BGH, 17.07.1996 - 5 StR 121/96
Fehlgeschlagene Verständigung im Strafverfahren.
Gründe
Nach den Feststellungen haben die Angeklagten einen Banküberfall begangen. Das Landgericht hat deshalb die Angeklagten jeweils zu Freiheitsstrafen von acht Jahren verurteilt, und zwar den Angeklagten M wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung, den Angeklagten G - unter Freisprechung im übrigen - wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis. Hiergegen wenden sich die Revisionen der Angeklagten und die Revision der Staatsanwaltschaft, die auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten M beschränkt ist.
I.
Die auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten führen zur Aufhebung jeweils des Rechtsfolgenausspruchs; im übrigen haben sie keinen Erfolg.
1. Die Angriffe der Beschwerdeführer gegen den jeweiligen Schuldspruch sind unbegründet. Der Ausführung bedürfen insoweit nur die übereinstimmend erhobenen Formalrügen.
a) Die Beanstandungen der Angeklagten gegen das Verfahren beziehen sich auf folgenden prozessualen Sachverhalt:
Am fünften Tag der insgesamt achttägigen Hauptverhandlung kam es in einer Sitzungspause zu einem vom Strafkammervorsitzenden angeregten Gespräch zwischen diesem, der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und den Verteidigern der beiden Angeklagten. Dieses Gespräch hatte die Frage zum Gegenstand, ob und unter welchen Voraussetzungen die Angeklagten, die bislang die Tatbegehung bestritten (G) oder sich nicht zur Sache eingelassen (M) hatten, ein Geständnis ablegen würden. Ergebnis der Unterredung war aus Sicht der Verteidiger, daß im Falle eines Geständnisses gegen beide Angeklagten eine Freiheitsstrafe von jeweils acht Jahren verhängt und gegen sie geführte Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Begehung weiterer Überfälle nach § 154 StPO eingestellt werden. Auch der Strafkammervorsitzende verstand - ausweislich seiner dienstlichen Erklärung vom 6. Juni 1995 - das Gesprächsergebnis dahin, daß sämtliche weiteren gegen die Angeklagten anhängigen Ermittlungsverfahren im Falle eines Geständnisses und der Verurteilung zu einer achtjährigen Freiheitsstrafe einer Einstellung nach § 154 StPO zugeführt werden sollten. Demgegenüber stellte sich nach Ablegung der angekündigten Geständnisse heraus, daß die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft die Erörterungen nur auf Straftaten bezogen wissen wollte, die den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildeten; ein Absehen von Strafverfolgung wegen anderer Straftaten kam aus Sicht der Staatsanwaltschaft nicht in Betracht.
Nachdem dieser Dissens offenbar geworden war, faßte die Strafkammer den Beschluß, die Geständnisse nicht zu verwerten. Einen Antrag der Verteidigung, das Verfahren nunmehr wegen eines Prozeßhindernisses einzustellen, hat das Landgericht zurückgewiesen. Die Ablehnungsgesuche beider Angeklagten gegen die Schöffen, die im wesentlichen damit begründet waren, die Laienrichter könnten sich von dem Eindruck der von ihnen zuvor gehörten detaillierten Geständnisse nicht mehr freimachen, wurden von der Strafkammer als unzulässig verworfen.
b) Mit einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung, gegen die auch seitens der Beschwerdeführer im einzelnen nichts vorgebracht wird, hat sich das Landgericht ohne Verwertung der Geständnisse von der Täterschaft der Angeklagten überzeugt. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
aa) Die Angeklagten machen einen Verstoß gegen den Grundsatz des "fairen Verfahrens" geltend, der zu einer Verfahrenseinstellung wegen eines Prozeßhindernisses führen müsse. Dem folgt der Senat nicht.
Allerdings ist das von den Verfahrensbeteiligten bei der angestrebten Verständigung gewählte Verfahren wegen seiner offensichtlichen Anfälligkeit für Mißverständnisse nicht unbedenklich (vgl. zuletzt die Senatsentscheidung NJW 1996, 1763 - zum Abdruck in BGHSt bestimmt). Die Gespräche erfolgten nicht. in der Hauptverhandlung. Ihr vorläufiges Ergebnis wurde auch nicht in der Hauptverhandlung erörtert, bevor die Geständnisse abgelegt wurden.
Dafür, daß die Angeklagten seitens der Staatsanwaltschaft bewußt irregeführt oder getäuscht (§ 136a Abs. 1 StPO) worden sind, spricht nichts. Solches wird von den Revisionen auch nicht behauptet. Im übrigen wären Verstöße gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens oder die Anwendung verbotener Methoden im Sinne des § 136a StPO regelmäßig nicht geeignet, ein Prozeßhindernis zu begründen (vgl. BGHSt 33, 283 [BGH 23.07.1985 - 5 StR 166/85]; 37, 10; siehe auch BGH NStZ 1996, 290 [BGH 20.12.1995 - 5 StR 445/95]). Ihnen ist grundsätzlich auf andere Weise zu begegnen; nicht zuletzt kommen Verwertungsverbote in Betracht (vgl. § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO).
