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BGH, 17.02.1989 - 2 StR 402/88

Daten
Fall: 
Verbotene Rundfunkaufnahmen
Fundstellen: 
BGHSt 36, 119; JR 1990, 385; JZ 1989, 551; Kriminalistik 1989, 677; MDR 1989, 560; NJW 1989, 1741; NStZ 1989, 375; Rpfleger 1989, 253; StV 1989, 289; ZUM 1989, 576
Gericht: 
Bundesgerichtshof
Datum: 
17.02.1989
Aktenzeichen: 
2 StR 402/88
Entscheidungstyp: 
Urteil
Richter: 
Herdegen, Müller, Maier, Theune, Niemöller
Instanzen: 
  • LG Fulda, 08.01.1988 - 105 Js 8247/86

Ein Verstoß gegen § 169 Satz 2 GVG bildet keinen absoluten, sondern nur einen relativen Revisionsgrund i.S.v. § 337 Abs. 1 StPO.

Inhaltsverzeichnis 

Tenor

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Fulda vom 8. Januar 1988 wird verworfen.

Die Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger durch das Rechtsmittel erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes in zwei Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt.

Nach den Urteilsfeststellungen ließ die Angeklagte am 4. August 1986 etwa um 11.30 Uhr ihre beiden Kinder, die 7jährige Melanie und die 5jährige Karola, in den Pkw-Kombi der Familie einsteigen. Sie fuhr mit ihnen zu einem vom Wohnhaus 11 km entfernt an verkehrsarmer Stelle etwas versteckt gelegenen Parkplatz und erwürgte oder erstickte sie. Zunächst legte sie die toten Kinder im Gebüsch ab, nahm aber Melanie sogleich wieder in den Wagen, fuhr mit ihr zu einem knapp 4 km entfernten anderen Parkplatz und warf die Leiche in das angrenzende Brennesselgebüsch. Anschließend fuhr sie die 9 km lange Strecke nach Hause, wo sie etwa um 12.15 Uhr ankam.

Die Angeklagte bestreitet die Tat. Sie behauptet, die Kinder bereits in der Nacht zum 4. August 1986, als sie gegen 3.20 Uhr nach Hause gekommen sei, tot in ihren Betten gefunden zu haben; sie seien noch körperwarm gewesen und hätten ihre Tageskleider angehabt. Ihr Ehemann habe ihr gegenüber eingeräumt, die Kinder getötet zu haben. Wenig später habe er die Leichen der Kinder mit dem Pkw weggebracht, nach seinen Angaben an die Stelle, an der Melanie später gefunden worden sei.

Mit ihrer Revision rügt die Angeklagte die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

A.

Folgende Verfahrensrügen bedürfen der Erörterung:

I.

Die Beschwerdeführerin macht den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO geltend. Sie trägt vor, während wesentlicher Teile der an 44 Tagen durchgeführten Hauptverhandlung unter der Wirkung des Medikaments Diazepam vorübergehend verhandlungsunfähig (und damit i.S.v. § 230 StPO abwesend) gewesen zu sein. Sie habe jeweils vor Beginn der Hauptverhandlung am 23. März, 1., 21. und 29. April 1987 zweimal 5 mg, am 30. Oktober 1987 5 mg und vor der Urteilsverkündung am 8. Januar 1988 zweimal 10 mg des Medikaments eingenommen, das die Ärztin der Justizvollzugsanstalt der Begleitbeamtin zur Aushändigung an sie mitgegeben hatte.

Überdies habe das Gericht gegen § 136 a Abs. 3 Satz 2 StPO durch Verwertung von Aussagen verstoßen, die sie am 6., 12., 14., 28. und 29. August 1986 vor der Polizei und am 31. August 1986 vor dem Ermittlungsrichter ebenfalls unter der Wirkung dieses ihr damals vom Hausarzt verordneten Medikaments in vernehmungsunfähigem Zustand gemacht habe.

