RG, 10.01.1880 - I 107/79

Daten
Fall: 
Mitgliedschaft in einer eingetragenen Genossenschaft
Fundstellen: 
RGZ 1, 242
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
10.01.1880
Aktenzeichen: 
I 107/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Kreisgericht Halberstadt
  • Appellationsgericht Magdeburg

1.Wird bei eingetragenen Genossenschaften die Mitgliedschaft nur durch schriftliche Erklärung erworben?
Genossenschaftsgesetz vom 4, Juli 1868 §. 2.
2. Wird die Mitgliedschaft durch die Eintragung in das vom Vorstande dem Register-Richter eingereichte Mitgliederverzeichnis - vorbehaltlich des Gegenbeweises - bewiesen?

Aus den Gründen

"Der Appellationsrichter erkennt ausdrücklich an, daß nach §. 2 Abs. 4 des Genossenschaftsgesetzes vom 4. Juli 1868 die Mitgliedschaft der einzelnen Genossenschafter durch schriftliche Erklärung erworben werde. Er faßt mithin, und zwar - wie schon das R.O.H.G. in Entsch. Bd. 23 Nr. 80 S. 228 ff. näher ausgeführt hat - mit Recht, diese Bestimmung, nach welcher zum Beitritt der Genossenschafter die schriftliche Erklärung derselben genügt, in dem Sinne auf, daß andererseits die Erklärung des Beitrittes in schriftlicher Form auch erforderlich sei, um die Rechte und Pflichten eines Genossenschafters zu begründen. Inwiefern der Appellationsrichter, wie ihm zunächst vorgeworfen wird, den §. 2 a. a. O. verletzt haben soll, ist daher unerfindlich. Ebensowenig trifft der dem Appellationsrichter gemachte Vorwurf einer Verkennung der maßgebenden Grundsätze über die Beweislast zu, da er davon ausgeht, daß die Klägerin den Beweis zu führen habe, die von ihr nach §. 12 des Genossenschaftsgesetzes solidarisch für eine Verbindlichkeit des Konsumvereins zu Oschersleben (eingetragene Genossenschaft) in Anspruch genommenen Beklagten seien diesem Vereine in rechtsgültiger Weise beigetreten.

Dagegen irrt der Appellationsrichter, indem er aus den Bestimmungen der §§. 4 und 8 des Genossenschaftsgesetzes folgert, daß durch die von ihm tatsächlich festgestellte Eintragung sämtlicher Beklagten in das von dem Vorstande der Genossenschaft dem Register-Richter überreichte Mitgliederverzeichnis die Mitgliedschaft der Beklagten, vorbehaltlich eines diesen allerdings zustehenden Gegenbeweises, bewiesen werde, und der dem Appellationsrichter ferner gemachte Vorwurf einer Verletzung dieser Paragraphen erscheint daher als begründet.

Nach §. 4 muß der Gesellschaftsvertrag bei dem Handelsgerichte, in dessen Bezirke die Genossenschaft ihren Sitz hat, nebst dem Mitgliederverzeichnisse durch den Vorstand eingereicht, vom Gerichte in das Genossenschaftsregister eingetragen und auszugsweise veröffentlicht werden, wobei zugleich bekannt zu machen ist, daß das Verzeichnis der Genossenschafter jederzeit bei dem Gerichte eingesehen werden könne. Ergänzt wird diese Bestimmung durch die Vorschrift des §. 25, welche den Vorstand der Genossenschaft verpflichtet, dem Handelsgerichte am Schlusse jedes Quartales über den Eintritt und Austritt von Genossenschaftern schriftlich Anzeige zu machen und alljährlich im Monat Januar ein vollständiges, alphabetisch geordnetes Verzeichnis der Genossenschafter einzureichen, auf Grund welcher Mitteilungen das Handelsgericht die Liste der Genossenschafter zu berichtigen und zu vervollständigen hat.

