RG, 07.03.1919 - II 382/18

Daten
Fall: 
Irrtum über die Beschaffenheit eines Rechtes
Fundstellen: 
RGZ 95, 112
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
07.03.1919
Aktenzeichen: 
II 382/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Frankfurt a.O.
  • Kammergericht Berlin

Kann der auf Übertragung eines Rechtes gerichtete Vertrag von dem Erwerber des Rechtes wegen Irrtums über dessen Beschaffenheit angefochten werden?

Tatbestand

Der Klägerin war von der Gerste-Verwertungs-Gesellschaft m. b. H. (GVG.), der die öffentliche Bewirtschaftung der Gerstenbestände und die Zuweisung der Gerste an die einzelnen Bezugsberechtigten oblag, ein Recht auf den Bezug von 4740 Ztr. Gerste gewährt worden. Nachdem sie schon 942 Ztr. bezogen hatte, war sie mit der Beklagten wegen der Übertragung ihres Bezugsrechts in Vertragsverhandlungen getreten. Diese Verhandlungen, in deren Verlaufe sie weitere 450 Ztr. bezog, führten zu einem Abkommen, das die Beklagte durch Schreiben vom 9. Dezember 1915, wie folgt, bestätigte:

... "Sie übertragen mir ein Gerstenbezugsrecht von 3250 Ztr. Gerste. Ich liefere Ihnen dagegen 75% gutes Braumalz mit 5% Wassergrenze. Sie vergüten mir für 100 Kg Malz 70 M netto Kasse bei Anlieferung des Malzes bahnfrei Sagan. Der § 7 der Ihnen eingesandten Malzlieferungsbedingungen erfährt zwischen uns insofern eine Sondervereinbarung, als für den Fall, daß die GVG. nur 80% Gerste zur Verteilung bringen sollte, ich Ihnen die differierenden 20% resp. das entfallende Malz aus eigenen Beständen liefere zu dem vereinbarten Preise, so daß Sie in diesem Falle doch auf 100% kommen. Sollte jedoch weniger als 80% des Gerstenkontingents erhältlich sein, so mindert sich meine Verpflichtung zur Lieferung um den entsprechenden Teil. Wenn also zum Beispiel nur 70% Gerste geliefert werden, hätte ich Ihnen 2193,75 Ztr. Malz zu liefern."...

Die Beklagte erhielt auf Grund des ihr übertragenen Bezugsrechts von der GVG. nur noch 1050 Ztr. Gerste, zugewiesen und lieferte der Klägerin 800 Ztr. Malz. Erst später, durch einen Brief der Klägerin vom 1. Februar 1916, erfuhr sie, daß die Klägerin ursprünglich zum Bezuge von 4740 Ztr. Gerste berechtigt gewesen war und bis zum Vertragschlusse schon 1392 Ztr. erhalten hatte, während sie angeblich geglaubt hatte, daß die Klägerin erst 450 Ztr. bezogen und noch 3250 Ztr. zu beziehen habe. Sie schrieb deshalb der Klägerin am 2. Februar 1916, daß sie den Vertrag vom 9. Dezember 1915 als nichtig betrachte. Daraufhin wurde die Klägerin auf Verurteilung der Beklagten zur Lieferung von noch 347,35 Ztr. Malz gegen Zahlung von 70 M für 100 Kg klagbar.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Sie wandte ein, daß sie von der Klägerin in den Irrtum versetzt worden sei, das Bezugsrecht habe sich ursprünglich auf nur 3700 Ztr. Geiste belaufen und die Klägerin habe darauf selbst nur 450 Ztr. erhalten, daß sie wegen dieses Irrtums den Vertrag durch ihr Schreiben vom 2. Februar 1916 rechtmäßig angefochten habe und daß sie deshalb zu der mit der Klage geforderten Malzlieferung nicht verpflichtet sei, daß ihr aber auch jede weitere Lieferung unmöglich sei, weil ihr die GVG. nur 1050 Ztr. Gerste überwiesen habe und sie sich anderswoher Gerste nicht beschaffen könne.

Die Klägerin leugnete die Rechtmäßigkeit der Irrtumsanfechtung und die angebliche Unmöglichkeit der Vertragserfüllung, stellte aber hilfsweise den Antrag auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 31261,50 M Schadensersatz.