Schließlich habe das Gericht seine Pflicht zur Aufklärung ihrer Vernehmungs- und Verhandlungsunfähigkeit verletzt.

1. a) In der Gesundheitsakte der Justizvollzugsanstalt ist für die von der Revision bezeichneten Hauptverhandlungstage die Mitgabe von Diazepam in der angegebenen Dosierung vermerkt. Jedoch wurden nach den dienstlichen Äußerungen der Begleitbeamtinnen die Tabletten am 29. April 1987 wieder in die Anstalt zurückgebracht und am 8. Januar 1988 nicht mitgenommen. Die Anstaltsärztin hält es für möglich, daß die Mitgabe am letztgenannten Tag vergessen wurde; die Rückgabe der Tabletten sei grundsätzlich nicht vermerkt worden. Die an den anderen Hauptverhandlungstagen eingesetzte Beamtin hat erklärt, der Angeklagten die Tabletten jeweils nur auf Verlangen und nie vor Beginn der Verhandlung, sondern nur in Pausen oder nach Verhandlungsende ausgehändigt zu haben. Soweit diese Beamtin angegeben hat, auch an anderen, von der Revision nicht erwähnten, von der Beamtin nicht im einzelnen bezeichneten Tagen "ein Döschen mit Tabletten" mitbekommen zu haben, ist das unbeachtlich, weil diese Angabe nicht mehr im Rahmen des Revisionsvorbringens liegt, das die Grenzen der revisionsgerichtlichen Prüfung absteckt. Die Äußerung läßt überdies nicht erkennen, daß es sich auch dabei um das Medikament Diazepam gehandelt habe. Anhaltspunkte dafür, daß in der Gesundheitsakte die Eintragung tatsächlich mitgegebener Diazepam-Tabletten unterblieben wäre, haben sich nicht ergeben. Als erwiesen kann danach lediglich angesehen werden, daß die Angeklagte am 23. März, 1. und 21. April 1987 jeweils 10 mg und am 30. Oktober 1987 5 mg Diazepam frühestens in einer Verhandlungspause eingenommen hat.

b) Die vom Senatsvorsitzenden eingeholten Auskünfte der drei Berufsrichter der Schwurgerichtskammer, der Sachverständigen für Psychologie Frau Prof. Dr. M.-L. und des Sachverständigen für Psychiatrie Prof. Dr. Dr. Schu., die an zahlreichen Tagen ebenfalls an der Hauptverhandlung teilgenommen haben, sowie das bereits von der Staatsanwaltschaft erhobene Gutachten des Sachverständigen für Gerichtsmedizin Dr. Ri. geben keinen Anlaß für die Annahme, daß die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten durch das Medikament beeinträchtigt war.

Zwar hat Prof. Dr. Schu. die grundsätzliche Frage, ob eine Einnahme von Diazepam, wie sie von der Revision behauptet worden ist, Anlaß zur Besorgnis hinsichtlich der Verhandlungsfähigkeit geben könne, bejaht und eine Dosis von 10 mg als außerordentlich hoch bezeichnet. Er hat jedoch hinzugefügt, daß Diazepam-Abhängige Dosierungen dieser Größenordnung vertragen.

Dr. Ri. hat sich gutachtlich dahin geäußert, eine Gabe von 10 mg Diazepam bewege sich im Bereich der üblichen therapeutischen Dosen; bei ambulanter Behandlung würden im allgemeinen 2 bis 15 mg verabreicht. Von den "zentral dämpfenden Substanzen" sei bekannt, daß sich Adaptionsmechanismen ausbildeten. Bei einer entsprechenden Ausgangssituation und Indikation, sowie wenn eine gewisse Erfahrung mit dem Medikament bestehe und es in einer bestimmten Erwartungshaltung eingenommen werde, stelle sich die gewünschte therapeutische Wirkung ein; es sei "eher eine Verhandlungsfähigkeit zu erwarten, nicht aber eine Verhandlungsunfähigkeit."

