RG, 09.10.1920 - I 131/20
1. Zum Begriff der Kostbarkeit im Sinne des § 467 HGB. §§ 96, 54 EVO.
2. Wie sind die Bestimmungen zu 1 anzuwenden, wenn in einen Frachtstück Gegenstände, auf die der Begriff Kostbarkeit zutrifft vereinigt sind mit solchen, auf die er nicht zutrifft?
Tatbestand
Laut Frachtbrief vom 9. Oktober 1918 wurden in Cr. der Eisenbahn 2 Kisten (KS. 1163/1164) "Seidenwaren" im Gewicht von 117 kg als Frachtgut zur Versendung nach Station Sk. übergeben. Die Kiste 1164 ist angekommen, die Kiste 1163 nicht. Die Klägerin verlangt auf Grund des Frachtvertrags den Wert des Inhalts der Kiste, der 29667,25 M betragen habe, als Schadensersatz nebst Zinsen seit 3. Oktober 1918. Das Landgericht erklärte den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt. Auf die Berufung des Beklagten erkannte das Oberlandesgericht auf Abweisung der Klage. Die Revision wurde zurückgewiesen.
Gründe
Der Beklagte lehnt seine Haftpflicht aus dem Eisenbahnfrachtvertrage unter Berufung auf § 467 HGB, § 96 EVO. in Verb. mit § 54 (2) B Nr. 1 und Ausführungsbestimmung III 1 zu § 54 ab, weil es sich bei dem verlorengegangenen Frachtgut um Kostbarkeiten gehandelt habe und unterlassen sei, diese Eigenschaft und den Wert im Frachtbrief zu bezeichnen. Daß letzteres nicht geschehen ist, ergibt der vorgelegte Frachtbrief. Das Oberlandesgericht hat im Gegensatz zum Landgericht den Standpunkt des Beklagten gebilligt und deshalb die Klage abgewiesen. Dem Oberlandesgericht war im Ergebnis beizutreten.
Maßgeblich für den Begriff Kostbarkeit ist lediglich der eisenbahnrechtliche Gesichtspunkt. Die in Betracht kommenden Bestimmungen sind zu dem Zwecke getroffen, damit die Eisenbahn bei ihrer weitgehenden Haftung aus dem Frachtvertrage in die Lage versetzt werden soll, die vorgesehenen Sicherungsmaßregeln anzuwenden, um nicht mit Schadensansprüchen belastet zu werden, die ungewöhnlich hoch sein können und zur Zeit der Versendung nach Umfang und Gewicht des Frachtguts nicht ohne weiteres zu erwarten sind. Es kommt demnach im eisenbahnrechtlichen Sinne für den Begriff Kostbarkeit darauf an, ob das betreffende Frachtgut im Vergleich zu anderen gewöhnlichen Sendungen von gleichem oder annähernd gleichem Umfang und Gewicht einen ungewöhnlich hohen Wert hatte. Im gegenwärtigen Falle handelt es sich um eine Sendung Seidenwaren, deren Gesamtwert nach der von der Klägerin als Anlage zur Klage mitgeteilten Rechnungsausstellung zur Zeit der Versendung 29667,25 M betrug. Wie diese Rechnungsaufstellung ferner ergibt, setzte sich der Gesamtwert von 29667,25 M zusammen aus 1528,90 M für 101 1/4 Meter Satin und 28138,35 M für 401 1/4 Meter Cachemire. Das Gewicht der Kiste 1163 mit diesen beiden Sorten Seide war, wie sich aus dem vorgelegten Frachtbrief ergibt. 44 kg. Der Umfang der Kiste war 1 Meter im Geviert. Ihre Höhe ergibt sich nicht ziffermäßig aus den Akten, kann aber keine erhebliche gewesen sein, da bei den in Betracht kommenden 502 1/2 Meter dünner Seide von etwa 1 Meter Breite die Kiste nur eine geringe Höhe zu haben brauchte. Es handelte sich danach bei der Kiste 1163 um ein Frachtstück von 1 Meter im Geviert von geringer Höhe und 44 kg Gewicht, das einen Wert von 29667,25 M hatte. In Betracht zu ziehen für die Frage, ob der Begriff Kostbarkeit gegeben, ist nur das Frachtstück als solches, und es ist nicht, wie im Schrifttum vertreten wird (Eger EVO. Anm. zu § 96, Rundnagel § 67 Anm. 5, Staub § 467 HGB. Anm. 5), ein Unterschied dahin zu machen, daß in einem Falle, wo in einem Frachtstück Gegenstände, die für sich nicht den Begriff der Kostbarkeit erfüllen, mit Kostbarkeiten zusammen verpackt und versandt sind, die Bestimmungen des § 467 HGB., §§ 96, 54 EVO. die Haftpflicht nur bezüglich der letzteren ausschlössen. Vielmehr ist die Haftpflicht in solchem Falle ganz ausgeschlossen, sofern der Begriff Kostbarkeit für das Frachtstück als solches zutrifft. Es kann daher im gegenwärtigen Falle nicht darauf ankommen, daß die 101 1/4 Meter Satin für sich wohl den Begriff der Kostbarkeit nicht erfüllen könnten, vielmehr steht nur zur Entscheidung, ob der Begriff Kostbarkeit für das ganze Frachtstück als solches zu bejahen ist. Dies ist aber der Fall. Es ergibt sich bei einem Gewicht des Frachtstücks von 44 kg und einem Gesamtwerte von 29667,25 M für das Kilogramm ein Wert von etwa 650 M; dabei hatte das Frachtstück nur den geringen Umfang einer flachen Kiste von 1 Meter im Geviert. Der Umstand, daß dieser außerordentliche Wertsatz sich nur durch die Valutaverhältnisse gebildet hat, ist nicht von entscheidender Bedeutung, Es ist mit Rücksicht hierauf jetzt allerdings zu fragen, ob dieser hohe Wertsatz im Vergleich zu den Sendungen anderer Waren von gleichem oder annähernd gleichem Umfang und Gewicht, die aus demselben Grunde ebenfalls eine große Preisverschiebung aufweisen, gleichwohl noch als ein so außergewöhnlicher angesehen werden muß. daß er auch in Berücksichtigung der Preisverschiebung bei Absendung nicht ohne weiteres zu erwarten war. Diese Frage mußte für das hier in Betracht kommende Frachtstück bejaht werden.