Das Landgericht hielt den Irrtumseinwand für durchgreifend und wies die Klage ab. Dagegen gab das Kammergericht der von der Klägerin eingelegten Berufung insofern statt, als es unter Abweisung des Hauptanspruchs den auf Zahlung von 31261,50 M gerichteten Schadensersatzanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärte. Es führte aus:

Die Voraussetzungen für die Anfechtung wegen Irrtums seien nicht gegeben. Es handle sich hier nicht um Eigenschaften einer Sache im Sinne des §119 Abs. 2 BGB., über die sich die Beklagte geirrt haben wolle. Zweifelhaft sei schon, ob von einer Eigenschaft des Bezugsrechts die Rede sein könne. Der Beklagten sei das Gerstenbezugsrecht über 3250 Ztr. übertragen, sie habe gewußt, daß sie nicht das volle - ungeschmälerte, unausgenutzte - Bezugsrecht erhalte, denn es sei ihr bekannt gewesen, daß die Klägerin schon 450 Ztr. bezogen habe. Der Umstand aber, daß das Bezugsrecht schon in höherem Maße, d. h. in Höhe von 1392 Ztr. ausgenutzt gewesen sei, könne nicht ohne weiteres als eine Eigenschaft des in ganz bestimmter Höhe der Beklagten überlassenen Rechtes bezeichnet werden. Doch könne diese Frage dahingestellt bleiben. Denn die Beklagte habe keine Gerste, also keine Sache, keinen körperlichen Gegenstand, von der Klägerin erworben, sondern ein Bezugsrecht auf Gerste, also eine Forderung, und die weit überwiegende Rechtsprechung stehe auf dem Standpunkte, daß unter Sachen im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB. nur körperliche Gegenstände und nicht der sogenannte "Erklärungsgegenstand". also auch Rechte und Forderungen, zu verstehen seien, und daß die erwähnte Gesetzesvorschrift auch keine entsprechende Anwendung auf Rechte zu finden habe. Dieser Standpunkt, den namentlich das Reichsgericht ständig vertreten habe, werde zwar in der Literatur mehrfach bekämpft; sei aber zu billigen. Liege danach keine Eigenschaft einer Sache vor, so handle es sich nur um einen Irrtum im Beweggrunde. Dieser stelle sich hier nicht zugleich als ein solcher über den Inhalt der Erklärung dar. Der Inhalt der Abmachung vom Dezember 1915 sei der, daß der Beklagten ein Gerstenbezugsrecht von 3250 Ztr. übertragen worden sei. Darüber habe sich die Beklagte nicht geirrt, ebensowenig, wie gezeigt, darüber, daß sie kein volles Bezugsrecht, sondern ein schon geschmälertes, von der Klägerin schon zum Teil ausgenutztes, erhalten habe. Ob das Recht früher mehr oder weniger ausgenutzt war, habe vielleicht auf ihren Entschluß, es zu erwerben, von Einfluß sein können, dann aber nur einen Beweggrund gebildet. Die Klägerin könne daher Ansprüche aus dem Vertrag erheben. Da die Beklagte jedoch geltend gemacht habe, daß ihr die Lieferung jetzt unmöglich sei, und da dies nach Auskunft der Handelskammer als dargetan gelten müsse, aber niemand zu einer unmöglichen Leistung verurteilt werden könne, so unterliege der Hauptklagantrag der Abweisung. Dagegen sei die Beklagte nicht damit zu hören, daß ihr die Lieferung schon im Februar 1918 unmöglich gewesen sei. Auch sei schon jetzt festzustellen, daß der Klägerin infolge der Nichtlieferung irgendein Schaden entstanden sei. Demgemäß sei der Hilfsantrag dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären.

Die Abweisung des Hauptanspruchs wurde von keiner Seite beanstandet. Dagegen wurde die Entscheidung über den Schadensersatzanspruch von der Beklagten mit Erfolg angegriffen und die Sache insoweit in die Berufungsinstanz zurückverwiesen.

