RG, 23.06.1880 - I 812/80

Daten
Fall: 
Feuerversicherungsschutz
Fundstellen: 
RGZ 2, 123
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
23.06.1880
Aktenzeichen: 
I 812/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Danzig
  • OLG Marienwerder

Ist die in verschiedenen, von derselben Person bei demselben Versicherer genommenen Feuerversicherungspolicen gleichlautend enthaltene Bedingung, daß bei wahrheitswidrigen Angaben oder Verschweigungen in der Schadensliquidation der Versicherte "jeden Anspruch auf Entschädigung für alle an dem betreffenden Brande beteiligten Versicherungen verliert", dann, wenn Wahrheitswidrigkeiten nur in der Liquidation für die in einer Police versicherten Gegenstände vorkommen, auf die Entschädigung für die in dieser Police versicherten Gegenstände zu beschränken oder auch auf die Entschädigung für die in den anderen Policen versicherten, durch denselben Brand zerstörten Gegenstände zu beziehen? Kann eine Entscheidung, welche die Auslegung gemäß der zweiten Alternative für unstatthaft erklärt, wegen rechtsgrundsätzlichen Irrtums mit der Revision angefochten werden?

Gründe

"Die im Thatbestande wörtlich mitgeteilte Schlußbestimmung des §.13 der Policebedingungen, von deren Auslegung die Entscheidung allein abhängt, kann nach ihrem klaren Wortlaute sowohl als nach dem ganzen Zusammenhange keinen anderen Sinn haben, als denjenigen, welchen die Beklagte derselben beigelegt wissen will. Sie ist in beiden Policen, sowohl in der die Immobilien als in der das Mobiliar betreffenden, wörtlich gleichlautend enthalten, und kann nur bedeuten, daß wenn derselbe Versicherte bei der Beklagten zwei oder mehrere Policen genommen hat, und die in den verschiedenen Policen versicherten Gegenstände durch denselben Brand zerstört werden, eine wissentliche Unwahrheit in der Schadensliquidation, wenn sie auch nur die in einer Police versicherten Gegenstände betrifft, doch alle Entschädigungsansprüche, welche sich auf diesen Brand beziehen, zerstören soll, der Anspruch mag sich auf die eine oder andere Police gründen. Die abweichenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils können nicht als eine thatsächliche Feststellung des Vertragswillens der Parteien, welche einer Nachprüfung des Revisionsrichters nach §. 524 C.P.O. nicht unterliegen würde, aufgefaßt werden; die Gründe lassen nicht ersehen, daß der Berufungsrichter sich bemüht, den der fraglichen Bestimmung zu Grunde liegenden Parteiwillen zu erforschen und festzustellen. Der Berufungsrichter hat sich gar nicht darüber ausgesprochen, was nach seiner Meinung die Parteien mit den Worten " für alle an dem betreffenden Brande beteiligten Versicherungen" haben ausdrücken wollen; es ist auch bei den klaren, unzweideutigen Worten gar nicht anzunehmen, daß er der Ansicht gewesen, die Parteien hätten damit etwas anderes, als was vorstehend ausgeführt worden, ausdrücken wollen; namentlich ist nicht ersichtlich, daß er die Worte etwa dahin aufgefaßt habe, daß, wenn eine Wahrheitswidrigkeit des Versicherten sich nur auf einzelne der in der betreffenden Police von versicherten Sachen beziehe, dadurch der Entschädigungsanspruch in Bezug auf alle, durch diese Police versicherten Sachen erlösche; es hätte auch, wenn dies die Meinung der Paciscenten gewesen wäre, abgesehen davon, ob dies nicht so selbstverständlich gewesen wäre, daß es einer besonderen Bestimmung gar nicht bedurft, hätte, kaum ein unzutreffenderer Ausdruck dafür gewählt werden können, als der vorliegende. Daß der Berufungsrichter eine thatsächliche Feststellung des angegebenen Inhalts nicht hat treffen wollen, ergiebt sich auch daraus, daß er die Anwendung der fraglichen Bestimmung auf den vorliegenden Fall für unstatthaft erklärt. Die Gründe dieser vermeintlichen Unstatthaftigkeit sind allerdings so wenig durchsichtig, daß sich die Frage aufwerfen läßt, ob anzunehmen sei, daß der prozessuale, im §. 