strafsachen in dieser Entscheidung nun einen Verfassungsbruch. Es werden darüber hinaus auch gegen die Richter des Staatsgerichtshofs Ermittlungen wegen strafbaren Verhaltens eingeleitet.
„Dass ein Strafgericht Ermittlungen gegen Richter eines Verfassungsgerichtes einleiten lässt, weil es deren Entscheidung als verfassungswidrig beurteilt, ist in rechtstaatlicher Hinsicht nicht hinnehmbar“, sagt von Raumer. Schon länger stellt sich das Verfassungsgericht den Plänen der Regierung für einen Umbau des Staates in den Weg. Der Vorsitzende der Regierungspartei MHP forderte bereits mehrfach eine Abschaffung des Verfassungsgerichts. „Spätestens jetzt müssen die Alarmglocken schrillen“, so der Rechtsanwalt. In einem Rechtsstaat dürfe die Souveränität der Gerichte nicht derart untergraben werden. Eine unabhängige Justiz sei unverzichtbar für eine funktionierende Demokratie.
PM 39/23: § 184b StGB braucht dringend Re-Reform
Berlin (DAV). In der Ressortabstimmung will das Bundesjustizministerium eine Umkehr der Verschärfung von § 184b StGB erreichen. In einer übermotivierten Strafrechtsreform hatte die Vorgängerregierung den minderschweren Fall der Kinderpornographie abgeschafft und die Vorschriften u. a. des Besitzes zu einem Verbrechen hochgestuft. Seitdem müssen alle Fälle verfolgt und mit Freiheitsstrafen bedacht werden – das kann auch besorgte Eltern oder sogar die Opfer selbst betreffen. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisiert das bereits lange.
„Der Schutz von Kindern vor Sexualstraftaten ist ein sehr wichtiges Anliegen unseres Rechtsstaates“, erklärt Rechtsanwältin Dr. Jenny Lederer vom Ausschuss Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins. „Die Verschärfung des Straftatbestandes in § 184b StGB trägt dazu jedoch nicht bei. Prävention, Opfer zu werden, aber auch Täter oder Täterin zu werden, setzt woanders an.“ Seit 2020 müssen Richterinnen und Richter bei „Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte“ zwingend auf Freiheitsstrafe erkennen. Die Möglichkeit, ein Verfahren einzustellen, mit einem Strafbefehl ohne Hauptverhandlung zu reagieren oder auch einen minder schweren Fall anzunehmen, entfiel – auch und schon für die Staatsanwält:innen. Alle Fälle müssen seitdem mindestens vor dem Schöffengericht verhandelt werden.
In der Praxis führte das dazu, dass die – durch Sorge motivierte – Weiterleitung eines Bildes im Elternchat oder auch der Versuch der Beweissicherung durch ein Opfer selbst vor Gericht landeten. „Die derzeitige Rechtslage verfehlt nicht nur ihr Ziel, sondern ist auch verfassungswidrig“, ist Lederer sich sicher. Sie verstoße gegen Schuldgrundsatz und Übermaßverbot. Staatsanwaltschaften und Gerichten werde die nötige Flexibilität genommen, um der tatsächlichen Schuld des Täters gerecht zu werden. Gleichzeitig entstehe für die ohnehin überlastete Justiz weiterer Aufwand. Der ursprüngliche Strafrahmen hatte den Gerichten den erforderlichen, aber auch ausreichenden Spielraum gegeben, um – fernab der Einstellungsmöglichkeiten oder Verfahren im Strafbefehlswege – angemessen zu reagieren.
Auch die Justizministerkonferenz hatte sich im Frühjahr für eine Herabstufung des Tatbestands ausgesprochen, damit auf die jeweiligen Fälle angemessen reagiert werden könne. „Die Reform muss rückgängig gemacht werden“, fordert die Rechtsanwältin und begrüßt entsprechende Pläne des Bundesjustizministeriums.
