RG, 01.05.1903 - III 4/03

Daten
Fall: 
Vorlegung eines Erbscheins
Fundstellen: 
RGZ 54, 343
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
01.05.1903
Aktenzeichen: 
III 4/03
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin

Darf der Schuldner gegenüber dem Erben seines Gläubigers Zahlung bis zur Vorlegung eines Erbscheins verweigern?

Aus den Gründen

"Die Klägerinnen, welche durch Testament ihrer am 24. Dezember 1901 zu Berlin verstorbenen Schwester B. v. d. L. zu deren Erbinnen eingesetzt sind, verlangten unter Vorlegung des Testaments und der Eröffnungsverhandlung die Aushändigung eines von ihrer Erblasserin bei der Beklagten, der Deutschen Bank, angelegten Depots. Die Beklagte verweigerte diese Aushändigung bis zur Beibringung eines Erbscheins, weil sie nach § 2367 B.G.B. nur an einen durch Erbschein Legitimierten mit absolut befreiender Wirkung zahlen könne. Sie ist jedoch in beiden Vorinstanzen zur Aushändigung verurteilt, und die von ihr jetzt eingelegte Revision ist unbegründet. Daß ein formgültiges Testament vorliegt, und die Klägerinnen darin als Erbinnen berufen sind, bestreitet die Beklagte nicht; sie vermeint nur, daß seit Einfühlung des Bürgerlichen Gesetzbuchs den Erbschaftsschuldnern, damit sie des Vorteils der absolut befreienden Wirkung der Zahlung gemäß § 2367 B. G. B. teilhaft würden, das Recht zu. stehe, die Zahlung zu verweigern, bis sich die Erben durch Vorlegung eines Erbscheins legitimierten. Diese Meinung ist rechtsirrig. Ein Satz, daß der Nachweis des Erbrechts den Schuldnern gegenüber nur durch einen Erbschein geführt werden könne, wäre etwas so Außerordentliches, insbesondere auch dem preußischen Recht, an welches die Bestimmungen über den Erbschein sich angelehnt haben, so Widersprechendes, daß er einer ausdrücklichen Festsetzung bedurft haben würbe. Ein solcher Satz ist aber im Bürgerlichen Gesetzbuch nirgends ausgesprochen und aus der Bestimmung des § 2367 über die Wirkung des Erbscheins unmöglich zu folgern. Dazu aber kommt, daß sich aus der Entstehungsgeschichte der bezüglichen §§ 2366. 2367. insbesondere den Protokollen der II. Kommission Bd. 5 S. 686. 687, wie das Berufungsgericht eingehend dargelegt hat, klar ergibt, daß ein solches Recht des Schuldners, die Vorlegung eines Erbscheins verlangen zu können, nicht gewollt ist. Ein solches Recht würde auch, wie schon die zweite Kommission erwog, in vielen Fallen zu einer geradezu unerträglichen Belästigung der Erben, zu unnützen Kosten und Verzögerung der Nachlaßregulierung führen." ...