RG, 05.11.1930 - I 150/30
1. Nach welchen Grundsätzen ist zu prüfen, ob ein einzelnes Werk der bildenden Kunst oder der Photographie in eine selbständige wissenschaftliche Arbeit ausschließlich zur Erläuterung des Inhalts aufgenommen worden ist?
2. Die gesetzliche Regel ausschließlicher Urheberbefugnis im Verhältnis zu ihren Ausnahmen.
3. Was gehört zur deutlichen Angabe der Quelle, besonders bei Werken, die in Lieferungen erscheinen?
4. Muß schon die Feststellung der Schadensersatzpflicht deren Umfang begrenzen oder kann dies, wenn es sich um einen einzigen Anspruch handelt, dem künftigen Streit um den Leistungsantrag überlassen werden?
Sachverhalt
Zu den wertvollen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek in München gehört das „Goldene Buch“, ein Pergamentband aus dem Kloster St. Emmeran in Regensburg. Dieser „Codex aureus“ enthält den auf Kaiser Karls des Kahlen Geheiß im Jahre 870 verfertigten lateinischen Text der vier Evangelien mit reicher farbiger Ziermalerei und einer Anzahl Bildertafeln. Im Verlage der Klägerin erschien in den Jahren 1920 bis 1925 eine schrift- und bildgetreue Wiedergabe des Codex in Lichtätzung mit 253 farbigen Tafeln (Größe 52 x 42 cm) und einen Textbande von Geheimrat Prof. Dr. L., dem Direktor der Münchener Staatsbibliothek. Das Werk verursachte viel Mühe, Zeitaufwand und Kosten; sein Preis im Buchhandel beträgt 1800 RM.
Die Beklagte läßt in ihrem Verlage lieferungsweise das von Prof. Dr. W. unter Mitwirkung einer Reihe Gelehrter herausgegebene Handbuch der Literaturwissenschaft erscheinen. Die im Jahre 1928 herausgebrachte Lieferung 106, mit der eine geschlossene Sonderabhandlung des Universitätsprofessors Dr. O. über die romanischen Literaturen des Mittelalters beginnt, enthält vor den Text als ganzseitige Farbige Abbildung („Tafel I“) eine Wiedergabe des Blattes V des Codex aureus. Dieses Blatt stellt Kaiser Karl den Kahlen auf dem Throne sitzend dar. Die Abbildung im Verlagswerke der Beklagten ist ein auf photographischem Wege mittels Lichtätzung hergestellte Nachbildung desselben Blattes in der Codexausgabe der Klägerin. Die Quelle ist auf der Nachbildung nicht angegeben.
Die Klägerin bezeichnet die Nachbildung der Beklagten als widerrechtlich, die Herstellung als schuldhaft und den guten Sitten widerstreitend. Sie hat auf Untersagung, Vernichtung, Rechnungslegung und Schadensersatz geklagt.
Die Beklagte hat entgegnet: a) Professor O., der Verfasser der Sonderabhandlung, habe das Bildwerk aus dem Goldenen Buche zur Aufnahme bestimmt; weder tatsächlich noch rechtlich sei sie zur Ablehnung dieses Verlangens imstande gewesen. b) Die Nachbildung sei ausschließlich aufgenommen worden, um jene Abhandlung zu erläutern. c) Ohne Wissen und Veranlassung der Beklagten sei die Nachbildung durch die U.-AG. hergestellt und durch einen Angestellten in das Verlagswerk aufgenommen worden; die Geschäftsleitung der Beklagten könne den umfänglichen Betrieb nicht in allen Einzelheiten überwachen. d) Der Beklagten sei erlaubt worden, nach dem Codex aureus in der Staatsbibliothek eine Wiedergabe der Bildtafeln seines Blattes V zu machen; inzwischen habe sie das auch getan.
Das Landgericht hat den Klagantrag entsprochen, das Oberlandesgericht die Berufung der Beklagten im Wesentlichen zurückgewiesen und die landgerichtliche Urteilsformel nur durch gewisse Einschränkungen berichtigt, sodaß sie nunmehr lautet:
I. Der Beklagten wird unter Androhung einer Geldstrafe usw. verboten, die Tafel I in der Abhandlung des Professors Dr. O. „Die romanischen Literaturen des Mittelalters“, erschienen als Beilage zur Lieferung 106 des im Verlage in der Beklagten erschienenen Werkes „Handbuch der Literaturwissenschaft“, darstellend eine farbige Nachbildung von Blatt V des „Codex aureus“ der Bayer. Staatsbibliothek (Kaiser Karl der Kahle auf dem Throne), nach der Reproduktion der Klägerin herzustellen, zur vervielfältigen und in irgendeiner Form zu verbreiten.