PM 38/23: BVerwG zu tödlichen Medikamenten: Gesetzgeber ist gefragt
Berlin (DAV). Das Bundesverwaltungsgericht lehnte heute ab, Sterbewilligen den Kauf des tödlichen Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital zu gewähren. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) sieht die Regierung in der Pflicht, bald gesetzliche Rahmenbedingungen für das selbstbestimmte Sterben zu schaffen.
„Das Bundesverfassungsgericht hat 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Sterbehilfe gekippt. Die gesetzliche Lage ist aber bisher nicht klar geregelt“, erklärt Rechtsanwältin Dr. Sylvia Ruge, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Anwaltvereins. Für Betroffene sei die derzeitige Unklarheit, welche Wege beschritten werden dürfen, eine schwere Belastung. Diese werde durch das jetzige Urteil des Bundesverwaltungsgerichts verschärft. „Nicht nur für die Sterbehilfe, sondern auch für die Selbsttötung bedarf es Rechtssicherheit.“ Bislang fehle es daran in Deutschland.
Wer sein Recht auf Selbsttötung wahrnehmen wolle, werde vom Gesetzgeber bislang alleingelassen. Das müsse sich ändern, meint die Rechtsanwältin: „Die Ungewissheit lastet nicht nur auf den Sterbewilligen, sondern auch auf ihren Angehörigen und Vertrauten.“ Sie befänden sich ohnehin bereits in einer Ausnahmesituation. Im Umgang damit benötigen sie Rechtssicherheit.
PM 37/23: DAV schafft neuen Gedenkort für Hans Litten in Berlin
Berlin (DAV). Am Mittwoch, 8. November 2023, wird auf dem Berliner Friedhof Pankow III ein neuer Gedenkort für Hans Litten eingeweiht. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat sich für eine Verlegung und Neugestaltung seiner Ruhestätte als Ort des Gedenkens eingesetzt. Der Rechtsanwalt und Widerstandskämpfer starb 1938 im KZ Dachau.
Einige Erinnerungstafeln für Hans Litten sind in Berlin bereits zu finden – nicht nur in der nach ihm benannten Littenstraße, in der auch der DAV ansässig ist. Doch seine Ruhestätte auf dem Friedhof Pankow III wirkte bisher eher unscheinbar. Dies wollte der DAV ändern und hat in Absprache mit seiner Nichte Patricia Litten für eine Verlegung der Grabstelle an einen zentralen Ort des Friedhofs und das Neuarrangement als Ort des Gedenkens gesorgt. „Auf Kosten des DAV wurde eine Stele errichtet und der Gedenkort gärtnerisch gestaltet“, erläutert DAV-Hauptgeschäftsführerin Dr. Sylvia Ruge. Auch in der Folge werde sich der DAV um die Pflege kümmern.
Der Gedenkort wird am Mittwoch, 8. November, um 9:00 Uhr eingeweiht. Neben dem Präsidium und der Hauptgeschäftsführung des DAV werden auch einige Schüler:innen der Charlottenburger Hans-Litten-Schule daran teilnehmen.
„Wir beabsichtigen, nach der offiziellen Begehung des Gedenkortes einen Antrag auf Anerkennung der Ruhestätte von Hans Litten als Ehrengrab zu stellen“, so Ruge. „Wir hoffen, dass dies von der Senatsverwaltung so anerkannt wird.“ Über 800 Ehrengräber gebe es derzeit in Berlin. „Es wird Zeit, dass das von Hans Litten mit dazu kommt.“
Wer war Hans Litten?
Der 1903 geborene Hans Litten wurde 1928 zur Anwaltschaft zugelassen. Er vertrat regelmäßig Kommunisten und politisch linke Arbeiter, konzentrierte sich bald aber auch auf Mandate, bei denen er Opfer von nationalsozialistischer Gewalt vertrat. Als offenkundiger Gegner des NS-Regimes geriet Litten schnell in dessen Fokus.