Gründe

... "Die Rüge der Verletzung des § 119 Abs. 1 BGB. ist gerechtfertigt. Hat die Beklagte, wie das Berufungsgericht unterstellt, bei Abschluß des Vertrags mit der Klägerin geglaubt, das ihr von dieser übertragene Recht auf den Bezug von 3250 Ztr. Gerste sei ursprünglich auf 3700 Ztr. gerichtet und von der Klägerin erst in Höhe von 450 Ztr. ausgeübt gewesen, während das Recht in Wirklichkeit anfänglich auf 4740 Ztr. gegangen und schon in Höhe von 1392 Ztr. ausgenutzt war, und ist die Beklagte durch diesen Irrtum bestimmt worden, den Vertrag so, wie geschehen, abzuschließen, so hat sie nicht lediglich im Beweggrunde, sondern auch über den Inhalt ihrer Vertragserklärung geirrt. Die Parteien haben von vornherein angenommen, daß der GVG. nicht genug Gerste zur Verfügung stehe, um den Bezugsberechtigten die ihnen zunächst in Aussicht gestellten Mengen voll zuweisen zu können. Auch stand ohne weiteres fest, daß kein Bezugsberechtigter vor dem anderen bevorzugt werden durfte, daß vielmehr sämtliche Bezugsberechtigte sich die Ermäßigung der ihnen in Aussicht gestellten Mengen auf den gleichen Bruchteil gefallen lassen mußten, und daß der einzelne sich auf seine so ermäßigte Menge alles anrechnen zu lassen hatte, was ihm etwa schon geliefert worden war. Für den Umfang des den Gegenstand des Vertrags bildenden Bezugsrechts war daher nicht der in dem Bestätigungsschreiben der Beklagten vom 9. Dezember 1915 angegebene Restbetrag von 3250 Ztr. maßgebend, dessen volle Lieferung von keiner Seite erwartet wurde, sondern es waren die Mengen bestimmend, als deren Unterschied sich der Restbetrag darstellte, nämlich die der Klägerin von der GVG. ursprünglich in Aussicht gestellte Zentnerzahl und die Zahl der Zentner, die der Klägerin bereits geliefert worden waren. Aus diesen beiden bei Abschluß des Vertrags feststehenden Faktoren und aus dem damals noch ungewissen Bruchteile, bis zu dem die GVG. die einzelnen Bezugsberechtigten zu befriedigen vermochte, ergab sich die Höhe des der Beklagten übertragenen Bezugsrechts. Wenn es also richtig ist, daß die Beklagte in dem Bezugsrecht über 3250 Ztr., das tatsächlich ein schon in Höhe von 1392 Ztr. verbrauchtes Bezugsrecht über 4740 Ztr. war, ein Recht zu erwerben glaubte, das die Klägerin erst in Höhe von 450 Ztr. ausgenutzt hatte, so befand sie sich in einem Irrtum über den Inhalt ihrer Vertragserklärung. Daß ihre vertragliche Gegenleistung nach Prozenten von 3250 Ztr. bestimmt war, ändert hieran nichts. Ihr Irrtum war zwar bedeutungslos, falls die der GVG. zwecks Verteilung an die Bezugsberichtigten zur Verfügung stehende Gesamtmenge hinter der Summe der den Berechtigten in Aussicht gestellten einzelnen Mengen nur wenig zurückblieb. Denn die Beklagte würde, wenn etwa der GVG. im ganzen 91% dieser Summe zur Verfügung gestanden hätten, auf das in Höhe von 1392 Ztr. schon ausgeübte Recht zum Bezuge von 4740 Ztr. Gerste immer noch (4740 91/100 - 1392 =) 2921,4 Ztr., also noch etwas mehr erhalten haben als auf ein in Höhe von 450 Ztr. ausgeübtes Recht zum Bezuge von 3700 Ztr. (nämlich 3700 91/100 - 450 = 2917 Ztr.). Der Irrtum würde sich aber schon bei Ermäßigung der zur Verteilung verfügbaren Gesamtmenge auf 90% zuungunsten der Beklagten bemerklich gemacht haben, da die Beklagte alsdann nicht noch (3700 90/100 - 450 =)2880 Ztr., sondern nur mehr (4740 90/100 - 1392 =) 2874 Ztr. erhalten hätte, und er mußte immer fühlbarer werden, je mehr der zur Verfügung stehende Prozentsatz sank. Tatsächlich sind auf die 4740 Ztr., die der Klägerin in Aussicht gestellt waren, schließlich nur im ganzen (1392 + 1050 =) 2442 Ztr. oder nicht ganz 52% zur Verteilung gelangt; die Beklagte hätte sonach bei einem nur in Höhe von 450 Ztr. verbrauchten Recht auf 3700 Ztr. noch fast (3700 52/100 - 450 =) 1474 Ztr. zu beanspruchen gehabt, während sie nur 1050 Ztr. erhalten hat. Es läßt sich deshalb nicht ohne weiteres annehmen, daß sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles ihre Vertragserklärung gleichfalls abgegeben haben würde." ...