RG, 02.11.1918 - I 105/18

Daten
Fall: 
Taxierten Police
Fundstellen: 
RGZ 94, 104
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
02.11.1918
Aktenzeichen: 
I 105/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Kommt es bei einer taxierten Police nicht darauf an, ob die versicherten Güter vor den Wirksamwerden des Abandons durch inneren Verderb eine Werteinbuße erlitten haben?

Tatbestand

Die Klägerin ist für ihre Verschiffungen nach China bei den Beklagten durch laufende Police gegen See- und Kriegsgefahr gemäß den Hamburger Allg. Seeversicherungsbedingungen von 1867 und besonderer Kriegsklausel versichert. Hierauf hat sie im Juli 1914 mit dem deutschen Dampfer Uckermark Güter im taxierten Versicherungswerte von 18640 M verladen und deklariert. Der Dampfer lief kurz nach Kriegsausbruch Lissabon an und blieb dort liegen. Im Februar 1916 wurde er von der portugiesischen Regierung mit Beschlag belegt und entlöscht. Durch Dekret derselben Regierung vom 20. April 1916 wurden die Waren der Verfügung der Klägerin entzogen, welche daraufhin den Abandon erklärte, und die Versicherungssumme nebst Zinsen verlangte. Die Beklagten haben den Klaganspruch dem Grunde und dem Betrage nach bestritten.

In den Instanzen wurden die Beklagten in der Hauptsache nach der Klage verurteilt. Bei der Revision der Beklagten handelte es sich nur noch um einen Teilbetrag von 5608 M. Es wurde ihr stattgegeben aus folgenden Gründen:

Gründe

"Die Beklagten hatten unter Beweisantretung behauptet, daß am 25. Juli 1916, wo der Abandon wirksam wurde, die versicherten Güter durch Eigenverderb infolge der zweijährigen Lagerung eine Wertverminderung in Höhe von 5608 M erlitten gehabt hätten, und wollten diesen Betrag von dem zu vergütenden Totalverlust in Abzug gebracht wissen. Das Oberlandesgericht beseitigt diese Einrede mit der Erwägung, daß es sich um eine taxierte Police handle, bei der die Taxe, also die ganze Versicherungssumme von 18640 M unter den Parteien für den Versicherungswert maßgebend sei, und daß es deshalb auf eine Wertverringerung der Güter hier nicht ankomme.

Diese Ausführung ist rechtsirrtümlich. Nicht die behauptete Wertverminderung, sondern vielmehr die Tatsache, daß es sich um eine taxierte Police handelt, ist für die vorliegende Frage unerheblich. Die Taxe hat nach §§ 16, 22 Allg. SVB. (§§ 793, 799 HGB.) die Bedeutung, daß -- abgesehen von dem Falle erheblicher Übersetzung -- der taxierte Abladewert der Güter unter den Parteien feststeht. Der Abladewert, gleichgültig, ob taxiert oder nicht taxiert, bleibt auch für die Dauer der Versicherung maßgebend, so daß sich keine Partei auf eine inzwischen eintretende Preisänderung infolge wechselnder Konjunktur berufen kann. Dies kommt in den Bestimmungen über die Bezahlung des Schadens (§§ 858, 875, 876 HGB.) zum Ausdruck und wird in Anlehnung an §§ 140, 141 VersVG. ausdrücklich ausgesprochen in § 90 Abs. 2 des Entwurfs der Allg. D. Seeversicherungsbedingungen von 1914, wo es heißt: "Dieser Wert (d. h. der Abladewert) gilt auch bei dem Eintritte des Versicherungsfalles als Versicherungswert." (Eine Abweichung von diesem Grundsatz enthält § 877 HGB für den Fall, daß Güter auf der Reise infolge eines Unfalls verkauft werden.) Wohl zu unterscheiden von dem Falle einer Preisänderung ist aber der Fall einer Wertverminderung durch Verlust oder Beschädigung. Eine solche geht keineswegs ohne weiteres in dem nachfolgenden Totalverlust auf, vielmehr kommt es darauf an, ob sie dem Versicherer, der den Totalverlust zu tragen hat. ebenfalls zur Last fällt. Die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts wurde auf den von Voigt S. 384 flg. mit Recht bekämpften Satz hinauslaufen: "Der Totalverlust verschlingt den Partialschaden." Auch das Reichsgericht hat in der Entscheidung vom 2. Dezember 1916 RGZ. Bd. 89 S. 144 auf S. 147 anerkannt, daß ein dem Totalschaden vorausgehender Partialschaden, der dem Versicherer nicht zur Last fällt, von ersterem in Abzug zu bringen sei.

Für den vorliegenden Fall scheint, obwohl es nicht ausdrücklich festgestellt ist, nach den Vorträgen der Parteien ... die Hamburger Kriegsklausel vereinbart zu sein. Danach haftet der Versicherer nicht für Verderb und Verminderung der Güter als Folgen eines durch Kriegsgefahr verursachten Aufenthalts. Schon nach dem Handelsgesetzbuch und den Allg. Seeversicherungsbedingungen fallen ihm Verderb und Beschädigung dann nicht zur Last, wenn sie auf einer nicht durch versicherten Unfall verursachten Verzögerung der Reise beruhen (§ 821 Nr. 5 HGB.; § 70 Nr. 3 Allg. SVB.). Um einen solchen Verderb der Güter vor dem Abandon, der die Vergütung des in Aussicht stehenden Totalverlustes bezweckt, handelt es sich nach den vorläufig genügend substanziierten Behauptungen der Beklagten. Werden diese bewiesen, so muß der vorher entstandene Partialschaden in Ermangelung eines besonderen Haftungsgrundes von dem der Versicherungssumme entsprechenden Totalschaden in Abzug gebracht werden." ...