Die Angeklagte hatte als Krankenpflegehelferin Kenntnis von der Wirkung des Medikaments. Sie hatte es auch selbst schon eingenommen: Ihr Hausarzt hatte ihr am 5. und 7. August 1986 je 20 mg und am 10. August 1986 10 mg Diazepam in Tablettenform oder intravenös verabreicht sowie am 5. August 1986 18 und am 7. August 1986 20 Tabletten ä 10 mg verschrieben. Nach dem Revisionsvortrag hatte sie die Tabletten bis zum 2. September 1986 verbraucht und sich an diesem Tag weitere 20 Tabletten á 5 mg verschreiben lassen. Den vernehmenden Kriminalbeamten sagte die Angeklagte am 12. August 1986, sie nehme das ihr vom Hausarzt zur Beruhigung und Ruhigstellung verschriebene Medikament "Diazepam-Ratiopharm 10 mg" ein; am 8. September 1986 gab sie an, "jeweils morgens und mittags 1/2 und abends 1-2 Tabletten eingenommen" zu haben.

Zu dem von der Angeklagten in der Hauptverhandlung gewonnenen Eindruck hat Prof. Dr. Sch. ausgeführt, er habe keine Wahrnehmungen machen können, die unmittelbar im Sinne einer medikamentös bedingten Beeinflussung der Verhandlungsfähigkeit zu deuten gewesen wären. Er hat jedoch auf die "affektive Kühle und zeitweise bemerkenswerte Unbeteiligtheit" der Angeklagten hingewiesen, die "über weite Strecken der Verhandlung stumm folgte, d.h. weder durch Worte noch durch mimische Beteiligung auffiel". Ausgehend vom Revisionsvorbringen, die Angeklagte habe 10 mg Diazepam vor Beginn der Hauptverhandlung eingenommen, wollte er die Ursächlichkeit des Medikaments hierfür weder ausschließen noch bejahen. Eine Beurteilung hätte, wie er ausführte, eine psychiatrische Untersuchung der Angeklagten "in der Situation der Hauptverhandlung" vorausgesetzt.

Frau Prof. Dr. M.-L. hat ebenfalls auf die Reaktionsarmut und die gedämpfte bis starre Mimik der Angeklagten während der Verhandlung hingewiesen. Sie hat deren Verhalten bei der Vernehmung ihres früheren Geliebten besonders hervorgehoben. Dieser wurde aber an einem Tag - und zwar von Beginn der Hauptverhandlung bis zur Mittagspause - vernommen, für den eine Diazepamgabe weder von der Revision behauptet wird, noch in der Gesundheitsakte vermerkt ist.

Die drei Berufsrichter haben sich dahin geäußert, sie hätten keine Anzeichen im Verhalten der Angeklagten wahrgenommen, die darauf hindeuteten, daß sie unter der Wirkung von Diazepam nicht in der Lage gewesen sei, ihre Interessen verständig und verständlich zu wahren.

Den Erklärungen aller angehörten Auskunftspersonen ist zu entnehmen, daß sich die Angeklagte während der gesamten 44 Tage dauernden Hauptverhandlung im wesentlichen gleichbleibend verhalten hat.

Die Würdigung des gesamten vorliegenden Beweismaterials führt zu dem Schluß, daß das Verhalten der Angeklagten in der Hauptverhandlung Ausdruck ihrer Wesensart ist, wie sie von Frau Prof. Dr. M.-L. im schriftlichen Gutachten vom 19. Oktober 1986 geschildert wurde, daß aber für die Annahme einer Beeinträchtigung der Verhandlungsfähigkeit durch Diazepam keine tatsächlichen Anhaltspunkte gegeben sind. Diesem Ergebnis entspricht es, daß der Revisionsvortrag jegliche Aussage über Beobachtungen der beiden in der Hauptverhandlung tätigen Verteidiger vermeidet, obwohl gerade sie, auch in Pausen und unter Ausschluß anderer, Kontakt zur Angeklagten hatten und dabei Auffälligkeiten am ehesten wahrgenommen haben müßten. Der Schluß liegt nahe, daß sie keinerlei Anzeichen für eine Verhandlungsunfähigkeit bemerkten. Die Erwägung der Revision, die Verteidiger könnten doch etwas bemerkt und geschwiegen haben, weil das Tatgericht im Diazepam-Konsum der Angeklagten ein Schuldindiz hätte sehen können, ist nicht nachvollziehbar.

