RG, 08.07.1920 - III 65/20

Daten
Fall: 
Schadensersatzprozesse wegen Beamtenverschulden
Fundstellen: 
RGZ 99, 254
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
08.07.1920
Aktenzeichen: 
III 65/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Danzig
  • OLG Marienwerder

Inwieweit unterliegt im Schadensersatzprozesse wegen Beamtenverschuldens die Zweckmäßigkeit einer Verwaltungsmaßregel der richterlichen Prüfung?

Tatbestand

Für die Benutzung der Weichselbrücke bei Dirschau, die dem preußischen Staate früher gehörte und der Strombauverwaltung unterstand, wurde ein Brückenzoll erhoben. Die Erhebung dieses Zolles wurde verpachtet. Am 5. August 1914 ordnete der Kommandant der Festung Marienburg die militärische Besetzung der Brücke und die Aufhebung des Brückenzolls an. Diese letztere Anordnung blieb bis zum 15. März 1915 in Kraft. Für den Ausfall der Einnahmen während dieser Zeit gewährte der Kläger dem Brückenzollpächter einen Pachtzinsnachlaß in Höhe von 4835.36 M. Die Erstattung dieses Betrags nebst Zinsen fordert der Kläger vom Beklagten, weil die Aufhebung des Brückenzolls eine Maßnahme verkehrspolizeilicher Art gewesen sei, zu deren Anordnung der Festungskommandant nicht befugt gewesen sei, und dieser seine Amtspflicht dem Kläger gegenüber verletzt habe. Die Klage wurde vom Land- wie vom Berufungsgericht abgewiesen. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Gründe

"Der Rechtsweg ist für den erhobenen, auf § 839 BGB. und das Gesetz vom 22. Mai 1910 gestützten Klaganspruch unbeschränkt zulässig, gleichviel, ob die Anordnung des Kommandanten der Festung Marienburg aus militärischen oder verkehrspolizeilichen Rücksichten erlassen worden ist. Die Annahme des Berufungsgerichts, daß letzterenfalls der Rechtsweg nur unter den Voraussetzungen des § 6 des Gesetzes vom 11. Mai 1842 über die Zulässigkeit des Rechtswegs in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen gegeben sei, ist unrichtig. Diese Vorschrift findet auf die Haftung des Reichs für die Reichsbeamten und die Personen des Soldatenstandes keine Anwendung (RGZ. Bd. 92 S. 240 und 304).

Auch für die fachliche Entscheidung ist die unter den Parteien streitige Frage, ob die Anordnung des Festungskommandanten als eine militärische oder als eine verkehrspolizeiliche Maßregel anzusehen ist, ohne Bedeutung. Es handelt sich um eine Anordnung, die erlassen ist von dem Kommandanten in seiner Eigenschaft als Militärbefehlshaber traft der gemäß § 4 des Gesetzes vom 4. Juni 1851 über den Belagerungszustand auf ihn übergegangenen vollziehenden Gewalt. Der Grund dieser Übertragung der vollziehenden Gewalt aber liegt, wenn der Belagerungszustand wegen des Krieges erklärt ist, in der Rücksichtnahme auf die Kriegführung, vor der alle sonstigen Interessen zurücktreten müssen. Auch solche Anordnungen des Militärbefehlshabers, die zunächst irgendwelchen inneren Verwaltungszwecken dienen, sind doch letzten Endes durch die Rücksichten auf die Kriegführung bedingt und darum als militärische anzusehen. Hier kann übrigens kein Zweifel darüber obwalten, daß es sich um eine unmittelbar militärischen Zwecken dienende Maßregel handelte. Denn die Anordnung des Kommandanten bezwecke, wie sein Bericht an das Kriegsministerium ergibt, zu verhindern, daß der Übergang über die Brücke durch den Flüchtlingsverkehr verstopft werde; sie sollte diesen für die Verbindung zwischen dem im Osten kämpfenden Heere und dem linken Weichselufer überaus wichtigen Übergang offen halten. Der Kläger verkennt denn auch nicht, daß der Kommandant berechtigt war, diese Offenhaltung durchzuführen - es war dies für den Kommandanten zweifellos ein Gebot höchster Pflicht -; er sucht jedoch auszuführen, daß es möglich gewesen wäre, diesen Zweck auf andere Weise, ohne Aufhebung des Brückenzolls und die dadurch veranlaßte Schädigung des preußischen Fiskus zu erreichen, und erblickt ein Verschulden des Kommandanten darin, daß er nicht einen solchen andern Weg zur Erreichung des von ihm angestrebten Zweckes eingeschlagen hat.

Diese Begründung des Schadensersatzanspruchs ist mit Recht von den Vorinstanzen zurückgewiesen worden. Zutreffend führen die Vorderurteile aus, daß es dem pflichtgemäßen Ermessen des Kommandanten überlassen werden mußte, welche Maßregeln er zur Erreichung seines Zieles für erforderlich und sachdienlich erachtete und demgemäß anordnen wollte. Wo aber das Ermessen eines Beamten zu entscheiden hat, wo die bloße Zweckmäßigkeit einer von ihm getroffenen Anordnung in Frage steht, kann die Frage eines Verschuldens nur bei besonderer Sachlage entstehen, insbesondere beispielsweise dann, wenn behauptet und näher begründet wird, daß der Beamte rein willkürlich gehandelt habe. Die Frage der bloßen Zweckmäßigkeit einer Verwaltungsmaßnahme kann deshalb grundsätzlich, d.h. im allgemeinen, vorbehaltlich besonders gearteter Ausnahmefälle, auch im Schadensersatzprozeß ebensowenig Gegenstand der richterlichen Nachprüfung werden, wie sie der Nachprüfung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts unterliegt. Dem Beamten, dem das Gesetz eine Freiheit des Handelns in bestimmten Grenzen gewährt, und dem vielfach ein schnelles und entschlossenes Handeln durch die Amtspflicht geboten ist, kann nicht eine vermögensrechtliche Verantwortung um deswillen aufgebürdet werden, weil nachträglich eine andere als die von ihm getroffene Maßregel für sachdienlicher und weniger einschneidend erachtet wird. Ganz besonders gilt das für Anordnungen, die im Kriegsfalle von Militärbefehlshabern aus Rücksichten der Kriegführung getroffen worden sind.

Der vorliegende Fall bietet keinen Anlaß, von dieser grundsätzlichen Stellungnahme abzuweichen. Es wäre die Aufgabe der preußischen Verwaltungsbehörde gewesen, bei dem Kommandanten vorstellig zu werden, wenn sie meinte, daß der von ihm erstrebte Zweck ohne Schädigung der Staatseinnahmen erreicht werden könnte. Daß dies geschehen und daß etwa der Kommandant sachdienliche Vorschläge der preußischen Verwaltung ohne Prüfung verworfen hätte, ist nicht behauptet. Die Klage ermangelt daher durchaus der zureichenden Begründung."