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RG, 09.12.1918 - VI 252/18

Daten
Fall: 
§ 829 BGB im Falle des § 844 BGB
Fundstellen: 
RGZ 94, 220
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
09.12.1918
Aktenzeichen: 
VI 252/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hannover
  • OLG Celle

1. Ist § 829 BGB. auch im Falle des § 844 anwendbar?
2. Verjährung des Anspruchs aus § 829.

Tatbestand

Der Beklagte hat am 2. September 1912 die Tochter der Klägerin erschossen; dabei hat er sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden. Die Klägerin forderte auf Grund der §§ 823, 829, 844 Abs. 2 BGB. die Feststellung der Schadenersatzpflicht des Beklagten.

Während das Landgericht die Klage abwies, stellte das Oberlandesgericht fest, daß der Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin durch Entrichtung einer Geldrente den ihr durch die Tötung ihrer Tochter entstandenen Schaden insoweit zu ersehen, als

  1. die Getötete während der mutmaßlichen Dauer ihres Lebens zur Gewährung des Unterhalts an die Klägerin verpflichtet gewesen sein würde;
  2. die Billigkeit nach den Umständen, insbesondere nach den Verhältnissen der Beteiligten, eine Schadloshaltung erfordere;
  3. dem Beklagten nicht die Mittel entzogen würden, deren er zum standesmäßigen Unterhalt sowie zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten bedürfe.

Die Revision des Beklagten wurde zurückgewiesen.

Gründe

... "Das Berufungsgericht hat die Klage, soweit sie sich lediglich auf § 844 Abs. 2 BGB. gründet, in der Erwägung abgewiesen, daß die Klägerin bereits kurz nach dem Tode ihrer Tochter sowohl von dem ihr dadurch erwachsenen Schaden als auch davon, daß der Beklagte ihre Tochter getötet hat, Kenntnis erhalten habe, daß daher die dreijährige Verjährungsfrist zur Zeit der Klagerhebung bereits abgelaufen gewesen sei. Dagegen hat es - unter Darlegung, daß die Voraussetzungen zur Anwendung des § 829 BGB. gegeben seien - den Einwand der Verjährung, soweit er gegen den auf diese Vorschrift sich stützenden Klaganspruch gerichtet ist, für unbegründet erachtet und hierzu ausgeführt, jene Umstände seien nicht ausreichend, um die Kenntnis der Klägerin von der Person des Täters als des Ersatzpflichtigen zu begründen. Denn der Beklagte habe im Sinne des § 829 als Täter erst in Frage kommen können, wenn die Klägerin gewußt habe, daß er für den von ihm verursachten Schaden auf Grund des § 827 nicht verantwortlich war. Vor erlangter Kenntnis von diesem für den Bestand des Anspruchs maßgebenden Umstande könne die Verjährung nicht beginnen. Die Kenntnis von einer schon zur Zeit der Tat bestehenden Geisteskrankheit des Beklagten habe die Klägerin aber erst innerhalb der letzten drei Jahre vor der Klagerhebung erlangt.

Die Revision macht geltend, die Vorschrift im § 829 gewähre nur dem Verletzten einen Anspruch, bestreitet daher, daß sie auf den hier vorliegenden Fall des § 844 anwendbar sei. Diese Ansicht geht fehl. Richtig ist allerdings, daß bei der Singularität jener Vorschrift eine entsprechende Anwendung auf andere unerlaubte Handlungen als die darin ausdrücklich erwähnten (§§ 823 bis 826) ausgeschlossen ist (RGZ. Bd. 74 S. 143). Allein wie vom Reichsgerichte die Anwendbarkeit des § 829 auf die Fälle der §§ 830, 833 Satz 2, 836 deswegen angenommen worden ist, weil in ihnen nicht eine Handlung besonderer Art aufgestellt, sondern nur ein Anwendungsfall des aus § 823 sich ergebenden Tatbestandes behandelt wird (RGZ. a. a. O.; Warneyer 1915 Nr. 283, 1916 Nr. 278; Komm. v. RGR. zu § 829 Anm. 1), so kann aus dem gleichen Grunde die Anwendbarkeit des § 829 auf den Fall des § 844 keinem Zweifel unterliegen, da auch diese Bestimmung den - objektiven - Tatbestand des § 823 voraussetzt. Es ist auch kein innerer Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, die Anwendbarkeit des § 829 auf den Fall des § 844 auszuschließen.

Auch die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht den Einwand der Verjährung, soweit er sich gegen den Anspruch aus § 829 richtet, zurückgewiesen hat, sind frei von Rechtsirrtum. Dieser Anspruch ist kein Schadenersatzanspruch der gewöhnlichen Art. Es läßt sich nicht der Auffassung beitreten, es gebe einen besonderen Anspruch aus § 829 überhaupt nicht, vielmehr bleibe der Anspruch aus den §§ 823 bis 826 trotz der Nichtverantwortlichkeit des Täters nach Maßgabe des § 829, soweit es die Billigkeit verlange, aufrecht und die Behauptung des Mangels der Verantwortlichkeit sei Einrede, die durch Replik gemäß § 829 ganz oder teilweise geschlagen werde. Der Anspruch aus § 829 ist ein Billigkeitsanspruch und unterscheidet sich von im auf §§ 823 bis 826 gestützten Ansprüchen in bezug auf Grundlage und Tragweite (RGZ. Bd. 74 S. 146). Er hat zur Voraussetzung u. a. auch die, daß die schädigende Handlung, die, bei Zurechnungsfähigkeit begangen, den Tatbestand einer unter die §§ 823 bis 826 fallenden unerlaubten Handlung darstellen würde, in einem Zustande der im § 827 bezeichneten Art oder von einem Kinde vorgenommen worden ist. Solange der Geschädigte diesen Umstand noch nicht kennt, läßt sich nicht sagen, daß er von der Person des nach § 829 "Ersatzpflichtigen" Kenntnis erlangt hat, und erst von dem Zeitpunkte dieser Kenntnis - und der Kenntnis des Schadens - an läuft die dreijährige Verjährung (§ 852). Die Feststellung des Berufungsgerichts, daß die Klägerin davon, daß der Beklagte ihre Tochter in einem Zustande der im § 827 bezeichneten Art tötete, Kenntnis erst innerhalb der letzten drei Jahre vor der Klagerhebung erlangt hat, ist frei von Rechtsirrtum." ...