2. Entgegen der Auffassung der Revision war das Landgericht nicht gehindert, die wechselnden Einlassungen der Angeklagten im Ermittlungsverfahren gegen sie zu verwerten. Die zum Teil bis zu 19 Schreibmaschinenseiten umfassenden Vernehmungsprotokolle ließen erkennen, daß die Angeklagte in eingehenden, bis zu 12 Stunden dauernden Anhörungen ihre Interessen nachdrücklich wahrgenommen, umfangreiche Sachverhalte geschildert, Fragen beantwortet und auf Vorhalte flexibel reagiert hatte. Diese Einlassungen sind in der Hauptverhandlung mit ihr erörtert worden. Es ist nichts ersichtlich, was dem Landgericht ohne einen Hinweis durch die Angeklagte selbst oder ihre Verteidiger Anlaß geben mußte, ihre Vernehmungsunfähigkeit im Vorverfahren in Betracht zu ziehen.

3. Damit erweist sich zugleich die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht im Hinblick auf die Frage der Vernehmungsfähigkeit im Ermittlungsverfahren und der Verhandlungsfähigkeit im Hauptverfahren als unbegründet.

II.

Gleichfalls erfolglos bleibt die Rüge der Verletzung des § 169 Satz 2 GVG.

Der gerügte Verfahrensfehler liegt allerdings vor. Denn das Landgericht hat, als es am 21. April 1987 mehrere Örtlichkeiten in Augenschein nahm, nicht verhindert, daß an vier dieser Örtlichkeiten Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen während der Hauptverhandlung gefertigt wurden. Der Verstoß gegen § 169 Satz 2 GVG ist jedoch nur ein relativer Revisionsgrund, und im vorliegenden Fall beruht das Urteil nicht auf dem Verfahrensfehler.

1. Die Frage, ob ein Verstoß gegen § 169 Satz 2 GVG einen absoluten oder nur einen relativen Revisionsgrund bildet, ist von der Rechtsprechung bisher nicht entschieden worden (vgl. BGHSt 22, 83 [BGH 13.02.1968 - 5 StR 706/67]; 23, 176, 181 f); im Schrifttum ist sie umstritten (für absoluten Revisionsgrund: Eb. Schmidt NJW 1968, 804 - Anm. zu BGHSt 22, 83 [BGH 13.02.1968 - 5 StR 706/67]; ders., "Justiz und Publizistik", Heft 353/354 der Reihe "Recht und Staat" insbes. S. 38 ff; Roxin JZ 1968, 803 - Anm. zu BGHSt 22, 83 [BGH 13.02.1968 - 5 StR 706/67]; ders. in Festschrift für Karl Peters (1974) S. 393, 402 ff; Kissel, GVG § 169 Rdn. 69; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 338 Rdn. 106.

Für relativen Revisionsgrund: Kleinknecht/Meyer, StPO 38. Aufl. § 338 Rdn. 47; Meyer in Löwe/Rosenberg, StPO 23. Aufl. § 338 Rdn. 97 f; Schäfer in Löwe/Rosenberg, 23. Aufl. GVG § 169 Rdn. 28; KMR 7. Aufl. Ergänzungsband GVG § 169 Rdn. 18, 20; Paulus in KMR 7. Aufl. StPO § 338 Rdn. 73; Pikart in KK 2. Aufl. § 338 Rdn. 84.

