EuGH, 23.05.1996 - C-5/94
Leitsätze
1. Die Verweigerung von Ausfuhrgenehmigungen durch einen Mitgliedstaat ist eine mengenmässige Ausfuhrbeschränkung, die Artikel 34 des Vertrages zuwiderläuft.
2. Das Gemeinschaftsrecht verwehrt es einem Mitgliedstaat, sich auf Artikel 36 des Vertrages zu berufen, um eine Beschränkung der Ausfuhren von Waren in einen anderen Mitgliedstaat nur mit der Begründung zu rechtfertigen, daß dieser zweite Mitgliedstaat sich nach Ansicht des ersten Mitgliedstaats nicht an die Vorschriften einer Harmonisierungsrichtlinie der Gemeinschaft hält, die das Ziel, das mit dem Rückgriff auf Artikel 36 geschützt werden soll, verfolgt.
Gegen dieses Verbot des Rückgriffs auf Artikel 36 spricht auch nicht der Umstand, daß die Richtlinie weder ein gemeinschaftliches Verfahren für die Kontrolle ihrer Einhaltung bereitstellt noch Sanktionen für den Fall des Verstosses gegen ihre Vorschriften vorsieht. Dieser Umstand führt lediglich dazu, daß die Mitgliedstaaten nach den Artikeln 5 Absatz 1 und 189 Absatz 3 des Vertrages verpflichtet sind, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. Dabei müssen sich die Mitgliedstaaten hinsichtlich der in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet durchgeführten Kontrollen gegenseitig Vertrauen entgegenbringen; ein Mitgliedstaat ist nicht berechtigt, einseitig Ausgleichs- oder Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, um einer möglichen Missachtung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften durch einen anderen Mitgliedstaat entgegenzuwirken.
3. Ein Mitgliedstaat ist dann zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem einzelnen dadurch entstanden ist, daß ihm unter Verstoß gegen Artikel 34 des Vertrages eine Ausfuhrgenehmigung verweigert wurde, wenn die verletzte gemeinschaftsrechtliche Vorschrift bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen, wenn der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und wenn ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen diesem Verstoß und dem Schaden besteht, der dem einzelnen entstanden ist. Unter diesem Vorbehalt hat der Staat die Folgen des durch einen ihm zuzurechnenden Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht verursachten Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben, wobei die im anwendbaren nationalen Recht festgelegten Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen als bei entsprechenden innerstaatlichen Ansprüchen; auch dürfen diese Voraussetzungen nicht so ausgestaltet sein, daß die Erlangung der Entschädigung praktisch unmöglich oder übermässig erschwert ist.
4. Die blosse Verletzung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die dem einzelnen Rechte verleiht, durch einen Mitgliedstaat, der zum Zeitpunkt dieser Rechtsverletzung keine gesetzgeberischen Entscheidungen zu treffen hatte und über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügte, kann ausreichen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen, der eine Verpflichtung zum Ersatz des dem einzelnen entstandenen Schadens begründen kann.
Entscheidungsgründe
1 Der High Court of Justice, Queen' s Bench Division, hat mit Beschluß vom 6. Dezember 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Januar 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung der Artikel 34 und 36 EG-Vertrag und des Grundsatzes der ausservertraglichen Haftung des Staates wegen Verletzung des Gemeinschaftsrechts zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Hedley Lomas (Ireland) Ltd (im folgenden: Klägerin) und dem Ministry of Agriculture, Fisheries and Food (Ministerium für Landwirtschaft, Fischerei und Ernährung) von England und Wales über die Weigerung des Ministeriums, eine von der Klägerin am 7. Oktober 1992 beantragte Genehmigung für die Ausfuhr von lebenden Schafen nach Spanien zu erteilen.
