RG, 04.03.1919 - II 257/18

Daten
Fall: 
Feststellung der Nichteinigung
Fundstellen: 
RGZ 95, 99
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
04.03.1919
Aktenzeichen: 
II 257/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg, Kammer für Handelssachen
  • OLG Hamburg

1. Kann das Gericht auf Grund des beiderseitigen Vorbringens der Parteien ihre Nichteinigung feststellen, ohne selbst zu den einander widerstreitenden Behauptungen Stellung zu nehmen?
2. Zur Auslegung der Vertragsbestimmung: "der Verkäufer liefert nur, wenn ihm diese Ware selbst geliefert wird."

Tatbestand

Die Beklagte hatte dem Kaufmann H. 5000 Kilo weiße, durchsichtige Speiseblatt-Gelatine zum Preise von 21 M netto einschließlich Verpackung angestellt. Da dieser das Geschäft nicht selbst machen, sondern nur als Vermittler tätig sein wollte, gab er das Gebot dem Kaufmanne R., welcher als Vertrauensmann der Klägerin für diese Einkäufe besorgte, weiter. Nach Beendigung der Verhandlungen übersandte die Beklagte der Klägerin (oder R.) das Bestätigungsschreiben vom 18. Juni 1917, in welchem sich folgende hier in Betracht kommenden Bestimmungen finden: "franko Waggon bezw. Lager Hamburg" und "die Verkäufer liefern nur, wenn ihnen diese Ware selbst geliefert wird".

R. beanstandete sofort durch Fernsprecher die Aufnahme dieser Bestimmungen. Er habe ab Lager Hamburg gekauft, werde sich aber zufrieden geben, wenn die Ware auf Hamburg rolle. Die Beklagte erkundigte sich bei ihrem Lieferanten und teilte darauf der Klägerin (oder R.) mit, daß die Ware auf Hamburg rolle. Die Klägerin ersuchte dann noch am selben Tage die Beklagte um Übersendung eines berichtigten Schlußscheins. Die Beklagte antwortete umgehend, daß sich die Klägerin ja zufrieden gegeben habe, nachdem sie, die Beklagte, ihr mitgeteilt habe, daß die Ware auf Hamburg rolle. Die Klägerin erwiderte am 18. Juni, daß sie sich keineswegs zufrieden gegeben habe. Sie müsse auf Lieferung ab Hamburg bestehen und bitte um Zusendung des richtiggestellten Schlußscheins.

Die Beklagte hat sodann der Klägerin die 5000 Kilo in Hamburg angedient. Letztere hat die Annahme und Zahlung geweigert. Auf ein Schreiben der Beklagten vom 20. Juni 1917, worin diese ihr zur Zahlung eine Nachfrist bis zum 21. Juni 10 Uhr bestimmte, antwortete die Klägerin am folgenden Tage, daß sie den Empfang der Ware ablehne, weil sie unvertraglich und zwar statt Speiseblattgelatine Gelatinepapier sei. Gleichzeitig verlangte sie die Lieferung vertraglicher Ware bis zum 28. Juni. Die Beklagte erhob umgehend Einspruch gegen die Bemängelung und bemerkte, daß sie sich gegenüber der Nachfristsetzung auf die Vertragsbestimmung, daß die Verkäufer nur lieferten, wenn ihnen diese Ware selbst geliefert werde, berufe.

Die Klägerin hat nunmehr Klage auf Verurteilung zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung erhoben. Die angediente Ware sei unvertraglich gewesen. Auf die Bestimmung: "die Verkäufer liefern nur, wenn ihnen diese Ware selbst geliefert wird", könne sich die Beklagte nicht berufen, da sie am Fernsprecher dem R. auf dessen Einspruch erklärt habe, die Ware rolle auf Hamburg; damit sei der Vorbehalt erledigt. .

Die Beklagte hat um Abweisung der Klage gebeten. Sie habe keineswegs auf die Geltendmachung der streitigen Vertragsbestimmung verzichtet. Im Gegenteil, sie habe ausdrücklich erklärt, daß die Bestimmung beibehalten werden müsse, weil sie gleichfalls in ihrem eigenen Vertrage mit ihren Lieferanten vorgesehen worden sei. Die Klägerin oder R. habe, nachdem ihr der Bescheid geworden sei, daß die Ware auf Hamburg rolle, erklärt, dann sei der Schlußschein in Ordnung. Übrigens sei die Bemängelung der angedienten Ware unbegründet.

Das Landgericht hat nach Vernehmung der Zeugen H., R. und einer Angestellten der Beklagten die Klage abgewiesen, weil mangels Einigung der Parteien über die mehrerwähnte Bestimmung ein Vertrag überhaupt nicht zustande gekommen sei. Das Oberlandesgericht hat die Berufung aus dem nämlichen Grunde zurückgewiesen. Auf die Revision der Klägerin wurde dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe

"Das Berufungsgericht hat eine Einigung der Parteien zum Vertragsschluß aus folgenden Erwägungen verneint. Der Klägerin (oder ihrem Bevollmächtigten R.) sei Lokoware angestellt worden. Demgegenüber habe die Beklagte - ihrer dem Zeugen H. erteilten Anweisung entsprechend - einen Abschluß mit der Bestimmung: "die Verkäufer liefern nur, wenn ihnen diese Ware selbst geliefert wird" bestätigt. Die Klägerin habe sofort Einspruch erhoben. Es sei aber weder durch die Ferngespräche noch durch den Briefwechsel Einigung erzielt worden. Auch die Andienung der Ware seitens der Beklagten zeuge nicht für das Zustandekommen eines wirksamen Vertrags.

