RG, 08.05.1918 - VI 69/18

Daten
Fall: 
Milchkutscher
Fundstellen: 
RGZ 93, 33
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
08.05.1918
Aktenzeichen: 
VI 69/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Kiel
  • OLG Kiel
Stichwörter: 
  • Betriebsunfall im Sinne der RVO.

Unter welchen Umständen stellt die von dem landwirtschaftlichen Betriebsunternehmer gegen seinen Angestellten begangene vorsätzliche Körperverletzung einen landwirtschaftlichen Betriebsunfall dar?

Sachverhalt

Der Kläger war Milchkutscher bei dem Beklagten, einem Hofpächter. Er behauptet, der Beklagte habe ihn im Pferdestalle körperlich mißhandelt und zu Boden geworfen, so daß er einen Bruch der Kniescheibe erlitten habe. Die Vordergerichte haben seine Schadensersatzklage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Auf die Revision des Beklagten ist das Berufungsurteil aufgehoben worden.

Gründe

"Der Beklagte hat in der Vorinstanz den Klaganspruch in erster Linie damit bestritten, daß er als Unternehmer des landwirtschaftlichen Betriebes, in dem der Kläger als versicherter Arbeiter den Unfall erlitten habe, mangels strafgerichtlicher Feststellung, daß er den Unfall vorsätzlich herbeigeführt habe, gemäß §§ 1042, 898 RVO. nicht ersatzpflichtig sei.

Das Berufungsgericht verneint, daß ein Betriebsunfall vorliege, weil keine einigermaßen erkennbare Beziehung zwischen dem Betrieb und dem Unfall obgewaltet habe. Der Kläger sei nach dem eigenen Vortrag des Beklagten, als ihn dieser nach der Kündigung gefaßt habe, um ihn aus dem Stalle hinauszuziehen, hingefallen und habe sich hierbei die Knieverletzung zugezogen. Bei letzterer spiele der landwirtschaftliche Betrieb des Beklagten keine Rolle mehr, sie sei vielmehr durch eine unabhängig von diesem Betrieb erfolgte tatsächliche Einwirkung auf den Körper des Klägers verursacht worden.

Diese Begründung ist rechtlich nicht haltbar.

Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts wie des Reichsversicherungsamts ist unter einem Betriebsunfall im Sinne der Unfallversicherung ein körperlich schädigendes, zeitlich begrenztes Ereignis zu verstehen, das mit dem Betrieb in einem innern ursächlichen Zusammenhange steht. Als Ursachen, die den Zusammenhang mit der Betriebsbeschäftigung herstellen, kommen nicht lose und entfernt damit verknüpfte, sondern nur solche Umstände in Betracht, die zur Herbeiführung des Unfalls wesentlich beigetragen haben (RGZ. Bd. 44 S. 280, Bd. 52 S. 277, Bd. 66 S 434; Jur. Wochenschr. 1910 S. 955; Handb. der Unf.-Vers. Bd.1 S. 76 flg.; Amtl. Nachr. 1914 S. 411).

Das Berufungsgericht hat Anlaß, Beginn und Verlauf des Streites zwischen den Parteien nicht näher festgestellt. Daher ist von der unter Zeugenbeweis und Eid gestellten Behauptung des Beklagten hierüber auszugehen. Danach war der Kläger unzufrieden, weil er nicht genug Brot bekomme, und äußerte mehrfach, der Beklagte lasse seine Leute hungern, er habe einen Bankerotthof. Als ihn der Beklagte im Pferdestalle darüber zur Rede stellte, entgegnete er: "Du lügst, das ist alles nicht wahr". Hierauf kündigte ihm der Beklagte sofort den Dienst und faßte ihn, da er den Stall nicht verließ, am Rockkragen, um ihn hinauszuziehen. Der Kläger schlug nun auf den Beklagten ein und griff nach einer Forke und einem Stein, weshalb ihn der Beklagte packte und zu Boden drückte. Wie das Berufungsgericht für bewiesen hält, ist die Knieverletzung durch den Fall des Klägers auf den Steinboden entstanden.

Trifft dieser Hergang zu, so hat sich der Kläger über die Unzulänglichkeit der Kost, die einen Teil seines Lohnes bildete und ihn zu den bedungenen Arbeitsleistungen befähigen sollte, beschwert, dem Beklagten auf Vorhalt ungebührlich geantwortet und nach Kündigung des Dienstverhältnisses sich geweigert, den Stall zu verlassen. Die Anwendung von Gewalt, zu der der Beklagte geschritten ist, um seine Rechte und sein Ansehen als Dienstherr zu wahren und die Ordnung in seinem Betrieb aufrecht zu erhalten, hat die körperliche Beschädigung des Klägers zur Folge gehabt. Die Entstehung, die Entwicklung und der Ausgang des Streites standen hiernach in einem engen und wesentlichen Zusammenhange mit der Betriebsbeschäftigung des Klägers. Den Gegensatz dazu würde ein von dieser Beschäftigung unbeeinflußter, aus andern Ursachen hervorgegangener und in seinem Verlaufe von ihr nicht berührter Zwist zwischen den Parteien gebildet haben, der zu einer Mißhandlung des Klägers geführt hätte, während die fragliche Streitigkeit die Wurzel allein in der Betriebsbeschäftigung gehabt hat. Unerheblich ist. daß die Körperverletzung als solche nicht zu dem landwirtschaftlichen Betriebe gehörte. Anders als beim Haftpflichtgesetze braucht die körperliche Beschädigung keine unmittelbare oder mittelbare Folge eines Betriebsvorganges zu sein, um den Begriff des Betriebsunfalls im Sinne der Unfallversicherung zu erfüllen.

Das Reichsversicherungsamt hat bei vorsätzlichen Körperverletzungen dann einen Betriebsunfall angenommen, wenn die Veranlassung dazu wesentlich in dem Betriebe beruhte; so wenn Aufsichtspersonen Arbeiter wegen ungenügender Arbeitsleistung mißhandelten, oder wenn höhere Angestellte, die über die Ordnung und Sicherheit des Betriebes zu wachen hatten, aus diesem Anlaß von Arbeitern oder betriebsfremden Personen körperlich verletzt wurden (Handbuch der Unf.-Vers. Bd. 1 S. 83). Dem ist beizupflichten. Grundsätzlich gilt aber das gleiche, wenn der Unternehmer selbst aus einem Anlaß, der auf dem Betriebe beruhte, den Arbeiter vorsätzlich körperlich verletzt hat. ohne daß er hierwegen strafgerichtlich verurteilt worden ist." ...

AnhangGröße
RG, 08.05.1918 - VI 6918 - RGZ 93, 33.pdf126.47 KB