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RG, 02.11.1920 - II 162/20

Daten
Fall: 
Kauf sämtlicher Geschäftsanteile einer GmbH
Fundstellen: 
RGZ 100, 200
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
02.11.1920
Aktenzeichen: 
II 162/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Nordhausen
  • OLG Naumburg a.S.

1. Ist schon deshalb, weil die sämtlichen Gesellschafter einer Gesellschaft m. b. H. je den eigenen Geschäftsanteil an dieselbe Person verkauft haben, der Schluß gerechtfertigt, daß auch ein Kaufvertrag über das Handelsgeschäft der Gesellschaft abgeschlossen worden ist?
2. Liegt in der Übernahme der Gewähr, daß die vorhandenen Geschäftsschulden einen gewissen Betrag nicht übersteigen, die Zusicherung einer Eigenschaft?

Tatbestand

Der Beklagte Ka. war mit einem Geschäftsanteile von 75000 M, der Beklagte W. mit einem solchen von 37500 M und der Molkereibesitzer H. mit einem solchen von 37500 M Gesellschafter der K.'er Tonwerke G. m. b. H. in B., deren Stammkapital 150000 M betrug. Am 26. Juli 1916 schlossen die Parteien einen notariellen Vertrag, durch den die beiden Beklagten ihre Geschäftsanteile von zusammen 112500 M an den Kläger abtraten, der Kläger sich verpflichtete, als Gegenwert der Abtretung an den Beklagten Ka. 20000 M und an den Beklagten W. 8000 M zu zahlen, und die Beklagten je gegen Empfang eines Sparkassenbuches über den ihnen zu zahlenden Betrag sich für befriedigt erklärten. Ferner vereinbarten die Parteien an demselben Tage in privatrechtlicher Form folgendes:

"Wir haben uns heute in besonderer Urkunde dahin geeinigt, daß W. und Ka. ihre Geschäftsanteile an den K.'er Tonwerken G. m. b. H. an M. abgetreten haben. Ebenso wird auch der dritte Gesellschafter, H., seine Geschäftsanteile an obiger G. m. b. H. an M. abtreten, so daß dieser somit in den Besitz sämtlicher Geschäftsanteile der G. m. b. H. kommt und das Geschäft der Gesellschaft unter der alten Firma übernimmt und fortführt.

Es gehen hierdurch, worüber sich die Beteiligten einig sind, alle Aktiven und Passiven der Gesellschaft von heute ab auf M. über. Nach einer von den Beteiligten gefertigten Aufstellung betragen die Schulden ungefähr 60480 M und die Außenstände einschließlich der Vorräte 7583 M. Da aber nicht ausgeschlossen ist, daß hierin inzwischen eine Änderung eingetreten ist, so einigen wir uns dahin:

Wir, Ka. und W., übernehmen eine Gewähr dafür, daß die auf M. übergehenden Schulden nach Abzug der Außenstände und des Wertes der Vorräte den Betrag von 55000 M keinesfalls überschreiten."

Ebenfalls am 28. Juli 1916 machte der Kläger zu notariellem Protokolle dem H. das bis zum 15, August 1916 anzunehmende Angebot, daß H. seinen Geschäftsanteil von 37500 M an ihn abtrete, daß er, der Kläger, diese Abtretung annehme und daß er als Gegenwert den Betrag von 2000 M an H. zahle. Sodann erklärte H. zum notariellen Protokolle vom 3. August 1916, daß er das Angebot des Klägers annehme und, seinen Geschäftsanteil von 37500 M hierdurch mit allen Rechten und Pflichten gegen Zahlung von 2000 M an den Kläger abtrete.

Im Mai 1917 wurde der Kläger gegen Ka. und W. mit dem Antrage klagbar, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 8786,71 M nebst 4 % Zinsen seit dem 26, Juli 1916 zu verurteilen. Er behauptete, daß am 28. Juli 1916 die Schulden der K.'er Tonwerke nach Abzug der Außenstände 66369,51 M betragen hätten, so daß bei Berücksichtigung der übernommenen Vorräte im Werte von 2582,80 M der gewährleistete Höchstbetrag der Schulden um den eingeklagten Betrag überschritten worden sei. Demnächst einigte sich der Kläger mit dem Beklagten W. und richtete den Klagantrag nur noch gegen den Beklagten Ka. Dieser beantragte die Abweisung der Klage. Er bestritt, daß nach Abzug des Wertes der Vorräte und der Außenstände mehr als 55000 M Schulden vorhanden gewesen seien, und erhob, nachdem hierüber eine Beweisaufnahme beschlossen und erfolgt war, den Einwand der Verjährung aus § 477 BGB.