II. Die bei der Beklagten befindlichen Exemplaren der oben bezeichneten Tafel sowie die zu ihrer Herstellung dienenden Platten und Vorrichtungen aller Art sind an einen von der Klägerin zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung herauszugeben.
III. Die Beklagte ist schuldig, den der Klägerin durch die Herstellung, Vervielfältigung und Verbreitung der oben bezeichneten Tafel entstandenen Schaden zu ersetzen.
IV. Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin über die Vervielfältigung und Verbreitung der oben bezeichneten Tafel Rechnung zu legen.
Die Revision der Beklagten war erfolglos.
Gründe
I.
Das Gesetz betr. das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst vom 19. Juni 1901 kommt auf den vorliegenden Fall nicht unmittelbar zur Anwendung. Zwar läßt es Vervielfältigung zu, wenn einem Schriftwerk ausschließlich zur Erläuterung des Inhalts einzelne Abbildungen aus einem erschienenen Werke beigefügt werden (§ 23). Diese Vorschrift bezieht sich indes nur auf solche Abbildungen (einschließlich plastischer Darstellungen) wissenschaftlicher oder technischer Art, die nicht ihrem Hauptzwecke nach als Kunstwerke zu betrachten sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 LitUrhG.). In die im Verlage der Klägerin erschienene schrift- und bildgetreue Wiedergabe (Faksimile-Ausgabe) des Codex aureus aber ist ein Werk der Lichtbildkunst. Die Regeln, nach denen der Urheber eines solchen Werkes geschützt wird, sind dem Gesetze betr. das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie vom 9. Januar 1907 zu entnehmen.
1. Mit Recht geht das Oberlandesgericht (wie bereits das Landgericht) davon aus, daß die Klägerin nach dem leitenden Grundsatze des Gesetzes (§ 15 KunstschutzG.) als Urheber die ausschließliche Befugnis hat, das Werk zu vervielfältigen (also auch nachzubilden) und zu verbreiten. Nach dieser Regel ist Vervielfältigung ohne Einwilligung des Berechtigten im allgemeinen unzulässig (§ 17 KunstschutzG.).
2. Das Gesetz macht von dem Grundsatze verschiedentlich Ausnahmen und schränkte ihn ein (§§ 16, 18 bis 21). Zu den Einschränkungen gehört es, daß einzelne Werke in eine selbständige wissenschaftliche Arbeit ausschließlich zur Erläuterung des Inhalts aufgenommen werden dürfen; Vervielfältigung und Verbreitung sind in solchem Falle zulässig (§ 19 Abs. 1 KunstschutzG.). Die Beklagte nimmt für sich in Anspruch, daß die Voraussetzungen dieser die Urheberbefugnisse einschränkenden Vorschrift im gegenwärtigen Falle gegeben seien.
a) Allerdings unterliegt keinem Zweifel, daß O.s Abhandlung über die romanischen Literaturen des Mittelalters eine selbständige wissenschaftliche Arbeit ist. Denn sie bezweckte nach Rahmen, Form und Gehalt, durch eigene in ihr angelegte planmäßige Geistestätigkeit des Verfassers die Literaturwissenschaft zu fördern und das Erarbeitete an die Leser mitzuteilen. Die Beklagte hat aus dem Lichtbildwerke der Klägerin, das den Codex aureus wiedergibt, bloß ein einzelnes Bild, die Darstellung des thronenden Kaisers Karls des Kahlen auf Blatt V des Goldenen Buches, übernommen. Es fragt sich also nur, ob das Bild ausschließlich zur Erläuterung des Inhalts in das Schriftwerk aufgenommen worden ist.
b) Landgericht und Oberlandesgericht verneinen die Frage aus im wesentlichen übereinstimmenden Gründen. Das Berufungsurteil enthält in den Ausführungen, die sich darauf beziehen, keinen Verstoß gegen Rechtsgrundsätze.
„Erläutern“ heißt ursprünglich: mit Licht durchdringen; also erhellen, klar und anschaulich machen, sodaß man das Beleuchtete begreift und versteht. Erläuterung bezeichnet sonach die Tätigkeit und die Mittel, durch die etwas aufgehellt, erklärt, verständlich gemacht wird (so der in den Wörterbüchern von Adelung, Gebr. Grimm, Sanders, Moriz Heyne nachgewiesene Sprachgebrauch). Daß Abbildungen dazu dienen können, einen Worttext verständlich zu machen oder ihn in gewisser Hinsicht heller zu beleuchten, lehrt die Erfahrung des Lebens.