Im Zuge des Edenpalast-Prozesses im Mai 1931, ein Strafprozess am Landgericht Berlin gegen einen SA-Trupp, machte sich Litten die Nationalsozialisten – und Hitler persönlich – zum Feind. Er holte Adolf Hitler in den Zeugenstand und trieb ihn verbal in die Enge, um Licht auf die sogenannte Legalitäts-Strategie Hitlers und die ungesetzlichen Methoden der Nazis zu werfen. Der künftige Diktator trug ihm die Bloßstellung noch jahrelang nach. 1933 wurde Litten zusammen mit anderen Oppositionellen von den Nazis in „Schutzhaft“ genommen. Nach jahrelangen Folterungen in verschiedenen Gefängnissen und Konzentrationslagern fand man Hans Litten am 5. Februar 1938 im KZ Dachau erhängt auf.
In der Berliner Littenstraße nahe Alexanderplatz erinnern die Hausanschriften des Amtsgerichts Mitte, des Landgerichts Berlin, der Bundesrechtsanwaltskammer und natürlich des Deutschen Anwaltsvereins an den juristischen Widerstandskämpfer.
Weitere Infos über Hans Litten können Sie der DAV-Website entnehmen.
zum Lageplan Friedhof III – Pankow: Die Grabstätte befindet sich im Bereich 9 direkt am Hauptweg/Ecke kleiner Weg Bereich 8, Haupteingang „Am Bürgerpark“.
PM 36/23: BVerfG-Urteil: „Ne bis in idem“ aufrechterhalten
Berlin (DAV). Das Bundesverfassungsgericht erklärte heute das „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“ für verfassungswidrig. Das Gesetz hatte es ermöglicht, Verfahren gegen vom Mord freigesprochene Personen wiederaufzunehmen, und stand damit im Widerspruch zum Verbot der Doppelbestrafung („ne bis in idem“). Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hatte bereits in der Vergangenheit auf die Mängel des Gesetzes hingewiesen.
„Das Gesetz hat faktisch eine unbegrenzte Möglichkeit zur Wiederaufnahme von Mordverfahren geschaffen und Freisprüchen die Rechtskraftwirkung genommen“, erklärt Rechtsanwalt Stefan Conen vom Ausschuss Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins. Bereits einige Jahre im Voraus war ein Gesetzentwurf gescheitert, der einen ähnlichen Wiederaufnahmegrund konkret auf technische Neuerungen bei den Ermittlungen (z.B. DNA-Analysen) stützen sollte. „Das aktuelle Gesetz jedoch enthält keine solche Beschränkung, sondern erlaubt die Wiederaufnahme auf Basis aller denkbaren ‚neuen‘ Beweismittel – dazu zählen auch Zeugenaussagen.“
Damit seien Freisprüche in Mordverfahren unter diesem Gesetz nur vorläufige Ergebnisse, eine Wiederaufnahme immer wieder möglich. „Freigesprochene können nie sicher sein, sich nicht erneut in der gleichen Sache auf der Anklagebank verteidigen zu müssen“, erklärt der Anwalt. Auch wenn dies in einzelnen Fällen für die Angehörigen der Opfer schwer erträglich sei, dürfe der Gesetzgeber nicht die Grenzen des Rechtsstaates sprengen. Deshalb begrüße der Deutsche Anwaltverein die Entscheidung der Verfassungsrichter:innen.
PM 35/23: Sieg für die Bürgerrechte: Europäisches Parlament will grundrechtswidrige Chatkontrolle kippen
Berlin (DAV). Die Verhandler des Europäischen Parlaments haben die Chatkontrolle, die die anlasslose Überwachung privater Kommunikation bedeutet hätte, in einem historischen fraktionsübergreifenden Kompromiss verworfen. Stattdessen sollen verdachtsbezogene Maßnahmen geschaffen und die Sicherheit bei den Netzanbietern verbessert werden. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) begrüßt das.
„Was wir und Dutzende anderer Experten und Verbände schon seit Langem wiederholen, hat nun auch im Europäischen Parlament Gehör gefunden“, so Rechtsanwalt Dr. David Albrecht, Mitglied im Ausschuss Gefahrenabwehrrecht des DAV. Dass die digitale Massenüberwachung ein nicht hinnehmbarer Eingriff in die Rechte der europäischen Bürgerinnen und Bürger wäre, hatte der Deutsche Anwaltverein bereits seit mehr als einem Jahr immer wieder erläutert.