Unentschieden: Mayr in KK 2. Aufl. GVG § 169 Rdn. 13; Peters, Der neue Strafprozeß, 1975, S. 71; Sarstedt/Kamm, Die Revision in Strafsachen, 5. Aufl. Rdn. 219).

Für die Auffassung, daß eine Verletzung des § 169 Satz 2 GVG lediglich ein relativer Revisionsgrund ist, sprechen insbesondere folgende Gesichtspunkte:

Der Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens bedeutet, daß im Rahmen der tatsächlichen Gegebenheiten jedermann die Möglichkeit hat, an den Verhandlungen der Gerichte als Zuhörer und Zuschauer teilzunehmen (vgl. z.B. BGHSt 27, 13, 14; Kissel, GVG § 169 Rdn. 21). Mit dem Begriff "Öffentlichkeit" ist im Gerichtsverfassungsgesetz und dementsprechend in § 338 Nr. 6 StPO nur diese "unmittelbare Öffentlichkeit" gemeint. Er betrifft nicht die sogenannte "mittelbare" oder "erweiterte" Öffentlichkeit, die außerhalb des Gerichtssaals mit Hilfe der Berichterstattung den Gang der Verhandlung verfolgen kann. Er besagt auch nichts zu Fragen, die die Berichterstattung selbst betreffen (vgl. Kissel a.a.O. Rdn. 3 m.w.N.). Diesen Inhalt hatte der Begriff auch zur Zeit der Einfügung des § 169 Satz 2 GVG im Jahre 1964 (vgl. BGHSt 10, 202, 205 f unter Hinweis auf Eb. Schmidt JZ 1956, 206, 210).

Überdies wird und wurde seit jeher § 338 Nr. 6 StPO in feststehender Rechtsprechung dahin verstanden, daß eine Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit und damit ein absoluter Revisionsgrund nur in der gesetzwidrigen Beschränkung der Öffentlichkeit zu sehen ist, nicht aber dann, wenn die Öffentlichkeit zugelassen wird, obwohl ihr Ausschluß gesetzlich erlaubt oder gar zwingend vorgeschrieben war (RGSt 3, 295; RGRspr. 1, 652; 4, 286; RG HRR 1939 Nr. 278; RGSt 77, 186; OGHSt 2, 337; BGH NJW 1952, 153; BGH GA 1953, 83; BGHSt 23, 82; 23, 176, 178).

An dieser Rechtslage hat § 169 Satz 2 GVG nichts geändert. Die Vorschrift hat lediglich auf der Grundlage einer Regelung, die den Öffentlichkeitsbegriff als feststehend voraussetzt, ohne Eingriff in diese Regelung bestimmte Formen der Berichterstattung für die "mittelbare" Öffentlichkeit untersagt.

Roxin (JZ 1968, 803, 805) und Peters (Der neue Strafprozeß S. 71) ist darin zuzustimmen, daß eine auf Grund neuerer Entwicklung geschaffene Vorschrift über die Regelung, in die sie eingefügt wurde, hinausgreifen, die Regelung erweitern kann. Eine solche Annahme läßt sich aber, wie beide Autoren nicht verkennen, nur dort rechtfertigen, wo eine dahingehende gesetzgeberische Intention erkennbar ist und wo Wertigkeit und Bedeutung des neuen Grundsatzes denen der vorhandenen Regelung entsprechen. An beiden Voraussetzungen fehlt es bei der Vorschrift des § 169 Satz 2 GVG.