3 In der Zeit vom April 1990 bis zum 1. Januar 1993 verweigerte das Ministerium für Landwirtschaft, Fischerei und Ernährung von England und Wales systematisch Genehmigungen für die Ausfuhr lebender Schlachttiere nach Spanien mit der Begründung, daß die Tiere in den dortigen Schlachtbetrieben auf eine Weise behandelt würden, die der Richtlinie 74/577/EWG des Rates vom 18. November 1974 über die Betäubung von Tieren vor dem Schlachten (ABl. L 316, S. 10; im folgenden: Richtlinie) zuwiderlaufe.
4 Die Richtlinie, die auf die Artikel 43 und 100 EWG-Vertrag gestützt ist, soll ° wie sich aus ihren Begründungserwägungen ergibt ° die Unterschiede zwischen den Tierschutzvorschriften der Mitgliedstaaten beseitigen, die geeignet sind, das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes unmittelbar zu beeinträchtigen; sie soll ausserdem dafür sorgen, daß den Tieren ganz allgemein jede grausame Behandlung erspart bleibt und, als erster Schritt, daß ihnen bei der Schlachtung nicht mehr als unvermeidbare Schmerzen zugefügt werden. Die Artikel 1 und 2 der Richtlinie schreiben den Mitgliedstaaten beim Schlachten von Rindern, Schafen, Schweinen, Ziegen und Einhufern geeignete und anerkannte Betäubungsmethoden vor. Die Richtlinie harmonisiert nicht die Verfahren für die Kontrolle der Einhaltung ihrer Bestimmungen.
5 Das Königreich Spanien war mit seinem Beitritt zur Gemeinschaft am 1. Januar 1986 verpflichtet, der Richtlinie nachzukommen.
6 Die Richtlinie wurde in Spanien durch das Königliche Dekret vom 18. Dezember 1987 (Boletin Oficial del Estado Nr. 312 vom 30. Dezember 1987) umgesetzt, das insbesondere die Bestimmungen ihrer Artikel 1 und 2 wiedergibt und als zulässige Betäubungsverfahren die Verwendung von Schussapparaten, Elektroschocks oder Kohlendioxid nennt. Das Dekret sieht für den Fall der Nichtbeachtung seiner Vorschriften keine Sanktionen vor.
7 Ungeachtet des Erlasses dieses Dekrets gelangte das Ministerium für Landwirtschaft, Fischerei und Ernährung von England und Wales insbesondere aufgrund von Auskünften des spanischen Tierschutzverbands zu der Überzeugung, daß sich eine Reihe spanischer Schlachtbetriebe nicht an die Vorschriften der Richtlinie hielten, weil sie entweder die erforderlichen Geräte zur Betäubung der Tiere nicht besässen oder weil diese Geräte dort nicht oder nicht richtig eingesetzt würden. Obwohl es keine umfassenden Beweise für die Gesamtsituation in den spanischen Schlachtbetrieben hatte, war das Ministerium der Ansicht, daß die ihm vorliegenden Informationen die Nichtbeachtung der Richtlinie in einem solchen Ausmaß bewiesen, daß eine nicht unerhebliche Gefahr bestehe, daß die zur Schlachtung nach Spanien ausgeführten Tiere dort eine der Richtlinie zuwiderlaufende Behandlung erfahren würden.
8 Nachdem 1990 Beschwerden von Gruppen, die sich sowohl im Vereinigten Königreich als auch in Spanien für den Tierschutz einsetzten, bei der Kommission eingegangen waren, nahm die Kommission Kontakt zu den spanischen Behörden auf und traf mit ihnen zu mehreren Gesprächen zusammen, um die Lage dort, insbesondere im Hinblick auf das Fehlen von Maßnahmen zur Durchsetzung der spanischen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie, zu untersuchen. In Anbetracht der Zusicherungen der spanischen nationalen wie auch regionalen Behörden hinsichtlich der Anwendung der Richtlinie beschloß die Kommission 1992, keine Klage gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag zu erheben. Im Juli 1992 teilte sie den britischen Behörden mit, daß sie das vom Vereinigten Königreich verhängte allgemeine Verbot der Ausfuhr lebender Tiere nach Spanien als Verstoß gegen Artikel 34 EWG-Vertrag betrachte, der nicht nach Artikel 36 EWG-Vertrag gerechtfertigt werden könne.
