RG, 04.04.1919 - II 230/18

Daten
Fall: 
Handelssitte für den Verkehr unter Kaufleuten
Fundstellen: 
RGZ 95, 242
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
04.04.1919
Aktenzeichen: 
II 230/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg
  • OLG Hamburg

Zur Bedeutung der Handelssitte für den Verkehr unter Kaufleuten.

Tatbestand

Die Beklagte ist eine amerikanische Holzhändlerfirma, die für Deutschland durch den Kaufmann H. vertreten war. Seit Anfang Oktober 1914 verhandelte die Klägerin mit H. über den Abschluß eines Verkaufs amerikanischer Hölzer seitens der Beklagten. Schließlich übersandte er ihr eine "Festofferte" vom 16. Dezember 1914, worauf sie am 21. erwiderte: "Das beregte Pine Lumber & Timber Geschäft ist in Übereinstimmung mit unserer Korrespondenz und mündlicher Unterhaltung nunmehr definitiv in Ordnung; wir bitten Sie, uns jetzt Ihren Kontrakt über dieses Geschäft zur Unterschrift zukommen lassen zu wollen". Als H. darauf einen Vertrag zur Unterschrift schickte, der unter Benutzung eines gedruckten Formulars der Beklagten entworfen war, beanstandete die Klägerin verschiedene darin enthaltene Bestimmungen. Der Meinungsaustausch hierüber zog sich bis in den Januar 1915 ergebnislos hin.

Im Mai 1915 erhob die Klägerin Klage auf Feststellung des Bestehens des Vertrags. Die Beklagte forderte widerklagend die Feststellung, daß die Verhandlungen gescheitert seien.

Im Gegensatze zum ersten Richter, der den Anträgen der Klägerin entsprach, gab das Oberlandesgericht dem Begehren der Beklagten statt. Die Revision wurde zurückgewiesen.

Gründe

"Die Beklagte bestreitet den Vertragsschluß sowohl wegen unvollständiger Einigung der Parteien (§ 154 Abs. 1 BGB.) wie deshalb, weil es nicht zur Unterzeichnung einer Vertragsurkunde durch beide Teile gekommen ist. In dem angefochtenen Urteile wird die erste Frage offen gelassen, die zweite im Sinne der Beklagten beantwortet.

Das Berufungsgericht stellt nach Vernehmung von Sachverständigen sowie auf Grund eigener Sachkunde fest, daß im Handel mit amerikanischen Hölzern die Beurkundung des Vertrags allgemein üblich sei. Jede amerikanische Firma habe ihr Vertragsformular, vor dessen Unterzeichnung sie keinen Vertrag als geschlossen anerkenne. Auch die Klägerin habe dies gewußt. Nach Ansicht der in Betracht kommenden Kreise gelte der Vertrag erst mit der Unterzeichnung als abgeschlossen.

Diese Begründung reicht völlig aus, um das Urteil zu tragen. Es ist ein Irrweg, wenn das Berufungsgericht aus der von ihm festgestellten Handelssitte erst eine stillschweigende Verabredung der Beurkundung herleitet, um dann den § 154 Abs. 2 BGB. anzuwenden. Die Revision wirft dagegen nicht mit Unrecht ein, neben der durch den Briefwechsel erzielten Einigung könne unmöglich noch eine stillschweigende Verabredung angenommen werden, den Vertrag als einen bloß beabsichtigten zu behandeln und noch ein zweites Mal zu beurkunden. Aber die Konstruktion des Berufungsgerichts ist auch überflüssig. Es bedarf keiner Vermittelung durch einen mehr oder minder fiktiven sogenannten stillschweigenden Vertrag. Die Handelssitte als solche entscheidet; sie würde nach § 346 HGB. auch dann maßgebend sein, wenn sie der Klägerin - was nicht einmal der Fall ist - unbekannt gewesen wäre. Nach der Handelssitte hat ein Vertrag mit

einer amerikanischen Holzhändlerfirma über Holzlieferung keine Gültigkeit, ehe nicht ein Formular der Firma ausgefüllt und von beiden Teilen unterzeichnet ist." ...