BVerfG, 30.07.1958 - 2 BvG 1/58
1. Der dem Bundesverfassungsrecht angehörende Satz von der Pflicht des Bundes und der Länder zu bundesfreundlichem Verhalten kann nicht verwaltungsmäßig als eigene Angelegenheit der Länder im Sinne des Art. 84 Abs. 1 GG ausgeführt, er kann nur "beachtet" werden. Nach dem geltenden Verfassungsrecht ist er von Bund und Ländern bei jeder ihrer Maßnahmen, sei es beim Erlaß von Gesetzen, sei es beim Erlaß von Regierungs- und Verwaltungsakten zu beachten. Gegen diesen Grundsatz kann sowohl durch ein Tun als auch durch ein Unterlassen verstoßen werden.
Die Bundesregierung kann gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG unmittelbar das Bundesverfassungsgericht anrufen, um eine Entscheidung darüber zu erreichen, ob ein Land außerhalb der Ausführung von Bundesgesetzen sich dem Grundgesetz gemäß verhalten hat.
2. Die wahlberechtigten Bürger der Gemeinde, die sich an der amtlich angeordneten Volksbefragung beteiligen, nehmen teil an der Willensbildung der Gebietskörperschaft Gemeinde; sie betätigen sich dabei im status activus; ihre Stimmabgabe gehört nicht in den Bereich des Gesellschaftlichen.
3. Die Gemeinde ist als hoheitlich handelnde Gebietskörperschaft, soweit ihr nicht Auftragsangelegenheiten vom Staat zugewiesen worden sind, von Rechts wegen darauf beschränkt, sich mit Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises zu befassen. Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises sind nur solche Aufgaben, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf die örtliche Gemeinschaft einen spezifischen Bezug haben und von dieser örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich und selbständig bewältigt werden können. Die Gemeinde überschreitet die ihr gesetzten rechtlichen Schranken, wenn sie zu allgemeinen, überörtlichen, vielleicht hochpolitischen Fragen Resolutionen faßt oder für oder gegen eine Politik Stellung nimmt, die sie nicht als einzelne Gemeinde besonders trifft, sondern der Allgemeinheit- ihr nur so wie allen Gemeinden - eine Last aufbürdet oder sie allgemeinen Gefahren aussetzt.
4. Hoheitliche Maßnahmen einer Gemeinde reichen, auch wenn sie unter Mißachtung der der Gemeinde gezogenen rechtlichen Grenzen beschlossen und durchgeführt werden, im allgemeinen nicht in den Raum des bundesstaatlichen Verfassungslebens. Dagegen ist die amtliche örtliche Volksbefragung als bewußt gehandhabtes Mittel, den Gemeindewillen gegen den verfassungsmäßig gebildeten Bundesstaatswillen einzusetzen und eine Änderung bestimmter politischer Entscheidungen auf dem Gebiete des Verteidigungswesens zu erzwingen, ein Tatbestand des Bundesverfassungsrechts.
5. Was nach Landesrecht im Verhältnis zur Gemeinde eine im Ermessen der Landesregierung liegenden Befugnis ist, kann nach Bundesverfassungsrecht im Verhältnis zum Bund Pflicht des Landes werden.
6. Im Bundesstaat haben Bund und Länder die gemeinsame Pflicht zur Wahrung und Herstellung der grundgesetzlichen Ordnung in allen Teilen und Ebenen des Gesamtstaates. Soweit der Bund dafür nicht unmittelbar Sorge tragen kann, sondern auf die Mitwirkung des Landes angewiesen ist, ist das Land zu dieser Mitwirkung verpflichtet.
7. Der für Bund und Länder gleicherweise geltende Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens hat die Funktion, die aufeinander angewiesenen "Teile" des Bundesstaats, Bund und Länder, stärker unter der gemeinsamen Verfassungsrechtsordnung aneinander zu binden, aber nicht die Aufgabe, das bundesstaatliche Gefüge zu lockern. Deshalb kann sich kein Teil seiner Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten mit der Behauptung oder mit dem Nachweis entziehen, daß auch der andere Teil seiner Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten nicht nachgekommen sei.
8. Die Feststellung der Verletzung der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten setzt nicht den Nachweis einer "Treulosigkeit" oder der Böswilligkeit voraus. Sie impliziert überhaupt keinen "Vorwurf".
Urteil
des Zweiten Senats vom 30. Juli 1958
– 2 BvG 1/58 –
in dem Verfassungsrechtsstreit über die Frage, ob das Land Hessen die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten verletzt, indem die Landesregierung es unterläßt, die Beschlüsse hessischer Gemeinden zur Durchführung von Volksbefragungen über Atomwaffen aufzuheben, - Antragsteller: für die Bundesrepublik Deutschland die Bundesregierung; Antragsgegner: für das Land Hessen die Hessische Landesregierung.
Entscheidungsformel:
Das Land Hessen hat gegen den Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens verstoßen, indem die Hessische Landesregierung es unterlassen hat, durch den Minister des Innern die Beschlüsse hessischer Gemeinden über die Durchführung amtlicher Befragungen der wahlberechtigten Gemeindebürger über Atomwaffen in der Bundesrepublik aufzuheben oder aufheben zu lassen.
Gründe
A.
I.
