RG, 04.03.1919 - III 334/18

Daten
Fall: 
Zulässigkeit einer Feststellungsklage
Fundstellen: 
RGZ 95, 108
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
04.03.1919
Aktenzeichen: 
III 334/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Frankfurt a.M.
  • Oberlandesgericht

1. Zur Frage der Zulässigkeit einer Feststellungsklage.
2. Bestimmt sich ein am 1. Januar 1900 bestehendes Pachtverhältnis, das auf bestimmte Zeit mit dem Rechte des Pächters, die Verlängerung zu fordern, vereinbart ist, von der Verlängerung ab nach dem früheren Rechte oder nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs?
3. Hat § 567 BGB. rückwirkende Kraft?
4. Zur Anwendung des Art. 172 EG. z. BGB.
5. Ist nach dem gemeinen Lehnrecht ein Lehnsfolger verpflichtet, einen von einem Lehnsvorgänger geschlossenen Pachtvertrag über das Lehngut auszuhalten?

Tatbestand

Durch Vertrag vom 29. Juni/28. Juli 1893 pachtete die klagende Stadtgemeinde von den "nutzungsberechtigten Interessenten des Münzenbergischen sog. Alt-Strahlenberger Erb- und Frauenlehens", vertreten durch den damaligen Lehnsadministrator Dr. H. als "Bevollmächtigten der sämtlichen nutzungsberechtigten Interessenten", die gesamten Lehnsgrundstücke für einen jährlichen Pachtzins von 20000 M und gegen Übernahme aller das Pachtgut betreffenden Steuern und Lasten zur beliebigen Benutzung, insbesondere auch mit dem Rechte zur Herstellung baulicher Anlagen aller Art, auf die Dauer von zunächst 20 Jahren vom 22. Februar 1898 ab, jedoch mit dem Rechte der Pächterin, durch eine zwei Jahre vor dem Ablaufe der Pachtzeit abgegebene Erklärung die wiederholte Verlängerung des Pachtvertrags, und zwar viermal um je 15 Jahre bis zum 21. Februar 1933, 1948, 1963 und 1978, und zuletzt um 20 Jahre bis zum 21. Februar 1998 zu verlangen. Für den Fall des Verkaufs des Pachtgegenstandes wurde der Klägerin ein Vorkaufsrecht eingeräumt. Ferner wurde in dem Vertrag ausdrücklich anerkannt, daß durch ihn das lehnsrechtliche Verhältnis zwischen der Pächterin als Lehnsherrin und den Verpächtern und die aus der obrigkeitlichen Stellung der Pächterin abzuleitenden Rechte gegen das Lehen, sowie auch deren Befugnis, das Enteignungsrecht bezüglich des Pachtgeländes in Anspruch zu nehmen und auf dieses in Anwendung zu bringen, nicht berührt werden. Der Pachtzins wurde 1904 mit Rücksicht auf die Enteignung eines Teiles des Pachtlandes auf 19800 M ermäßigt. Nachdem die Klägerin schon 1907 und 1911 erklärt hatte, daß sie das Vertragsverhältnis bis 1933 fortsetzen wolle, wiederholte sie diese Erklärung nochmals am 14. Februar 1916 gegenüber dem jetzigen Lehnsadministrator.

Anläßlich eines einen Teil des Pachtgeländes berührenden Enteignungsverfahrens, das zwecks Anlage des Main-Osthafens durch die Klägerin 1907 eingeleitet wurde, entstand Streit darüber, ob der Klägerin das Recht zur weiteren Verlängerung des Pachtvertrags über den 21. Februar 1933 hinaus zustehe. Die Klägerin erhob darauf Klage auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, das Pachtverhältnis jeweils vom 21. Februar 1933, 1948, 1963 ab je weitere 15 Jahre, vom 21. Februar 1978 ab 20 Jahre, nämlich bis zum 21. Februar 1998 auszuhalten, falls die Klägerin mindestens jeweils 2 Jahre vor dem 21. Februar 1933, 1948, 1963 und 1978 erkläre, daß sie die Verlängerung des Pachtvertrags verlange. Die Beklagten begehrten widerklagend die Feststellung, daß sie jedenfalls nicht verpflichtet seien, das Pachtverhältnis auszuhalten, wenn die Lehnsgrundstücke veräußert oder enteignet werden sollten.

Das Landgericht hat die Klage und die Widerklage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die der Klägerin deren Klagantrage gemäß erkannt. Auf die Revision der Beklagten wurde das Berufungsurteil aufgehoben.

Gründe

1.