Ihr Standort besagt nichts im Sinne der erwähnten Intention. Er ergab sich nahezu zwangsläufig, weil die neue Regelung für die in § 169 Satz 1 GVG genannte Verhandlung gilt. Auch dem Gang der Gesetzgebung läßt sich nichts für die Absicht entnehmen, der neuen Vorschrift eine dem Öffentlichkeitsgebot des Satzes 1 vergleichbare Bedeutung beizulegen. Der in BTDrucks. IV/178 wiedergegebene Gesetzentwurf hatte noch vorgesehen, Rundfunk-, Fernseh- und Filmaufnahmen lediglich für den Gang der Hauptverhandlung uneingeschränkt zu untersagen, für die Urteilsverkündung aber dem Vorsitzenden aus wichtigem Grund die Zulassung zu gestatten. In der Begründung des Entwurfs wird ausgeführt:

"Rundfunk- und Filmaufnahmen im Gerichtssaal gehen über die in § 169 GVG gewährleistete Öffentlichkeit der Hauptverhandlung weit hinaus und gefährden nicht nur die Wahrheitsfindung im Strafverfahren, sondern beeinträchtigen auch die Verteidigung des Angeklagten. ... Den noch nicht verurteilten Angeklagten zerren sie in einer oft unerträglichen Weise in das Scheinwerferlicht einer weiteren Öffentlichkeit".

Damit hat der Entwurf unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Entscheidungen BGHSt 10, 202 und BGH NJW 1961, 1781 (= BGHSt 16, 111) Erwägungen übernommen, die sich bereits dort finden. Aus dieser Begründung des Entwurfs ergibt sich auch, daß sich der Gesetzgeber des oben dargestellten Inhalts des Öffentlichkeitsbegriffs bewußt war. Eine Aussage, daran etwas ändern zu wollen, fehlt.

Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages (BTDrucks. IV/1020 S. 34 und zu Drucks. IV/1020 S. 178) schlug die jetzt geltende Fassung vor. Er hielt es - unter Hinweis auf die Möglichkeit der Verletzung der Menschenwürde und die Gefahr für die Wahrheitsfindung - für "angebracht, daß das Gesetz selbst über die Zulassung einer durch den Rundfunk, das Fernsehen und öffentliche Filmvorführungen erweiterten Öffentlichkeit entscheidet und daß es sich in dieser Entscheidung gegen die Zulassung ausspricht" (vgl. dazu auch BGHSt 23, 123, 124 f). Ebenso wie im Rechtsausschuß war die vorgesehene Neuregelung auch noch in der zweiten Beratung des Deutschen Bundestages umstritten; eine Minderheit hielt die Vorschrift für nicht notwendig (Protokoll über die 69. Sitzung des 4. Deutschen Bundestages vom 27. März 1963, Sten. Ber. S. 3145 bis 3151).

Das in § 169 Satz 2 GVG ausgesprochene Verbot ist auch von seiner Bedeutung her nicht mit dem Öffentlichkeitsgrundsatz des § 169 Satz 1 GVG vergleichbar. Er soll nach heutigem Verständnis verhindern, daß die "Tätigkeit des Gerichts hinter verschlossenen Türen in ein Dunkel gehüllt und dadurch Mißdeutungen und Argwohn ausgesetzt" ist (RGSt 70, 109, 112); er soll eine "unparteiische und gesetzmäßige Strafrechtspflege gewährleisten" (BGH GA 1953, 83, 84). Mit dieser "überragenden Bedeutung ... für die Rechtspflege im ganzen" (BGHSt 9, 280, 281) ist das Öffentlichkeitsgebot eine "grundlegende Einrichtung des Rechtsstaats" (BGHSt 23, 176, 178 f), zu deren Schutz der Gesetzgeber für jeden Fall einer gesetzwidrigen Beschränkung die Handhabe für die Beseitigung des Urteils, unabhängig davon, ob es auf dem Verfahrensfehler beruht, gegeben hat.

Eine solche Tragweite hat § 169 Satz 2 GVG nicht. Die Vorschrift untersagt zwei von mehreren Formen der Berichterstattung für die Öffentlichkeit außerhalb des Gerichtssaals, weil durch sie Wahrheitsfindung und Verteidigungsinteresse beeinträchtigt werden können. Der hohe Wert dieser "Rechtsgüter" steht außer Frage. Jedoch bezweckt auch eine Vielzahl anderer Vorschriften ihren Schutz - es sei lediglich auf § 136 a StPO sowie auf die Vorschriften über die Beweisaufnahme hingewiesen -, in deren Verletzung das Gesetz trotzdem nur einen relativen Revisionsgrund sieht. Daß ein Verstoß gegen § 169 Satz 2 GVG weitergehende Gefahren begründet, ist nicht zu ersehen.

