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Stückschuld
Die Stückschuld, auch Speziesschuld, bezeichnet ein Schuldverhältnis, in dem der Schuldner dem Gläubiger ein ganz spezielles Stück schuldet, also einen individuell bestimmten Leistungsgegenstand. Der Gegensatz hierzu ist die Gattungsschuld. Die Unterscheidung ist insbesondere bei der Unmöglichkeit der Leistung von Bedeutung.
1. Beispiele
Eine Stückschuld liegt typischerweise vor, wenn der Leistungsgegenstand ein Einzelstück (z.B. ein Gemälde) oder eine Gebrauchtware (z.B. Oldtimer/Gebrauchtwagen) ist. Der Schuldgegenstand ist in diesen Fällen derart genau bestimmt, dass dem Schuldner keine Auswahlmöglichkeit bleibt oder es einer solchen überhaupt bedürfe. Die Individualmerkmale sind daher – neben der Parteiabrede – ausschlaggebend für das Vorliegen einer Stückschuld.
Die Voraussetzungen der Stückschuld können auch erfüllt sein, wenn es sich um eine bei Vertragsabschluss noch gar nicht vorhandene, sondern erst künftig entstehende Sache handelt.1
2. Unmöglichkeit
Die Leistung einer Stückschuld wird unmöglich, wenn das Einzelstück untergeht. Dies hat gemäß § 275 I BGB befreiende Wirkung hinsichtlich der Leistung für den Schuldner – unabhängig vom Vertretenmüssen.
§ 275 BGB - Ausschluss der Leistungspflicht
(1) Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist.
Bei einer Gattungsschuld tritt die schuldbefreiende Unmöglichkeit hingegen erst dann ein, wenn die Beschaffung des Gegenstands nicht möglich ist, weil etwa die gesamte Gattung untergegangen ist. Dies ist insbesondere bei einer Vorratsschuld der Fall, also einer Verpflichtung des Schuldners zur Leistung aus seinem Vorrat.
3. Konkretisierte Gattungsschuld
Aus einer Gattungsschuld kann durch Konkretisierung eine Stückschuld werden. Dies erfolgt gemäß § 243 II BGB, wenn der Schuldner das zur Leistung seinerseits Erforderliche getan hat.
§ 243 BGB - Gattungsschuld
(1) Wer eine nur der Gattung nach bestimmte Sache schuldet, hat eine Sache von mittlerer Art und Güte zu leisten.
(2) Hat der Schuldner das zur Leistung einer solchen Sache seinerseits Erforderliche getan, so beschränkt sich das Schuldverhältnis auf diese Sache.
Dazu muss der Schuldner zunächst gemäß § 243 I BGB eine Sache von mittlerer Art und Güte leisten. Was fernerhin im Sinne des § 243 II BGB erforderlich ist, hängt vom Leistungsort2 und Erfolgsort3 ab.4 Man unterscheidet dabei zwischen der Schickschuld, Bringschuld und Holschuld. Bei der Bringschuld und Holschuld fallen Leistung- und Erfolgsort zusammen; bei erster am Wohnsitz des Gläubigers, bei zweiter am Sitz des Schuldners. Bei der Schickschuld5 ist dagegen Leistungsort der Schuldnerwohnsitz und Erfolgsort der Gläubigerwohnsitz.
Im Einzelnen ist folgendes zur Konkretisierung nötig:6
- Bringschuld: Um bei der Bringschuld das zur Leistung Erforderliche im Sinne des § 243 II BGB zu tun und damit die Konkretisierung herbeizuführen, muss der Schuldner die ausgesonderte7 Sache mittlerer Art und Güte dem Gläubiger tatsächlich (vgl. § 294 BGB) oder, wenn der Gläubiger erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen, wörtlich anbieten (vgl. § 295 S. 1 Alt. 1 BGB).
- Holschuld: Zur Konkretisierung muss bei der Holschuld die Sache ausgesondert und dem Gläubiger wörtlich angeboten oder dieser zur Abholung aufgefordert werden (vgl. § 295 S. 1 Alt. 2, S. 2 BGB) – soweit Letzteres nicht entbehrlich ist (vgl. § 296 BGB).
- Schickschuld: Bei der Schickschuld muss der Schuldner die ausgewählte Sache an den Gläubiger zusenden, wobei die Übergabe an eine Transportperson genügt.8 Ob auch Personen aus der Sphäre des Schuldners, eigene Leute, als Transportpersonen anzusehen sind, so dass bereits die Übergabe an eine solche Person zur Konkretisierung führt, ist umstritten:
- Nach herrschender Meinung9 genüge die Übergabe an eine andere Person, die auch der Sphäre des Schuldners zuzuordnen sein kann.
- Nach einer anderen Auffassung10 können eigene Leute nicht Transportperson (die zur Ausführung der Versendung bestimmte Person) im Sinne des § 447 BGB sein, da die Kaufsache nicht aus dem Gefahrenbereich des Verkäufers heraustrete.
Wenn der Schuldner die Sache durch eigenes Personal zum Gläubiger bringen lässt, liegt es jedenfalls nahe, dies trotz § 269 III BGB als Bringschuld zu werten.11 Daher bedarf es einer genauen Prüfung, ob eine Schickschuld tatsächlich vorliegt. Ist dennoch ausnahmsweise – etwa bei einem spontanen Einsatz eigener Leute wegen Ausfall fremder Transportpersonen – eine Schickschuld anzunehmen, so sollen nach Stimmen im Schrifttum auf Grund der Wertung des § 446 BGB die Gefahrtragungsgrundsätze der Bringschuld entsprechend angewendet werden; der Übergang der Preisgefahr auf den Gläubiger erscheine nur dann angemessen, wenn der Leistungsgegenstand die Sphäre des Schuldners verlassen habe.12
Ist die Gattungsschuld in eine Stückschuld umgewandelt, wird der Schuldner im Falle des Untergangs des Gegenstandes gemäß § 275 I BGB von seiner Leistungspflicht frei. Die Leistungsgefahr geht in der Konkretisierung damit vom Schuldner auf den Gläubiger über.
Die Parteien können auch noch nachträglich eine Gattungsschuld in eine Stückschuld umwandeln, indem sie etwa eine konkrete Sache zum alleinigen Leistungsgegenstand bestimmen.13
Ob der Schuldner eine einmal eingetretene Konkretisierung wieder rückgängig machen kann, ist umstritten.14 Eine Ansicht bejaht dies, da die Konkretisierung nur zugunsten des Schuldners wirke. Nach einer anderen Ansicht, die auch der Intention des historischen Gesetzgebers entspricht, ist die Konkretisierung stets irreversibel, da § 243 II BGB auch Gläubigerinteressen schütze.
- 1. RGZ 92, 369, 371 = RG, 09.03.1918 - I 235/17.
- 2. Der Ort, an dem der Schuldner die Leistungs- bzw. Erfüllungshandlung vornimmt.
- 3. Der Ort, an dem die Erfüllung eintritt (daher auch als Erfüllungsort bezeichnet).
- 4. Hierzu MüKo-HGB/Welter, § 360, Rn. 12 ff.
- 5. Wie etwa beim Versendungskauf, vgl. § 447 BGB.
- 6. Hierzu insb. MüKo-HGB/Welter, § 360, Rn. 13–14.
- 7. Unter Aussonderung ist hier die Separation (Trennung) von anderen Stücken der Gattung zu verstehen.
- 8. BGH BB 1965, 349; RGZ 57, 138, 141.
- 9. Zum Meinungsstand MüKo-HGB/Welter, § 360, Fn. 15: RGZ 96, 258; MüKO-BGB/Westermann, § 447, Rn. 16 f.; Palandt/Putzo, § 447, Rn. 8; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, S. 63; Faust, DB 1991, 1556, 1557.
- 10. Zum Meinungsstand MüKo-HGB/Welter, § 360, Fn. 16: Soergel/Huber, § 447, Rn. 36 f.; Jauernig/Berger, § 447, Rn. 12; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn 275.
- 11. Vgl. MüKo-HGB/Welter, § 360, Rn. 14.
- 12. Vgl. MüKo-HGB/Welter, § 360, Rn. 14; zum Schrifttum (ebda. Fn. 19) etwa Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 275; Soergel/Huber, § 447, Rn. 36.
- 13. RGZ 43, 182, 184; 70, 423, 426; so auch BeckOK-BGB/Sutschet, § 243, Rn. 9.
- 14. Vgl. zum Meinungsstand MüKo-HGB/Welter, § 360, Rn. 16.