"Die Zulässigkeit der Feststellungsklage wird von den Beklagten zu Unrecht angezweifelt. Die von dem Berufungsrichter einwandfrei festgestellte Bedeutung der Dauer des Pachtverhältnisses für die Verwertungsmöglichkeit des Pachtgeländes rechtfertigt die Annahme des rechtlichen Interesses der Klägerin an der alsbaldigen Feststellung des streitigen Rechtsverhältnisses, und zwar selbst dann, wenn die Beklagten vor dem Rechtsstreite, nur bezüglich des der Enteignung unterliegenden Teiles des Pachtgeländes das Verlängerungsrecht der Klägerin bestritten haben sollten, da darin nach Lage der Sache zugleich ein Bestreiten dieses Rechtes bezüglich des ganzen Pachtgegenstandes liegt. Das Berufungsgericht verwertet aber auch mit Recht die Fassung des Klage und des Widerklagantrags und die Stellungnahme der Streitteile in dem Rechtsstreite für die Annahme, daß diese jetzt hinsichtlich des gesamten Pachtverhältnisses über das Verlängerungsrecht streiten.

2.

Ebenso einwandfrei ist die Ansicht des Berufungsrichters, daß das Pachtverhältnis grundsätzlich nach dem gemeinen Rechte und nicht etwa gemäß Art. 171 EG. z. BGB. für die Zeit nach dem 22. Februar 1918 nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche zu beurteilen ist. Daß, wie die Revision hervorhebt, die Dauer des Pachtverhältnisses nicht von einer Kündigung abhängig, der Vertrag vielmehr auf 20 Jahre abgeschlossen ist und am 21. Februar 1918 beendigt gewesen wäre, wenn die Klägerin nicht vor dem 21. Februar 1916 die Verlängerung erklärt hätte, ist für die Frage der Anwendbarkeit des Art. 171 ohne Bedeutung. Entscheidend ist, daß die Beklagten bis 1998 an den Vertrag gebunden waren, ihrerseits ein früheres Ende des Pachtverhältnisses wider Willen der Klägerin nicht herbeiführen konnten. Denn die Bestimmung des Art. 171 geht, wie in RGZ. Bd. 53 S. 170 ausgeführt ist, von der Anschauung aus, daß die Vertragsteile, wenn sie unter der Herrschaft des neuen Rechtes ihr Pachtverhältnis fortsetzen, obwohl sie Gelegenheit hatten, es aufzulösen, es stillschweigend dem neuen Rechte unterwerfen, so daß dieses nur von dem Termin ab zur Anwendung kommen kann, zu dem beiden Teilen die Auflösung möglich war. Hier haben die Beklagten keine Möglichkeit der Lösung des Pachtverhältnisses vor 1998. Daher kann aus dessen Fortsetzung über den 21. Februar 1918 hinaus nicht auf ihren Willen geschlossen werden, das Pachtverhältnis dem neuen Rechte zu unterstellen. Dafür, daß zwischen dem hier vorliegenden Falle und dem der Entscheidung RGZ. Bd. 53 S. 170 zugrunde liegenden, in dem der eine Teil unkündbar auf bestimmte Zeit gebunden war, während dem anderen ein Kündigungsrecht zustand, nicht unterschieden werden darf, sprechen auch die den Art. 171 betreffenden Verhandlungen der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des BGB. (Prot. Bd. 6 S. 499 flg.). Für die Frage, heißt es dort, ob das alte oder das neue Recht Anwendung finde, sei es nicht von Bedeutung, ob der Vertrag auf unbestimmte Zeit mit Kündigungsrecht der Vertragsteile abgeschlossen sei oder auf bestimmte Zeit mit der Abrede, daß, wenn er für einen bestimmten Termin nicht gekündigt werde, stillschweigend ein neuer Vertrag abgeschlossen sein solle; vielmehr müsse eine einfache klare Regel gegeben werden, um Streitigkeiten und Zweifel, ob ein Vertrag auf unbestimmte Zeit mit Kündigungsrecht oder auf bestimmte Zeit mit relocatio tacita anzunehmen sei, von vornherein abzuschneiden. Danach liegt es auch nicht im Sinne der Vorschrift, zwischen Pachtverhältnissen, die sich im Falle der Nichtkündigung seitens des einen, allein kündigungsberechtigten Teiles auf bestimmte Zeit verlängern, und denen, die durch einseitige Erklärung einer Partei auf einen neuen Zeitraum erstreckt werden, zu unterscheiden.

3.

Unterliegt aber das Pachtverhältnis den Vorschriften des gemeinen Rechtes, so ist für die Anwendung des § 567 kein Raum. Von der Entscheidung RGZ. Bd. 66 S. 216, nach der dem § 567 keine rückwirkende Kraft beizulegen ist, abzugehen, liegt kein Anlaß vor. Da es sich aber bei dieser Streitfrage um die Auslegung des Bürgerlichen Gesetzbuchs handelt, kann es auch keinen Unterschied begründen, ob das Pachtverhältnis unter der Herrschaft des preußischen Allgemeinen Landrechts oder des gemeinen Rechtes begründet und nach dessen Vorschriften zu beurteilen ist.

