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RG, 05.11.1880 - II 252/80

Daten
Fall: 
Berufungsfrist
Fundstellen: 
RGZ 2, 425
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
05.11.1880
Aktenzeichen: 
II 252/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Leipzig
  • OLG Dresden
Stichwörter: 
  • Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist im Fall einer Übergabe der Berufungsschrift am vorletzten Tag

Kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist erteilt werden, wenn die Berufungsschrift erst am vorletzten Tage der Frist dem Gerichtsvollzieher übergeben (§. 213 C.P.O.) und nachher die Zustellung durch die Schuld der Zustellungsorgane verspätet worden ist?

Tatbestand

Das erstinstanzliche Urteil war am 9. März 1880 zugestellt worden. Der Beklagte legte Berufung ein. Die Zustellung seiner Berufungsschrift erfolgte jedoch erst am 10. April 1880. Er beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und fühlte folgendes an:

Die Berufungsschrift sei am 8. April 1880 nachmittags 5 Uhr dem Expedienten des Gerichtsvollziehers beim Amtsgerichte Dresden behufs der Zustellung übergeben worden. Ersterer habe den Zustellungsauftrag, obschon auf die Notwendigkeit alsbaldiger Erledigung ausdrücklich hingewiesen, dennoch erst am Vormittage des 9. April dem Gerichtsvollzieher behändigt. Nun sei zwar von diesem die Berufungsschrift noch vor halb 10 Uhr vormittags zur Post gebracht worden, sodaß die Austragung in Leipzig (dem Wohnorte des Anwaltes der Klägerin) bereits am Nachmittage hätte geschehen müssen. Dazu sei es gleichwohl nicht gekommen. Der Dresdener Anwalt des Beklagten, hiervon noch am Abend des 9. April unterrichtet, habe nunmehr das Hauptpostamt zu Leipzig sofort telegraphisch ersucht, die Zustellung durch Eilboten bewirken zu lassen. Dem damit vor halb 11 Uhr nachts beauftragten Eilboten wäre es auch möglich gewesen, die Zustellung noch am 9. April auszuführen, zumal da der Anwalt der Klägerin dem gegnerischen Anwälte zugesagt gehabt hätte, sich bis zum Ablauf der Berufungsfrist zur Empfangnahme bereit zu halten. Indessen habe der Bote ordnungswidrig vorerst noch die Ankunft anderer Eilbriefe abgewartet und dadurch die Zustellung verspätet.