„Nach der automatischen Bilderkennung fallen nun auch die anlasslosen Scans der digitalen Kommunikation im Ganzen weg“, erklärt der Anwalt. „Wenn auch der Europäische Rat bei einem derartigen Kompromiss mitzieht, würde dies einen längst überfälligen Sieg für die europäischen Bürgerrechte bedeuten!“
Die Ratspräsidentschaft hatte zuletzt einen Vorschlag unterbreitet, in dem zwar wegen hoher Fehlerquoten vorerst auf die automatische Erkennung von strafbarem Material verzichtet und digitale Kommunikation nur auf bereits bekannte Missbrauchsdarstellungen gescannt worden wäre – dennoch hätte diese anlasslose Überwachung Verschlüsselungstechnologien im digitalen Raum ausgehebelt. „Vor dem Europäischen Gerichtshof hätte die Chatkontrolle, wie sie von einigen Mitgliedstaaten aktuell noch geplant ist, keinen Bestand“, ist Albrecht sicher.
Das Europäische Parlament hat sich nun auf einen Kompromiss einigen können, der diese scharf kritisierten Vorhaben nicht mehr enthält. Der Parlamentsausschuss für bürgerliche Freiheiten muss dem nun noch zustimmen. „Die Chatkontrolle landete in den letzten Monaten immer wieder auf dem Tisch. Wir hoffen, dass dies nun ein Ende hat, und fordern die EU-Mitgliedsstaaten auf, sich dem im Europäischen Parlament erzielten Kompromiss anzuschließen“, konstatiert Dr. David Albrecht.
PM 34/23: Wie kann der Zugang zu Recht gerechter werden?
Berlin/Karlsruhe (DAV/SFR). Bei den Zivilgerichten gehen immer weniger Verfahren ein – so stellte es zuletzt das Bundesjustizministerium fest. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) und die Stiftung Forum Recht werfen am 17. Oktober einen gemeinsamen Blick auf mögliche Ursachen, (digitale) Lösungen und die Rolle der Anwaltschaft.
Die deutsche Ziviljustiz verzeichnet einen eklatanten Klagerückgang. Dies geht aus einem aktuellen Bericht des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) hervor. Doch warum wird weniger geklagt? Könnte der Rückgang der Klagebereitschaft mit dem Zugang zum Rechtssystem – und möglicherweise einem mangelnden Verständnis darüber – zusammenhängen? Diesen und weiteren Fragen widmet sich die gemeinsame Diskussionsveranstaltung der Stiftung Forum Recht und des DAV.
„Wir wollen dazu die Rolle der Anwält:innen thematisieren, die als Bindeglied zwischen Rechtsuchenden und der Justiz die notwendigen Weichen stellen können“, so DAV-Hauptgeschäftsführerin Dr. Sylvia Ruge. Dr. Stephan Nikolaus Barthelmess, stellvertretender Direktor der Stiftung, betont: „Wir müssen auch unseren Blick darauf richten, welche Rolle strukturelle Ungleichheiten und soziale Faktoren bei der Entscheidung spielen, die eigenen Rechte einzufordern.“ Diskutiert werden soll außerdem, ob Zugangshindernisse mit Hilfe digitaler Anwendungen, also Legal-Tech-Lösungen überwunden werden können.
Auf dem Podium diskutieren Monika Nöhre (Präsidentin des Kammergerichts a.D. und Mitautorin des BMJ-Abschlussberichts), Marco Klock (Gründer des Legal-Tech-Unternehmens rightmart) und Rebecca Richter (DUNKEL RICHTER Rechtsanwältinnen) mit Moderator Ulrich Schellenberg über die verschiedenen Möglichkeiten, den Zugang zum Recht für alle zu verbessern.
Wie kann der Zugang zu Recht gerechter werden?
Dienstag, 17. Oktober 2023, 18:00 Uhr
DAV-Haus, Littenstraße 11, 10179 Berlin
Weitere Infos und Anmeldung (bis 16. Oktober)
Die Teilnahme ist kostenfrei.