Die Sozialdemokratische Partei hält die von der Bundesregierung eingeschlagene und von der Mehrheit des Bundestags gebilligte Politik, die für den Fall des Scheiterns einer allgemeinen und kontrollierten Abrüstung, insbesondere eines allgemeinen und durch ausreichende Garantien gesicherten internationalen Verbots von Atomwaffen, eine Ausrüstung der Bundeswehr mit solchen Waffen im Rahmen des Atlantischen Verteidigungsbündnisses als unvermeidbar ins Auge faßt, für falsch und bekämpft sie leidenschaftlich. Im Zuge dieser politischen Auseinandersetzungen forderte die Sozialdemokratische Partei u. a. die Durchführung einer Volksbefragung über Atomwaffen. Zunächst brachte die Fraktion der SPD im Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Volksbefragung wegen einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr ein (vgl. Drucks. 303 des Deutschen Bundestags, 3. Wahlperiode); danach sollten den Wahlberechtigten in der Bundesrepublik folgende Fragen vorgelegt werden:
"1. 'Sind Sie damit einverstanden, daß deutsche Streitkräfte mit atomaren Sprengkörpern ausgerüstet werden?'
2. 'Sind Sie damit einverstanden, daß in Deutschland Abschußvorrichtungen für atomare Sprengkörper angelegt werden?'"
Auf die Durchführung der Volksbefragung sollten Art. 38 GG und das Bundeswahlgesetz sinngemäß angewendet werden. Nachdem der Antrag der SPD im Bundestag keine Aussicht auf Annahme hatte, wurden ähnliche Gesetzesentwürfe in den Landtagen mehrerer Länder eingebracht und von den Fraktionen der SPD unterstützt; nur in den Ländern Hamburg und Bremen ergingen bisher Landes- Volksbefragungsgesetze. Da der Antrag der hessischen SPD im Landtag nicht sofort zum Erfolg führte, haben einige hessische Gemeinden, darunter Frankfurt/M., Darmstadt, Kassel, Offenbach und einige weitere Gemeinden durch ihre zuständigen Organe beschlossen, die wahlberechtigten Gemeindebürger amtlich in dem für Wahlen vorgeschriebenen Verfahren zu befragen, ob sie der Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen zustimmen. Der auf einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen der SPD und der FDP ergangene Beschluß der Stadtverordnetenversammlung von Frankfurt/M. vom 10. April 1958, dem der Magistrat der Stadt beigetreten ist, lautet: "Der Magistrat wird beauftragt, in Frankfurt/M. eine Volksbefragung über die atomare Bewaffnung der Bundesrepublik durchzuführen. Die Volksbefragung soll organisatorisch in gleicher Weise durchgeführt werden wie allgemeine Wahlen. Bei der Befragung ist folgende Frage zur Entscheidung zu stellen: ,Sollen auf deutschem Boden Streitkräfte mit atomaren Sprengkörpern ausgerüstet und atomare Abschußbasen eingerichtet werden?'. Die Volksbefragung ist sofort vorzubereiten. Die Volksbefragung für das Gebiet der Stadt Frankfurt/M. entfällt, wenn eine gleiche Befragung im Lande Hessen stattfindet."
II.
Die Bundesregierung hat durch Schreiben des Bundeskanzlers vom 2. Mai 1958 die Hessische Landesregierung darauf hingewiesen, daß sie die Beschlüsse der hessischen Gemeinden für grundgesetzwidrig halte, und die Landesregierung ersucht, die Beschlüsse durch den Hessischen Minister des Innern aufzuheben und die auf Grund dieser Beschlüsse getroffenen Maßnahmen rückgängig machen zu lassen; falls dies nicht geschehe, werde die Bundesregierung das Bundesverfassungsgericht anrufen. Die Hessische Landesregierung hat durch Schreiben des Hessischen Ministerpräsidenten vom 13. Mai 1958 geantwortet, nach ihrer Auffassung stünden die beanstandeten Beschlüsse der hessischen Gemeinden mit der Rechtsordnung in Einklang, sie sehe sich deshalb außerstande, dem Ersuchen der Bundesregierung zu entsprechen.
III.
Daraufhin hat die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht beantragt, zu erkennen:
"Das Land Hessen verletzt die ihm nach der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes obliegende Pflicht zur Bundestreue, indem die Landesregierung es unterläßt, die Beschlüsse der Vertretungskörperschaften hessischer Gemeinden zur Durchführung von Volksbefragungen über Atomwaffen in der Bundesrepublik aufzuheben."
Zur Begründung führt die Bundesregierung aus: Die Gemeinden müßten sich ebenso wie die Länder an die Kompetenzverteilung im Bundesstaat halten. Mit ihren Beschlüssen hätten sie in den Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes eingegriffen. Da dem Bund eine Aufsicht über die Gemeinden nicht zustehe, sei das Land dem Bund gegenüber verpflichtet, im Wege seiner Gemeindeaufsicht dafür zu sorgen, daß die Gemeinden das Grundgesetz beachten.
Die Hessische Landesregierung hat beantragt, den Antrag der Bundesregierung zurückzuweisen.