2. Im vorliegenden Fall ist das Beruhen des Urteils auf dem Gesetzesverstoß auszuschließen. Die am 21. April 1987 an vier Örtlichkeiten fehlerhaft durchgeführte Beweisaufnahme wurde in Anwesenheit derselben Sachverständigen am 31. August 1987 an drei dieser Örtlichkeiten rechtsfehlerfrei - wenn auch nicht zum Zwecke der Heilung - wiederholt. Dabei entsprachen die äußeren Bedingungen (Jahreszeit, Pflanzenaufwuchs) den Verhältnissen zur Tatzeit besser als beim ersten Augenscheinstermin. Die vierte Örtlichkeit und die dort am 21. April 1987 durchgeführte Beweisaufnahme haben für das Urteil keinerlei Bedeutung erlangt.

Es spricht alles dafür, daß die erneute Beweisaufnahme eine wesentlich bessere Sachaufklärung gebracht hat als die erste; auch fehlt jeder Anhaltspunkt für die Annahme, daß der am 21. April 1987 begangene Verfahrensfehler, wenn er an diesem Tag die Wahrheitsfindung oder die Verteidigung beeinträchtigt haben sollte, über den 31. August 1987 hinaus- und gar während der weiteren 17 Verhandlungstage bis zur Urteilsverkündung - fortgewirkt haben könnte. Auch die Revision hat dafür nichts vorgebracht. Nur denkbare Möglichkeiten, für die es keine Anhaltspunkte gibt, vermögen an diesem Ergebnis nichts zu ändern.

III.

Unbegründet ist auch die Rüge, das Gericht habe seine Überzeugung unter anderem auf unverwertbare Beweismittel gestützt, nämlich auf Gutachten, die auf der Grundlage rechtswidrig "durch ... Einbruch ... in die Wohnung der Angeklagten" erlangter Gegenstände erstellt worden seien.

Mit Beschluß vom 25. August 1986 hatte der Ermittlungsrichter "gemäß §§ 102, 103, 105 StPO die Durchsuchung der Wohnung" usw. der Angeklagten "angeordnet, weil sie zur Verfolgung von Spuren einer Straftat, insbesondere der Identifizierung des Verfassers von anonymen Schreiben ... dient"; gleichzeitig wurde "die Beschlagnahme der vorgefundenen Beweismittel, insbesondere von Schreibmaterialien und Schriftstücken, die für Vergleichsuntersuchungen zur Identifizierung des Verfassers vorhandener anonymer Schreiben dienlich sind", gemäß §§ 94, 98 StPO angeordnet. Am 28. August 1986 durchsuchten Kriminalbeamte in Anwesenheit des Staatsanwalts in der Zeit von 18.00 bis 20.15 Uhr die Wohnung der Angeklagten, die sich währenddessen in der Dienststelle der Kriminalpolizei zur Vernehmung befand. Im polizeilichen "Bericht über die Durchsuchung von Räumen" ist vermerkt, daß "die Betroffene" - damit war die Angeklagte gemeint - "mit der Durchsuchung einverstanden" war. Es wurden überwiegend Schriftstücke und Schreibutensilien zum Zweck der Vergleichsuntersuchung, jedoch auch andere Gegenstände wie z.B. Bodenbeläge, Kindersitz, Badezimmergarnitur sichergestellt. Anschließend wurde die Wohnung versiegelt; den Originalschlüssel für die Wohnung, der den Beamten entweder von der Angeklagten selbst oder von den Durchsuchungszeugen (der Mutter und Großmutter der Angeklagten, die im selben Haus wohnen) zur Verfügung gestellt worden war, nahmen sie mit. Am folgenden Tag, dem 29. August 1986, wurde die Wohnung nach Entfernung der Siegel in der Zeit von 11.30 bis 12.20 Uhr erneut durchsucht. Hierbei wurden außer einigen Schriftstücken vorwiegend Kleidungsstücke der Angeklagten aus dem Schlafzimmerschrank sichergestellt. Die Kleidungsstücke wurden von einem Sachverständigen des Hessischen Landeskriminalamts insbesondere auf Anhaftungen, die auf eine Täterschaft der Angeklagten hinweisen könnten, untersucht. In dem vom Sachverständigen in der Hauptverhandlung vorgetragenen Ergebnis der Untersuchung sieht die Strafkammer ein Indiz für die Täterschaft der Angeklagten.

