RG, 01.05.1884 - IV 23/84
Findet der §. 10 C.P.O. auch Anwendung,
1. wenn die Einrede der Unzuständigkeit des Landgerichtes erhoben ist,
2. auf die Fälle, in welchen das Gesetz die Amtsgerichte ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes für zuständig erklärt?
Aus den Gründen
"Der bei dem Landgerichte Berlin I erhobenen Klage hat die Beklagte die Einrede der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes entgegengesetzt, weil der vorliegende Rechtsstreit als eine während der Dauer des Arbeitsverhältnisses entstandene Streitigkeit zwischen einer selbständigen Gewerbetreibenden und ihrem Arbeiter auf Leistungen aus dem Arbeitsverhältnisse nach §. 23 Nr. 2 G.V.G., §. 108 G.O. und §. 120 a des Nachtragsges. zur G.O. vom 10. Juli 1878 zu den Streitigkeiten gehöre, welche ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes vor die Amtsgerichte gewiesen seien. Das Gericht erster Instanz hat die Einrede, als unbegründet verworfen, weil das Arbeitsverhältnis spätestens mit dem 1. Januar 1883, dem in dem Vertrage der Parteien vom 27. Oktober 1879 gesetzten Endigungstermine, sein Ende gefunden habe, die Klage aber erst nach dem 1. Januar 1883 angestellt sei. Das Berufungsgericht hat dagegen den Kläger wegen Unzuständigkeit des Landgerichtes mit der Klage abgewiesen. Es hat darauf Gewicht gelegt, daß der gegenwärtige Klaganspruch vom Kläger schon vor dem Ablaufe des Vertragsverhältnisses bei dem Landgerichte anhängig gemacht, derselbe zwar durch Urteil zweiter Instanz zunächst der Entscheidung des zuständigen Gewerbegerichtes unterbreitet, der gegenwärtige Rechtsstreit aber durch die gegen die Entscheidung des Gewerbegerichtes erhobene Berufung des Klägers auf richterliches Gehör veranlaßt worden sei. Danach hat es angenommen, daß die Streitigkeit bereits im Jahre 1882 entstanden sei. Die gegen dies Urteil eingelegte Revision ist auf Grund des §. 10 C.P.O. für begründet zu erachten. Nach dieser Vorschrift kann das Urteil eines Landgerichtes nicht aus dem Grunde angefochten werden, weil die Zuständigkeit des Amtsgerichtes begründet gewesen ist. Die Bestimmung muß sowohl auf den Fall, in welchem die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit des Landgerichtes in erster Instanz vorgebracht worden ist, als auch auf den Fall, in welchem das Landgericht sich ohne eine solche Einrede für unzuständig erklärt hat, angewendet werden.1
Der Wortlaut der Bestimmung ist so allgemein, daß er eine Einschränkung ihrer Anwendung in der gedachten Richtung nicht rechtfertigt. Andere Bestimmungen der Civilprozeßordnung bedingen ebenfalls die fragliche Einschränkung nicht. Insbesondere nicht die §§. 247. 248. 472, nach denen die Anfechtung des Urteiles erster Instanz, durch welches die prozeßhindernde Einrede der Unzuständigkeit verworfen wird, durch Berufung zuzulassen ist. Die gedachten Vorschriften sind vielmehr mit der aus der Spezialbestimmung des §. 10 C.P.O. sich ergebenden Einschränkung zu verstehen. Ebensowenig ist eine Einschränkung der Anwendung der Rechtsnorm des §. 10 a. a. O. auf den Fall, in welchem der Wert des Streitgegenstandes die Zuständigkeit bedingt, zulässig. Die Bestimmung ist vielmehr auch auf die Fälle anzuwenden, in welchen das Gesetz die Amtsgerichte ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes für zuständig erklärt.2
Ein Zweifelsgrund könnte aus einer Vergleichung der Regierungsmotive zu §. 10 C.P.O. und §. 23 Nr. 2 G.V.G. hergeleitet werden. In den Motiven zu §. 10 (S. 51; Hahn, Mater, Bd. 1 S. 148) wird gesagt, daß es bei der präsumtiv besseren Rechtsprechung des Kollegialgerichtes an einem sachlichen Grunde fehle, dem Beklagten ein Rechtsmittel gegen das Urteil des sich für zuständig erklärenden Landgerichtes zu gestatten. In den Motiven zum Gerichtsverfassungsgesetze (S. 61; Hahn, Mater, S. 70) aber heißt es, daß die in §. 12 des Regierungsentwurfes (§. 23 Nr. 2 des Gesetzes) bezeichneten Klagen schleunige Erledigung im Interesse des Verkehres fordern, und daß überdies die Entscheidung um so sachgemäßer ausfallen werde, je näher der Richter den Parteien stehe und je leichter sie persönlich vor ihm verhandeln können. Es wird also an der einen Stelle auf die präsumtiv bessere Rechtsprechung des Kollegialgerichtes, an der anderen auf die für die fraglichen Rechtssachen präsumtiv sachgemäßere Entscheidung des Amtsgerichtes Gewicht gelegt. Hieraus möchte allerdings, wenn die in Rede stehenden Bestimmungen nach den Regierungsmotiven auszulegen wären, zu schließen sein, daß der §. 10 a. a. O. sich nur auf die Fälle, in denen die sachliche Zuständigkeit vom Werte des Streitgegenstandes abhängt, bezöge. Allein den Regierungsmotiven ist die fragliche Bedeutung nicht beizulegen. Es kommt vielmehr auf den Wortlaut der in Rede stehenden gesetzlichen Bestimmung an. Und da in diesem die gedachte Unterscheidung nicht gemacht wird, so darf auch das Gericht dieselbe nicht zulassen. Es sind vielmehr beide Fälle gleich zu behandeln, die Berufung ist also in keinem der Fälle zu gestatten."