RG, 31.01.1889 - IV 289/88
Wie ist der Pflichtteil zu berechnen, wenn zum Nachlasse bedingte oder sonst ungewisse Rechte gehören?
Gründe
"Die am 13. Januar 1886 verstorbene Ehefrau des Beklagten hat in ihrem Testamente vom 6. Oktober 1883 ihren Ehemann zum Erben eingesetzt und ihrer Mutter, der gegenwärtig wegen Geisteskrankheit unter Vormundschaft stehenden Klägerin, den von ihr auf 20000 M bestimmten Pflichtteil zugewendet. Der Wert ihres im Besitze des Beklagten befindlichen Nachlasses beträgt nach dem von diesem gelegten Inventar 58362,42 M. Die durch ihren Vormund vertretene Klägerin behauptet aber, daß diesem Werte noch der Wert der der Erblasserin aus dem Testamente ihres Großvaters, des Rentiers Salomon Abraham K., zugefallenen Erbschaftsmasse hinzuzurechnen sei, und daß sich solchenfalls eine Pflichtteilsverletzung ergebe. Es hat nämlich der am 2. November 1874 verstorbene Rentier K. in seinem Testamente vom 27. November 1873 bestimmt, daß sein Nachlaß in so viele Teile zerlegt werden solle, als bei seinem Ableben Kinder oder Stämme von vorverstorbenen Kindern vorhanden sein würden, daß jedoch seinen Töchtern (zu welchen die Klägerin gehört) das Kapital ihres Erbanteiles nicht ausgeantwortet werden solle, solches vielmehr ihren derzeitigen und künftigen Kindern zufallen und für dieselben von ernannten Testamentsexekutoren verwaltet werden solle, wogegen die Töchter nur den lebenslänglichen Nießbrauch ihrer Erbteile haben, die Teilung derselben unter ihre Descendenten und die Ausantwortung der Anteile an letztere aber erst nach ihrem Tode erfolgen solle. Der Kapitalswert der in Frage stehenden Erbschaftsmasse, welche den sechsten Teil des K.'schen Nachlasses ausmacht und sich im Nießbrauche der Klägerin befindet, hat zur Zeit des Todes der Ehefrau des Beklagten ungefähr 126000 M betragen. Die Klägerin hat zur Zeit keine Descendenz, da die Ehefrau des Beklagten ihr einziges Kind war und ohne Hinterlassung von Nachkommen verstorben ist.
Der Klagantrag ist auf die Feststellung gerichtet, daß der Pflichtteil der Klägerin nicht bloß von dem auf 58362,42 M ermittelten Werte des vom Beklagten inventarisierten Nachlasses, sondern unter Hinzurechnung des Wertes, welchen die der Ehefrau des Beklagten nach dem Testamente des Salomon Abraham K. zugefallenen Erbschaftsmasse am 13. Januar 1886 (dem Todestage der Ehefrau des Beklagten) gehabt habe, - eventuell: am Todestage der Klägerin haben werde - zu berechnen sei. In weiteren Eventualanträgen ist den gedachten Anträgen die Bedingung beigefügt: "falls Klägerin ohne eheliche Descendenz versterben sollte." - Der Beklagte hat diesen Anträgen aus verschiedenen Gründen widersprochen, und der erste Richter hat auf Abweisung der Klage erkannt. Er ist zwar dem Beklagten darin nicht beigetreten, daß die Klägerin nach dem letzten Willen ihres Vaters auch in dem vorliegenden Falle von jedem Substanzerwerbe aus dem ihrer Descendenz bestimmten Erbteile ausgeschlossen sei, hat aber angenommen, daß Klägerin hinsichtlich dieses Erbteiles als Fiduziarerbin und folgeweise Eigentümerin anzusehen sei, daß solcher daher überhaupt nicht zum Nachlasse der Ehefrau des Beklagten gehöre, da diese vielmehr nur die Anwartschaft auf die beim Tode der Klägerin vorhandene Erbschaftsmasse gehabt habe. Aber auch für den Fall, daß die Klägerin als Nießbrauchslegatarin anzusehen sein sollte, erachtet der erste Richter die Klaganträge für unbegründet, da der Anteil der Erblasserin an dem großväterlichen Nachlasse bei der Möglichkeit, daß Klägerin noch eheliche Nachkommenschaft erhalte, ungewiß sei, jedenfalls aber erst nach dem Tode der Klägerin ausgeantwortet werden dürfe und bis dahin, bei dem Verbote früherer Teilung, auch der Klägerin nicht anteilweise zufallen könne, die Klägerin mithin ohne Berechtigung lediglich das Interesse ihrer dereinstigen Erben verfolge.
