RG, 15.06.1920 - VII 35/20

Daten
Fall: 
Beziehungen einer Person zu einem Dritten als "Eigenschaften"
Fundstellen: 
RGZ 99, 214
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
15.06.1920
Aktenzeichen: 
VII 35/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg
  • OLG Hamburg

Können bloß vertragsmäßige Beziehungen einer Person zu einem Dritten als "Eigenschaften" der Person im Sinne des § 119 BGB. angesehen werden?

Tatbestand

Gegenüber der auf Schadensersatz in Höhe von 5505,60 M gerichteten Klage hat der Beklagte eingewendet, er habe sich mit der Klägerin dahin verglichen, daß er 1000 M als Schadensbetrag zahlen sollte. Das Landgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung von 1000 M nebst Zinsen und wies die Klage im übrigen ab. Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen.

Auch die Revision blieb erfolglos aus folgenden Gründen:

Gründe

"Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt davon ab, ob der unter den Parteien abgeschlossene Vergleich der Anfechtung wegen Irrtums nach § 119 BGB. deshalb unterliegt, weil die Klägerin, wie sie behauptet, nicht gewußt habe, daß der Beklagte gegen Haftpflicht versichert gewesen sei, sie vielmehr den Vergleich nur abgeschlossen habe, um den Beklagten, der ein kleiner Handwerker sei, wirtschaftlich zu schonen. Der behauptete Irrtum hat nicht die in dem ernstlich gewollten Vergleich enthaltenen Erklärungen der Klägerin zum Gegenstand (§ 119 Abs. 1). Unterstellt man. daß die Klägerin bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles den Vergleich, durch den sie ihre Schadensersatzforderung auf 1000 M ermäßigte, nicht geschlossen haben würde, so kommt es nach dem Abs. 2 des § 119 nur darauf an, ob die Nichtkenntnis der Klägerin von dem Umstande, daß der Beklagte gegen Haftpflicht versichert war, einen Irrtum über eine "Eigenschaft" der Person des Beklagten darstellt, die im Verkehr als wesentlich angesehen wird. Mit den Vorinstanzen ist anzunehmen, daß der bezeichnete Irrtum, wenn er festgestellt werden sollte, nur einen Irrtum im Beweggrunde, nicht aber einen Irrtum über eine "Eigenschaft" der Person des Beklagten darstellen würde. Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts sind zwar unter Eigenschaften einer Person im Sinne des § 119 Abs. 2 nicht nur die natürlichen ihr zukommenden Eigenschaften zu verstehen, sondern auch solche tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die in ihren Beziehungen zu anderen Personen oder Sachen wurzeln und zufolge ihrer Beschaffenheit und vorausgesetzten Dauer nach den Anschauungen des Verkehrs einen Einfluß auf die Wertschätzung der Person in allen oder doch in gewissen Rechtsverhältnissen zu üben pflegen (RGZ. Bd. 61 S. 84, 86). So sind z. B. der Vermögensbesitz eines Bräutigams, die Kreditwürdigkeit eines Käufers, die Vertrauenswürdigkeit einer Person bei Übertragung einer Vertrauensstellung als Eigenschaften einer Person in diesem Sinne erklärt werden. Stets aber wurde zur Annahme des Vorliegens einer "Eigenschaft" erfordert und ist schon mit Rücksicht auf den zweifellosen Sprachgebrauch zu erfordern, daß das entscheidende Merkmal nicht nur ein augenblicklich vorhandenes und nur vorübergehend mit der Person verbundenes zu sein hat, sondern für eine gewisse Dauer der Gesamtpersönlichkeit als solcher (der Substanz der Person, wie sich RGZ. Bd. 94 S. 278 ausdrückt) anhaftet derart, daß es auf den Grad der Wertschätzung der Person auch noch in Zukunft für die Dauer des in Betracht kommenden, unter den Beteiligten bestehenden Verhältnisses von wesentlicher Bedeutung ist. Zudem muß es sich nach § 119 um einen Sachverhalt handeln, wie er typisch in Leben und Verkehr mehr oder weniger oft in gleicher Weise vorzukommen pflegt, denn nur unter dieser Voraussetzung hat der Verkehr Veranlassung und Gelegenheit, sich über die Bedeutung eines Merkmals einer Person im Verkehr, wie die Vorschrift voraussetzt, ein Urteil zu bilden. Eine weitere Ausdehnung des Begriffs der Eigenschaft verbietet die Rücksicht auf die Rechts- und Verkehrssicherheit, weil durch eine solche Erweiterung der rechtliche Bestand des Geschäfts zu sehr von der zufälligen Auffassung im Einzelfall abhängig gemacht würde. Bloß vertragsmäßige Beziehungen der Person zu einem Dritten können hiernach regelmäßig nicht als "Eigenschaften" im Sinne des § 119 angesehen werden. Um solche Beziehungen handelt es sich aber im vorliegenden Falle. Daß schon in dem bloßen Bestehen eines Haftpflichtversicherungsanspruchs - dessen Verwirklichung im einzelnen Falle übrigens keineswegs sicher ist, sondern erfahrungsmäßig häufig, nach der Behauptung des Beklagten auch im vorliegenden Falle, Schwierigkeiten unterliegt (vgl. RGZ. Bd. 63 S. 10) - sich hier die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beklagten überhaupt erschöpfe, ist in den Vorinstanzen nicht ausreichend behauptet. Durch den Vergleich wurde auch unter den Parteien nicht ein dauerndes, sondern nur ein auf eine einmalige Leistung von 1000 M gerichtetes Rechtsverhältnis begründet. Daß bei der Verhandlung über den Schadensersatz der Ersatzpflichtige verbunden sei, dem Berechtigten, der danach zu fragen unterläßt, zu offenbaren, ob er gegen Haftpflicht versichert sei, kann nicht anerkannt werden. Hiernach ist der von der Klägerin behauptete Irrtum nicht als ein Irrtum über eine Eigenschaft des Beklagten, sondern als ein Irrtum im Beweggrunde, der auf wirtschaftlichem Gebiete liegt, anzusehen, also nach § 119 nicht zu beachten." ...