Sie macht zunächst geltend, die Bundesregierung hätte vor Anrufung des Bundesverfassungsgerichts ihre Meinungsverschiedenheit mit dem Land Hessen dem Bundesrat unterbreiten müssen. Sie bezweifelt auch ihre Passivlegitimation, weil sich die Bundesregierung in Wahrheit nicht mit dem Lande Hessen, sondern mit den Gemeinden über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der von ihnen beschlossenen Volksbefragungen streite. Im übrigen seien Volksbefragungen innerhalb der Gemeinden nach hessischem Recht zulässig und vom Grundgesetz nicht verboten. In eine ausschließliche Zuständigkeit des Bundes werde nicht eingegriffen; das könne nur durch ein Gesetz oder durch einen Verwaltungsakt geschehen, nicht aber durch eine politische Stellungnahme, wie sie zum Beispiel auch die Landtage häufig zu Bundesangelegenheiten beschlössen. Überdies hätten auch früher schon konsultative Volksbefragungen über ausschließliche Bundesangelegenheiten in Gemeinden stattgefunden, ohne daß die Bundesregierung dagegen Bedenken geltend gemacht hätte. Vor allem aber falle eine solche Befragung in den Bereich der Bildung der öffentlichen Meinung; deshalb sei sie geschützt durch die im Grundgesetz garantierte Freiheit der Meinungsäußerung und durch das Petitionsrecht. Die hessischen Gemeinden hätten an der Befragung auch ein starkes örtliches Interesse, weil sie im Zentrum eines strategisch besonders bedeutsamen Gebietes lägen. - Der Grundsatz der Bundestreue könne für sich allein keine selbständige Pflicht des Landes begründen, er setze einer gegebenen Landeskompetenz nur eine ungeschriebene Schranke. Die Bundesregierung identifiziere das Bundesinteresse, wie sie es verstehe, mit dem wahren Bundesinteresse; darüber, wer das wahre Bundesinteresse vertrete, bestehe gerade Streit; deshalb könne ein Verhalten, das mit der von der Bundesregierung verfolgten Politik unvereinbar sei, nicht schon einen Verstoß gegen die Bundestreue enthalten. Vor Feststellung eines Verstoßes gegen diesen Grundsatz sei auch zu prüfen, ob denn die Bundesregierung bei der atomaren Aufrüstung ihre Verpflichtung zur Wahrung des Grundgesetzes eingehalten habe. Schließlich stehe nur der Aufsichtsbehörde des Landes die Entscheidung zu, ob die Gemeinden durch einen Beschluß das Recht verletzt hätten; ob sie, die Landesregierung, einschreiten wolle, stehe überdies nach Landesrecht in ihrem Ermessen.
IV.
Der Bundestag hat am 13. Juni 1958 beschlossen, sich in diesem Verfahren gegenüber dem Bundesverfassungsgericht im Sinne des Antrags der Bundesregierung und seiner Begründung zu äußern. Dementsprechend hat sich in der mündlichen Verhandlung als Bevollmächtigter des Bundestags der Bundestagsabgeordnete Rechtsanwalt Hoogen den Ausführungen der Bundesregierung angeschlossen.
B.
I.
1. Die Bundesregierung hat nach ihrem Antrag und der zu ihm gegebenen Begründung beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsstreitigkeit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG anhängig gemacht: Sie hat behauptet, zwischen dem Bund und dem Land Hessen bestehe eine Meinungsverschiedenheit darüber, ob das Land Hessen nach dem Grundgesetz die Pflicht habe, gegen einige hessische Gemeinden im Aufsichtswege einzuschreiten. Sie hat dazu weiter behauptet, die hessischen Gemeinden hätten im Widerspruch zur grundgesetzlichen Ordnung in ausschließliche Kompetenzen des Bundes eingegriffen; sie selbst könne mangels einer Zuständigkeit des Bundes zur Aufsicht über die Gemeinden dagegen nichts tun; die Landesregierung, die dazu nach hessischem Recht imstande sei, sei nach dem ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz bundesfreundlichen Verhaltens dem Bund gegenüber verpflichtet, den durch die Beschlüsse der Gemeinden geschaffenen verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen. Von diesen Rechtsbehauptungen, die in sich widerspruchsfrei eine nach dem Grundgesetz mögliche Begründung für die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts im Wege des Verfassungsstreits darstellen, ist, unbeschadet des Umstands, daß das Land Hessen jede einzelne dieser Behauptungen der Bundesregierung für unzutreffend hält, bei der Prüfung der Zulässigkeit des Verfahrens, seiner rechtlichen Zuordnung zu einer der vom Grundgesetz und vom Bundesverfassungsgerichtsgesetz zur Verfügung gestellten verfassungsgerichtlichen Verfahrensarten und der Bestimmung des richtigen Beteiligten auszugehen, solange nicht evident ist, daß der Antragsteller mit der gewählten Verfahrensform manipuliert, d. h. sie nur deshalb wählt, um in Wahrheit einen anderen, nicht in die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts fallenden Rechtsstreit von ihm entscheiden zu lassen. Davon, daß die zuletzt genannte Ausnahme hier vorliege, kann nicht die Rede sein. Ergibt sich, wie die Bundesregierung annimmt, aus dem ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Grundsatz der Bundestreue die Pflicht der Landesregierung, gegen die Gemeinden einzuschreiten, so geht es um die Erfüllung einer bundesstaatlichen Pflicht durch ein Land; Gegenstand des anhängigen Verfahrens ist also ein verfassungsrechtliches Verhältnis zwischen Bund und Land; die Meinungsverschiedenheit über seinen Bestand und seinen Inhalt weist das Grundgesetz in Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung zu; die Bundesregierung macht hier also, wenn sie das Bundesverfassungsgericht anruft, von einer im Grundgesetz vorgesehenen und im Bundesverfassungsgerichtsgesetz näher bestimmten Befugnis Gebrauch. Daraus folgt weiter, daß das Land Hessen, für das im Verfassungsrechtsstreit nach § 68 BVerfGG die Landesregierung tätig wird, der richtige Prozeßgegner in diesem Verfahren ist.
Wenn das Bundesverfassungsgericht in der Begründung der einstweiligen Anordnung, die den gegenwärtigen Streitstoff betrifft (BVerfGE 8, 42 [46]), die Gemeinden als "Sachverhalts-Beteiligte" bezeichnete, so ergibt der Zusammenhang unmißverständlich, daß es dort um die Frage ging, wieweit eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts über den Kreis der Verfahrensbeteiligten hinaus auch auf das Verhalten "Dritter" Einfluß nehmen kann; zu dieser Frage ist dort entschieden, daß die Wirkung einer einstweiligen Anordnung auch auf diejenigen erstreckt werden kann, die imstande sind, auf die Veränderung der im Streit befangenen und durch eine einstweilige Anordnung vorläufig zu regelnden Verhältnisse einzuwirken, die also in diesem Sinne "sachverhaltsbeteiligt" sind. In diesen Ausführungen kommt also keineswegs zum Ausdruck, daß die Gemeinden die in Wahrheit am Verfassungsrechtsstreit prozessual Beteiligten seien; sie konnten deshalb auch nicht etwa gegen die einstweilige Anordnung nach § 32 Abs. 3 BVerfGG Widerspruch erheben. Ob die Gemeinden unter Umständen einem staatsaufsichtlichen Einschreiten mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage oder mit einem Antrag beim hessischen Verfassungsgerichtshof begegnen könnten, bedarf hier keiner Untersuchung; diese Rechtsbehelfe würden einen anderen Streitgegenstand betreffen und könnten die Befugnis der Bundesregierung, nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG vorzugehen, weder ausschließen noch beeinträchtigen. Ebensowenig ist die Bundesregierung dadurch gehindert, die Meinungsverschiedenheit zwischen Bund und Land über eine sich aus dem Grundgesetz ergebende Pflicht des Landes vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen, daß der Beschluß der Gemeindevertretungen möglicherweise von den überstimmten Minderheiten zum Gegenstand eines Kommunalverfassungsstreites vor den Verwaltungsgerichten gemacht werden könnte.
2. Die Bundesregierung konnte das Bundesverfassungsgericht im vorliegenden Fall auch anrufen, ohne vorher den Bundesrat nach Art. 84 Abs. 4 GG mit der Angelegenheit befaßt zu haben. Das Bundesverfassungsgericht hat zu dieser Frage im Konkordatsstreit (BVerfGE 6, 309 [329]) ausgeführt: "Der Bundesrat ist nur für die Rüge von Mängeln bei der verwaltungsmäßigen (im Urteil hervorgehoben) Ausführung eines Bundesgesetzes zwischengeschaltet. Im übrigen ist die unmittelbare Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zulässig. Das ergibt sich aus der Stellung des Art. 84 Abs. 4 im System des Grundgesetzes. Der Abschnitt VIII handelt von der Ausführung der Bundesgesetze durch die Landesverwaltung. Innerhalb dieses Abschnitts regelt der Art. 84 den Fall, daß die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen, während Art. 85 sich auf die Bundesauftragsverwaltung bezieht. ... Auch das Grundgesetz wird nicht ,ausgeführt', vielmehr handelt das Land in dem ihm vom Grundgesetz zur freien Gestaltung überlassenen Raum staatlicher Betätigung. Nur hat nach der Behauptung der Bundesregierung das Land bei dieser an sich selbständigen Gesetzgebung eine verfassungsrechtliche Pflicht nicht beachtet. Mit einer Rüge dieser Art kann und muß das Bundesverfassungsgericht unmittelbar angerufen werden." In dieser Entscheidung ist also die Notwendigkeit der Einschaltung des Bundesrats auf den Fall der sogenannten abhängigen Bundesaufsicht beschränkt; d. h. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Art. 84 Abs. 4 GG ist, daß dem Land im Sinne des Art. 84 Abs. 1 GG die verwaltungsmäßige Ausführung eines Bundesgesetzes als eigene Angelegenheit überlassen ist. Daran hält das Bundesverfassungsgericht auch nach neuerlicher Überprüfung fest. Im vorliegenden Fall fehlt es an einem Bundesgesetz, das die Länder auszuführen haben; der dem Bundesverfassungsrecht angehörende Satz von der Pflicht des Bundes und der Länder zu bundesfreundlichem Verhalten kann nicht verwaltungsmäßig als eigene Angelegenheit der Länder ausgeführt, er kann nur "beachtet" werden und ist nach dem geltenden Verfassungsrecht von Bund und Ländern bei jeder ihrer Maßnahmen, sei es beim Erlaß von Gesetzen, sei es beim Erlaß von Regierungs- und Verwaltungsakten zu beachten. Gegen diesen Grundsatz kann sowohl durch ein Tun als auch durch ein Unterlassen verstoßen werden. Was hier in Rede steht, gehört nach der seit Triepel hergebrachten systematischen Unterscheidung in den Bereich nicht der abhängigen, sondern der sogenannten selbständigen Reichsaufsicht. Eine selbständige Bundesaufsicht kennt das Grundgesetz nicht. Ihre Funktion ist teilweise durch die Möglichkeit ersetzt, daß die Bundesregierung gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG das Bundesverfassungsgericht anrufen kann, um eine Entscheidung darüber zu erreichen, ob ein Land außerhalb der Ausführung von Bundesgesetzen sich dem Grundgesetz gemäß verhalten hat.
II.
1. Die hessischen Gemeinden sind in Übereinstimmung mit dem gemein-deutschen Verfassungsrecht Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs. 2 hess. GO), deren Gebiet und damit auch deren Bestand an Gemeindebürgern durch Eingriff des Staates bestimmt werden (§§ 15 ff., 8 hess. GO). § 1 Abs. 1 hess. GO bezeichnet sie als "die Grundlage des demokratischen Staates". Sie sind "in ihrem Gebiet . . . ausschließliche und eigenverantwortliche Träger der öffentlichen Verwaltung" (§ 2 Satz 1 a.a.O.; ähnlich Art. 137 Abs. 1 Satz 1 der hessischen Verfassung); sie besitzen als solche, unbeschadet ihrer "Autonomie", vom Staat, dem sie eingegliedert sind, abgeleitete Hoheitsmacht (so Entscheidung des hess. Staatsgerichtshofs vom 7. November 1952 - P.St. 107 -). Ihre hoheitlichen Äußerungen sind Ausfluß von öffentlicher Gewalt, Staatsgewalt im weiteren Sinn. Sie wird - ähnlich wie im Staat - ausgeübt durch die nach dem hessischen Gemeinderecht zuständigen Organe der Gemeinde: "Die von den Bürgern gewählte Gemeindevertretung ist das oberste Organ der Gemeinde" (§ 9 Abs. 1 Satz 1 hess. GO). An weiteren Gemeindeorganen kennt die hessische Gemeindeordnung den Gemeindevorstand (Magistrat oder Bürgermeister; § 9 Abs. 2 a.a.O.) und die Gemeindeversammlung (§ 9 Abs. 3 a.a.O.); außerdem nehmen die Bürger der Gemeinde (die "Bürgerschaft", § 1 Abs. 1 a.a.O.) nach näherer Maßgabe der §§ 30 ff. hess. GO "durch die Wahl der Gemeindevertreter an der Verwaltung der Gemeinde teil" (§ 29 Satz 1 hess. GO). Der Staat hat die Gemeinde verfaßt und mit Organen versehen, damit sie ihre vom Staat anerkannten oder gestellten Aufgaben der lokalen öffentlichen Verwaltung erfüllen kann.
Daß in Würdigung dieser Rechtslage die Beschlüsse der Gemeindevertretungen und die in ihrem Vollzug durch den Magistrat oder den Bürgermeister getroffenen Maßnahmen der hessischen Gemeinden betr. eine gemeindliche Volksbefragung über Atomwaffen in Ausübung gemeindlicher Hoheitsmacht ergingen, kann nicht zweifelhaft sein. Aber auch die wahlberechtigten Bürger der Gemeinde, die sich an der amtlich angeordneten Volksbefragung beteiligen, nehmen damit teil an der Willensbildung der Gebietskörperschaft Gemeinde; sie betätigen sich dabei im status activus. Insoweit gilt hier dasselbe, was in dem gleichzeitig verkündeten Urteil betreffend die Volksbefragungsgesetze in Hamburg und Bremen (BVerfGE 8, 104) ausgeführt worden ist; darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
2. Gehört demnach die Stimmabgabe der wahlberechtigten Gemeindebürger nicht in den Bereich des Gesellschaftlichen, ist sie mehr und etwas anderes als nur Faktor im Prozeß der Bildung der öffentlichen Meinung und mehr und etwas anderes als nur ein Stück "Vorformung der politischen Willensbildung des Volkes", so muß sich die gemeindliche Volksbefragung als organschaftliches Handeln ebenso wie die ihrer Durchführung zugrunde liegende Entschließung der Verfassungsorgane der Gemeinden im Rahmen der gemeindlichen Zuständigkeit halten. Die Gemeinden sind Gebietskörperschaften mit dem Recht "freier Selbstverwaltung" (§ 1 Abs. 1 Satz 2 hess. GO) "in ihrem Gebiet" (§ 2 Satz 1 a.a.O.), in "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" (§ 5 Abs. 1 Satz 1 a.a.O.); "das Recht der Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten wird den Gemeinden ... vom Staat gewährleistet" (Art. 137 Abs. 3 Satz 1 Hessische Verfassung). "Die Aufsicht des Staates schützt die Gemeinden in ihren Rechten und sichert die Erfüllung ihrer Pflichten" (§ 11 hess. GO); "die Aufsicht des Staates beschränkt sich darauf, daß ihre Verwaltung in Einklang mit den Gesetzen geführt wird" (Art. 137 Abs. 3 Satz 2 Hessische Verfassung). Demnach besitzen zwar die hessischen Gemeinden das Recht der Selbstverwaltung; sie sind auch Gebietskörperschaften mit "Allzuständigkeit", insofern als sie sich aller Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft annehmen können. Gleichwohl ist diese ihre Zuständigkeit nicht grenzenlos; die hessische Gemeinde ist als hoheitlich handelnde Gebietskörperschaft, soweit ihr nicht Auftragsangelegenheiten vom Staate zugewiesen worden sind, von Rechts wegen darauf beschränkt, sich mit Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises zu befassen. Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises sind nur solche Aufgaben, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf die örtliche Gemeinschaft einen spezifischen Bezug haben und von dieser örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich und selbständig bewältigt werden können.
Die Gemeinde kann zwar gegen eine sie speziell berührende staatliche Maßnahme protestieren (z.B. wenn sie als Einfuhrhafen durch einen neuen Zolltarif empfindlich geschädigt wird); sie überschreitet aber die ihr gesetzten rechtlichen Schranken, wenn sie zu allgemeinen, überörtlichen, vielleicht hochpolitischen Fragen Resolutionen faßt oder für oder gegen eine Politik Stellung nimmt, die sie nicht als einzelne Gemeinde besonders trifft, sondern der Allgemeinheit - ihr nur so wie allen Gemeinden - eine Last aufbürdet oder sie allgemeinen Gefahren aussetzt. Die Abgrenzung im einzelnen kann hier offenbleiben. Jedenfalls gehört die Stellungnahme zur Frage der Ausrüstung der Bundeswehr nicht zu den Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises und deshalb nicht zu den hoheitlich zu erledigenden Aufgaben der Gemeinde. Die Gemeinde mag berechtigt sein, sich mit einer Entschließung ihrer Verfassungsorgane gegen die konkrete Absicht zu wenden, auf ihrem Gemeindegebiet einen Atomreaktor, einen Flugplatz, eine militärische Anlage, z.B. eine Abschußbasis für Atomsprengkörper, zu errichten, sie ist aber nicht befugt, sich in derselben Weise gegen die Anlage von Atomreaktoren, Flugplätzen, militärischen Anlagen schlechthin zu wenden.
Im vorliegenden Fall befassen sich die gemeindlichen Beschlüsse allgemein und grundsätzlich mit der Frage der Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen; im Beschluß der Stadtverordnetenversammlung von Frankfurt/Main heißt es, daß "eine Volksbefragung über die atomare Bewaffnung der Bundesrepublik durchzuführen" sei, und daß dabei die Frage gestellt werden soll: "Sollen auf deutschem Boden Streitkräfte mit atomaren Sprengkörpern ausgerüstet und atomare Abschußbasen eingerichtet werden?". Als Akte der gemeindlichen Willensbildung überschreiten die Beschlüsse der Gemeinden deshalb ebenso wie die darin angeordneten amtlichen Befragungen der Bürgerschaft eindeutig den Kreis der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft und damit den gemeindlichen Zuständigkeitsbereich. Für dieses rechtliche Ergebnis ist es also gleichgültig, ob nach hessischem Landesrecht von den zuständigen Organen der Gemeinde angeordnete amtliche Befragungen der Bürgerschaft überhaupt zulässig sind; diese Frage kann deshalb offenbleiben.
3. Hoheitliche Maßnahmen einer Gemeinde reichen, auch wenn sie unter Mißachtung der der Gemeinde gezogenen rechtlichen Grenzen beschlossen und durchgeführt werden, im allgemeinen nicht in den Raum des bundesstaatlichen Verfassungslebens. Sollte also eine einzelne Gemeinde einmal die dargelegten Grenzen ihrer Zuständigkeit überschritten haben oder überschreiten, so liegt darin allein noch kein "Einbruch" in eine ausschließliche Bundeskompetenz. Ganz anders liegen die Dinge hier: Die politischen Zusammenhänge lassen erkennen, daß die hessischen (und andere) Gemeinden nicht als einzelne und von sich aus die Durchführung der Volksbefragung beschlossen haben; sie ordneten sich vielmehr - und weitere würden sich dem anschließen, falls die Befragungen vom Bundesverfassungsgericht als rechtlich zulässig anerkannt würden - einer umfassenden Aktion ein, die sich über das ganze Bundesgebiet hinweg erstrecken soll: Die Gemeinden wollen, was auf dem Wege einer Befragung des Bundesvolkes nicht erreichbar ist und in den Ländern politisch nur teilweise durchsetzbar ist, für ihren Teil ergänzen und ersetzen; die von ihnen angeordneten amtlichen Befragungen sollen zusammen mit den in einzelnen Ländern beabsichtigten amtlichen Befragungen des Landesvolks den politischen Effekt erzielen, den eine Befragung des Bundesvolkes hätte. Deshalb stimmen die Fragen, die nach den gemeindlichen Beschlüssen, nach den Landesgesetzen und den Gesetzesentwürfen im Bund und in den Ländern der Bürgerschaft der Gemeinden, dem Landesvolk oder dem Bundesvolk vorgelegt werden sollen, in der Sache überein. In die gleiche Richtung weisen zahlreiche Äußerungen von Politikern der Opposition und von Verlautbarungen in der Presse. Besonders deutlich kommt dieser größere Zusammenhang in dem Beschluß der Stadtverordnetenversammlung von Frankfurt/Main zum Ausdruck, der mit dem Satz schließt: "Die Volksbefragung für das Gebiet der Stadt Frankfurt/Main entfällt, wenn eine gleiche Befragung im Lande Hessen stattfindet". Wenn schließlich das Land Hessen in seinem Schriftsatz vom 7. Juni 1958 (unter II 2 e) vorträgt, "Wenn also das wichtigste repräsentative Organ (der Bundestag) und die von ihm abhängige Regierung gar nicht in der Weise gebildet worden sind, wie es dem Grundgesetzgeber vorgeschwebt hat, so verstößt es gegen den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben, wenn die unverfälschte Ermittlung des Volkswillens unter Berufung auf das repräsentative System verhindert werden soll", so bestätigt sie damit nur, daß auch nach ihrer Auffassung die Volksbefragungen in den Gemeinden dem Zweck dienen sollen, die nach ihrer Meinung von nicht dazu legitimierten Verfassungsorganen des Bundes getroffenen politischen Entscheidungen zu korrigieren.