Dagegen hat der Berufungsrichter den Beklagten verurteilt, anzuerkennen, daß als Pflichtteil der Klägerin aus dem Nachlasse der Ehefrau des Beklagten nach dem Tode der Klägerin an deren Erben auch 1/3 desjenigen Wertbetrages zu zahlen ist, der alsdann als Anteil der Erben der Ehefrau des Beklagten an dem den Kindern der Klägerin bei deren Tode zu gleichen Teilen zufallenden 1/6 des Nachlasses des am 2. November 1874 zu Danzig verstorbenen Rentiers Salomon Abraham K. nach dem Bestände dieses Nachlasses am 13. Januar 1886 sich ergeben wird.
Der Berufungsrichter geht davon aus, daß für die Berechnung des klägerischen Pflichtteiles der Zeitpunkt des Todes der Erblasserin maßgebend, mithin alles in Anschlag zu bringen sei, was in diesem Zeitpunkte zum Nachlasse gehört und einen Vermögenswert gehabt habe. Letzteres gelte nun auch von dem Anrechte der Erblasserin an dem Nachlasse ihres Vaters, möge man solches mit der Klägerin - was das richtige sei - als Eigentum oder mit dem Beklagten als fideikommissarisches Erbrecht betrachten, und möge auch die Schätzung eine schwierige sein; denn der Wert werde durch den lebenslänglichen Nießbrauch der Klägerin zwar vermindert, aber nicht aufgehoben. Für die Realisierung des Pflichtteilsanspruches, - welchen der Berufungsrichter an anderer Stelle als Forderungsrecht an den Erben bezeichnet, - soll es aber nach seiner ferneren Ausführung darauf ankommen, ob man den Pflichtteil einfach als Vermögensquote ansehe, in welchem Falle das gedachte Anrecht nach seinem Werte zur Zeit des Todes der Erblasserin zu schätzen, der ermittelte Betrag dem sonstigen Nachlasse zuzuschlagen sein und von dem Ganzen der dritte Teil der Klägerin als Pflichtteil gebühren würde, den sie mittels der Pflichtteilsklage selbst beanspruchen könnte, sodaß die erhobene Feststellungsklage wegen Mangels der gesetzlichen Vorbedingungen unzulässig sein würde. Für zutreffender erachtet es jedoch der Berufungsrichter, den Pflichtteil als eine Quote desjenigen Vermögens zu betrachten, welches der Pflichtteilsberechtigte erhalten haben würde, wenn er Erbe geworden wäre, und danach sollen dem "zu Grunde zu legenden Betrage", unter welchem anscheinend der Betrag des sonstigen, liquiden Nachlasses verstanden ist, auch diejenigen Vorteile hinzutreten, deren Entstehung beim Tode des Erblassers schon begründet war, die aber noch bedingt oder ihrem Umfange nach ungewiß waren, sobald diese Ungewißheit beseitigt sei. Der Pflichtteilsberechtigte habe deshalb, wenn zum Nachlasse aufschiebend bedingte oder sonst Ungewisse Rechte gehörten, einen Anspruch auf Nachlieferung, sobald die Ungewißheit gehoben und ein zweifelhaft gewesener Vorteil dadurch dem Nachlasse gesichert sei. Dieser Fall liege hier vor, da das fragliche Anrecht der Erblasserin an dem K.'schen Nachlasse schon zur Zeit ihres Todes vorhanden gewesen, der wahre Wert desselben aber erst beim Tode der Klägerin zu ermitteln sei, und die Klägerin verlange im Grunde auch nichts anderes, als die Anerkennung ihres Pflichtteilsrechtes bezüglich des nach ihrem Tode ermittelten Wertes jenes Anrechtes, d. h. die Feststellung ihres Nachforderungsrechtes. Der Berufungsrichter prüft sodann, ob die prozessualen Voraussetzungen der Feststellungsklage vorhanden seien, und bejaht diese Frage, da der Anspruch der Klägerin vom Beklagten nicht anerkannt werde, und - wie näher dargelegt wird - ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung dieses Anspruches bestehe, der erst durch die Feststellung seine volle Verwertbarkeit für die Klägerin erlange. - Endlich erwägt der Berufungsrichter, daß nach der Natur des durch die Mitberufung einer persona incerta zur Erbfolge geschaffenen Rechtsverhältnisses das Ergebnis der mit dem Tode der Klägerin eintretenden Entscheidung auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers K. zurückzubeziehen sei, dergestalt, daß die Ehefrau des Beklagten, sofern die Klägerin weitere Nachkommenschaft nicht erlange, als alleinige "Inhaberin" der für die Descendenz der Klägerin bestimmten Quote des K.'schen Nachlasses vom Tode des K. ab anzusehen sei. Es gebühre daher der Klägerin von diesem Sechsteil des gedachten Nachlasses, wie solches beim Tode der Ehefrau des Beklagten vorhanden gewesen sei, der Pflichtteil.
Die in dieser Weise begründete Entscheidung des Berufungsrichters beruht, wie die Revision zutreffend gerügt hat, auf Verletzung von Rechtsnormen.
Zunächst ist dieselbe schon insofern nicht gerechtfertigt, als der Klägerin etwas anderes zuerkannt ist, als sie beantragt hat." ...
(Dies wird näher ausgeführt.)
"Aber auch in betreff des Klaganspruches selbst erscheint die Begründung des Berufungsurteiles, wie solche oben mitgeteilt ist, unhaltbar. Ganz richtig geht der Berufungsrichter davon aus, daß der Anspruch des in seinem Pflichtteile Verletzten als Forderungsrecht anzusehen ist.1
Dagegen sind seine Ausführungen über den Gegenstand dieses Forderungsrechtes unzutreffend. Vorab ist schon die von ihm aufgestellte Unterscheidung zwischen "einfacher Vermögensquote" und der Quote desjenigen Vermögens, welches der Pflichtteilsberechtigte als gesetzlicher Erbe erhalten haben würde, nicht verständlich, da doch der gesetzliche Erbteil ebenfalls eine Quote des Nachlasses, mithin eine Quote dieser Quote gleicherweise eine Quote des Nachlasses darstellt. Es ist daher auch nicht abzusehen, wie diese identischen Auffassungen in der vorliegenden Hinsicht zu verschiedenen Ergebnissen sollten führen können, und weshalb nur bei der letzteren, nicht auch bei der ersteren, die dargelegte Behandlung bedingter oder sonst Ungewisser erbschaftlicher Rechte bei Feststellung des Pflichtteiles gerechtfertigt wäre. Allein der Pflichtteilsanspruch geht überhaupt nicht auf eine Quote des Nachlasses oder auf einen ideellen Anteil an irgend einem Nachlaßgegenstande - welchenfalls er bei seiner Durchsetzung notwendig zu einem erbrechtlichen Miteigentum führen würde -, sondern er geht lediglich auf Zahlung einer dem Werte der Pflichtteilsquote gleichkommenden Geldsumme.2
Es kann daher auch nicht davon die Rede sein, daß die Klägerin kraft ihres Pflichtteilsrechtes, wie der Berufungsrichter unterstellt, eine Quote von der - der Erblasserin angefallenen - Quote des K.'schen Nachlasses zu beanspruchen hätte.
Erweist sich hiernach die der vorrichterlichen Entscheidung zu Grunde liegende Rechtsauffassung als irrtümlich, so bleibt noch zu prüfen, ob die Entscheidung gleichwohl aus anderen Gründen aufrecht zu erhalten ist, da in der That nur eine Wertsquote und nicht, wie man nach der Motivierung hätte erwarten sollen, eine Quote der K.'schen Erbschaftsmasse zugesprochen ist. Dies ist jedoch nicht der Fall. Für die Berechnung des Pflichtteiles ist, wie allseitig anerkannt wird, der Geldwert des Nachlasses zur Zeit des Todes des Erblassers maßgebend.3
Derselbe ist im Streitfalle durch Schätzung Sachverständiger zu ermitteln,4 was zweifellos auch von unsicheren Außenständen gilt.5
Der Berufungsrichter nimmt indeß an, daß es sich in dieser Hinsicht mit aufschiebend bedingten oder sonst Ungewissen erbschaftlichen Rechten, denen er das in Frage stehende Anrecht der Erblasserin an dem großväterlichen Nachlasse beizählt, anders verhalte, indem bezüglich dieser die Ausgleichung zwischen Erben und Pflichtteilsberechtigten bis nach Eintritt des Gewißheit gewährenden Ereignisses ausgesetzt und dem letzteren ein eventuelles Nachforderungsrecht auf eine seinem Pflichtteile entsprechende Wertsquote des dem Nachlasse zugeführten Vorteiles vorbehalten bleiben müsse. Allein diese Annahme entbehrt der gesetzlichen Grundlage. Sie findet in den Vorschriften des Allgemeinen Landrechtes nicht nur keine Stütze, sondern sie widerspricht sogar dem zweifellosen Prinzip desselben, daß der Pflichtteil nach dem Werte des Nachlasses zur Zeit des Todes des Erblassers zu berechnen ist, mithin durch die späteren Schicksale des nachgelassenen Vermögens, wodurch Vermehrungen oder Verminderungen desselben herbeigeführt werden, in seinem Betrage nicht beeinflußt wird.6