9 Dieses allgemeine Verbot wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1993 nach einem Treffen zwischen dem Chief Veterinary Officer des Vereinigten Königreichs und seinem spanischen Amtskollegen aufgehoben; dabei waren die von Spanien bei der Durchführung der Richtlinie erzielten Fortschritte geprüft und die Möglichkeiten erörtert worden, wie von nun an dafür gesorgt werden könne, daß alle aus dem Vereinigten Königreich stammenden Tiere der Richtlinie gemäß behandelt würden. Nach diesem Gedankenaustausch trafen die beiden Regierungen Maßnahmen, um sicherzustellen, daß die aus dem Vereinigten Königreich zur sofortigen Schlachtung in Spanien ausgeführten Tiere nur in Schlachtbetriebe geschickt würden, in denen nach den Zusicherungen der spanischen Behörden die gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse des Tierschutzes beachtet würden.
10 Am 7. Oktober 1992 beantragte die Klägerin eine Genehmigung zur Ausfuhr einer Anzahl lebender Schafe, die in einem namentlich genannten spanischen Schlachtbetrieb geschlachtet werden sollten. Die Genehmigung wurde nicht erteilt, obwohl der betreffende Schlachtbetrieb nach den von der Klägerin eingeholten Informationen seit 1986 zugelassen war und sich an die Tierschutzrichtlinien der Gemeinschaft hielt und die Behörden des Vereinigten Königreichs keine gegenteiligen Beweise hatten.
11 Die Klägerin erhob beim High Court of Justice Klage auf Feststellung, daß die Ablehnung des Antrags durch das Ministerium für Landwirtschaft, Fischerei und Ernährung gegen Artikel 34 des Vertrages verstösst, sowie auf Schadensersatz.
12 Das Ministerium bestreitet nicht, daß die Nichterteilung der Ausfuhrgenehmigung eine mengenmässige Ausfuhrbeschränkung darstelle, ist aber der Ansicht, sie sei nach Artikel 36 des Vertrages gerechtfertigt und daher mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar.
13 Da der High Court of Justice in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts für erforderlich hält, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Hindert das Bestehen einer Harmonisierungsrichtlinie (Richtlinie 74/577/EWG), die keine Sanktionen oder Verfahren für den Fall ihrer Nichteinhaltung enthält, einen Mitgliedstaat (Mitgliedstaat A) daran, sich auf Artikel 36 EWG-Vertrag zu berufen, um ausfuhrbeschränkende Maßnahmen zu rechtfertigen, wenn ein in diesem Artikel aufgeführtes Interesse dadurch gefährdet ist, daß ein anderer Mitgliedstaat (Mitgliedstaat B) tatsächlich nicht sicherstellt, daß die in der Richtlinie geforderten Ergebnisse erreicht werden?
Wenn die Frage 1 verneint wird:
2. Ist unter den in der Frage 1 beschriebenen Umständen der Mitgliedstaat A nach Artikel 36 berechtigt, die Ausfuhr lebender Schafe in den Mitgliedstaat B zum Schlachteni) allgemein
oder
ii) wenn der festgelegte Bestimmungsort der Schafe ein Schlachtbetrieb im Mitgliedstaat B ist, in bezug auf den der Mitgliedstaat A keine Beweise dafür hat, daß die Bestimmungen der Richtlinien nicht eingehalten werden,
zu verbieten?Wenn die Frage 1 bejaht oder die Frage 2 verneint wird und die Umstände dieses Falles vorliegen:
3. Ist der Mitgliedstaat A nach dem Gemeinschaftsrecht verpflichtet, einem Wirtschaftsteilnehmer Schadensersatz für jeden Verlust zu leisten, der diesem dadurch entstanden ist, daß unter Verstoß gegen Artikel 34 keine Ausfuhrgenehmigung erteilt wurde, und, wenn dies der Fall ist, unter welchen Voraussetzungen entsteht eine solche Verpflichtung, und wie ist die Entschädigung zu berechnen?