Der Gemeindewille in seiner Summierung soll also ganz in derselben Weise wie der Staatswille in Hamburg und Bremen als Teilstück einer großen politischen Aktion in Bund und Ländern gegen den verfassungsmäßig gebildeten Bundesstaatswillen mit dem Ziele eingesetzt werden, eine Änderung bestimmter politischer Entscheidungen auf dem Gebiete des Verteidigungswesens zu erzwingen. Damit ist aber nach den im Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Nichtigkeit der Volksbefragungsgesetze in Hamburg und Bremen dargelegten Grundsätzen, auf die hier Bezug genommen wird, ein Übergriff der Gemeinden in die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes festgestellt. Die hessischen Gemeinden überschreiten mit ihren Beschlüssen und mit der von ihnen beabsichtigten amtlichen Volksbefragung nicht nur ihre Zuständigkeit nach hessischem Recht, sondern greifen zugleich in den Raum des bundesstaatlichen Verfassungslebens über und in die Willensbildung des Bundes ein. Die örtliche Volksbefragung als bewußt gehandhabtes Mittel zur Erreichung des dargelegten Zwecks ist ein Tatbestand des Bundesverfassungsrechts.
4. Die Staatsaufsicht über die Gemeinden steht ausschließlich dem Land zu. Dem Bund fehlt nach der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes ein unmittelbares Recht zum Durchgriff gegen die Gemeinden; es gibt keine Bundeskommunalaufsicht. Nach hessischem Landesrecht obliegt die Staatsaufsicht über die Gemeinden dem Hessischen Minister des Innern und den ihm nachgeordneten Staatsbehörden. Sie ist in Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde reine Rechtsaufsicht, d. h. der Staat wacht darüber, daß sich die Gemeinden im Rahmen des geltenden Rechts halten (vgl. Art. 137 Abs. 3 Satz 2 Hessische Verfassung); dazu gehört auch die Beachtung des Bundesrechts und des Bundesverfassungsrechts. Die Rechtsaufsicht ist so zu handhaben, daß die Entschlußkraft und die Verantwortungsfreudigkeit der Gemeinde nicht beeinträchtigt werden; dem entspricht es, daß die Staatsaufsichtsbehörden in Hessen nicht verpflichtet sind, in jedem Falle einzuschreiten, in dem sich die Gemeinde bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nicht in Einklang mit den Gesetzen hält; sie "kann" Maßnahmen der Gemeinden, die mit dem Recht in Widerspruch stehen, beanstanden und Beschlüsse, die dem Recht widersprechen, aufheben (§ 138 hess. GO), hat also einen Ermessensspielraum. Ob die Staatsaufsichtsbehörde im vorliegenden Fall von diesem im hessischen Landesrecht begründeten Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat, bedarf hier keiner Entscheidung.
Der bisher dargelegten Rechtslage hinsichtlich des Verhältnisses zwischen der hessischen Staatsaufsichtsbehörde und der hessischen Gemeinde liegt ausschließlich das hessische Landesverfassungsrecht und das hessische Gemeinderecht zugrunde. Was nach Landesrecht im Verhältnis zur Gemeinde eine im Ermessen der zuständigen Behörde liegende Befugnis ist, kann aber nach Bundesverfassungsrecht im Verhältnis zum Bund Pflicht des Landes werden. In diesem Zusammenhang wird bedeutsam, daß dem Bund, wie ausgeführt, eine Einwirkung auf die Gemeinde nicht zusteht, daß aber die Gemeinden, die die Durchführung einer amtlichen Befragung der Bürgerschaft über Atomwaffen im Rahmen der dargelegten umfassenden Aktion beschlossen haben, damit in die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet des Verteidigungswesens übergreifen. Im Bundesstaat haben Bund und Länder die gemeinsame Pflicht zur Wahrung und Herstellung der grundgesetzlichen Ordnung in allen Teilen und Ebenen des Gesamtstaates. Soweit der Bund dafür nicht unmittelbar Sorge tragen kann, sondern auf die Mitwirkung des Landes angewiesen ist, ist das Land zu dieser Mitwirkung verpflichtet. Das folgt aus dem ungeschriebenen Satz über die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten. Im einzelnen ist dazu zu bemerken:
a) Die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten hat das Bundesverfassungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtslehre aus dem Wesen des Bundesstaates entwickelt (vgl. BVerfGE 1, 117 [131]; 1, 299 [315 f.]). Durch diesen Grundsatz wird dem Bund und den Ländern in erster Linie eine Schranke beim Gebrauchmachen von ihren Zuständigkeiten gezogen (BVerfGE 4, 115 [140]); derselbe Grundsatz begründet aber unter Umständen auch Hilfs- und Mitwirkungspflichten des Bundes oder der Länder, die als Schranke ihrer Freiheit innerhalb ihrer Zuständigkeiten begriffen werden können. So hat das Bundesverfassungsgericht in den zitierten Entscheidungen aus dem Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens eine Pflicht der finanzstärkeren Länder abgeleitet, den schwächeren Ländern in gewissen Grenzen Hilfe zu leisten, und eine Pflicht der Länder, sich in einem Falle, in dem die Verteilung von Bundesmitteln auf die Länder der Zustimmung aller Länder bedurfte, über die Verteilung zu verständigen. In derselben Richtung liegt es, wenn aus der allgemeinen Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten die besondere Pflicht abgeleitet wird, daß ein Land von einer ihm gegenüber einer Gemeinde zustehenden Befugnis Gebrauch macht, um eine Störung der grundgesetzlichen Ordnung zu beseitigen, zu deren Beseitigung der Bund mangels einer Kompetenz nicht imstande ist.
