RG, 02.11.1920 - II 168/20

Daten
Fall: 
Haftung des GmbH-Gründers wegen betrügerischer Überbewertung von Sacheinlage
Fundstellen: 
RGZ 100, 175
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
02.11.1920
Aktenzeichen: 
II 168/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG III Berlin
  • Kammergericht Berlin

1. Haftet der Gründer einer Gesellschaft m. b. H. dieser wegen betrügerischer Überwertung von Sacheinlagen (Übergründung)?
2. Ist § 826 BGB. anwendbar, wenn die geschädigte Person zur Zeit der Begehung der unerlaubten Handlung noch nicht existiert?

Tatbestand

Der Beklagte und der Ingenieur R. hatten am 27. Februar 1912 eine Kommanditgesellschaft unter der Firma Elektrizitätswerk Brunnenstraße 188/190 W. K. & Co. gegründet. Nach § 2 des Gesellschaftsvertrags brachte der Beklagte, welcher persönlich haftender Gesellschafter wurde, eine noch nicht fertiggestellte Anlage in die Gesellschaft ein, welche nebst Verträgen auf 75000 M bewertet wurde. R. seinerseits brachte einen Geldbetrag von 75000 M ein, der vom Beklagten zur Fertigstellung der Anlage verwendet werden sollte. Da diese Summe nach Darlegung des Beklagten nicht ausreichte, wurde das Gesellschaftsvermögen um 30000 M erhöht, und zwar für jeden der beiden Gesellschafter um 15000 M.

Nach Fertigstellung der Anlage wurde die Kommanditgesellschaft am 4. November 1912 in eine Gesellschaft m. b. H. "umgewandelt", deren Stammkapital entsprechend dem Gesellschaftskapitale der Kommanditgesellschaft auf 180000 M festgesetzt wurde. Jeder der beiden Gesellschafter übernahm eine Stammeinlage in Höhe von 90000 M. Die Einlagen wurden jedoch nicht in bar geleistet. Vielmehr brachten der Beklagte und R. das gesamte Vermögen der Kommanditgesellschaft ein, welches sie, wie es im Gründungsvertrage heißt, gemäß der Bilanz vom 31. Oktober 1912, die der Einbringung zugrunde liege, nach Abzug der Schulden auf 180000 M bewerten. Ehe es jedoch zur Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister kam, trat der Beklagte von seiner Einlage je 45000 M an den Kaufmann D. und den Assessor B. ab.

Die klagende Gesellschaft erhob gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche wegen unredlicher Betätigung bei der Gründung der beiden Gesellschaften. Nach der Behauptung der Klägerin soll der Beklagte erklärt haben, daß er die von R. zur Fertigstellung der Anlage eingeschossenen 75000 M tatsächlich zweck- und vereinbarungsgemäß verwandt habe. In Wahrheit habe er das aber nicht getan. Die Anlage sei mit erheblich geringeren Mitteln fertiggestellt worden, der Beklagte habe den Überschuß zu eigenem Vorteile verwertet und seine Untreue dadurch zu verdecken gesucht, daß er erfundene Bestellungen und gefälschte Empfangsscheine beigebracht habe. Die klagende Gesellschaft sei durch das betrügerische Verfahren des Beklagten übergründet und dadurch geschädigt worden.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte Erfolg.

Aus den Gründen

... Der Ansicht des Berufungsgerichts, daß der Gesellschaft m. b. H. die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen frühere Gesellschafter aus der Gründung versagt sei, obgleich das GmbHG. in § 46 Nr. 8 vorschreibe, daß die Geltendmachung derartiger Ansprüche der Bestimmung der Gesellschafter unterliege, kann in solcher Allgemeinheit nicht beigetreten werden. Richtig ist, daß das genannte Gesetz keine Bestimmung enthält, die der für Aktiengesellschaften geltenden Vorschrift des § 202 HGB. entspricht. Allein das schließt nicht aus, die Haftung der Gründer einer Gesellschaft m. b. H. nach allgemeinen oder besonderen Grundsätzen des bürgerlichen Rechtes zu bemessen.

Die Nr. 8 in § 46 des angezogenen Gesetzes einfach als gegenstandslos anzusehen, wie das auch der Kommentar von Staub-Hachenburg in Anm. 28 zu § 9 tut, ist nicht angängig. Wenn zwar die für die Aktiengesellschaft vom Gesetzgeber angeordnete Überwachung und Prüfung der Gründungsvorgänge bewußt nicht auch für die anders geartete Gesellschaft m. b. H. eingeführt worden ist, so bestand doch anderseits kein Anlaß, solche dem Gedeihen der späteren Gesellschaft abträglichen Gründerhandlungen haftfrei zu lassen, durch welche Vorschriften des bürgerlichen Rechtes verletzt werden. Dies trifft ganz besonders für die Folgen einer böswilligen Schädigung der geplanten Gesellschaft durch die Gründer zu, welche auch in § 202 HGB. ausdrückliche Erwähnung erfahren hat, obgleich die dort vorgesehene gesamtschuldnerische Schadenshaftung nicht typisch dem Aktienrecht angehört, sondern einen allgemeinen Rechtsgedanken enthält. Es kann auch nicht etwa daran Anstoß genommen werden, daß in derartigen Fällen die geschädigte Persönlichkeit zur Zeit der schädigenden Handlung noch nicht besteht. Es wird für die Anwendung des § 826 BGB. nicht vorausgesetzt, daß der verursachte Schaden sofort eintritt. Erforderlich ist lediglich, daß zwischen der unerlaubten Handlung und dem eingetretenen Schaden ein ursächlicher Zusammenhang besteht und daß der Handelnde den Erfolg seines Tuns in seiner Wirkung auf gewisse Personen oder Personenkreise in sein Bewußtsein aufgenommen hat, mag auch zurzeit das Opfer der unerlaubten Handlung noch nicht am Leben sein.

Nach dem Vorbringen der klagenden Gesellschaft soll sich der Beklagte der betrügerischen Überwertung von Sacheinlagen schuldig gemacht haben. Sie behauptet, daß ein erheblicher Betrag - etwa 43 000 M - der Einlage des R. vom Beklagten veruntreut und zur Fertigstellung der Fabrikanlage nicht verwandt worden sei, daß aber trotzdem der Beklagte den Wert der Anlage so bestimmt habe, als seien die vollen Beträge in sie hineingesteckt worden. Trifft diese Behauptung zu, so hat sich der Beklagte einer sittenwidrigen Vermögensschädigung der von ihm ins Leben gerufenen Gesellschaft schuldig gemacht und haftet ihr gemäß § 826 BGB. für den entstandenen Schaden (vgl. RGZ. Bd. 84 S. 335). ...