Zur ersten und zur zweiten Frage
14 Die erste Frage ist so zu verstehen, daß das nationale Gericht wissen möchte, ob es das Gemeinschaftsrecht einem Mitgliedstaat verwehrt, sich auf Artikel 36 des Vertrages zu berufen, um eine Beschränkung der Ausfuhren von Waren in einen anderen Mitgliedstaat nur mit der Begründung zu rechtfertigen, daß sich dieser zweite Mitgliedstaat nach Ansicht des ersten Mitgliedstaats nicht an die Vorschriften einer Harmonisierungsrichtlinie der Gemeinschaft hält, die das Ziel, das mit dem Rückgriff auf Artikel 36 geschützt werden soll, verfolgt, ohne jedoch ein Verfahren für die Kontrolle ihrer Anwendung oder Sanktionen für den Fall des Verstosses gegen ihre Vorschriften vorzusehen.
15 Vor der Beantwortung der Fragen ist festzustellen, daß im vorliegenden Fall ° wie sich aus dem Vorlagebeschluß ergibt ° die von den Behörden des Vereinigten Königreichs geuebte allgemeine Praxis, Genehmigungen für die Ausfuhr nach Spanien zu verweigern, lediglich auf der Überzeugung beruhte, daß einige spanische Schlachtbetriebe sich nicht an die Vorschriften der Richtlinie hielten und daß zumindest eine nicht zu vernachlässigende Gefahr bestehe, daß die Behandlung der nach Spanien ausgeführten Tiere bei der Schlachtung der Richtlinie zuwiderlaufe.
16 Die erste Frage des vorlegenden Gerichts ist unter Berücksichtigung dieses Sachverhalts zu beantworten.
17 Die Verweigerung von Ausfuhrgenehmigungen durch einen Mitgliedstaat ist eine mengenmässige Ausfuhrbeschränkung, die Artikel 34 des Vertrages zuwiderläuft.
18 Durch den Rückgriff auf Artikel 36 des Vertrages können zwar Beschränkungen des freien Warenverkehrs aufrechterhalten werden, die zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Tieren gerechtfertigt sind, denn dieser Schutz wird vom Gemeinschaftsrecht als wesentliches Erfordernis anerkannt. Jedoch ist dieser Rückgriff nicht mehr möglich, wenn Richtlinien der Gemeinschaft die Harmonisierung der Maßnahmen vorsehen, die zur Verwirklichung des konkreten Ziels, das durch den Rückgriff auf Artikel 36 erreicht werden soll, erforderlich sind.
19 Gegen dieses Verbot des Rückgriffs auf Artikel 36 spricht auch nicht der Umstand, daß die Richtlinie im vorliegenden Fall weder ein gemeinschaftliches Verfahren für die Kontrolle ihrer Einhaltung bereitstellt noch Sanktionen für den Fall des Verstosses gegen ihre Vorschriften vorsieht. Der Umstand, daß die Richtlinie kein Kontroll- und Sanktionsverfahren vorsieht, führt lediglich dazu, daß die Mitgliedstaaten nach den Artikeln 5 Absatz 1 und 189 Absatz 3 des Vertrages verpflichtet sind, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten (vgl. insbesondere Urteil vom 21. September 1989 in der Rechtssache 68/88, Kommission/Griechenland, Slg. 1989, 2965, Randnr. 23). Dabei müssen sich die Mitgliedstaaten hinsichtlich der in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet durchgeführten Kontrollen gegenseitig Vertrauen entgegenbringen (vgl. auch Urteil vom 25. Januar 1977 in der Rechtssache 46/76, Bauhuis, Slg. 1977, 5, Randnr. 22).