Durch die Nichtverwertung der Geständnisse mag die Strafkammer den Grundsätzen eines fairen Verfahrens entsprochen haben. Ein Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten liegt darin nicht.
bb) Auch die Rüge aus § 338 Nr. 3 StPO hat keinen Erfolg. Es kann offenbleiben, ob die gegen die Schöffen gerichteten Ablehnungsgesuche zu Recht als unzulässig verworfen worden sind; jedenfalls erweisen sie sich als unbegründet. Der Umstand, daß Laienrichtern in laufender Hauptverhandlung Beweisergebnisse präsentiert werden, die sich in einem späteren Zeitpunkt der Verhandlung als unverwertbar darstellen, rechtfertigt für einen verständigen Angeklagten kein Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit dieses Richters. Von Schöffen kann und muß - nicht anders als von Berufsrichtern - erwartet werden, daß sie in der Lage sind, nach entsprechender rechtlicher Unterrichtung durch die Berufsrichter ihre Überzeugungsbildung ausschließlich auf der Basis dessen vorzunehmen, was ihnen als in der Schlußberatung verwertbares Beweismaterial unterbreitet worden ist. Etwaigen Schwierigkeiten bei der Bewältigung dieser Aufgabe im Einzelfall kann von dem die Beratung leitenden Vorsitzenden durch jeweils angemessene Hinweise und Erklärungen Rechnung getragen werden. Dem Erfordernis, einzelne Beweisergebnisse unter Umständen aus der Überzeugungsbildung gleichsam ausblenden zu müssen, werden sich Laienrichter wie Berufsrichter verschiedentlich gegenübersehen. Dies gilt namentlich, wenn Verwertungsverbote erst durch einen rechtzeitigen Widerspruch des Angeklagten oder seines Verteidigers zur Entstehung gelangen (vgl. etwa BGHSt 38, 214; 39, 349; BGH StV 1996, 187 - zum Abdruck in BGHSt bestimmt -). Es liegt auf der Hand, daß diese "Widerspruchslösungen" nicht regelmäßig zur Annahme von zu besorgender Voreingenommenheit der Schöffen führen können. Ähnliches gilt für die Korrektur von Vorgängen in der Hauptverhandlung (vgl. etwa zur Vereidigung Pelchen in KK-StPO 3. Aufl. § 60 Rdn. 34).
Daß im vorliegenden Fall aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine andere Betrachtung geboten wäre, ist nicht ersichtlich. Auch der Umstand, daß es sich um Geständnisse handelt, die in der Hauptverhandlung erfolgt sind, genügt dafür nicht.
2. Dagegen hat der Strafausspruch keinen Bestand. Der Tatrichter hat die von den Angeklagten abgelegten Geständnisse im Rahmen der Strafzumessung nicht ausdrücklich erwähnt. Das Landgericht hat die Geständnisse bei der Prüfung der Schuldfrage nicht zu Lasten der Angeklagten verwertet, weil es sich daran aus verfahrensrechtlichen Gründen gehindert sah. Dies schließt indes eine Verwertung der Geständnisse zu Gunsten der Angeklagten bei der Strafzumessung nicht aus. Die Geständnisbereitschaft und die tatsächlich dann auch abgelegten Geständnisse, die - wie die ohne ihre Berücksichtigung notwendige Beweisaufnahme ergab - der Wahrheit entsprachen, konnten deshalb zu Gunsten der Beschwerdeführer bei der Strafzumessung gewertet werden, auch wenn die Geständnisse zu ihrem Nachteil bei den Feststellungen zum Schuldspruch nicht verwertet werden durften.
Grundsätzlich ist das Geständnis eines Angeklagten geeignet, Bedeutung als strafmildernder Gesichtspunkt zu erlangen. Auch wenn die strafmildernde Wirkung der - möglicherweise von prozeßtaktischen Überlegungen bestimmten (vgl. G. Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 2. Aufl. Rdnr. 296) - Geständnisse angesichts der übrigen Beweislage hier nicht von erheblichem Gewicht gewesen sein sollte, durfte - bei der Besonderheit, welche die Geständnisse hier hatten - dieser Umstand in den Urteilsgründen nicht gänzlich übergangen werden. Zwar kann aus der Tatsache, daß ein für die Strafzumessung bedeutsamer Punkt nicht ausdrücklich angeführt worden ist, nicht ohne weiteres geschlossen werden, der Tatrichter habe ihn überhaupt nicht gesehen oder nicht gewertet. Wegen der Besonderheiten im vorliegenden Fall vermag der Senat jedoch nicht auszuschließen, daß die Strafkammer die Geständnisse generell, also auch soweit sie sich zu Gunsten der Angeklagten auswirken, ausgeblendet hat.
Die Auffassung der Verteidigung, das Scheitern einer Verständigung unter solchen Umständen, wie sie hier vorliegen, führe zu einem eigenständigen Strafmilderungsgrund, teilt der Senat nicht: Den Angeklagten sind keine Nachteile entstanden; die Geständnisse sind nicht zu ihren Lasten verwertet worden.