Ebensowenig kann, wenn das Bürgerliche Gesetzbuch überhaupt unanwendbar ist, von einer "rechtsähnlichen" Anwendung seines § 567 oder von einer Umgehung dieser Vorschrift die Rede sein.

4.

Das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch ändert nun aber in Art. 172 die Rechte eines Pächters aus einem vor dem 1. Januar I960 geschlossenen Pachtvertrage gegenüber dem gemeinen Rechte insofern ab, als es ihm in Abweichung von dem gemeinrechtlichen Satze "Kauf bricht Miete" im Falle einer nach dem 1. Januar 1900 erfolgten Veräußerung oder Belastung der Pachtsache die in den §§ 571 flg. BGB. bestimmten Rechte gegen den Erwerber gewährt. Die Beklagten meinen nun, daß, wenn im übrigen das gemeine Recht auf das Pachtverhältnis Anwendung behalte, auch der Satz "Kauf bricht Miete" trotz des Art. 172 in dem gegebenen Falle anwendbar bleiben müsse. Mit Recht wird dieser Standpunkt aber von dem Berufungsrichter abgelehnt, wenn dessen Kritik des Satzes "Kauf bricht Miete" auch nicht zuzustimmen ist. Es fehlt in der Tat an jeder tatsächlichen Unterlage für die Annahme einer stillschweigenden Vereinbarung der Streitteile, daß der Art. 172 keine Anwendung finden und die Klägerin im Falle einer Veräußerung nach dem 1. Januar 1900 kein Recht auf Aushaltung des Pachtverhältnisses gegenüber dem Erwerber haben solle. Aus der Einräumung eines Vorkaufsrechts ist eine solche Vereinbarung nicht zu entnehmen.

5.

Begründet ist dagegen der letzte Revisionsangriff, mit dem eine Verletzung der Vorschriften des gemeinen Lehnrechts gerügt wird. Die Beklagten hatten im Vorprozeß geltend gemacht, die Bindung an den Pachtvertrag bis zum Jahre 1998 bedeute eine so wesentliche Beeinträchtigung der Substanz der Lehnsgrundstücke, daß sie einer Lehnsverschlechterung gleichkomme, zu der die im Jahre 1893 beteiligten Nutzungsberechtigten nicht befugt gewesen seien. Nach Lehnrecht hatten sie nur auf übliche Zeit nutzen und verpachten dürfen; nur dazu, nur zu Verwaltungshandlungen habe auch der für sie handelnde Lehnsadministrator Vollmacht gehabt, zu weitergehenden Verfügungen sei er nicht ermächtigt gewesen. Daraus ergebe sich, daß mindestens den seit dem Vertragsschluß eingetretenen Nutzungsberechtigten - und das sei der größte Teil der Beklagten - die Ausübung des Lehnsretrakts zustehe, d. h. sie könnten das Lehen ohne die eingegangene Beschwerung an sich ziehen. Diesem von der Klägerin in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht bekämpften Vorbringen wird der Berufungsrichter nicht gerecht.

Nach dem gemeinen Rechte hat ein Pachtvertrag nur schuldrechtliche Wirkung und bindet daher nur die Vertragsteile und deren Gesamtnachfolger sowie etwaige Schuldübernehmer. Der Lehnsfolger als solcher ist nun aber kein Gesamtnachfolger des früheren Lehnsinhabers; er rückt vielmehr in das Lehen kraft eigenen Rechtes und grundsätzlich völlig unabhängig von dem Willen des Lehnsvorgängers ein und ist an dessen schuldrechtliche Verträge nicht gebunden. Deshalb braucht er auch einen von diesem abgeschlossenen Pachtvertrag nicht auszuhalten. Nur diejenigen Lehnsinhaber, die den Pachtvertrag, sei es persönlich oder durch einen zu dessen Abschluß ermächtigten Vertreter, abgeschlossen oder ihm zugestimmt haben, und deren Gesamtnachfolger, also ihre Lehnsfolger, die zugleich ihre Allodialerben geworden sind, sind an den Vertrag gebunden. Es bedarf daher vorliegendenfalls der von dem Berufungsrichter noch nicht angestellten Prüfung, ob die einzelnen Beklagten den Dr. H. zu dem Abschlusse des Vertrags von 1893 ermächtigt oder - mögen sie 1893 bereits nutzungsberechtigt gewesen sein oder nicht - den Vertrag ausdrücklich oder auch nur stillschweigend genehmigt haben oder Gesamtnachfolger eines Vollmachtgebers oder Genehmigenden geworden sind. Deshalb ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen."