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RG, 17.04.1880 - I 803/80

Daten
Fall: 
Wechselprotest im Geschäftslokal des Gemeinschuldners
Fundstellen: 
RGZ 2, 23
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
17.04.1880
Aktenzeichen: 
I 803/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Halberstadt
  • OLG Naumburg

Kann der Wechselprotest, wenn der Adressat im Konkurse, in seinem seitherigen Geschäftslokale, oder muß er in seiner Wohnung erhoben werden? Bedeutung der Beurkundung im Proteste, daß das Geschäftslokal verschlossen gefunden.

Tatbestand

Kl. forderte aus einem beim Aussteller S. domizilierten Wechsel von der Bekl. als Acceptantin die Wechselsumme auf Grund eines Protestes mangels Zahlung, in welchem der Akt der Vorlegung an den Domiziliaten dahin beurkundet ist:

"Der Unterzeichnete begab sich von pp. nach dem pp. belegenen Geschäftslokale der Firma S. hierselbst und fand daselbst dasselbe verschlossen. Bemerkt wird, daß über das Vermögen der gedachten Firma der Konkurs eröffnet worden ist. Es hat daher der Unterzeichnete wegen nicht erfolgter Zahlung den Protest eingelegt."

Diese Protesterhebung erachteten die Beklagten für unwirksam, weil mit der Konkurseröffnung des bisherige Geschäftslokal des Gemeinschuldners aufhöre, sein Geschäftslokal zu sein, und der Wechsel daher, zumal auch noch dies Geschäftslokal verschlossen gefunden, habe in der Wohnung des S. protestiert werden müssen. Das dieser Auffassung beitretende zweitinstanzliche Erkenntnis wurde aufgehoben und das verurteilende erstinstanzliche bestätigt.

Gründe

"Allerdings verliert sowohl nach der bisherigen preuß. Konk. Ordn. §. 4 wie nach der Reichskonkursordnung §. 5 der Gemeinschuldner mit der Eröffnung des Konkursverfahrens die Befugnis, sein zur Konkursmasse gehöriges Vermögen zu verwalten und über dasselbe zu verfügen.

Allein nach keinem der beiden Gesetze ist diese Folge im Sinne einer Rechtsnachfolge der Gläubigerschaft oder des Verwalters in Bezug auf das Eigentum an dem gedachten Vermögen des Gemeinschuldners zu verstehen. Der Gemeinschuldner bleibt Eigentümer seines Vermögens. Er wird in Bezug auf Verfügung und Verwaltung nur kraft des Gesetzes im Interesse der Befriedigung der Gläubiger vertreten, gleichviel ob man als den ihm auferlegten Vertreter die Gläubigerschaft selbst oder den Verwalter ansieht. Was kraft dieser vom Gesetz übertragenen Disposition der Vertreter in Bezug auf die Aktivmasse thut, hat verbindliche Kraft für den Gemeinschuldner auch über die Dauer dieser Verwaltung hinaus.

Das für die Aktivmasse Erworbene und Erstrittene wird rechtlich dem Gemeinschuldner erworben und erstritten, wenn es auch zunächst dem Zwecke des Konkurses dienen soll. Nimmt der Verwalter in Ausübung seines Verwaltungsrechts in Bezug auf die Aktivmasse Rechtshandlungen oder neue Rechtsgeschäfte vor, so treffen die Ergebnisse derselben, insbesondere auch die dadurch entstehenden Verbindlichkeiten, rechtlich als den Geschäftsherrn den Gemeinschuldner, wenn sie auch zunächst aus der Masse zu bestreiten sind und der Verwalter sich verantwortlich macht, falls er für ihre Deckung oder Sicherung aus der Masse nicht Sorge getragen hat.

Vgl. (für die preuß. Konk. Ordn.) Goltdammer, Kommentar (I.Ausg.) 72, 73, 77, 78; Wentzel und Klose preuß. Konk. Ordn. 73, 74,76; die Ausführungen des Reichsoberhandelsgerichts in Entsch. Bd. 4 228, Bd. 6 317, Bd. 7 62, und §§. 160. 199. 223 Konk. Ordn.; (für die R.K.O.) die Motive des Entwurfs S. 17, 34, 240; die Protokolle der Reichstagskommission 109; v. Sarwey, Kommentar 24, 25, 390, 391, 549, 643 und §§. 50. 52. 123. 159. 176 der R.K.O.

Dadurch also, daß das Verfügungsrecht einer Person über ihr Geschäftslokal und Geschäft infolge der Eröffnung des Konkurses über sie für dieselbe aufhört und durch einen Konkursverwalter ausgeübt wird, hört ihr Geschäft oder Geschäftslokal nicht auf, das ihrige zu sein, sowenig dies in anderen Fällen einer vom Gesetz auferlegten Stellvertretung, wie bei einem Entmündigten oder Verschwender, der Fall ist. Insofern daher die Entscheidungsgründe des zweiten Erkenntnisses die Annahme, daß das Geschäftslokal des S. nicht mehr dessen Geschäftslokal zur Zeit der Protesterhebung gewesen, daraus herleiten, daß das Vermögen desselben und sein Geschäftslokal durch die Konkurseröffnung aus seiner Verfügung in die der Gläubigerschaft bez. des Verwalters getreten, enthalten dieselben allerdings eine unrichtige Anwendung der in den citierten Bestimmungen der preußischen wie der Reichskonkursordnung enthaltenen Rechtsnormen und wegen der Annahme, daß unter dem in Art. 91 der Wechselordnung gemeinten Geschäftslokal das Geschäftslokal einer Person, über deren Vermögen lediglich ein Stellvertreter verfügen darf, nicht zu verstehen sei, auch eine Verletzung des Art. 91 W.O. Es entsteht aber allerdings die fernere Frage, ob sich nicht doch deshalb die ergangene Entscheidung als richtig darstellt, weil entweder aus dem Inhalt der Protesturkunde oder aus gesetzlichen Bestimmungen oder aus beidem in Verbindung mit einander sich ergebe, daß eine Schließung des Geschäfts in Folge der Konkurseröffnung stattgefunden hatte. War allerdings jeder Fortbetrieb des Geschäfts des Gemeinschuldners überhaupt aufgegeben, so kann es bedenklich erscheinen, ob, wenn auch der Konkursverwalter das bisherige Geschäftslokal als Stätte blos für die Ermittelung und Verwertung der Teilungsmasse noch benutzte, dieses deshalb noch als Geschäftslokal des Gemeinschuldners zu erachten wäre, was voraussetzte, daß man die Ermittelung und Verwertung der Masse zum Zwecke der Befriedigung der Konkursgläubiger, für sich allein und unmittelbar unter Sistierung des Geschäftsbetriebes in's Werk gesetzt, mit der Liquidation eines Handelsgeschäfts auf eine Linie stellen dürfte. Allein sowohl die preußische Konkursordnung wie die Reichskonkursordnung kennen die Fortführung des Geschäftsbetriebes als zulässige und unter Umständen im Interesse der Gläubiger wie des Gemeinschuldners zur Vermeidung von Nachteilen gebotene Maßregel. Vgl. §. 144 preuß. K.O. und §. 118 R.K.O. Nach letzterer Vorschrift entscheidet bis zur Beschlußfassung einer Gläubigerversammlung der Verwalter über Fortführung oder Schließung des Geschäfts nach seinem Ermessen. Der Geschäftsherr ist aber in solchem Falle, insofern die Fortführung sich innerhalb der Grenzen des Zwecks des Konkurses bewegt, nach dem Vorausgeschickten der Gemeinschuldner. Als " Geschäft des Gemeinschuldners" bezeichnen beide Gesetzesstellen ausdrücklich das Geschäft, welches fortzusetzen oder zu schließen ist. Vgl. auch Motive des Entwurfs der R.K.O. 351 und v. Sarwey, Kommentar S.359. Da diese Fortführung durch das Gesetz nicht ausgeschlossen, die sofortige Schließung des Geschäftsbetriebes häufig nicht thunlich, Dritte aber nicht immer sicher zu erkennen vermögen, ob ein tatsächlich noch benutztes Geschäftslokal lediglich für die Ermittelung und Verwertung der Teilungsmasse oder zugleich doch zunächst noch für einen, wenn auch nur partiellen Fortbetrieb des Geschäfts, benutzt wird, so wird das benutzte zeitherige Geschäftslokal, welches sich noch unverändert als das des Gemeinschuldners kundgiebt, für den Rechtsverkehr, insbesondere im Sinne des Art. 91 W.O. als wirkliches Geschäftslokal angesehen werden müssen, sofern nicht für den Dritten die Aufgabe der Benutzung für solchen geschäftlichen Fortbetrieb bei Vornahme der betreffenden Akte erkennbar wird.

Nach der vorliegenden Protesturkunde hat allerdings der protestirende Beamte das Geschäftslokal geschlossen gefunden. Aber nach seiner Beurkundung hat er es doch als Geschäftslokal vorgefunden. Er hat also auf Grund seiner angestellten Ermittelungen, deren Details wiederzugeben ihm nicht obliegt, die Überzeugung gewonnen, daß gedachtes Lokal noch zur Zeit die Eigenschaft des Geschäftslokals des S. hatte. Der bekundete derzeitige Verschluß des Lokals stand dieser Annahme nicht entscheidend entgegen. Dies genügte, um dem die Ungültigkeit des Protestes Behauptenden die Beweislast dafür aufzulegen, daß das Beurkundete unrichtig und daß in Wahrheit die Benutzung des Lokals überhaupt aufgegeben oder doch die Aufgabe des Geschäftsbetriebes in dem Lokal für Dritte erkennbar gemacht war."