II.
Die Staatsanwaltschaft hat ihr lediglich zu Ungunsten des Angeklagten M eingelegtes Rechtsmittel wirksam (vgl. BGH NStE Nr. 17 zu § 344 StPO; siehe auch BGH NStZ 1994, 280, 281) auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung gegen diesen Angeklagten beschränkt. Die - vom Generalbundesanwalt vertretene - Revision hat keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat den von der Beschwerdeführerin erstrebten Maßregelausspruch abgelehnt. Es hat sich dem medizinischen Sachverständigen angeschlossen, der keine Anhaltspunkte für einen verbrecherischen Hang im Sinne des § 66 StGB gefunden hat.
2. Dies hält im Ergebnis rechtlicher Prüfung stand.
a) Die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB setzt voraus, daß der Täter vor der neuen Tat schon zweimal wegen einer Symptomtat zu einer Einzelfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Diese Symptomtaten müssen in Verbindung mit der Würdigung des Täters, die auch die Heranziehung seiner sonstigen Vorstrafen zuläßt, für seinen Hang zu erheblichen Straftaten und die dadurch bedingte Gefährlichkeit maßgebend sein (vgl. BGH, Beschluß vom 19. März 1996 - 1 StR 114/96 -). Das Merkmal Hang verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen läßt. Hangtäter ist danach derjenige, der dauernd zu Straftaten entschlossen ist, oder der auf Grund einer fest eingewurzelten Neigung, deren Ursache unerheblich ist, immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet (BGH NStZ 1995, 284 m.w.N.). Hangtäter kann allerdings auch derjenige sein, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Entscheidend ist das Bestehen eines verbrecherischen Hanges, nicht dessen Ursache (BGH NStZ 1995, 284; StV 1995, 24; BGH, Urteil vom 20. Juli 1995 - 1 StR 295/95 - jeweils m.w.N.). Auch unterschiedliche Delikte können in einem gleichgelagerten Verhältnis zur Täterpersönlichkeit stehen und Ausfluß eines gleichermaßen wirksam werdenden Hanges sein (BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 1996 - 4 StR 198/96 - und vom 19. März 1996 - 1 StR 114/96 -). Hier muß der Indizwert für einen schwerkriminellen Hang und für die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit aber besonders sorgfältig geprüft und begründet werden (BGH, Beschluß vom 7. Mai 1996 - 4 StR 198/96 -).
b) Nach diesen Grundsätzen hat der Tatrichter die Verhängung einer Maßregel nach § 66 StGB ohne durchgreifenden Rechtsfehler abgelehnt.
aa) Die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB liegen hier allerdings vor.
Als Symptomtaten kommen zwei Verurteilungen in Betracht: Im September 1983 war der Angeklagte unbefugt in eine Wohnung eingedrungen und von der Wohnungsinhaberin überrascht worden. Diese tötete er in "plötzlicher Panik". Dafür wurde der Angeklagte zu einer Jugendstrafe von neun Jahren verurteilt. Im August 1993 beging er einen Kfz-Diebstahl; dafür wurde eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die jetzt abgeurteilte Tat betrifft einen im Oktober 1994 verübten Banküberfall.
bb) Die materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB sind hier indes - trotz der insoweit äußerst knappen Ausführungen der sachverständig beratenen Strafkammer - noch tragfähig verneint. Der Senat besorgt insbesondere nicht, die Strafkammer könne den Begriff des Hanges verkannt haben.
Das Landgericht hat sowohl die Unterschiedlichkeit der Delikte ("erstmals Täter eines Banküberfalls") als auch deren Verhältnis zur Täterpersönlichkeit beachtet. Es hat die Vorstrafen und die Rückfallgeschwindigkeit in die Gesamtwürdigung einbezogen. Dabei hat die Strafkammer - wenn auch zu einzelnen Taten (vgl. UA S. 11/12) fehlerhaft - darauf abgestellt, daß der Angeklagte jedenfalls eine Reihe von Taten noch als Jugendlicher und Heranwachsender begangen hat. Der Tatrichter hat auch gesehen, daß die Vordelinquenz überwiegend Eigentumsdelikte betraf, durch die kein schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wurde.
Daß die Strafkammer den "verbrecherischen Hang" auch mit der Begründung verneint hat, beim Angeklagten liege "eher Willensschwäche und Lebensuntüchtigkeit" vor, wäre zwar - für sich betrachtet - fehlerhaft. Indes hat der Tatrichter dieses Argument ersichtlich hier bei der Prüfung erwogen, ob ein Hang zu erheblichen Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB besteht. Die tatrichterliche Gesamtwürdigung, dies sei nicht der Fall, hat der Senat hinzunehmen, mag auch eine andere Beurteilung möglich gewesen sein. Zudem wäre für die künftige Gefährlichkeit auch die Dauer der jetzt zu verbüßenden Strafen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. August 1995 - 5 StR 259/95 - und vom 7. Mai 1996 - 4 StR 198/96 -).