Das Landgericht erkannte auf Abweisung der Klage, und das Oberlandesgericht wies die Berufung des Klägers mit folgender Begründung zurück:

Nach der herrschenden Rechtsprechung sei davon auszugehen, daß die sechsmonatige Verjährung des § 477 BGB. nicht nur auf den Kauf von Sachen, sondern auch auf den Erwerb anderer Güter gegen Geld, so besonders den Erwerb eines Handelsgeschäfts Anwendung finde. Wenn der Kläger im vorliegenden Falle unstreitig durch die Verträge vom 28. Juli und 3. August 1916 die sämtlichen Geschäftsanteile der Gesellschaft erworben habe, so könnten diese Rechtsgeschäfte zusammengenommen nur als der Erwerb eines Handelsgewerbes als solchen und nicht bloß als ein Erwerb der einzelnen Geschäftsanteile angesehen werden. Die Absicht der Vertragschließenden sei darauf gerichtet gewesen, daß der Kläger das Handelsgeschäft mit der Firma und sämtlichen Aktiven und Passiven gegen Entgelt habe erwerben sollen. Da dieser Zweck durch Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile erreicht worden sei, so sei für den Erwerb des Geschäfts als die für diesen Zweck geeignetste und gesetzlich zulässige Form (§ 15 GmbHG.) die Abtretung sämtlicher Geschäftsanteile an den Kläger gewählt worden. Wenn die Abtretung der einzelnen Geschäftsanteile auch nicht gleichzeitig erfolgt sei, so könne diese Tatsache doch nicht für erheblich angesehen werden, da einmal die Abtretung des H.'schen Geschäftsanteils bereits wenige Tage nach dem 28. Juli 1916 erfolgt sei, H. sich aber außerdem auch bereits privatschriftlich am 12. August 1915 zur Abtretung verpflichtet gehabt habe. Die Abtretung der Geschäftsanteile stelle sich mithin als ein Vertrag dar, der auf die Veräußerung eines Geschäftsbetriebs gegen Entgelt gerichtet sei. Bei dieser Sachlage erübrige sich eine Prüfung der Frage, ob schon lediglich auf die Abtretung eines Anteils einer G.m.b.H. als solchen die §§ 459 flg. BGB. Anwendung fänden. Unerheblich sei hierbei, daß die Gewährleistungspflicht, auf die sich die Klage gründe, nur von zwei Gesellschaftern übernommen sei, denn es sei unbedenklich, daß auch bei dem Verkauf einer Sache durch mehrere Verkäufer nur von einem Teile derselben eine Gewährleistungspflicht übernommen werden könne. Bei dieser Sach- und Rechtslage sei nur noch die Frage zu untersuchen, ob die Zusicherung, daß das Handelsgeschäft nicht mehr als 55000 M Schulden habe, als eine "Eigenschaft" des Handelsgeschäfts anzusehen sei. Auch die Frage könne aber unbedenklich bejaht werden. Nach der in der Rechtsprechung allgemein vertretenen Ansicht fielen unter den Begriff der "Eigenschaften" alle solche rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse, die zufolge ihrer Beschaffenheit nach den Verkehrsanschauungen einen Einfluß auf die Wertschätzung der Sache auszuüben pflegten. Die Gewährleistung für die Höhe der Aktiva und Passiva sei hiernach ebenso wie etwa die für den garantierten Reingewinn als eine "Eigenschaft" des Gewerbebetriebs anzusehen. Es griffen mithin die Bestimmungen des BGB. über Gewährleistungspflicht, also auch über die Verjährung dieser Ansprüche (§ 477) Platz. Eine einjährige Verjährungsfrist könne nicht in Frage kommen, da die gegebene Zusicherung sich weder auf die Grundstücke bezogen habe, noch auch eine Veräußerung von Grundstücken in gesetzlicher Form an den Kläger erfolgt sei. Danach laufe eine Verjährungsfrist von 6 Monaten, von Ablieferung der Sache an. Unstreitig sei diese zugleich mit der Abtretung der Anteile der G.m.b.H.. also Ende Juli bis Anfang August 1916 erfolgt, während die Klage erst im Mai 1917 erhoben worden sei.

