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RG, 20.09.1880 - Va 390/79

Daten
Fall: 
Auslegung des Begriffs "Grundsteuer"
Fundstellen: 
RGZ 3, 226
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.09.1880
Aktenzeichen: 
Va 390/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • KreisG Striegau.
  • Appellationsgericht Breslau.

Bedeutung des Ausdruckes "Grundsteuer" im weiteren und engeren Sinne.

Gründe

"Das preußische Edikt vom 27. Oktober 1810 über die Finanzen des Staats u. s. w. (Gesetzsammlung S. 25) kündigte eine gänzliche Reform des Abgabensystems, insbesondere die Anlegung eines neuen Katasters an, um nach demselben die Grundsteuer zu bestimmen, mit welcher auch die bisher befreiten Grundstücke, namentlich die Domänen, belegt werden sollten.

Mittelst Kaufkontrakts vom 27. Januar 1813 verkaufte der klagende Domänenfiskus das schlesische Gut Järischau der Frau Geheimen Staatsrat von B. Offenbar mit Rücksicht auf die neue Regelung der Grundsteuer, welche nach dem gedachten Finanzedikte in Aussicht stand, wurde im §. 9 dieses Kontrakts, unter Eintragung eines entsprechenden Vermerks im Grundbuche des verkauften Guts, wörtlich bestimmt: "Da die vormalige höhere Grundsteuer auf 28 1/3, Prozent des katastrierten Ertrags als den in Schlesien bestehenden Dominialdivisor herabgesetzt worden ist, so sind von dem Gute Järischau excl. Goldagio und Quittungsgroschen nur 378 Thlr. 15 Gr. an jährlicher Steuer zu entrichten.

Dieses Quantum findet keine Ermäßigung, wenn sich auch bei Berechnung der 28 1/3 Prozent ein anderes Quantum ergeben sollte, sowie sich auch die Frau Käuferin die Herabsetzung oder Erhöhung der Steuern gegen Nachzahlung oder Rückzahlung des verhältnismäßigen Teils der Kaufsumme, den jährlichen Betrag mit 4 Prozent zum Kapital gerechnet ..., gefallen lassen muß." ...

Erst das Gesetz vom 21. Mai 1861, betreffend die anderweite Regelung der Grundsteuer (Gesetzsammlung S. 253), wurde, wie der Eingang desselben auch hervorhebt, zur Erledigung der in dem Finanzedikte vom 27. Oktober 1810 wegen der Grundsteuer erteilten Verheißungen erlassen, nachdem die letztere inzwischen nur in einzelnen Provinzen, nicht aber in Schlesien, neu geregelt war.

Der §. 1 dieses Gesetzes bestimmt unter der Überschrift "Einteilung der Grundsteuer" wörtlich:

"Die Grundsteuer zerfällt fortan:
a.) in die von Gebäuden und den dazu gehörigen Hofräumen und Hausgärten unter dem Namen "Gebäudesteuer" zu entrichtende Staatsabgabe, und
b) in die eigentliche Grundsteuer, welche mit Ausschluß der zu a bezeichneten von den ertragsfähigen Grundstücken - von den Liegenschaften - zu entrichten sind."

Die letztgedachte Steuer, m. a. W. die Landsteuer, ist nach dem bezeichneten Gesetze für das Gut Järischau zu einem jährlichen Betrage veranlagt, welcher M. 180,20 geringer ist, als die bis dahin erhobene, im §.9 des Kontrakts vom 27. Januar 1813 bezeichnete schlesische Steuer. Der Kläger fordert daher auf Grund der erfolgten Eintragung von dem Beklagten als jetzigem Eigentümer des gedachten Guts die Nachzahlung des entsprechenden Kapitalbetrags. Allein mit Recht weist ihn der Appellationsrichter angebrachtermaßen ab, weil ein solcher Anspruch voraussetze, daß die jetzige Land- und Gebäudesteuer zusammen geringer sei, als die schlesische Grundsteuer, was von dem Kläger nicht behauptet ist.

Der Ausdruck "Grundsteuer" hat nach §. 1 des Gesetzes vom 21. Mai 1861 zwei verschiedene Bedeutungen, indem er im engeren Sinne nur die Landsteuer, im weiteren Sinne die Steuer vom Grundeigentum überhaupt bezeichnet, von welcher die Land- und Gebäudesteuer nur besondere Arten bilden.

Die Entscheidung hängt davon ab, in welchen von diesen beiden Bedeutungen der Ausdruck "Grundsteuer" im §. 9 des mehrgedachten Kontrakts von den Kontrahenten gebraucht ist; denn die Verminderung der Grundsteuer, auf welche der Klageanspruch sich stützt, würde nur dann vorliegen, wenn hier damit lediglich die, in ihrem Betrage herabgesetzte Landsteuer, im Gegensatze zur Gebäudesteuer, gemeint wäre. Jener Ausdruck ist nun in dem bezeichneten §. 9 in Wirklichkeit nur in dem weiteren Sinne der Steuer vom Grundeigentum, ohne Unterscheidung von Land- und Gebäudesteuer, zu verstehen.