PM 33/23: Dokumentation der Hauptverhandlung: Gegenargumente vorgeschoben
Berlin (DAV). Endlich soll die strafgerichtliche Hauptverhandlung per Audioaufnahme dokumentiert werden. Am Donnerstag, dem 21. September 2023, findet die erste Beratung des Bundestags zum Hauptverhandlungsdokumentationsgesetzes (DokHVG) statt. Der DAV begrüßt den Gesetzentwurf mit Nachdruck, bedauert aber den Wegfall der verpflichtenden Videoaufzeichnung.
„Es wurde noch immer kein einziges valides Argument gegen die Dokumentation der Hauptverhandlung ins Feld geführt“, meint Rechtsanwalt Prof. Dr. Ali B. Norouzi, Stellvertretender Vorsitzender des Strafrechtsausschusses im Deutschen Anwaltverein.
„Das Transskript der Aufzeichnung ist als Hilfsmittel für alle Beteiligten in der Hauptverhandlung gedacht und soll das Formalprotokoll nicht ersetzen“, erklärt der Anwalt. Letzteres bleibe weiterhin die Basis für eine Revision. Doch bei Verdacht auf Fehler im Formalprotokoll könne die Audiodokumentation Klarheit schaffen. „Vorbehalte dagegen sind Vorbehalte gegen einen transparenten Rechtsstaat“, so Norouzi. Die Dokumentation sei objektiv und erhöhe die Nachvollziehbarkeit der Beweisaufnahme. Die Aufmerksamkeit von Gericht und Verfahrensbeteiligten werde nicht mehr durch eigene Mitschriften abgelenkt. Meinungsunterschiede über den Inhalt von Zeugenaussagen ließen sich anhand eines objektiven Beweismittels klären. All dies entlaste die Hauptverhandlung und mache sie effektiver.
„Dass im Zeitalter der Digitalisierung das Strafverfahren auf dem Stand von 1879 dokumentiert wird und Prozessbeteiligte in deutschen Gerichten nach wie vor eigenhändig mitschreiben müssen, wirft kein gutes Bild auf unser Strafjustizsystem“, fasst Norouzi zusammen. Dass die Videoaufzeichnung nur noch fakultativer Teil des Gesetzentwurfs ist, bedauert der Anwaltverein – zumindest bleibe aber die Möglichkeit, die audiovisuelle Dokumentation in Pilotprojekten zu erproben.
PM 32/23: Chatkontrolle: Massenüberwachung verletzt Rechte von Millionen
Berlin/Brüssel (DAV). Der Deutsche Anwaltverein schließt sich gemeinsam mit zahlreichen anderen Organisationen aus der Zivilgesellschaft einem Offenen Brief der Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi) an. Darin werden die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten aufgefordert, der Chatkontrolle eine Absage zu erteilen.
„Die geplante Einführung der Chatkontrolle schwebt schon lange wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der EU-Bürger“, meint Rechtsanwalt Dr. David Albrecht, Mitglied im Ausschuss Gefahrenabwehrrecht des DAV. Würde sie umgesetzt, wären Unternehmen dazu gezwungen, die digitale Kommunikation ihrer Nutzer:innen verdachtsunabhängig zu scannen.
„Das Recht auf Privatsphäre, die freie Meinungsäußerung und die Unschuldsvermutung sind wesentliche Kernwerte der Europäischen Union. Sie alle werden durch den Entwurf in seiner jetzigen Form gefährdet“, erläutert Albrecht. Schwerwiegende Änderungen am Text der Verordnung wären nötig – darauf hatten bereits in der Vergangenheit hunderte Expertinnen und Experten, Verbände und Parlamentarier:innen aus verschiedensten EU-Staaten hingewiesen.