512 C.P.O. vorgesehene Revisionsfall (Mangel von Gründen) als vorliegend anzunehmen sein würde. Aber näher liegt die Annahme, daß der Berufungsrichter in seiner Begründung der Verwerfung der fraglichen Ginrede von einem rechtgrundsätzlichen Irrtum beherrscht war. Er hält die Anwendung der fraglichen Bestimmung über die Folgen von Wahrheitswidrigkeiten, welche versicherte Mobilien betreffen, auf einen Entschädigungsanspruch für die Zerstörung versicherter Immobilien durch einen Brand nur dann für statthaft, wenn Mobilien und Immobilien in einer Police versichert werden, nicht aber dann, wenn über die Immobilien einerseits und die Mobilien andererseits zwei Versicherungsverträge zu verschiedener Zeit und selbständig für sich abgeschlossen sind. Darin ist aber eine, jedes rechtlichen Grundes entbehrende Beschränkung der Vertragsfreiheit ausgesprochen. Wenn die Parteien in dem jüngeren, die Versicherung der Mobilien betreffenden Vertrage ausdrücklich bestimmt hätten, daß eine unter §.11 der Police fallende Wahrheitswidrigkeit oder Verschweigung in der Schadensliquidation bezüglich der versicherten Mobilien den Versicherten auch aller Entschädigungsansprüche für die gleichzeitig verbrannten, in der früheren Police versicherten Immobilien verlustig mache, so würde die Rechtsverbindlichkeit dieser Stipulation, die weder in dem hier in Rede stehenden Landesteile gesetzlich verboten, noch unsittlich, noch sonst in Ermangelung besonderer anderweiter Gründe ungültig ist, nicht dem geringsten Bedenken unterliegen. Dies bezweifelt denn auch anscheinend der Berufungsrichter selbst nicht, indem er die Anwendung der fraglichen Bestimmungen nicht für unstatthaft hält, wenn in dem einen Versicherungsvertrage auf den anderen Vertrag Bezug genommen wird; er kann dabei aber nur eine ausdrückliche Bezugnahme im Auge gehabt haben, und darin liegt wieder eine der rechtlichen Begründung entbehrende Beschränkung; es genügt, daß der Parteiwille einen erkennbaren Ausdruck gefunden hat, und das ist im vorliegenden Falle in der möglichst unzweideutigen Weise geschehen, indem der Versicherte jedes Anspruchs auf Entschädigung und zwar für alle an dem betreffenden Brande beteiligten Versicherungen verlustig erklärt ist. Ferner läßt der Berufungsrichter noch eine Ausnahme von der von ihm statuierten Unstatthaftigkeit zu, wenn ein Zusammenhang zwischen den beiden verschiedenen Versicherungsverträgen besteht. Im vorliegenden Falle liegt nun ein Zusammenhang zwischen den beiden Versicherungen insoweit vor, als der Versicherer und der Versicherte in beiden Verträgen dieselbe Person ist, und die durch beide Verträge versicherten Gegenstände durch denselben Brand zerstört sind. Da diese unbestrittenen Thatsachen dem Berufungsrichter nicht entgangen sein können, so ist nur anzunehmen, daß er diesen Zusammenhang nicht für genügend erachtet, sondern noch einen weiteren Zusammenhang erfordert, ohne daß er sich darüber ausspricht, worin dieser nach seiner Meinung bestehen muß. Auch hierin liegt aber wiederum eine rechtliche nicht begründete Beschränkung der Vertragsfreiheit. Der Vertragswille liegt nach der Ansicht des erkennenden Gerichtshofes klar und unzweideutig vor, und es ist demselben die richterliche Anerkennung nicht zu versagen.

Das Ergebnis ist, daß es nicht gebilligt werden kann, daß der Berufungsrichter die fragliche Einrede schon jetzt verworfen und dem Kläger die Immobiliarentschädigung schon jetzt zuerkannt hat. Die Entscheidung ist vielmehr, ebenso wie diejenige über den Entschädigungsanspruch für die versicherten Mobilien, von dem Ergebnisse der Beweisaufnahme über die behaupteten Wahrheitswidrigkeiten des Klägers abhängig zu machen."