Nach §§. 65 und 66 A.L.R. I. 4 soll der Sinn einer ausdrücklichen Willenserklärung nach der gewöhnlichen Bedeutung der Worte, diese aber nach der Zeit, in welcher die Erklärung abgegeben wurde, bestimmt werden.

Die Bezeichnung "Grundsteuer" war in früherer Zeit überhaupt ungebräuchlich und findet sich z. B. in v. Justi's System des Finanzwesens vom Jahre 1766 noch nicht. Vgl. daselbst S. 431 flg.

Vor der Einführung eines einheitlichen Steuersystems lastete auf dem Grundeigentum in den preußischen Provinzen eine große Zahl verschiedenartiger Realsteuern, deren mehr als hundert Arten allein in den mittleren und östlichen Provinzen bestanden. Vgl. v. Rönne, Staatsrecht der preußischen Monarchie (3. Auflage) Bd. 2 S. 360, Note 3. Nicht bloß nach der Entstehung und Art ihrer Veranlagung, sondern auch nach ihrer Benennung unterschieden sich dieselben; aber keine darunter war im Gegensatze zu anderen speciell als "Grundsteuer" bezeichnet. Viele dieser Realsteuern hafteten auf Ländereien, andere auf Häusern, und nicht bloß einzelne Grundstücke, sondern auch Landgüter als solche, mit Einschluß ihrer Pertinenzen und Realrechte, waren damit belastet.

In der Mark Brandenburg z. B. wurde der "Hufen- und Giebelschoß" von Grundstücken gehoben, - in Posen die "Osiara" von Gütern neben einer "Rauchfangsteuer" von Gebäuden, - in Ostpreußen die "Hufen- und Domanialkontribution" und als Realsteuer der nicht kontributionspflichtigen Besitzer eine "Haussteuer".

Schimmelpfennig, Grundsteuerverfassungen in den preußischen Staaten S. 335 - 216, 218, 161, 167; Dieterici, zur Geschichte der Steuerreform in Preußen S. 219 - 221.

Die in Schlesien von Gütern erhobene Steuer, welche auf besonderer Schätzung aller ertragsfähigen Bestandteile derselben (z, B. auch der Mühlen), sowie der Realrechte (Dienste, Gefälle, Zinsen, Pächte u.s.w.) beruhte, führte ebenfalls den Namen "Kontribution", neben diesen aber bestand für Personen, welche nur geringe oder gar keine Kontribution zahlten, die "Haussteuer des platten Landes" von ländlichen Gebäuden.

Schimmelpfennig a. a. O. S. 226 flg.; Dieterici a. a. O. S. 220; Striethorst Archiv Bd. 83 S. 25.

Die Realsteuer der Städte endlich bildete in den meisten Provinzen der "Servis", welcher der Regel nach auf Häusern lastete.

Schimmelpfennig a. a. O. S. 106 flg.; Dieterici a. a. O. S. 218; v. Rönne a. a. O. S. 628, Note 1.

Neben den angedeuteten verschiedenartigen Benennungen der einzelnen Realsteuern wurde in der Geschäftssprache der Ausdruck "Grundsteuer" nur zu dem Zwecke eingeführt, um deren Gattungsbegriff, die Realsteuern überhaupt im Gegensatz zu persönlichen Steuern, zu bezeichnen.

Vergl. v. Rönne a. a. O. S. 630, Note 3.

Derselbe war danach, seinem Wortsinne ganz entsprechend, mit Abgabe vom Grundeigentum oder Realsteuer lediglich gleichbedeutend und umfaßte immer zugleich die Steuern von bebauten Grundstücken, z. B. den Servis.

Vergl. v. Rönne a. a. O. S. 628, Note 1.

Auch in der älteren Gesetzessprache findet sich der Ausdruck "Grundsteuer" nur in dieser ganz allgemeinen Bedeutung.

Vor allem ist er nur so in dem Finanzedikte vom 27. Oktober 1810 gebraucht. Denn, indem dasselbe eine Reform der "Grundsteuer" in Aussicht stellte, wollte es offenbar aussprechen, daß das ganze, oben angedeutete verwickelte System der bisherigen Realbesteuerung aufgehoben und durch ein einfacheres und billigeres, vollständig neues Realsteuersystem ersetzt werden solle, grade ebenso, wie die völlige Umgestaltung der in dem gedachten Edikte unmittelbar nach der Grundsteuer erwähnten Gewerbesteuer beabsichtigt wurde.

Insbesondere waren also hier die bisherigen Haussteuern, welche nur einen Teil des alten Systems bildeten, unter der "Grundsteuer" mitbegriffen, und wenn ein Zweifel hieran noch möglich wäre, so würde derselbe jedenfalls dadurch beseitigt werden, daß die §§. 6 und 7 des Gesetzes vom 30. Mai 1820 über Einrichtung des Abgabewesens (Gesetzsammlung S. 134), welches sich ausdrücklich an das Finanzedikt von 1810 anschließt, den Servis als Bestandteil der Grundsteuer besonders erwähnen.