Die Revision rügt Verletzung der §§ 133, 157, 242 BGB., §286 ZPO. Die streitige Vertragsbestimmung habe sich nur auf Lieferung der Ware überhaupt, nicht aber auf die Lieferung vertraglicher Ware bezogen. Die Meinungsverschiedenheit der Parteien habe daher auch nur die Frage betroffen, ob ab Hamburg geliefert werde oder ob doch wenigstens die Ware auf Hamburg rolle. Nachdem dieser Punkt zur Zufriedenheit der Klägerin erledigt sei, habe man auf die streitige Bestimmung keinen Wert mehr gelegt. So habe denn auch die Beklagte ihre Ware angedient und die Klägerin nur wegen ihrer vertragswidrigen Beschaffenheit Verwahrung eingelegt.

Die Rüge der Revision muß als berechtigt anerkannt werden. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß durch die zwischen H. und R. gepflogenen Verhandlungen ein gültiger Kaufvertrag zwischen den Parteien nicht zustande gekommen sei. H. hatte offenbar auftragswidrig die Speiseblatt-Gelatine ab Lager Hamburg und ohne die besondere Bestimmung: "die Verkäufer liefern nur, wenn ihnen diese Ware selbst geliefert wird" angestellt. Da er keine Abschlußvollmacht besaß, brauchte die Beklagte die von ihm getroffenen Abmachungen nicht anzuerkennen.

Dagegen beruht die Feststellung des Berufungsgerichts, daß auch fernerhin, insbesondere durch Ferngespräch vom 16. Juni 1917 eine Einigung der Parteien nicht erzielt worden sei, auf unzureichender Würdigung des vorgetragenen oder ermittelten Sachverhalts. Um feststellen zu können, daß keine Einigung der Parteien über die Geltung der streitigen Vertragsbestimmung: "die Verkäufer liefern nur, wenn ihnen diese Ware selbst geliefert wird" zustande gekommen sei, hätte das Berufungsgericht zu den beiderseitigen Parteivorträgen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme selbst Stellung nehmen müssen. Es kann nicht darauf ankommen, ob aus der Gegenüberstellung der Parteibehauptungen eine Einigung der Parteien nicht herzuleiten ist, sondern ob die Besprechungen der Parteien, wie sie vom Berufungsgerichte nach dem Ergebnis der Verhandlung und Beweisaufnahme zu werten waren, eine Einigung ausgeschlossen haben. Eine solche Stellungnahme war um so nötiger, als auch die Beklagte bis zum Erlasse des landgerichtlichen Urteils nicht auf den Gedanken verfallen war, daß ein gültiger Vertrag überhaupt nicht zustande gekommen sei, vielmehr jedenfalls äußerlich die entgegengesetzte Anschauung dadurch kundgegeben hatte, daß sie auf den Vertrag die Ware andiente.

Die Erörterungen des Berufungsgerichts sind aber auch deshalb lückenhaft, weil sie die Bedeutung der umstrittenen Vertragsbestimmung selbst gänzlich außer Betracht lassen. Nur dann aber, wenn über Sinn und Zweck der Bestimmung Klarheit herrscht, ist eine sachgemäße Würdigung der Parteiverhandlungen, welche doch gerade sie betrafen, möglich. Das Berufungsgericht unterstellt offenbar als selbstverständlich, daß durch die mehrerwähnte Bestimmung die Verkäuferin schon dann frei wurde, wenn sie ihrerseits unverträgliche Ware geliefert erhalten hatte. Eine solche Auslegung versteht sich aber keineswegs von selbst. Es mag dahingestellt bleiben, ob ein dahin gehendes Verständnis der Bestimmung auch nur dem Sprachgebrauch oder kaufmännischen Empfinden am nächsten liegt. Jedenfalls läßt dieselbe mindestens drei verschiedene Auslegungsmöglichkeiten zu. Es kann die Bestimmung einmal in dem von der Beklagten vertretenen Sinne gemeint sein, daß die Verkäuferin nicht nur haftungsfrei sein sollte, wenn ihr eigener Verkäufer nicht lieferte, sondern auch schon dann, wenn er unverträgliche Ware lieferte. In zweiter Linie konnte lediglich die Befreiung der Verkäuferin für den Fall beabsichtigt sein, daß diese von ihrem Lieferanten völlig im Stiche gelassen wurde. Endlich erscheint aber noch eine dritte Deutung denkbar. Es mochte der Verkäuferin freistehen, ihrerseits die Lieferung abzulehnen, wenn ihr selbst auch nur unvertraglich geliefert wurde. Wenn sie sich aber einmal entschlossen hatte, die ihr gelieferte Ware als vertraglich weiter anzudienen, so kann möglicherweise mit solcher Andienung der Befreiungsfall fortgefallen und diese Tatsache stillschweigend anerkannt sein.

Welche der drei Auslegungsmöglichkeiten zutrifft, wird das Berufungsgericht erforderlichenfalls mit Hilfe von Sachverständigen zu ermitteln haben. Seine fernere Aufgabe wird es dann - wie bereits oben dargelegt - sein, an der Hand des Beweisergebnisses das Parteivorbringen behufs Feststellung, ob eine Einigung zustande gekommen ist, zu würdigen."