Das Gesetz (§ 19 KunstschutzG.) verlangt, daß das Bild zur Erläuterung des Inhalts der wissenschaftlichen Arbeit in sie aufgenommen worden sei. Damit ist gesagt, die Abbildung solle dazu bestimmt sein, den im Worttext der Arbeit offenbarten Gedankengehalt aufzuhellen, zu veranschaulichen, dem Verständnis zu erschließen. Dies kann je nach Art, Umfang und Ausdrucksform des Schriftwerks wie des Bildes und nach der Wechselbeziehung zwischen beiden auf so mannigfaltige Weise geschehen, daß sich dafür nur wenige Richtlinien und Grenzen gewinnen lassen. Die Verbindung zwischen Schriftwerk und Bild muß eine innerliche, den Darstellungs- und Lehrzweck des Worttextes unterstützende sein; die Abbildung muß das folgerecht entwickelte Gedankenwerk verdeutlichen. Doch braucht sich das Bild nicht als wissenschaftliche Ausgestaltung der Schriftwerksgedanken dem Ganzen einzufügen. Es genügt, wenn es als Kunstwerk beispielmäßig wirkt, etwa um die eigenpersönliche Kunstweise eines bestimmten Meisters, oder um die Auffassungsweise einer Kunst- oder Gesittungsstufe zu kennzeichnen (Kohler Kunstwerkrecht [1908] § 13 I S. 63, § 13 IV S. 64). Schon als solches, auch ohne die Abbildungen, muß das Schriftwerk seinen Zweck erfüllen; die Bilder dürfen nur zum besseren Verständnis des sprachlichen Ausdrucks beigegeben sein. Es darf nicht etwa das umgekehrte Verhältnis bestehen, daß die Worte bloß zur Erläuterung nachgebildeter fremder Werken dienen sollen (Allfeld, Kommentar zum Kunstschutzgesetz [1908] Anm. 6 zu § 19 S. 121). Deshalb nehmen – übereinstimmend mit der Ausdrucksweise des früheren Kunstschutzgesetzes (§ 6 Nr. 4 des Ges. vom 9. Januar 1876) – Rechtsprechung und Schrifttum auch für das jetzige Recht an: das Schriftwerk muß die Hauptsache, des beigefügten Bild nur eine dem Schriftwerkszwecke behilfliche Nebensache sein (RGZ. Bd. 18 S. 159 [154]; Riezler Deutsches Urheber- u. Erfinderrecht I [1909] S. 438; Osterrieth-Marwitz Kunstschutzgesetz [2. Aufl. 1929] Anm. V. zu § 19 S. 148; Ernst Müller Deutsches Urheber- u. Verlagsrecht II [1907] Anm. 3 zu § 19 S. 108; Crome System d. deutschen bürgerlichen Rechts IV [1908] § 529 Nr. 3b S. 74; Dernburg Bürgerl. Recht VI [1907/10] § 71 I 1 S. 198; Fuld Kunstschutzgesetz [2. Aufl. 1925] Bem. 5 zu § 19 S. 90; Ebermayer in Stengleins Strafrechtl. Nebengesetzen I [5. Aufl. 1928] Anm. 4 zu § 19 KunstschutzG. S. 174; Hillig 385 Gutachten [1928] Nr. 105 bis 110).