Der Berufungsrichter bezieht sich für seine Ansicht auf Dernburg (a. a. O. S. 577), die §§. 20. 23 des preußischen Erbschaftssteuergesetzes vom 30. Mai 1873 und die Motive zu §. 1986 des Entwurfes des bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Dernburg hält allerdings dafür, daß die Normen des angeführten Erbschaftssteuergesetzes bezüglich der Ermittelung des Wertes des Nachlasses, soweit sie auf allgemeinen Prinzipien und nicht auf den besonderen Verhältnissen der Erbschaftssteuer beruhten, auch bei Feststellung des Betrages des Pflichtteiles entsprechend zur Anwendung zu bringen seien, und er nimmt daher gemäß §. 20 des angeführten Gesetzes an, daß aufschiebend bedingte Vermögensrechte zunächst nicht zu berücksichtigen seien, jedoch eine Nachforderung des Pflichtteilsberechtigten im Falle des Eintrittes der Bedingung begründet sei, daß dagegen unter einer auflösenden Bedingung erworbenes Vermögen wie unbedingt erworbenes einzurechnen sei, vorbehaltlich des Rechtes des Erben auf Rückzahlung des Zuvielgezahlten im Falle des Eintrittes der Bedingung. Bezüglich der unsicheren Forderungen, über welche §. 23 des angeführten Gesetzes disponiert, hat Dernburg nur die Eingangsworte dieses Paragraphen, wonach solche mit dem mutmaßlichen Werte in Rechnung kommen, als auf die Pflichtteilsberechnung anwendbar wiedergegeben, nicht aber den weiteren Inhalt der Vorschrift, wonach jener Wert von dem Steuerpflichtigen vorzuschlagen und der Steuerbehörde, sofern eine Einigung nicht stattfindet, das Recht eingeräumt ist, einstweilen von dem angegebenen Betrage die Steuer zu erheben, die definitive Regulierung derselben aber bis nach erfolgter Hebung der Unsicherheit auszusetzen. Es erscheint indes jede analoge Anwendung der gedachten Vorschriften des Steuergesetzes vom 30. Mai 1873 auf den vorliegenden Fall ausgeschlossen, da jene, wie das ganze Gesetz, streng positiver Natur sind, sich in keiner Beziehung als Ausflüsse eines allgemein anwendbaren Rechtsprinzipes kennzeichnen und überdies ihre Rechtfertigung in dem besonderen Zwecke des Gesetzes finden, welcher auf den vorliegenden Fall nicht gleicherweise zutrifft. Denn die Erbschaftssteuer wird von dem Betrage entrichtet, um welchen diejenigen, denen der Anfall zukommt, durch denselben reicher werden (§. 5 Abs. 1 des angeführten Gesetzes), und ohne Zweifel aus dieser Rücksicht sind dem im §. 12 daselbst ausgesprochenen Prinzipe, daß die Ermittelung des Betrages der steuerpflichtigen Masse auf den gemeinen Wert zur Zeit des Anfalles zu richten sei, nähere Bestimmungen hinzugefügt, welche die Erreichung jenes Gesetzeszweckes möglichst sicher stellen und die Gefahr der materiellen Benachteiligung des Steuerpflichtigen oder des Fiskus durch trügerische Schätzungen ungewisser Vermögenswerte abwenden sollen. Diese Rücksicht aber waltet bei der Ermittelung des Pflichtteiles nicht in gleichem Maße ob, sodaß es hier bei der allgemeinen Regel der Schätzung des derzeitigen Wertes durch Sachverständige sein Bewenden haben muß. Der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich enthält allerdings im §. 1986 Abs. 3 gleiche Vorschriften über die Behandlung bedingter erbschaftlicher Rechte zwecks Ermittelung des Pflichtteiles, wie §. 20 des angeführten Gesetzes vom 30. Mai 1873. Indes die Motive (Bd. 5 S. 407), welche diese Abweichung von der in den Absätzen 1 und 2 daselbst aufgestellten Regel der Wertsermittelung durch Schätzung durch das praktische Bedürfnis rechtfertigen, lassen in keiner Weise erkennen, daß man hierdurch geltendes Recht wiederzugeben geglaubt habe. Auch das römische Recht enthält nicht eine allgemeine Vorschrift gleichen Inhaltes, wenngleich es unter Umständen die vorläufige Nichtberücksichtigung suspensiv bedingter Forderungen bei Ermittelung des Pflichtteiles unter Vorbehalt nachträglicher Ausgleichung bei Eintritt der Bedingung zuläßt.7