20 In diesem Zusammenhang ist ein Mitgliedstaat nicht berechtigt, einseitig Ausgleichs- oder Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, um einer möglichen Missachtung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften durch einen anderen Mitgliedstaat entgegenzuwirken (Urteile vom 13. November 1964 in den verbundenen Rechtssachen 90/63 und 91/63, Kommission/Luxemburg und Belgien, Slg. 1964, 1329, und vom 25. September 1979 in der Rechtssache 232/78, Kommission/Frankreich, Slg. 1979, 2729, Randnr. 9).
21 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, daß es das Gemeinschaftsrecht einem Mitgliedstaat verwehrt, sich auf Artikel 36 des Vertrages zu berufen, um eine Beschränkung der Ausfuhren von Waren in einen anderen Mitgliedstaat nur mit der Begründung zu rechtfertigen, daß dieser zweite Mitgliedstaat sich nach Ansicht des ersten Mitgliedstaats nicht an die Vorschriften einer Harmonisierungsrichtlinie der Gemeinschaft hält, die das Ziel, das mit dem Rückgriff auf Artikel 36 geschützt werden soll, verfolgt, ohne jedoch ein Verfahren für die Kontrolle ihrer Anwendung oder Sanktionen für den Fall des Verstosses gegen ihre Vorschriften vorzusehen.
22 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage nicht beantwortet zu werden.
Zur dritten Frage
23 Mit der dritten Frage bittet das nationale Gericht den Gerichtshof um Klarstellung, unter welchen Voraussetzungen ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, die Schäden zu ersetzen, die einem einzelnen dadurch entstanden sind, daß er unter Verstoß gegen Artikel 34 des Vertrages die Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung verweigert hat.
24 Der Grundsatz einer Haftung des Staates für Schäden, die dem einzelnen durch dem Staat zurechenbare Verstösse gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, folgt aus dem Wesen der mit dem Vertrag geschaffenen Rechtsordnung (Urteile vom 19. November 1991 in den verbundenen Rechtssachen C-6/90 und C-9/90, Francovich u. a., Slg. 1991, I-5357, Randnr. 35, und vom 5. März 1996 in den verbundenen Rechtssachen C-46/93 und C-48/93, Brasserie du pêcheur und Factortame, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 31). Die Voraussetzungen, unter denen diese Staatshaftung einen Entschädigungsanspruch eröffnet, hängen von der Art des Verstosses gegen das Gemeinschaftsrecht ab, der dem entstandenen Schaden zugrunde liegt (Urteil Francovich u. a., a. a. O., Randnr. 38; Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, a. a. O., Randnr. 38).
25 Zu einem einem Mitgliedstaat zurechenbaren Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht auf einem Gebiet, auf dem dieser bei der Wahl seiner gesetzgeberischen Mittel über einen weiten Gestaltungsspielraum verfügt, hat der Gerichtshof im Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame (a. a. O., Randnr. 51) entschieden, daß ein solcher Schadensersatzanspruch dann anzuerkennen ist, wenn die drei Voraussetzungen erfuellt sind, daß die Rechtsnorm, gegen die verstossen worden ist, bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen, daß der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und daß zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht.
26 Diese drei Voraussetzungen gelten auch im vorliegenden Fall.
27 Hinsichtlich der ersten Voraussetzung ergibt sich aus der Antwort auf die erste Frage, daß die Weigerung des Vereinigten Königreichs, der Klägerin eine Ausfuhrgenehmigung zu erteilen, eine mengenmässige Ausfuhrbeschränkung darstellte, die gegen Artikel 34 des Vertrages verstieß, ohne daß sie durch Rückgriff auf Artikel 36 gerechtfertigt werden konnte. Ebenso wie Artikel 34 den Mitgliedstaaten ein Verbot auferlegt, verleiht er dem einzelnen Rechte, die die Gerichte der Mitgliedstaaten zu wahren haben (Urteil vom 29. November 1978 in der Rechtssache 83/78, Pigs Marketing Board, Slg. 1978, 2347, Randnrn. 66 und 67).
28 Was die zweite Voraussetzung angeht, so kann die blosse Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch einen Mitgliedstaat, der zum Zeitpunkt dieser Rechtsverletzung keine gesetzgeberischen Entscheidungen zu treffen hatte und über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügte, ausreichen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen.