aa) Das Berufungsgericht prüft, ob die Bildtafel I, die, mit der Lieferung 106 ausgegeben, jetzt hinter dem Titelblatte von O.s inzwischen vollendetem Schriftwerke folgt und seinem ganzen Schriftinhalte voransteht, im Verhältnis zu diesem Werk erläuternde Zutat sei. Bei der Beantwortung dieser zugleich tatsächlichen und rechtlichen Fragen (die also vom Revisionsgericht nachzuprüfen ist) lehnt es den (namentlich in einem Privatgutachten Dr. Alexander Elsters verfochtenen) Gedanken ab, daß etwa das Bild im Vergleich zu den ganzen Werke betrachtet werden könne. Nur zu den einzelnen Stellen des Textes, die auf das Bild Bezug nehmen, könne es in Beziehung gesetzt werden; mit ihnen nur seine erforderliche innere Zusammenhang vorhanden, der dem Erläuterungszweck eigne. Dem ist beizustimmen. Bei anderen Werken mag unter Umständen nach Umfang, Inhalt und Behandlungsweise, auch nach den Gegenstand des beigefügten Bildes, die Frage anders zu stellen sein und die Antwort anders ausfallen müssen. Das vorliegende Buch O.s über die romanischen Literaturen des Mittelalters ist – vollendet – ein Quartband von 260 Seiten. Es behandelt in seinen zwölf Abschnitten: 1. Die ältesten Denkmäler (S. 7 bis 15); zweitens geistliche und fromme Literatur (S. 16 bis 30); 3. das Heldenepos (S. 30 bis 76); 4. das literarische Epos (S. 76 bis 93); 5. das höfische Epos (S. 93 bis 118); 6. Unterhaltungsliteratur und Novellistik (S. 118 bis 139); 7. Tierepos und Fabel (S. 139 bis 146); 8. die lehrhafte und historische Literatur (S. 146 bis 179); 9. die allegorischen Dichtung (S. 179 bis 188); 10. das Schauspiel (S. 188 bis 193); 11. die lyrische Dichtung (S. 193 bis 246); 12. Dante (S. 246 bis 255). Schon ein Überblick dieses Inhalts lehrt sogleich, daß das Bild Karls des Kahlen auf dem Throne zeitlich, räumliche und gegenständlich nicht zum Ganzen des wissenschaftlichen Schriftwerks, sondern nur zu gewissen Stücken oder Stellen in erläuternder Beziehung stehen kann. Daher verstößt das Berufungsgericht nicht gegen Rechtsgrundsätze, wenn es die Stellen aussucht und behandelt, an denen der Worttext auf das Bild Bezug nimmt. Die Beklagte selbst nennt deren vier: 1. In dem Abschnitt über die ältesten Denkmäler bei dem Straßburger Eidschwur als Zeugnis der Sprachenzweiung (S. 7) (Lieferung 106). 2. Im Abschnitt über das Heldenepos (S. 73), wo nur berichtigend gesagt wird, indem Epos Girards de Roussilon sei als Kämpfer wider seinen Vasallen eigentlich Karl der Kahle statt Karl Martells zu denken (Lieferung 115). 3. In dem Abschnitt über das höfische Epos heißt es (S. 99, in Lieferung 117 enthalten):
Im Verhältnis von Literatur und Gesellschaft vollzog sich während des 12. Jahrhunderts eine Wandlung, deren Wirkung sowohl in den unmittelbaren literarischen Ergebnissen als in dauernden Erscheinungen der romanischen Kultur bis zur französischen Revolution erkennbar ist. Karl der Große betrachtete den Schutz und die Pflege der Poesie und Gelehrsamkeit als eine der vornehmsten Herrschertugenden. Aber sein Interesse an Heldengesang und vulgärer Dichtung blieb vereinzelt. Am Hofe seiner Nachfolger blühte eine armselige lateinische Dichtung, über deren Wert die bibliophile Prachtentfaltung karolingischer Handschriften nicht hinwegtäuschen kann. Die Bücher, die mit soviel Aufwand an Prunk und Farben für Karl den Kahlen hergestellt wurden, wie z. B. der berühmte Codex aureus der Evangelien (s. Tafelbeilage I), sind mit ihren Widmungsgedichten Äußerungen kaiserlicher Würde und höfischen Glanzes, aber kein Ausdruck tieferer Beziehungen des Herrschers zu Literatur und Kunst. Die späteren Karolinger und die ersten Kapetinger trugen entweder eine bewusste Abneigung oder eine hochmütige Gleichgültigkeit den Dingen der Bildung gegenüber zur Schau, wenn sie auch stets eine Schar von Gelehrten, Amanuensen, Lehrern und Geistlichen zu praktischen und dekorativen Zwecken in ihren Diensten hielten. Es ist kein Mäzenatentum, das sich in dieser Sitte äußert. Während des ganzen Mittelalters hatten die Leute dem Fürsten, nicht den Musen zu dienen, und sie stand in direkter Abhängigkeit von den Absichten und Interessen ihrer Herren. Sie gehorchten eher dem Auftrage als der eigenen Inspiration und glänzten deshalb eher durch Gewandtheit als durch persönliche Originalität der Erfindung und des Charakters.
4. Eine Stelle des Abschnitts über lehrhafte und historische Literatur weist (S. 151, in der Lieferung 125) auf die Vorliebe vieler Herrscher und Edelleute für die Erörterung theologischer Streitfragen hin und nennt als Beispiele: „Der Münchener Codex aureus rühmt die Weisheit Karls des Kahlen, ein englischer Handschrift des 13. Jahrhunderts stellt Heinrich II. mit Thomas Becket diskutierend dar (s. o. Abb. 51), Alfons X. von Spanien lebt als Gelehrter in der Erinnerung seines Volkes fort, Ludwig IX. von Frankreich als Heiliger und Robert von Neapel nach Dantes Urteil (Par. VIII, 147) als „re da sermone“. Der Eifer theologischer Gespräche setzte sich an Frankreichs Höfen bis in die vorgerückte Neuzeit ununterbrochen fort.“
bb) Das Berufungsgericht nimmt an, die Stellen auf S. 7, 73 und 151 seien aus dem Bereiche der Erläuterung auszuscheiden, weil dort lediglich die Person Karls des Kahlen erwähnt, aber nichts Näheres über ihn gesagt werde. Für die Erwähnungen auf S. 7 und 73 trifft das sicherlich zu. Zweifelhaft mag es bei der Bemerkung auf S. 151 sein. Denn gerade das auf der Bildtafel I wiedergegebene Blatt des Codex verkündet – in der lateinischen Widmung über und unter dem Thronbilde – den Ruhm des Kaisers. Darum könnte das Bild insofern als erläuternde Bestätigung der Textworte (daß er Codex aureus die Weisheit Karls des Kahlen rühme) gelten.
Zu der Stelle auf S. 99 führt das Berufungsurteil aus:
Sie kann zur Nachbildung (d. h. zur Bildtafel I) nur insoweit in Beziehung gebracht werden, als die Pracht der Handschriften der Minderwertigkeit der lateinischen Widmungsgedichte gegenübergestellt ist. Weitere Ausführungen, zu deren Erläuterung das Bild herangezogen werden könnte, enthält der Text nicht. Vom Beschauer wird also verlangt, daß er selbst in diesem nur beispielsweise erwähnten Falle die Farbenpracht des Bildes und die Bedeutung der einzelnen Figuren darauf erkennt; daß er den Text des auf dem Bild angebrachten lateinischen Widmungsgedichts enträtselt; daß er einen Vergleich zieht zwischen der Schönheit des Bildes und dem Werte des Gedichts. Was damit von dem Beschauer verlangt wird, ist selbständige Gedankenarbeit zur Ergänzung des Textes. Dieser (d. h. das Urteil des Verfassers über den Wert der Widmungsgedichte im allgemeinen) wird durch das bloße Beschauen des Bildes nicht verständlicher. Abgesehen davon kann bei einem Vergleiche der nur beiläufigen Erwähnung des Bildes im Text und der Gedanke, die der Beschauer aus dem Bilde entnehmen soll, keine Rede davon sein, daß dieses zum Text im Verhältnis einer Nebensache zur Hauptsache stehe.
Das Berufungsgericht nimmt also an, das Bild könne im Vergleich zu den wenigen Sätzen des Schriftwerktextes, mit denen es sachlich durch Stoff und gemeinsame Gedanken zusammengehört, nicht als Nebensache betrachtet werden. Überdies mute es den meisten Lesern nach ihrer Vorbildung wahrscheinlich Denkarbeit und Mühe zu, statt ihnen den Text leichtfaßlich zu erklären oder zu veranschaulichen. In dieser Beurteilung liegt von selbst eingeschlossen, daß einem besonders kundigen, geübten Teil der Leser (freilich nur einer Minderheit) immerhin Erläuterung des Textes geboten werden möge. Für sie bliebe damit die Möglichkeit offen, daß ihnen das Bild als ergänzende Zutat der Textsätze und demnach als Nebensache erscheine. Diese Würdigung – die übrigens für die Stelle S. 151 gleichfalls zuträfe – läßt keinen rechtlichen Irrtum erkennen; auch keinen Irrtum in Tatsachen, die die Rechtsanwendung beeinflussen müsste.
c) Selbst wenn – wie für die Fälle das Berufungsgericht unterstellt – die Bildtafel als bloße Nebensache des Worttextes anzusehen wäre und zu dessen Erläuterung diente, so müßte hinzukommen, daß sie ausschließlich zur Erläuterung des Schriftwerksinhalts (oder einzelner Stellen oder gewisser gedanklich zusammengehörender Teile) aufgenommen worden sei. Das ist nach der Feststellung des Berufungsurteils nicht der Fall. Das Oberlandesgericht führt aus:
Gegen eine solche Annahme spricht die Art, wie die Beklagte die Reproduktion in dem von ihr ausgegebenen Werke wiedergegeben hat, und die Stellung, die sie der Nachbildung darin gegeben hat. Die Nachbildung gibt die Farben der Reproduktion der Klägerin wieder, ist auf ein Blatt Pappe aufgezogen und als Tafel I an die Spitze der ganzen sonder Abhandlung über die romanischen Literaturen des Mittelalters gestellt. Die in dieser Abhandlung sonst gebrachten Abbildungen sind in Schwarzdruck wiedergegeben und in den Text eingeschoben. Erst das 5. Heft der Abhandlung (Lieferung 125) enthält wieder eine Tafel (Tafel II, Alexanders Tauchfahrt) mit Farbdruck in derselben Aufmachung wie die Tafel I. Daraus ergibt sich deutlich, daß die Beklagte mit der Aufnahme der Nachbildung in das Werk dekorative Zwecke verfolgt hat; daß ihr darum zu tun war, durch Anbringung der vorzüglich gelungenen Nachbildung an hervorragender Stelle das Werk zu schmücken und Liebhaber anzuziehen.