In Verbindung mit der Vorschrift des §. 8 des Gesetzes, nach welcher das Genossenschaftsregister öffentlich ist und für dasselbe die im Handelsgesetzbuche bezüglich des Handelsregisters gegebenen Bestimmungen gelten, kann es nun allerdings keinem Zweifel unterliegen, daß die Vorschriften der §§. 4 und 25 des Genossenschaftsgesetzes ebenso wie verschiedene andere ähnliche Vorschriften desselben (vgl. §§. 6. 7. 18. 23. 36. 41) die Sicherheit des Verkehres zu befördern bezwecken. Denn es soll offenbar Dritten, welche mit einer eingetragenen Genossenschaft kontrahiert haben oder zu kontrahieren in der Lage sind, durch diese Vorschriften Gelegenheit geboten werden, sich über gewisse hierbei erhebliche rechtliche Verhältnisse der Genossenschaft Auskunft zu verschaffen. Diese Auskunft ist aber nicht geeignet, überall eine gleiche Sicherheit zu gewähren. Denn das Handelsregister ist zwar insofern eine öffentliche Urkunde und als solche in gleicher Weise wie andere öffentliche Urkunden beweisend, als der Register-Richter durch die Eintragung konstatiert, daß durch die Anmeldenden (über deren Identität er sich zu vergewissern hat) in der gesetzlich vorgeschriebenen Form gewisse Erklärungen abgegeben seien, welche jene Personen abzugeben hatten. Dagegen werden die Thatsachen, auf welche jene Erklärungen sich beziehen, durch das Handelsregister an sich nicht bewiesen, wenngleich in manchen Fällen die Erklärung die betreffende Thatsache involviert oder der Erklärende die letztere Dritten gegenüber als wahr gegen sich gelten zu lassen hat. (Vgl. v. Hahn, Komm, zum H.G.B., 3. Aufl. Vorbemerk. zu Bd. I. Tit. 2 §. 11 Note 12 S. 70 und zu Art. 12 §. 1 S. 74.) Soweit aber der Register-Richter nicht berechtigt und verpflichtet ist, sich Gewißheit zu verschaffen, ob das einer Erklärung zu Grunde liegende Rechtsverhältnis wirklich besteht, kann durch seine Eintragungen in das Handelsregister darüber auch nichts bewiesen werden.