Trotzdem sollen die EU-Innenminister:innen und das EU-Parlament ihre Positionen zur Chatkontrolle Ende September beschließen. „Mit der Grundrechtecharta der Europäischen Union wäre die Verordnung unvereinbar. Sehenden Auges und wider besseres Wissen nehmen die EU-Co-Gesetzgeber in Kauf, eine Verordnung zu verabschieden, die der EuGH sofort wieder einkassieren müsste“, stellt der Rechtsanwalt fest. Ohnehin sei die Chatkontrolle ungeeignet, ihr Ziel zu erreichen: „Schon heute findet ein Großteil der Kommunikation, die die Chatkontrolle identifizieren soll, im unkontrollierten Darknet statt.“ Durch die Maßnahme würde die Verlagerung der illegalen Aktivitäten in diesen Raum verstärkt, in dem die Ermittlung für die Behörden deutlich erschwert ist – gleichzeitig stelle man aber alle unbescholtenen Nutzer:innen von Mail-, Messenger- und Hosting-Diensten unter Generalverdacht.
„Wir schließen uns deshalb dem Aufruf von EDRi an und fordern die Regierungen in der EU auf, die Chatkontrolle in dieser Form unbedingt abzulehnen“, konstatiert Albrecht.
PM 31/23: Nachrichtendienst-Reform: „Law and Order“ statt Augenmaß
Berlin (DAV). Nachdem das Kanzleramt ein Reformpaket für den Bundesnachrichtendienst geschnürt hat, soll auch ein Gesetzentwurf aus dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) für das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst die dringend erforderliche Reform des Nachrichtendienstrechts in Deutschland einläuten. Auslöser hierfür war eine wegweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz vom April 2022, die weite Teile der Datenübermittlungsvorschriften für verfassungswidrig erklärt hat. Mit den nun vorgeschlagenen und von der Bundesregierung im Eiltempo bereits verabschiedeten Vorschlägen begibt sich aber vor allem das BMI aus Sicht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) auf einen Irrweg – statt die in Karlsruhe gezogenen, klaren verfassungsrechtlichen Grenzen einzuhalten, würde das geplante Gesetz die Befugnisse der Nachrichtendienste im Vergleich zur bisherigen Rechtslage sogar noch ausweiten. Vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) würde dies keinen Bestand haben, prognostiziert der DAV.
„Der Gesetzentwurf kodifiziert vor allem die Wunschvorstellungen der Nachrichtendienste unter bewusster Missachtung der klaren Vorgaben aus Karlsruhe“, mahnt Rechtsanwalt Dr. Nikolaos Gazeas vom Ausschuss Gefahrenabwehrrecht des Deutschen Anwaltvereins, und ergänzt: „Die Entwurfsverfasser aus dem Bundesinnenministerium treten die eindeutigen Vorgaben aus Karlsruhe mit Füßen“. Die Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht erst 2022 gemacht hatte, würden mehrheitlich ignoriert und stattdessen in ihr Gegenteil verkehrt. Noch schlimmer sei es, dass dies nicht aus Unkenntnis oder Fehldeutung geschehe, sondern bewusst. „Wenn aus dem BMI während der Verhandlungen von dem Entwurfsverfasser offen erklärt wird, dass es ‚nicht seine primäre Aufgabe sei, ein verfassungskonformes Gesetz zu verfassen, sondern die Arbeitsfähigkeit der Nachrichtendienste sicherzustellen‘, spricht dies Bände“, sagt Dr. Gazeas. Zu dieser Gangart passe auch, dass die im Gesetzgebungsverfahren übliche Verbändebeteiligung durch das BMI bewusst umgangen wurde, um Kritik vor einer Befassung des Kabinetts gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Erschreckend sei nicht nur der handwerklich streckenweise schlecht gemachte Gesetzestext, sondern auch die Entwurfsbegründung: „Der Zweck vieler Bestimmungen wird nicht oder nur unzureichend klar, die Normen sind zum Teil auch für Fachleute unverständlich formuliert, auf Stellungnahmen aus der Wissenschaft wird nur einseitig auf jene aus dem konservativen Lager eingegangen, der ‚störende‘ Rest, zu dem einige der namhaftesten Rechtswissenschaftler auf diesem Gebiet zählen, wird vollständig ausgeblendet“, so der Rechtsanwalt weiter.