Das Berufungsgericht wies den Antrag des Beklagten zurück. Die eingelegte Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Unter Naturereignissen und anderen unabwendbaren Zufällen, welche §. 211 Abs. 1 C.P.O. als Gründe für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Folgen von Notfristversäumungen anerkennt, versteht das Gesetz das nämliche, was Art. 395 H.G.B. unter "höherer Gewalt" begreift. Ein mit der äußersten, nach Lage der Sache vernünftiger Weise zu erwartenden Vorsicht weder ganz zu verhinderndes, noch unschädlich zu machendes Ereignis (vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 2 Nr. 58 S. 259; Bd. 8 Nr. 6 S. 30; Nr. 41 S. 161) muß Ursache der Versäumung sein. Indem der Gesetzgeber dies als Regel hingestellt und da, wo das Versäumnis nicht durch höhere Gewalt, wenngleich ohne Schuld der Partei, eingetreten ist, bloß unter ganz besonderen Vorbedingungen (§. 211 Abs. 2. §. 213 Ms. 1) die Wiedereinsetzung gestattet, hat eine strenge Beurteilung der Wiedereinsetzungsanträge geboten, mißbräuchlicher Prozeßverschleppung vorgebeugt werden sollen. Daß in allen Fällen schon der "Mangel an Verschulden" zur Wiedereinsetzung genüge, bestimmt das Gesetz nicht; absichtlich nicht, "weil dieser Begriff leicht einer laxen Interpretation ausgesetzt ist" (Motive zu §. 204 des Entwurfes, S. 460 der Kortkampf'schen Ausgabe). Allerdings hängt die Wahrung fast sämtlicher Notfristen, so namentlich der Berufungsfrist, davon ab, daß dem anderen Teil innerhalb der Frist ein Schriftsatz zugestellt wird, und das Gesetz nötigt die Partei, sich dabei zumeist fremder, ihrer Aufsicht und Leitung nicht unterstehender Personen zu bedienen. Dieser Sachverhalt ist jedoch bei dem Erlasse der Civilprozeßordnung berücksichtigt worden. Die Vorschrift des §. 213 giebt den Parteien ein sicheres Mittel an die Hand, die Folgen schuldhafter Verzögerung des Zustellungsgeschäftes von sich abzuwehren. Hat der Gerichtsvollzieher oder, soweit der Gerichtsschreiber die Zustellung vermittelt, letzterer das zuzustellende Schriftstück längstens am dritten Tage vor Ablauf der Frist zum Zwecke der Zustellung erhalten, so darf die Partei Wiedereinsetzung gegen das nachherige Fristversäumnis schlechthin beanspruchen, selbst dann, wenn dasselbe nicht auf Zufall, sondern auf Nachlässigkeit der Zustellungsorgane beruht. Hiermit fordert das Gesetz von den Parteien die Bethätigung einer gewissen Sorgfalt für Offenhaltung der zur Zustellung notwendigen Zeit. Die Partei soll, was sie ihrerseits zu thun hat, damit die Frist gewahrt werde, nicht bis auf die letzte Stunde verschieben, sodaß die Zustellungsbeamten gezwungen sind, außergewöhnliche, die regelrechte Abwickelung ihrer sonstigen Dienstgeschäfte nach Befinden störende Maßnahmen zu ergreifen, um die Zustellung noch rechtzeitig vollziehen zu können. Wie hieraus ohne weiteres folgt, darf eine Partei, welche die ihr von dem Gesetze gebotene Gelegenheit zur Unschädlichmachung etwaiger Nachlässigkeiten der Zustellungsorgane nicht benutzt, deshalb allein, weil dieselben, vielleicht ohne Not, die Zustellung über die Frist hinaus verzögert haben, nicht in den vorigen Stand eingesetzt werden. Derartige Zögerungen, wären sie auch durch Pflichtwidrigkeiten der Zustellungsbeamten veranlaßt, betrachtet das Gesetz nicht als unabwendbaren Zufall, weil es in der Macht der Parteien steht, den nachteiligen Wirkungen solcher Ereignisse vorzubeugen. Daß dies die Meinung des Gesetzgebers gewesen ist, erhellt klar aus der Entstehungsgeschichte des §. 213. Der Paragraph fehlte im Entwürfe des Gesetzes. Bei den Beratungen der Kommission des Reichstages gelangte in Frage, ob nicht "eine bei der Zustellung eingetretene Verzögerung" den Gründen der Wiedereinsetzung hinzuzurechnen sei. Ein hierauf gerichteter Einschaltungsantrag (Protokoll der 10. Sitzung S. 67) wurde jedoch zunächst durch einen anderen Beschluß, nach welchem die während der Notfrist erfolgte Übergabe des zuzustellenden Schriftstückes an den Gerichtsvollzieher beziehentlich Gerichtsschreiber zur Wahrung der Frist hinreichen sollte (S. 65), für erledigt erklärt (S. 69). Spätere Beratungen (Protokoll der 11. Sitzung S. 76, der 14. Sitzung S. 111 flg,, der 15. Sitzung S. 123 flg., der 84. Sitzung S. 535, der 126. Sitzung S. 666) führten zwar zur Wiederaufhebung auch dieses Beschlusses, kamen aber auf jene Einschaltung nicht wieder zurück. Vielmehr wurde endlich (Protokoll der 168. Sitzung S. 2 flg.) diejenige Vorschrift beschlossen, welche §. 213 C.P.O. wiedergiebt.

Der Revisionskläger hat erst am vorletzten Tage der Berufungsfrist den Gerichtsvollzieher um die Zustellung des Berufungsschriftsatzes angegangen. Die Bestimmungen des §. 213 stehen ihm sonach nicht zur Seite. Die Umstände dagegen, derenthalben er die Wiedereinsetzung begehrt, die fahrlässige Verzögerung der an sich noch zu rechter Zeit ausführbaren Zustellung durch den Expedienten des Gerichtsvollziehers und durch den Postboten, können ihm nach dem Obigen nicht zu statten kommen, sollte auch sein Anwalt nachträglich noch mit aller Umsicht diejenigen Veranstaltungen getroffen haben, welche in seiner Macht standen, um die rechtzeitige Zustellung zu erwirken. Durch die desfallsigen Bemühungen, welche erfolglos geblieben sind, wurde die vorherige Nachlässigkeit des Anwaltes oder der Partei weder ungeschehen gemacht, noch entschuldigt. Wie es daher einflußlos erscheint, daß der Anwalt dem Gerichtsvollzieher gegenüber die Zustellung als dringlich bezeichnet hat, so enthält die Nichtberücksichtigung dieser Thatsache im Berufungsurteile keine Gesetzesverletzung. Ebenso unerheblich ist der Einwand, den der Revisionskläger aus der Verletzung des §. 210 C.P.O. ableitet. Wäre der zweite Absatz des §. 210 auf das Verhältnis der Partei zu den Zustellungsbeamten nicht anzuwenden, in der gegenteiligen Annahme der vorigen Instanz also eine Gesetzesverletzung zu erblicken, so würde hierauf nach §. 526 C.P.O. kein Gewicht zu legen sein. Denn dabei handelt es sich nur um einen nicht völlig zutreffenden Entscheidungsgrund. Die Entscheidung selbst stellt sich ans anderen Gründen als richtig dar."