Auf die Revision des Klägers wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Gründe

... Das Oberlandesgericht geht zwar zutreffend davon aus, daß die Vorschriften des BGB. über die Gewährleistung wegen Mängel der Sache mit Einschluß der Verjährungsvorschrift des § 477 auf den Kauf gewisser Rechtsgüter, insbesondere eines bestehenden Handelsgeschäfts als Ganzen, entsprechend anwendbar sind (RGZ. Bd. 98 S. 289). Dagegen irrt es in der Auffassung, daß die in den Urkunden vom 28. Juli und 3. August 1916 niedergelegten Vereinbarungen einen Vertrag darstellten, der nicht bloß auf den Verkauf und die Übertragung aller Geschäftsanteile der K.'er Tonwerke G. m. b. H, sondern auch auf die Veräußerung des von dieser Gesellschaft betriebenen Geschäfts gerichtet gewesen sei. Denn wenngleich die rechtliche Möglichkeit besteht, daß neben den Geschäftsanteilen einer G. m. b. H. auch das von dieser betriebene Geschäft als solches zum Gegenstand eines Kaufes gemacht wird (RG. a. a. O.), so berechtigt doch nicht schon der Umstand, daß durch mehrere einzelne Rechtsgeschäfte um dieselbe Zeit sämtliche Geschäftsanteile der G. m. b. H, von der nämlichen Person angekauft und ihr übertragen worden sind, zu der Schlußfolgerung, daß auch das Handelsgeschäft selbst Gegenstand des Kaufes gewesen sein müßte. Aus dem Verkauf und der Übertragung der sämtlichen Geschäftsanteile ließe sich vielmehr die Absicht der Veräußerer, daneben das Handelsgeschäft als solches zum Kaufgegenstande zu machen, höchstens dann folgern, wenn der einzelne Veräußerer als Verkäufer aller Geschäftsanteile anzusehen wäre (vgl. § 421 BGB.). Hiervon kann jedoch nach dem Inhalte der Urkunden, auf die allein das Oberlandesgericht sich stützt, schlechterdings nicht die Rede sein. Die beiden Beklagten haben sich in den Urkunden lediglich zur Übertragung ihrer eigenen Geschäftsanteile an den Kläger verpflichtet. Hinsichtlich des H.'schen Geschäftsanteils sind sie, wie die Revision mit Recht geltend macht, nicht als Verkäufer aufgetreten, ebenso wie H. nicht hinsichtlich ihrer Geschäftsanteile. Aber auch sonst fehlt es an jeder Unterlage für die Feststellung, daß die drei Gesellschafter oder etwa, was übrigens das Oberlandesgericht selbst nicht einmal annimmt, die beiden Beklagten allein das Handelsgeschäft der G. m. b. H. an den Kläger verkauft hätten. Die in der privatschriftlichen Urkunde vom 28. Juli 1916 enthaltene Erklärung der Beklagten, sie übernähmen eine Gewähr dafür, daß die auf den Kläger übergehenden Schulden nach Abzug der Außenstände und des Wertes der Vorräte den Betrag von 55000 M keinesfalls überschritten, bietet eine solche Unterlage nicht. Es mag sein, daß beim Verkauf eines Handelsgeschäfts oder eines Gesellschaftsvermögens in der Zusicherung, daß die vorhandenen Schulden einen gewissen Höchstbetrag nicht übersteigen, unter Umständen die Zusicherung einer Eigenschaft im Sinne des § 459 Abs. 2 BGB. gefunden werden kann. Derartige Umstände sind jedoch hier nicht erkennbar. Vielmehr ist bei richtiger Anwendung der §§ 133. 157 BGB. die rechtliche Bedeutung jener Gewährübernahme dahin festzustellen, daß sich die Beklagten dem Kläger gegenüber verpflichtet haben, für etwaige Mehrschulden ihrerseits aufzukommen, also die zur Tilgung solcher Mehrschulden von ihm aufzuwendenden oder aufgewendeten Beträge herzugeben oder zu erstatten. Diese Verpflichtung unterliegt aber nicht der kurzen Verjährung des § 477 BGB., sondern bei gewöhnlichen des § 195 daselbst.