Diese Ausführung des Berufungsurteils verstößt weder gegen Rechtsgrundsätze noch enthält sie einen Irrtum über Tatsachen, der die rechtliche Beurteilung ändern könnte. Die Revisionsangriffe dawider sind ungerechtfertigt.
aa) Wohl haben sich, wie gerichtsbekannt, in bezug auf die Beigabe von Bildern zu wissenschaftlichen Werken Geschmacksrichtung, Zweckstreben und tatsächliche Übung im Laufe der letzten Jahrzehnte geändert. Während man früher in Kreisen der Forscher und gelehrten Schriftsteller (abgesehen von Gebieten, die des Bildes als unentbehrlichen Anschauungsmittels Wimmer bedurften,) der Bilderzutat nicht geneigt war und allein durchs Wort zu wirken gedachte, ging man später in steigendem Maße dazu über, den Text von mannigfaltigen Gesichtspunkten aus durch Bilderbeispiele zu belegen, ja bisweilen fortlaufend zu begleiten. Das von W. herausgegebene Sammelwerk, dem O.s Abhandlung zugehört, bedient sich durchweg in großem Umfange der Abbildung als Beigabe des Textes. Die Revision mag zugegeben werden: Dieses Handbuch wolle (auch in den Teile, den O. verfaßt hat) die Literaturgeschichte in die gesamte Kulturgeschichte, in die geistigen Strömungen und Bewegungen der jeweils beschriebenen Zeitspanne einbeziehen. Die Abhandlung O.s über die romanischen Literaturen wolle dem Leser das Mittelalter, die Umwelt des Schrifttums, anschaulich und lebendig machen, und zwar nicht bloß durch Textschilderung, sondern auch durch die zu Hilfe genommen Bilder. Aus dieser planmäßigen Anlage und Behandlung folgt aber nicht, wie die Revision will, daß alle in das Werk aufgenommenen Abbildungen ausschließlich zu Erläuterung des Inhalts bestimmt seien. Vielmehr bedarf die Frage, ob das zutreffe, gerade der Prüfung im einzelnen Fall unter Berücksichtigung der Umstände und beweisenden Anzeichen. Für die Antwort ist nicht entscheidend, daß etwa der Verfasser die Aufnahme des Bildes ausdrücklich angeordnet hat. Seine und des Verlegers Beweggründe geben nicht (wie z. B. Dr. Elster in seinem Privatgutachten es vertritt) dermaßen den Ausschlag, daß das Gericht sich ihnen unterzuordnen und daraufhin ohne weiteres eine Ausübung des die Urheberbefugnisse am Bilde einschränken Zitierrechts anzuerkennen hätte. Neben jenen Beweggründen und Absichten der an der der Gestaltung und Ausstattung maßgebend Beteiligten ist auch die Aufgabe zu beachten, welche das Bild in dem Werke, dem es einverleibt wurde, beim Gebrauch in der Leserwelt tatsächlich erfüllt. Auf sie liegt das Berufungsgericht begründeterweise besonderen Wert; und mit Recht berücksichtigt ist die Rolle des streitigen Bildes im Verhältnis zum entsprechenden Texte für die überwiegende Mehrheit der Benutzer.
Zu der hier umstrittenen Bildtafel I bemerkt übrigens Professor Dr. Franz in seinem für die Beklagte erstatteten Privatgutachten: Das Bild habe, weil es prächtig sei, natürlich auch dekorative Bedeutung; nur diene es nicht bloß zum Schmucke des Buches. Die Vorinstanzen setzen sich demnach nicht einmal in Widerspruch zu dem fachmäßigen Urteil dieses als Parteigutachter zu Worte gelangten Literaturkundigen.