Während nun das Handelsgesetzbuch bei der offenen Handelsgesellschaft und bei der Kommanditgesellschaft sämtlichen Gesellschaftern die Anmeldung der Errichtung der Gesellschaft, resp. ihres Eintrittes und Austrittes zur Pflicht macht (vgl. Artt. 86 bis 89, 129, 151, 152, 155, 156 und 171), begnügt sich das Genossenschaftsgesetz damit, in den §§. 4 und 25 dem Vorstande der Genossenschaft die Pflicht aufzuerlegen, dem Handelsgerichte außer dem gesellschaftsvertrage das Mitgliederverzeichnis einzureichen und dieses von Zeit zu Zeit durch schriftliche Anzeigen über den Eintritt und Austritt von Genossenschaftern, sowie durch einzureichende Verzeichnisse der gegenwärtigen Genossenschafter auf dem Laufenden zu erhalten. Dem Handelsgerichte steht zwar nach §. 66 des Gesetzes das Recht zu, den Vorstand von Amts wegen durch Ordnungsstrafen zur Befolgung dieser Vorschriften anzuhalten, und nach §§. 67 und 68 sind Unrichtigkeiten in den einzureichenden Mitgliederverzeichnissen und Anzeigen gegen die Vorstandsmitglieder mit einer Geldbuße und eventuell mit härteren Strafen zu ahnden. Zu einer von Amts wegen in dieser Beziehung vorzunehmenden Kontrolle ist aber das Handelsgericht nach dem Genossenschaftsgesetze nicht berufen. Es hat vielmehr nur zu prüfen, ob die eingereichten Mitgliederverzeichnisse und gemachten Anzeigen äußerlich in Ordnung sind. Da dem Vorstande die Vorlegung der schriftlichen Beitrittserklärung der einzelnen Genossenschafter nicht zur Pflicht gemacht ist, so würde das Handelsgericht sich zu einer Kontrolle der Richtigkeit der eingereichten Mitgliederverzeichnisse auch überall nicht imstande befinden, ganz abgesehen davon, daß es eventuell die Echtheit der schriftlichen Beitrittserklärungen nicht würde prüfen können, da deren Beglaubigung nach §. 2 des Gesetzes nicht erforderlich ist. Schon hiernach ist die Annahme des Appellationsrichters, daß das, allerdings einen integrierenden Bestandteil des Genossenschaftsregisters bildende - weil zur öffentlichen Einsicht bestimmte - Mitgliederverzeichnis die Mitglieder der Genossenschaft nachweise, unbegründet. Ihre Unzulässigkeit tritt aber noch um so mehr hervor, wenn man erwägt, daß das Verzeichnis der Genossenschafter nach §. 4 Abs. 1 und 3 des Gesetzes nicht veröffentlicht wird, sondern nur dessen Einsicht gestattet ist, und daß es zu dieser letzteren für alle diejenigen, welche zu der Genossenschaft außer aller Beziehung stehen, an jeder Veranlassung fehlt. Nach der Ansicht des Appellationsrichters würde jeder bei einer Genossenschaft völlig Unbeteiligte, ohne daß ihn der Vorwurf irgend einer Nachlässigkeit trifft, durch eine auf Irrtum oder auf Betrug beruhende Aufnahme seines Namens in das vom Vorstande eingereichte Mitgliederverzeichnis in die Lage versetzt, sich als Mitglied der Genossenschaft betrachten lassen zu müssen und deren Gläubigern solidarisch zu haften, sofern er nicht seinerseits zur Führung des schwierigen, ja oft unmöglichen Beweises der Unrichtigkeit des Verzeichnisses imstande ist - ein Resultat, welches der Gesetzgeber unmöglich beabsichtigt haben kann. Daß bei dieser Auffassung des Gesetzes die Einreichung der Mitgliederverzeichnisse und deren Eintragung in das Handelsregister völlig zwecklos sei, läßt sich nicht behaupten. Denn immerhin bietet schon die civilrechtliche und strafrechtliche Haftung der Vorstandsmitglieder dritten Personen eine gewisse Garantie für die Übereinstimmung der Mitgliederverzeichnisse mit den wirklichen Rechtsverhältnissen, und außerdem gewähren diese Verzeichnisse dritten Personen eine Grundlage zu entsprechenden weiteren Erkundigungen sowohl bei dem Vorstände, als bei denjenigen einzelnen im Mitgliederverzeichnisse aufgeführten Personen, auf deren Haftung als Genossenschafter Gewicht gelegt wird. Auch ist es unzulässig, für die gegenteilige Ansicht die Bestimmung des §. 15 des Reichsgesetzes über die Beurkundung des Personenstandes vom 6. Februar 1875 heranzuziehen, nach welcher die ordnungsmäßig geführten Standesregister diejenigen Thatsachen, zu deren Beurkundung sie bestimmt und welche in ihnen eingetragen sind, bis zur Führung des Beweises der Fälschung oder der Unrichtigkeit der Eintragungen oder der diesen zu Grunde liegenden Anzeigen beweisen. Denn diese gesetzliche Specialbestimmung ist einer analogen Anwendung nicht fähig und findet überdies auch ihr Korrelat in den anderweiten Bestimmungen dieses Gesetzes, nach welchen der Standesbeamte verpflichtet ist, sich von der Richtigkeit der Anzeigen, wenn er dieselben zu bezweifeln Anlaß hat, zu überzeugen (vgl. §§. 21, 45, 48 und 58), während dies bei dem Register-Richter in betreff der von dem Vorstande der Genossenschaften eingereichten Mitgliederverzeichnisse nicht zutrifft. ...

Das angefochtene Erkenntnis, welches die Beklagten nur deshalb nach dem Klagantrage verurteilt hat, weil der ihnen obliegende Gegenbeweis nicht geführt sei, unterliegt hiernach der Vernichtung.

In der Sache selbst war jedoch die angefochtene Entscheidung des Appellationsrichters bei freier Beurteilung aufrecht zu erhalten."

Folgt die Beweiswürdigung, wobei ausgeführt wird, daß die durch den Vorstand geschehene Eintragung einer Person in das Verzeichnis der Mitglieder der Genossenschaft allerdings eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Mitgliedschaft derselben begründe.