Dabei würde eine solche gesetzliche Erweiterung ihrer Befugnisse den Nachrichtendiensten im Endeffekt sogar schaden. „Der vom Bundesverfassungsgericht etablierte ‚Sanktionsmechanismus‘ ist eindeutig: Werden die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Datenübermittlungsvorschriften für die Dienste, die schon im Vorfeld von polizeirechtlicher Gefahr und strafprozessualem Anfangsverdacht operieren dürfen, nicht eingehalten, wirkt sich dies auf die Verfassungsmäßigkeit der Überwachungsbefugnisse selbst aus“, erklärt Gazeas. Dann dürften Überwachungsmaßnahmen dieser Art überhaupt nicht mehr erfolgen.
Zahlreiche Bestimmungen des Entwurfs beurteilt der DAV als nicht durchdacht und verfassungsrechtlich bedenklich bis hin zu klar verfassungswidrig. Und eine echte Kuriosität liefert das BMI gleich mit: Gleich mehrere Vertreter aus dem Lager der Ampelparteien sowie unter anderem die Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben derzeit noch anhängige Verfassungsklagen gegen die Eingriffsschwelle der lediglich „drohenden Gefahr“ im Bayerischen Polizeiaufgabengesetz erhoben. Der im Bundesinnenministerium gefertigte Entwurf will nun aber Datenübermittlungen des Bundesamtes für Verfassungsschutzes auch zur Abwehr lediglich drohender Gefahren zulassen. „Damit würden die Vertreter der Ampelkoalition letztlich die Verfassungsmäßigkeit der drohenden Gefahr anerkennen und ihre eigenen Verfassungsklagen zur Erfolglosigkeit verdammen.“, so Dr. Gazeas. Auch Speicherungspflichten für Protokolldaten will der Entwurf verlängern und den Minderjährigenschutz einschränken. Der Anwalt ist sich sicher: „Spätestens vor dem Bundesverfassungsgericht würde dieser Entwurf scheitern.“
Der DAV fordert daher die Abgeordneten des Deutschen Bundestages dringend auf, nun im Zuge des weiteren Gesetzgebungsverfahrens für die zwingend notwendigen Nachbesserungen zu sorgen, um die Verabschiedung eines sonst evident verfassungswidrigen Law-and-Order-Gesetzes zu verhindern.
PM 30/23: DAV fordert Staatsvertrag für den Datenschutz
Berlin (DAV). Im Koalitionsvertrag hatte sich die Ampel das Ziel gesetzt, die Datenschutzkonferenz (DSK) zu institutionalisieren und ihr das Fassen verbindlicher Beschlüsse zu ermöglichen. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) begrüßte dieses Vorhaben, zeigt sich vom nun vorliegenden Gesetzentwurf jedoch enttäuscht.
„Was die DSK beschließt, hat bislang keine rechtliche Verbindlichkeit“, erklärt Rechtsanwalt Prof. Niko Härting, Vorstandsmitglied des DAV und Vorsitzender des DAV-Ausschusses Informationsrecht. Das stünde der wirksamen Durchsetzung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Weg. Auch für unterschiedliche Standpunkte, die zwischen den 18 Aufsichtsbehörden in Deutschland immer wieder auftreten, kann so keine einheitliche Lösung gefunden werden. „Bei der Zahl der Landesdatenschützer gibt es natürlich auch verschiedene Auffassungen. Bis dato gibt es in solchen Fällen kein verlässliches Verfahren, um länderübergreifend Rechtssicherheit zu schaffen“, so Härting.
Der Entwurf für ein Gesetz zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) aber löse diese Probleme nicht. „Neue Befugnisse für die DSK sucht man im Gesetzentwurf vergeblich, verbindliche Beschlüsse bleiben ihr weiterhin verwehrt.“ Begründet werde dies mit dem „Verbot der Mischverwaltung“.