Das Grundsteuergesetz für die westlichen Provinzen vom 21. Januar 1839 (Gesetzsammlung S. 38) bezeichnet ebenfalls diesem älteren konstanten Sprachgebrauche gemäß die Gebäude lediglich als Grundsteuerobjekte (§§. 17-b. 21 - 23), und das Gesetz über anderweite Regelung der Grundsteuer in Posen vom 14. Oktober 1844 (Gesetzsammlung S. 601) sagt in demselben Sinne, daß die dortigen alten Grundsteuern, zu denen auch die "Rauchfangsteuer" gezählt wird, unter der allgemeinen Benennung "Grundsteuern" fortzuerheben seien, indem er als grundsteuerpflichtige Gegenstände "Gebäude", "Wohngebäude" und "Bauanlagen" besonders anführt (§§. 14. 15. 21).

Wenn das allgemeine Gesetz, betreffend die anderweite Regelung der Grundsteuer, vom 21. Mai 1861 im Gegensatz zu der Gebäudesteuer die Landsteuer (die Steuer von den Liegenschaften) gegenwärtig als eigentliche Grundsteuer bezeichnet, so legt es hiernach diesem Ausdrucke eine neue engere Bedeutung neben der bisherigen allgemeineren Bedeutung desselben bei. Die letztere wird aber als die früher ausschließliche noch durch den §. 2 des gleichzeitigen Gebäudesteuergesetzes (Gesetzsammlung S. 317) insofern bestätigt, als auch hier die aufgehobenen bisherigen Abgaben von Gebäuden einfach als "Grundsteuern" bezeichnet sind.

Für die Auslegung des §. 9 des Kaufkontrakts vom 27. Mai 1813 ist dem obigen zufolge der damalige Sprachgebrauch, insbesondere der des Finanzedikts von 1810, mit welcher jene Vertragsbestimmung im unverkennbaren Zusammenhange steht, allein bestimmend, die neue Ausdrucksweise des Gesetzes vom 21. Mai 1861 also bedeutungslos. Die bezeichnete Bestimmung kann daher schon nach ihrem Wortlaut nur so verstanden werden, daß eine Erhöhung bezw. Ermäßigung des verabredeten Kaufpreises eintreten sollte, wenn das verkaufte Gut bei der bevorstehenden neuen Regelung des Steuerwesens in geringerem bezw. höherem Grade mit Realsteuer belastet würde, einerlei, in welcher Weise diese veranlagt, eingeteilt und benannt werden möchte. Da nur die jetzige Realsteuer durch die neue Grundsteuer von Liegenschaften und die Gebäudesteuer gebildet wird, so war auch zur Begründung des Klaganspruchs die Darlegung erforderlich, daß beide zusammen das verkaufte Gut weniger belasten, als die bisher auf demselben haftende schlesische "Kontribution".

Der Einwand des Klägers, daß die letztere sich nicht auf Gebäude erstreckt habe, erscheint unzutreffend. Die schlesische Kontribution haftete nach dem obigen auf den Gütern als solchen, traf also wenigstens indirekt auch die Gebäude derselben, wenngleich diese bei der Ertragsschätzung der einzelnen Gutsbestandteile nicht besonders berücksichtigt wurden, was indes, z. B. bei Mühlen, also bei ertragfähigen Gebäuden, allerdings der Fall war. Allein, selbst wenn die auf den Gütern befindlichen Gebäude von der Kontribution vollständig befreit gewesen wären, so würde dadurch doch nichts geändert, weil auch die Aufhebung der bisherigen Befreiung einzelner Grundstücke von der Realsteuer, wie sie in diesem Falle in der Einführung der neuen Gebäudesteuer läge, eine Erhöhung der Grundsteuer im Sinne des §. 9 des mehrgedachten Kontrakts enthält.

Der Wortsinn des letzteren spricht aber für die notwendige Zusammenrechnung der Land- und Gebäudesteuer um so mehr, als der im Eingange des Vordersatzes gebrauchte Ausdruck "Grundsteuer" nach den Worten des Nachsatzes für gleichbedeutend mit der von dem Gute zu entrichtenden Steuer genommen wird, hierzu aber jedenfalls eine auf die Gutsgebäude gelegte Steuer ebenfalls gehört.

Die Mitberücksichtigung einer Belastung des Guts durch Gebäudesteuer entspricht endlich der offenbaren Intention der Kontrahenten. Denn diese läßt sich nur dahin auffassen, daß eine verhältnismäßige Erhöhung oder Ermäßigung des bedungenen Kaufpreises eintreten sollte, wenn durch die in Aussicht stehende neue Regelung der Grundsteuer der Wert des verkauften Gutes gesteigert bezw. vermindert würde, was sich nur aus einer Vergleichung der gesamten neuen Realsteuer mit der bisherigen Realsteuer desselben entnehmen läßt. Jedenfalls giebt der Vertrag nicht zu erkennen, daß die Kontrahenten nur von einer künftigen Besteuerung des Landnutzungsertrages die Festsetzung des Kaufgelderbetrages hätten abhängig machen wollen."