RG, 08.05.1880 - II 76/80
Kann der nach dem Gesetze vom 7. Juni 1871 zum Schadensersatz Verpflichtete verlangen, daß der Verletzte, dessen Erwerbsfähigkeit nur vermindert ist, das Dienstverhältnis bei ihm fortsetze und seine noch vorhandene Arbeitskraft in diesem Dienst verwende?1
Gründe
"In ihrer Einlassung auf die Klage hat die Beklagte geltend gemacht, Kläger sei im August 1878 wenigstens einigermaßen wieder arbeitsfähig gewesen und daher auch bei ihr wieder beschäftigt worden, habe aber am 14. September 1878 ohne weiteres die Arbeit eingestellt und dieselbe trotz geschehener Aufforderung nicht wieder aufgenommen, obschon in und seit dieser Zeit sich seine Arbeitsfähigkeit immer mehr gesteigert habe; Kläger sei durch dieses Einstellen jeder Arbeit, welches seinen Grund nicht in seinem Gesundheitszustande, sondern in seinem freien Willen habe, seines Rechtes auf weitere Lohngewährung beziehungsweise Entschädigung für die Zeit nach dem 14. September 1878 verlustig gegangen.
Mit Recht haben beide vordere Instanzen diesen Einwand zurückgewiesen.
Wenn Kläger seit dem 14. September 1878 einen gewissen Grad von Arbeitsfähigkeit wieder erlangt hatte, so wird dies selbstredend auf das Maß der ihm zu gewährenden Entschädigung von Einfluß sein; er wird nach §. 3 Nr. 2 des Reichsgesetzes vom 7. Juni 1871 Schadensersatz nur soweit beanspruchen können, als seine Erwerbsfähigkeit noch vermindert war oder gegenwärtig vermindert ist; es mag auch die Behauptung der Beklagten in dem Falle erheblich sein, wenn Kläger sich darauf berufen sollte, daß er keine seinem Körperzustande entsprechende Arbeit habe finden können. Dagegen kann Beklagte, da sie nicht aufstellt, daß Kläger nach dem ursprünglichen Vertrag oder nach einer bei der Wiederaufnahme der Arbeit getroffenen Verabredung zur Fortsetzung des Dienstverhältnisses verpflichtet sei, nicht verlangen, daß derselbe gerade in ihrem Dienste die ihm verbliebene Arbeitskraft verwende; es würde dies ebensosehr mit den Bestimmungen des Haftpflichtgesetzes, als mit den Grundsätzen über die freie Selbstbestimmung im Widerspruch stehen."
- 1. Vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 19 Nr. 4 S. 12. D. R.