Der DAV sieht das Problem in der Wahl der Methode: „Eine BDSG-Novelle ist das falsche Instrument. Ein gutes Vorbild ist das Medienrecht: Obwohl hier die Länder individuell in der Pflicht sind, arbeiten diese schon seit Jahrzehnten erfolgreich zusammen“, meint der Rechtsanwalt. Analog zum Medienstaatsvertrag (MStV) könne auch zur Durchsetzung von DSGVO und BDSG ein solches Einvernehmen erzielt werden. Die Datenschutzkonferenz könne dann – ähnlich wie die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) anhand klar definierter Aufgaben arbeiten, ohne dass dem das „Verbot der Mischverwaltung“ entgegenstünde.
Zur DAV-Stellungnahme Nr. 60/2023
PM 29/23: Keine Kriminalisierung von Asylrechtsanwält:innen!
Berlin (DAV). In der öffentlichen Debatte um den Diskussionsentwurf des Bundesinnenministeriums (BMI) zu Abschiebungen lief ein Aspekt bisher unter dem Radar: Der Deutsche Anwaltverein (DAV) warnt davor, dass durch die geplante Strafbarkeit falscher Angaben im Asylverfahren künftig auch Asylrechtsanwält:innen wegen Beihilfe verfolgt werden könnten. Bedenklich seien auch die Auswirkungen auf die Justiz sowie der Richtungswechsel gegen eine Wertentscheidung des Gesetzgebers.
Neben zahlreichen anderen problematischen Regelungen, die in den vergangenen Wochen bereits öffentlich kritisiert wurden, enthält der „Diskussionsentwurf zur Verbesserung der Rückführung“ aus dem BMI auch neue Vorschriften zur Strafbarkeit falscher Angaben im Asylverfahren. Die Strafbarkeit bestünde unabhängig davon, ob dadurch ein Aufenthaltstitel erlangt wurde oder nicht. Die Vorschrift könnte fatale Folgen für Asylrechtsanwält:innen haben, warnt Rechtsanwältin Gisela Seidler, Vorsitzende des DAV-Ausschusses Migrationsrecht: „Kolleginnen und Kollegen müssten quasi bei jedem asylrechtlichen Mandat mit der Möglichkeit rechnen, zum Ziel strafrechtlicher Ermittlungen zu werden: wegen Beihilfe zu einer Straftat.“
Anwältinnen und Anwälte animieren nicht zum Lügen, erfinden auch keine Geschichten. „Wir tragen das vor, was die Mandanten uns schildern“, betont Seidler. „Natürlich fragen wir uns manchmal, ob die eine oder andere Geschichte glaubhaft ist, das ist menschlich. Ein solcher Zweifel könnte aber künftig als bedingter Vorsatz ausgelegt werden.“
Justizüberlastung droht
Die seltenen Fälle, dass eine falsche Angabe aufgrund eines späteren Geständnisses aufgedeckt wird, mögen einfach sein. Doch in allen anderen Konstellationen müssten die Verwaltungsgerichte bei kleinsten Zweifeln an der Geschichte künftig den Fall an die Staatsanwaltschaft abgeben – eine immense Blockade der Ressourcen von Justiz und Strafverfolgungsbehörden, mahnt die Migrationsrechtlerin. „War es wirklich eine falsche Angabe, oder wurde nur fehlerhaft übersetzt oder falsch protokolliert? In Ermangelung einer technischen Aufzeichnung müssten alle Beteiligten als Zeugen befragt werden.“
Regelungslücke besteht nicht
Falsche Angaben über Identität und Staatsangehörigkeit, offenkundig falsche Tatsachen oder Widersprüche in wesentlichen Punkten führen schon jetzt dazu, dass der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt und eine Kette an aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen in Gang gesetzt wird. Für zusätzliche strafrechtliche Sanktionierung besteht kein Bedarf. „Der Gesetzgeber hat sich schon 1982 bewusst gegen eine Strafandrohung für das Erschleichen der Asylanerkennung und falsche Angaben im Asylverfahrensgesetz entschieden“, so Seidler. Dadurch sollte etwa vermieden werden, dass Asylsuchende durch die eigene Strafdrohung im Verfahren gegen Schlepper ein Aussageverweigerungsrecht hätten.