Die Revision ist der Auffassung, die Durchsuchung sei am 28. August 1986 abgeschlossen worden; damit sei der Durchsuchungsbeschluß erledigt gewesen. Die Durchsuchung vom folgenden Tag sei nicht mehr durch den Beschluß gedeckt und somit rechtswidrig gewesen. Diese "schwerwiegende Verletzung des in Art. 13 Abs. 1 GG gewährleisteten Grundrechts" habe die Unverwertbarkeit der erlangten Beweismittel zur Folge. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden:

Die Umstände sprechen dafür, daß die Kriminalbeamten die Durchsuchung am 28. August 1986 trotz Verwendung der Begriffe "Ende" und "Abschluß" in den Berichten nicht als endgültig, sondern nur für diesen Tag als abgeschlossen betrachteten. Nur so ist zu verstehen, daß sie die Wohnung versiegelten und den Originalschlüssel mitnahmen. Auch die zugezogenen Durchsuchungszeugen konnten daraus keinen anderen Schluß ziehen. Es bedarf keiner Erörterung, daß eine Durchsuchung, zumal kurz vor Beginn der in § 104 Abs. 3 StPO genannten Nachtzeit, unterbrochen und auf Grund desselben Durchsuchungsbeschlusses am folgenden Tag fortgesetzt werden kann. Bei dieser Sachlage ist ein Verfahrensfehler schon nicht bewiesen.

Selbst wenn aber für die Durchsuchung vom 29. August 1986 ein weiterer Beschluß erforderlich gewesen wäre, hätte dessen Fehlen kein Beweisverwertungsverbot für die aufgefundenen und sichergestellten Gegenstände begründet. Rechtliche Mängel der Durchsuchung führen nach herrschender Meinung nicht zur Unverwertbarkeit der dabei zutagegeförderten Beweismittel. Die Frage braucht aber hier in dieser Allgemeinheit nicht entschieden zu werden. Im vorliegenden Fall bestand der - unterstellte - Rechtsmangel lediglich darin, daß die zweite Durchsuchung ohne einen sie anordnenden Durchsuchungsbefehl stattgefunden hatte. Dieser Mangel löst jedenfalls dann kein Verwertungsverbot aus, wenn dem Erlaß der Durchsuchungsanordnung rechtliche Hindernisse nicht entgegengestanden hätten und die tatsächlich sichergestellten Gegenstände als solche der Verwertung als Beweismittel rechtlich zugänglich waren. Zumindest unter diesen Voraussetzungen ließe es sich nicht rechtfertigen, an den formalen Mangel des fehlenden Durchsuchungsbeschlusses die materielle Folge eines die Gegenstände selbst erfassenden Verwertungsverbotes zu knüpfen.

IV.

Die weiter erhobenen Verfahrensrügen sind unbegründet im Sinne § 349 Abs. 2 StPO.

B.

Schließlich hat sich die auf die Sachrüge gebotene und vom Senat unter Einbeziehung des Einzelvorbringens der Revision vorgenommene eingehende Prüfung des Urteils, das auf eine Vielzahl von Indizien gestützt ist und alle maßgeblichen Umstände sorgfältig und nachvollziehbar würdigt, keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten aufgedeckt.