b) Jedenfalls gilt dies dann, wenn es sich um eine empfindliche, schwerwiegende Störung der grundgesetzlichen Ordnung handelt. In diesem Zusammenhang bedarf es noch einmal des Hinweises auf das von der Opposition im Bundestag gesteuerte einheitliche Vorgehen der Gemeinden, auf den Zweck der Volksbefragungsaktion und auf den Übergriff und Eingriff der Gemeinden in die Entscheidungsfreiheit der zuständigen Verfassungsorgane des Bundes auf dem Gebiet des Verteidigungswesens. Die Bundesregierung hat die hessische Landesregierung durch Schreiben vom 2. Mai 1958 förmlich ersucht, im Wege der Staatsaufsicht gegen die Gemeinden einzuschreiten. Ein solches Ersuchen stellt sich nicht als eine Mängelrüge im Zuge der Bundesaufsicht dar; es ist vielmehr in Fällen der vorliegenden Art, in denen zunächst Zweifel obwalten können, ob sich ein Teil auf die Verletzung der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten berufen wird, eine sachliche Voraussetzung für die Geltendmachung einer Verletzung der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren, gleichgültig, ob die Verletzung vom Bund oder vom Land begangen ist.
Bedarf es zur Begründung der aus dem Grundsatz der Bundestreue zu entwickelnden Pflicht der Landesaufsichtsbehörde zum Einschreiten gegen eine Gemeinde der Feststellung, daß ihr Verhalten in empfindlicher Weise die Verfassungsordnung des Grundgesetzes stört, so kann - von anderen Überlegungen abgesehen - aus der Tatsache, daß vor einigen Jahren in einzelnen Gemeinden der Bundesrepublik im Rahmen einer von der Europa-Union ausgehenden Initiative eine Befragung der Bürger über ihre Einstellung zum "Europagedanken" stattgefunden hat, für die Entscheidung dieses Verfahrens nichts hergeleitet werden.
c) Der für Bund und Länder gleicherweise geltende Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens hat die Funktion, die aufeinander angewiesenen "Teile" des Bundesstaats, Bund und Länder, stärker unter der gemeinsamen Verfassungsrechtsordnung aneinander zu binden, aber nicht die Aufgabe, das bundesstaatliche Gefüge zu lockern. Deshalb kann sich kein Teil seiner Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten mit der Behauptung oder mit dem Nachweis entziehen, daß auch der andere Teil seiner Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten nicht nachgekommen sei; die Verletzung der Pflicht durch den einen Teil entbindet den anderen nicht von der Beachtung dieser selben Pflicht. Deshalb kommt es auf die Behauptungen des Landes Hessen nicht an, der Bund verletze mit der atomaren Ausrüstung der Bundeswehr das Grundgesetz, er habe außerdem, indem er bisher das Parteiengesetz nicht erlassen habe und für eine verfassungswidrige Finanzierung der Parteien und für eine dadurch bewirkte Verfälschung der Mehrheitsverhältnisse im Parlament verantwortlich sei, gegen das Grundgesetz verstoßen.
d) Die Feststellung der Verletzung der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten setzt auch nicht den Nachweis einer "Treulosigkeit" oder der Böswilligkeit des Landes voraus. Sie impliziert überhaupt keinen "Vorwurf". Es geht ausschließlich um die Klärung eines objektiven Begriffs des Verfassungsrechts und, darauf aufbauend, um die Beurteilung eines Sachverhalts, bei dem vorausgesetzt werden kann, daß die daran Beteiligten in der Überzeugung von der Verfassungsmäßigkeit ihrer Handlungsweise gehandelt haben.
e) Das Land Hessen hat schließlich vorgetragen, es könne die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten überhaupt nur verletzt haben, wenn es den wirklichen Bundesinteressen zuwidergehandelt hätte. Darüber aber, ob die Politik der Bundesregierung in der Frage der atomaren Bewaffnung der Bundeswehr den wohlverstandenen Interessen der Bundesrepublik entspreche oder nicht, herrsche gerade Streit, ein Streit, der nicht justiziabel sei. Folglich könne auch nicht festgestellt werden, daß das Land seiner Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten nicht nachgekommen sei. Dabei ist verkannt, daß die Verletzung der Bundestreue durch das Land Hessen nicht zu erblicken ist in seinem Widerspruch und seinem politischen Kampf gegen die Politik der Bundesregierung; sie liegt vielmehr in der Weigerung des Landes, gegen eine grundgesetzwidrige Maßnahme der hessischen Gemeinden im Aufsichtswege einzuschreiten. Das aber ist rechtlich faßbar und gerichtlich nachprüfbar.
III.
Demnach hat das Land Hessen den Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens verletzt, indem die hessische Landesregierung es bisher unterlassen hat, durch den Minister des Innern im Wege der Staatsaufsicht den grundgesetzwidrigen Zustand innerhalb der Gemeinden, die eine amtliche Volksbefragung ihrer Bürgerschaft über Atomwaffen beschlossen haben, zu beseitigen. Aus dieser Entscheidung folgt, daß nicht nur die hessische Landesregierung, sondern jede Landesregierung verpflichtet ist, auch in Zukunft Beschlüsse der Gemeinden, die eine amtliche Befragung der Bürger über die atomare Ausrüstung der Bundeswehr, über die Lagerung von atomaren Sprengkörpern oder über die Errichtung von Abschußanlagen für atomare Sprengkörper in der Bundesrepublik anordnen, zu beanstanden und aufzuheben oder aufheben zu lassen und die Durchführung der Volksbefragungen zu unterbinden oder unterbinden zu lassen.