RG, 01.06.1880 - II 106/80
Ist der Fabrikunternehmer unbedingt verpflichtet, alle zum Schutze der Arbeiter dienlichen Maßregeln zu treffen bezw. anzuordnen, oder kann unter besonderen Umständen und in gewissen Beziehungen auch dem Arbeiter die Pflicht obliegen, für seinen Schutz selbst zu sorgen?
Tatbestand
Während der Schlossergeselle M. in der Fabrik "Eisenwerk Kaiserslautern" beschäftigt war, einen Tunnelbogen mit dem Meißel zu verputzen, d. h. glatt zu machen, flog ihm ein Eisensplitter in das rechte Auge, und er verlor infolge hiervon dieses Auge.
Er erhob Entschädigungsklage, welche er unter anderem auch auf die Behauptung stützte, der Unfall sei dadurch veranlaßt, daß die beklagte Gesellschaft nicht für Anschaffung von Schutzbrillen gesorgt habe.
Diese Behauptung wurde vom Appellationsrichter aus drei Gründen für unerheblich erklärt, nämlich 1) weil nicht der Beklagten, sondern dem Kläger die Sorge für Anschaffung einer Schutzbrille obgelegen habe, 2) weil Schutzbrillen, die brauchbar seien, keinen absoluten, sondern nur relativen Schutz gewährten, und 3) weil ebendeshalb der Nachweis des Kausalzusammenhanges ausgeschlossen erscheine.
Gründe
Die Nichtigkeitsbeschwerde wurde verworfen aus folgenden Gründen:
"Wenn auch die Ansicht, es bestehe eine Verpflichtung der Beklagten zur Anschaffung von Schutzbrillen deshalb nicht, weil Schutzbrillen, die brauchbar seien, keinen absoluten, sondern nur relativen Schutz gewährten, nicht zu billigen ist1, wenn ferner die sich anschließende Erwägung, daß bei dieser Sachlage der Nachweis des Kausalzusammenhanges ausgeschlossen sei, bedenklich erscheint, so ist doch ein weiterer selbständiger Entscheidungsgrund gegeben, der geeignet ist, das angefochtene Urteil zu rechtfertigen.
Der Appellrichter spricht zunächst seine Überzeugung aus, daß der Kläger Kenntnis gehabt, sowohl von der ihm drohenden Gefahr, als von den Vorsichtsmaßregeln, die geeignet seien, derselben zu begegnen, und erklärt weiter: mit Rücksicht darauf, daß die Anschaffung von Schutzbrillen nur unbedeutende Mühe und Auslage erfordere, sowie daß deren Aufbewahrung und Erhaltung ungleich gesicherter sei, wenn sie dem Arbeiter gehörten, als wenn sie vom Gewerbetreibenden gestellt würden, sei anzunehmen, daß die Pflicht zur Anschaffung einer Schutzbrille im vorliegenden Falle jedenfalls nicht der Beklagten, sondern dem Kläger selbst obgelegen habe.
In dieser Erwägung läßt sich eine rechtsirrtümliche Auffassung des §. 107 (jetzt §. 120) der Gewerbeordnung nicht erkennen. Mag diese Gesetzesbestimmung auch nicht auf bleibende Einrichtungen, welche ihrer Natur nach nur vom Gewerbeunternehmer ausgehen können, zu beschränken sein, so schließt sie doch nicht aus, daß unter Umständen, wie sie der Appellationsrichter als gegeben erachtete, der Arbeiter verpflichtet sein könne, für seinen Schutz selbst Sorge zu tragen.
Noch weniger kann der gegebenen thatsächlichen Feststellung gegenüber von Verletzung der Artt. 1382 und 1383 Code civil die Rede sein."
- 1. Vgl. das vorhergehende Erkenntnis Nr. 99 S. 271. D. R.