bb) Die Entwicklungsgeschichte der Gesetzesvorschrift erfordert ebenfalls Beachtung. Im Gesetz vom 9. Januar 1876 (RGBl. S. 4) bestimmte der § 6 Nr. 4,das als verbotene Nachbildung nicht anzusehen sei „die Aufnahme von Nachbildungen einzelner Werke der bildenden Künste in ein Schriftwerk, vorausgesetzt, daß das letztere als die Hauptsache erscheint und die Abbildungen nur zur Erläuterung des Textes dienen“. Das Gesetz vom 9. Januar 1907 (§ 19) hebt in den Worten „ausschließlich zu Erläuterung des Inhalts“ das Einschränkende der Bestimmung schärfer hervor. Dadurch, daß statt „Text“ jetzt „Inhalt“ steht, wird es nicht gemildert. Und die der Verwendung von Bildern auch in wissenschaftlichen Werken günstigere Geschmacksrichtung genügt nicht, einen grundsätzlichen Wandel der Gesetzesauslegung herbeizuführen. Nach wie vor muß auch der Hinweis beachtet werden, die sich schon in der Begründung des Gesetzentwurfs zum § 19 findet: die ihm vorgesehene Einschränkung sei nötig, um zu verhüten, daß unter dem Vorwand einer selbständigen Arbeit (und der Einverleibung in sie) eine den Urheber schädigende Ausbeutung künstlerischer oder photographischer Abbildungen stattfinden (Reichstag, 11. Legislatur-Periode II. Session 1905/06 Nr. 30 S. 26).
Die Vorinstanzen wenden darum zutreffend eine einschränkende Auslegung an. Sie entspricht schon dem Wesen des § 19 KunstschutzG. als Ausnahmevorschrift im Vergleich zu der Regel (§ 15), in der die ausschließliche Befugnis des Urhebers gesichert wird (vgl. für entsprechende Sätze des Gesetzes vom 19. Juni 1901 RGZ. Bd. 128 S. 102 bis 104, 111, 113). Gegen diese Folgerung aus dem Aufbau des Gesetzes greift nicht durch, daß das photographische Urheberrecht (wie die Beklagte und ihr Privatgutachter Dr. Elster ausführen) im Vergleich zum Urheberrechte des bildenden Künstlers nur ein schwächeres, daher für kürzere Dauer geschütztes Recht sei (§ 26 in Verb. mit § 25 KunstschutzG.). Den hier handelt es sich nicht um Abwägung dieser beiden Urheberrechte gegeneinander, sondern einfach um den Schutz des photographischen Urhebers gegen (jetzt unbestrittene) Nachbildung. Für die Auslegung der Beklagten fiele auch nicht in die Waagschale, daß die schrift- und bildgetreue Wiedergabe eines Werkes wie das Codex aureus für Bildvervielfältigung, Druck- und Buchwesen eine Entlastung des Originals bedeuten mag; daß eine Faksimile-Ausgabe tatsächlich ermöglicht, die kostbare Ur-Handschrift zu schonen und Gefahren, die mit unmittelbarer Nachbildung verbunden wären, von ihr abzuwenden. Solche Verkehrserscheinungen können in anderer Hinsicht wichtig sein. Sie ändern aber nichts daran, daß Bildentnahme aus einem urheberrechtlich geschützten Werke nur unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen freisteht, auch wenn dieses Werk selbst Nachbildung einer urheberrechtlich ungeschützten alten Handschrift ist.
Mit Recht sieht das Berufungsgericht es als beachtenswert an, daß zunächst die Beklagte, um das Blatt V des Codex aureus in W.s Handbuch aufnehmen zu können, eine Nachbildung unmittelbar aus der Handschrift anbahnte und die Erlaubnis dazu einholte. Sie ging also selbst davon aus, daß sie diesen Weg einschlagen müsse. Die Gründe, aus denen er dann verlassen und die Vervielfältigung aus der Faksimileausgabe der Klägerin vorgezogen wurde, blieben während des ganzen Rechtsstreits unaufgeklärt. Ja, die Beklagte stellte in Abrede, eine Nachbildung aus der Faksimileausgabe verwendet zu haben, und gestand es erst ein, als es ihr bewiesen worden war.
