RG, 11.05.1880 - IVa 220/79

Daten
Fall: 
Landwirtschaftliche Nebengewerbe
Fundstellen: 
RGZ 1, 265
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
11.05.1880
Aktenzeichen: 
IVa 220/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Kreisgericht Kaukehmen
  • Appellationsgericht Insterburg

Finden die §§. 108 ff. Gew.O. vom 21. Juni 1869 auch auf landwirtschaftliche Nebengewerbe, z. B. Käsefabrikation, Anwendung?

Aus den Gründen

"Der Appellationsrichter geht von der Voraussetzung aus, daß der Beklagte den Kläger zur Anfertigung von Käsen aus dem auf seinem Grundstücke gewonnenen Material engagiert hat, und daß die Käse zwecks Verkaufes fabriziert sind. Er betrachtet daher den Kläger weder als Hausoffizianten, noch als Handlungs-, sondern als Gewerbsgehülfen des Beklagten und hat demgemäß seine Gehaltsforderung zur Zeit deshalb abgewiesen, weil er sie nicht gemäß §. 108 (jetzt 120a) der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 zunächst der vorgängigen Entscheidung der Gemeindebehörde unterworfen hat. Mit Recht rügt die Nichtigkeitsbeschwerde des Klägers Verstoß gegen die hier unanwendbare Vorschrift des §. 108.

Die Gewerbeordnung enthält keine ausdrückliche Begriffsbestimmung von Gewerbe, Handwerk und Fabrik, zählt auch nicht diejenigen Gattungen erwerbender Thätigkeit auf, welche als Gewerbe ihren Vorschriften unterfallen sollen. Sie beschränkt sich vielmehr im §. 6 darauf, gewisse Erwerbsarten, als Bergwesen, Fischerei, Unterrichtswesen etc. von der Unterordnung unter die Gewerbeordnung auszuschließen. Damit ist jedoch die Frage für andere Beschäftigungen nicht erledigt.

Der Standpunkt des Gesetzgebers ergiebt sich aus den Materialien. In den Motiven zum §. 6 des ersten Entwurfes der Gewerbeordnung heißt es:

"Wenn im §. 6 gewisser Gewerbebetriebe nicht gedacht ist, welche in neueren Gewerbegesetzen ausgenommen sind, so hat dies seinen Grund darin, daß man die bezüglichen Betriebe als "Gewerbe" nach gemeinem Sprachgebrauche und in Übereinstimmung mit der preußischen Gesetzgebung überhaupt nicht ansehen zu können glaubt, also eine besondere Ausnahme für überflüssig hält, wie z. B. Ackerbau, Viehzucht, Gartenbau, Forstwirtschaft, Weinbau, schöne Künste. Auch hier würden, wollte man diese Gewerbebetriebe aufzählen, die Zweifel nicht beseitigt, sondern neu veranlaßt werden, da es unmöglich ist, in einem solchen Verzeichnisse erschöpfend zu sein, ohne zugleich Betriebsarten, die sich augenscheinlich als Gewerbe qualifizieren, in die Ausnahme zu verweisen." Stenogr. Ber. 1868, Bd. II. S. 127.

Ähnlich lassen sich die Motive zum §. 6 des zweiten Entwurfes dahin aus:

"Der Entwurf hat, da die Vielgestaltigkeit der gewerblichen Entwickelung eine scharfe Begriffsbestimmung nicht gestattet, nicht den Zweck, den Begriff des Gewerbes hier festzustellen, oder gar die verfassungsmäßige Kompetenz der Bundesgesetzgebung abzugrenzen. Sein Zweck ist vielmehr:

a.gewisse Zweige der Landesgesetzgebung, welche im allgemeinen nicht der Gewerbegesetzgebung angehören, aber einzelne Bestimmungen enthalten, die als gewerbsgesetzliche betrachtet werden, wie z. B. das Bergwesen etc. von dem Geltungsbereiche der Gewerbeordnung auszuschließen,-
b. gewisse Zweige der Gewerbegesetzgebung der Ordnung durch Spezialgesetze vorzubehalten."

Sammlung der Drucksachen Bd. I. Nr. 103 S. 50; Koch, Gew.O. S. 9, 10; Koller, Gew.O. S. 36; Jacobi, Gew.O. 12.

In Übereinstimmung mit diesen Motiven haben verschiedene Landesverordnungen betreffend die Ausführung der Gewerbeordnung besondere Bestimmungen über die hier beregten Punkte erlassen. So bestimmt z. B. §. 5 Abs. 1 der kgl. sächs. Ausführ.-Verordn. v. 16. Sept. 1869:

"Obschon die in dem sächsischen Gewerbegesetz von den Vorschriften desselben ausdrücklich ausgenommenen Beschäftigungen des Ackerbaues, der Viehzucht, der Forstwirtschaft, des Gartenbaues, des Weinbaues, der litterarischen Thätigkeit und der schönen Künste im § 6 der Bundesgewerbeordnung sich nicht erwähnt finden, so hat es doch nicht in der Absicht gelegen, dieselben und die dabei Verwendung findenden Arbeiter und Gehilfen der Gewerbeordnung zu unterstellen. Auf den gewerbsmäßigen Betrieb der Handelsgärtnerei ist diese Befreiung jedoch nicht auszudehnen." Vgl. Jacobi a. a. O. S. 222. 223.

Hieraus erhellt, daß vom Gesetzgeber die Landwirtschaft an sich überhaupt nicht zu den Gewerben gerechnet ist. Es fragt sich, wie solche mit der Landwirtschaft verbundene Erwerbsarten zu behandeln seien, welche, wenn sie selbständig betrieben würden, sich als Gewerbe im Sinne der Gewerbeordnung qualifizieren würden. Findet ein solcher gewerbsmäßiger Nebenbetrieb neben dem Hauptbetriebe der Landwirtschaft für Rechnung des Landwirts mit selbsterzeugten Rohstoffen statt, bildet also die Landwirtschaft die einzige, bez. die Hauptbasis dieses Nebengewerbes, so folgt daraus mit Konsequenz, daß lediglich der Charakter der Landwirtschaft entscheidend sein kann, daß also auch das Nebengewerbe nur als landwirtschaftlicher Betrieb angesehen und behandelt werden muß. Mithin fällt ebensowenig wie die einfache Landwirtschaft ein solches landwirtschaftliches Nebengewerbe unter die Vorschriften der Gewerbeordnung. Vgl. Jacobi a. a. O. S. 12, Anm. 1.

Gerade ein landwirtschaftliches Nebengewerbe solcher Art hat der Appellationsrichter der Sachlage entsprechend hier festgestellt. Auf dasselbe durfte er den §. 108 Gew.O. nicht anwenden.

Aus diesem Grunde muß das Vorerkenntnis aufgehoben werden, ohne daß es noch der Prüfung der anderen Angriffe bedürfte."