29 In diesem Zusammenhang ist ausserdem festzustellen, daß das Vereinigte Königreich im vorliegenden Fall nicht einmal in der Lage war, den konkreten Beweis dafür zu erbringen, daß der Schlachtbetrieb, in dem die Tiere geschlachtet werden sollten, für die die Ausfuhrgenehmigung beantragt worden war, sich nicht an die Richtlinie hielt.
30 Was die dritte Voraussetzung angeht, so ist es Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem der Klägerin des Ausgangsverfahrens entstandenen Schaden besteht.
31 Wie sich aus dem Urteil Francovich u. a. (a. a. O., Randnrn. 41 bis 43) ergibt, hat der Staat vorbehaltlich des Entschädigungsanspruchs, der, sofern die drei oben genannten Voraussetzungen erfuellt sind, seine Grundlage unmittelbar im Gemeinschaftsrecht findet, die Folgen des verursachten Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben, wobei die dort festgelegten Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen als bei entsprechenden innerstaatlichen Ansprüchen; auch dürfen sie nicht so ausgestaltet sein, daß die Erlangung der Entschädigung praktisch unmöglich oder übermässig erschwert ist (vgl. auch Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, a. a. O., Randnr. 67).
32 Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, daß ein Mitgliedstaat zum Ersatz des Schadens, der einem einzelnen dadurch entstanden ist, daß ihm unter Verstoß gegen Artikel 34 des Vertrages eine Ausfuhrgenehmigung verweigert wurde, dann verpflichtet ist, wenn die verletzte gemeinschaftsrechtliche Vorschrift bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen, wenn der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und wenn ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen diesem Verstoß und dem Schaden besteht, der dem einzelnen entstanden ist. Unter diesem Vorbehalt hat der Staat die Folgen des durch einen ihm zuzurechnenden Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht verursachten Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben, wobei die im anwendbaren nationalen Recht festgelegten Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen als bei entsprechenden innerstaatlichen Ansprüchen; auch dürfen diese Voraussetzungen nicht so ausgestaltet sein, daß die Erlangung der Entschädigung praktisch unmöglich oder übermässig erschwert ist.
Kostenentscheidung
Kosten
33 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom High Court of Justice, Queen' s Bench Division, mit Beschluß vom 6. Dezember 1993 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Das Gemeinschaftsrecht verwehrt es einem Mitgliedstaat, sich auf Artikel 36 EG-Vertrag zu berufen, um eine Beschränkung der Ausfuhren von Waren in einen anderen Mitgliedstaat nur mit der Begründung zu rechtfertigen, daß sich dieser zweite Mitgliedstaat nach Ansicht des ersten Mitgliedstaats nicht an die Vorschriften einer Harmonisierungsrichtlinie der Gemeinschaft hält, die das Ziel, das mit dem Rückgriff auf Artikel 36 geschützt werden soll, verfolgt, ohne jedoch ein Verfahren für die Kontrolle ihrer Anwendung oder Sanktionen für den Fall des Verstosses gegen ihre Vorschriften vorzusehen.
2. Ein Mitgliedstaat ist dann zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem einzelnen dadurch entstanden ist, daß ihm unter Verstoß gegen Artikel 34 EG-Vertrag eine Ausfuhrgenehmigung verweigert wurde, wenn die verletzte gemeinschaftsrechtliche Vorschrift bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen, wenn der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und wenn ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen diesem Verstoß und dem Schaden besteht, der dem einzelnen entstanden ist. Unter diesem Vorbehalt hat der Staat die Folgen des durch einen ihm zuzurechnenden Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht verursachten Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben, wobei die im anwendbaren nationalen Recht festgelegten Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen als bei entsprechenden innerstaatlichen Ansprüchen; auch dürfen diese Voraussetzungen nicht so ausgestaltet sein, daß die Erlangung der Entschädigung praktisch unmöglich oder übermässig erschwert ist.