Das Berufungsgericht gelangt sonach mit Recht zu dem Ergebnis, daß sich die Beklagte für ihre Entnahme des Bildes aus der Codex-Nachbildung (Faksimileausgabe) der Klägerin nicht auf § 19 KunstschutzG. berufen könne. Denn das Bild sei nicht ausschließlich zu Erläuterung des Schriftwerk-Inhaltes, sondern vorzugsweise zum Schmucke des Buches aufgenommen worden. Dem steht nicht entgegen, daß auch erläuterungshalber beigefügte Abbildungen oftmals eine anziehende Zutat, ja eine Zierde des Buches ausmachen. Entscheidend ist, daß hier, wie ohne Verstoß gegen Rechtsregeln festgestellt worden ist, der Schmuckzweck den Erläuterungszweck weit überwiegt. Ist also die Vervielfältigung der Beklagten unzulässig, so rechtfertigt sich der Klaganspruch auf Untersagung des Herstellens, Vervielfältigens und Verbreitens jener Nachbildung (§ 15 KunstschutzG. in Verb. mit § 1004 BGB., § 890 ZPO.) aus den im Berufungsurteil näher angegebenen Gründen. Auch Vernichtung ist – ohne Rücksicht auf Verschulden – in dem vom Berufungsgericht bezeichneten Umfange gesetzlich begründet (§ 37 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, § 42 KunstschutzG.).
3. Überdies stellt das Berufungsgericht fest, daß die Beklagte absichtlich unterlassen habe, auf der Nachbildung oder in dem Hefte, dem sie beigefügt war, die Quelle deutlich anzugeben (§ 19 Abs. 2 KunstschutzG.). Die Revision beanstandet dies mit den Hinweise, daß die Quellenangabe am Schlusse des (mit der Lieferung 144 vollständig gewordenen) Bandes unterdessen nachgeholt worden sei; sie führt aus, eine andere und frühere Quellenangabe sei nicht geboten gewesen. Auf dieser Revisionsangriff bleibt erfolglos. Denn der Vermerk auf der zur Lieferung 106 beigefügten Bildtafeln I lautete: „Kaiser Karl der Kahle auf dem Throne. Aus dem sogen. Codex aureus von St. Emmeran zu Regensburg, um 870(?) zu Corbie (Somme) angefertigt. Bayer. Staatsbibliothek, München, Cod. lat. 14000, Bl. 5 v.“ Diese Fassung erweckte den Anschein, daß die Nachbildung unmittelbar nach den Originale des Kodex gemacht worden sei, und verschwieg die Entnahme aus dem Faksimile-Kodex der Klägerin. Demnach handelte es sich um keine bloße Unterlassung der richtigen Angaben bis zum Schlusse des Werkes, sondern um eine irreführende Bezeichnung, die zu der gesetzlich gebotenen „deutlichen“ Angabe geradezu in Widerspruch stand. Bei lieferungsweise erscheinenden Werken darf eine vorläufige Quellenangabe nicht so beschaffen sein, daß sie – bis zum ungewissen Erscheinen berichtigter Angaben am Schlusse des Werkes – Irrtum hervorruft. Der Revisionsangriff scheitert somit an der ausdrücklichen Feststellung des Berufungsrichters.
II.
Das Oberlandesgericht stellt weiterhin fest, die Beklagte habe vorsätzlich die Nachbildung der Reproduktion der Klägerin in das Werk aufgenommen und sei „sich dabei wenigstens der Möglichkeit bewußt gewesen, das Recht der Klägerin zu verletzen“. Die Feststellung der Schadensersatzpflicht ist also ebenfalls gerechtfertigt (§ 31 KunstschutzG., § 256 ZPO.). In den Gründen bemerkt das Berufungsgericht: Die Klägerin könne auf jeden Fall als entgangenen Gewinn verlangen, was ihr die Beklagte bei Einholung der Erlaubnis zur Nachbildung billigerweise an Vergütung hätte zahlen müssen. Hierzu für die Revision aus: ein weiterer Schaden als die entgangene angemessene Vergütung könne überhaupt nicht entstanden sein; darum hätte der Anspruch der Klägerin schon dem Grunde nach in diesen Grenzen gehalten und im Urteil entsprechend beschränkt, darüber hinaus aber aberkannt werden müssen. Dem ist nicht beizustimmen. Der Antrag der Klägerin bezweckte die Feststellung, daß ihr die Beklagte überhaupt wegen schuldhafter Verletzung des photographischen Urheberrechts an einem einzigen bestimmten Werke zum Schadensersatz verpflichtet sei. Gelangte das Gericht dazu, das festzustellen, dann bedurfte es keiner näheren Bezeichnung und Begrenzung; diese konnte dem späteren Streit über den Leistungsanspruch vorbehalten bleiben.
III.
Die ferner ausgesprochene Verurteilung der Beklagten, der Klägerin über die Herstellung, Vervielfältigung und Verbreitung der Bildtafel I Rechnung zu legen, findet ihre Grundlage nach ständiger Gesetzesanwendung in Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 687 Abs. 2 in Verb. mit § 681 Satz 2 und § 666 BGB.). . . .
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