Im vorliegenden Falle handelt es sich aber nicht einmal um ein suspensiv bedingtes Recht der Erblasserin an dem für die Descendenz der Klägerin bestimmten Teile des K.'schen Nachlasses. Denn mag man sie - was nach der Fassung des K.'schen Testamentes zutreffend erscheint - mit dem Berufungsrichter als direkte Erbin ihres Großvaters und die Klägerin als Nießbrauchslegatarin oder mit dem ersten Richter diese als Vorerbin und jene als Nacherben ansehen, in jedem Falle hat dieselbe mit dem Tode des Testators K. ein sogleich existentes, vererbliches und veräußerliches Recht an dem fraglichen Erbteile erworben, dessen Umfang nur insofern bis zum Tode der Klägerin ungewiß ist, als sich erst in diesem Zeitpunkte entscheidet, ob die Erblasserin von Anfang an allein oder nur - und zu welchem Teile - mitberechtigt war. In dieser Weise faßt der Berufungsrichter selbst das durch die Art der Erbeinsetzung geschaffene Rechtsverhältnis in der Schlußausführung seiner Entscheidungsgründe auf. Daß dieses Recht schon zur Zeit des Todes der Erblasserin einen Vermögenswert hatte und durch Verkauf realisiert werden konnte, unterliegt keinem Zweifel und wird auch vom Berufungsrichter anerkannt. Es muß also auch nach seinem Geldwerte in jenem Zeitpunkte zu schätzen sein, wobei einerseits der damalige Wert der Erbschaftsmasse an sich, andererseits die nähere oder entferntere Möglichkeit der Entstehung weiterer Descendenz der Klägerin und, als wertmindernd, der lebenslängliche Nießbrauch der letzteren in Anschlag kommen müssen. Dabei mögen den Schätzern die einschlägigen Bestimmungen des angeführten Gesetzes vom 30. Mai 1873, soweit solche, wie z. B. der §. 148 auf allgemeinen Erfahrungen beruhen, zum Anhalt dienen kommen; eine eigentliche Anwendung, im Sinne von Rechtsanwendung, können jedoch auch sie nach obiger Darlegung auf den vorliegenden Fall nicht finden.
Wegen der vorstehend hervorgehobenen Rechtsnormverletzungen war das Berufungsurteil aufzuheben. In der Sache selbst mußte die Berufung der Klägerin gegen das erste Urteil zurückgewiesen werden. Denn zufolge vorstehender Ausführungen hat die Klägerin einen Anspruch auf Ergänzung des Pflichtteiles nur dann, wenn sie in demselben bei Einrechnung des nach seinem Geldwerte anzuschlagenden Anrechtes der Erblasserin an dem großväterlichen Nachlasse verletzt ist. In dieser Weise ist aber die Klage nicht substanziiert, da in der That nur ein - nicht zustehendes - Nachforderungsrecht hat geltend gemacht werden sollen. Außerdem war jener Anspruch schon jetzt mit der Leistungsklage verfolgbar und es ist kein Grund ersichtlich, aus welchem die Klägerin trotzdem an der vorgängigen und alsbaldigen Feststellung ihres Anspruches oder eines für die Bezifferung desselben wesentlichen Momentes ein rechtliches Interesse im Sinne des §. 231 C.P.O. haben könnte. Aus beiden Rücksichten erscheint die erhobene Klage nicht begründet."
- 1. Vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 21 S. 272 flg.
- 2. Vgl. Entsch. des R.G.'s a. a. O. und die dort Angeführten.
- 3. Vgl. Dernburg, Preußisches Privatrecht Bd. 3 (3. Aufl.) S. 576 und die in der Note 1 daselbst Angeführten.
- 4. vgl. §. 116 A.L.R.I. 2; Schultzenstein, Zur Lehre vom Pflichtteilsrechte S. 163. 166.
- 5. Vgl. Dernburg, a. a. O. S. 577.
- 6. Vgl. Schultzenstein, a. a. O. S. 163-167.
- 7. Vgl. Windscheid, Pandekten 6. Aufl. Bd. 3 S. 383. 153 Note 12.
- 8. vgl. Hoyer-Gaupp, Preuß. Stempelgesetzgebung 4. Aufl. S. 878.