RG, 20.02.1919 - IV 367/18
Bildet es eine ausreichende Angabe des Grundes für die Entziehung des Pflichtteils, wenn in der letztwilligen Verfügung nur die vom Gesetz w § 2333 Nr. 5 BGB. gebrauchten Worte wiedergegeben werden?
Tatbestand
Der Kläger ist der Sohn des am 15. März 1915 verstorbenen Forstmeisters F. in R. Letzterer hat am 5. September 1914 mit seiner Ehefrau, der Beklagten, ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sich beide gegenseitig als Erben eingesetzt und dem Kläger den Pflichtteil entzogen haben. Der Kläger bestreitet, daß die Pflichtteilsentziehung zu Recht erfolgt sei, und verlangt von der Mutter als der Erbin Auskunft über den Bestand des Nachlasses. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, dagegen hat das Kammergericht die Beklagte zur Erteilung der verlangten Auskunft verurteilt. Die von der Beklagten eingelegte Revision hatte Erfolg.
Gründe
"Im Testamente der Eheleute F. ist mit Bezug auf den Kläger folgendes gesagt: Unser Sohn, der frühere Leutnant H. A. F., soll nicht einmal den Pflichtteil erhalten. Wir entziehen ihm den Pflichtteil, weil er einen ehrlosen und unsittlichen Lebenswandel wider den Willen der Eltern geführt hat.
Das Berufungsgericht ist der Anschauung, daß damit der Vorschrift des § 2336 Abs. 2 BGB. nicht Genüge geschehen sei, wonach der Grund der Entziehung des Pflichtteils in der letztwilligen Verfügung angegeben werden muß. Die bloße Wiederholung der vom Gesetz in § 2333 Nr. 5 gebrauchten Worte sei nicht ausreichend, es müßten vielmehr auch die Tatsachen in der Verfügung angegeben werden, aus denen der ehrlose oder unsittliche Lebenswandel gefolgert werde. Denn beim Widerspruche des von der Entziehung Betroffenen müsse das Vorliegen des Grundes bewiesen werden (§ 2336 Abs. 3), und der Beweis könne sich nur auf Tatsachen erstrecken. Es komme wesentlich darauf an, worin nach der Ansicht des Erblassers der tadelnswerte Lebenswandel zu erblicken sei, und eine Nachprüfung nach dieser Richtung sei nicht möglich, wenn nicht der Erblasser selbst die für ihn bestimmend gewesenen Tatsachen angegeben habe. Zwar habe die Beklagte Beweis dafür angetreten, welche Tatsachen für die Pflichtteilsentziehung maßgebend gewesen seien, allein eine Zeugenvernehmung hierüber sei nicht angängig, da der Grund für die Entziehung nach der zwingenden Vorschrift des Gesetzes in der letzwilligen Verfügung angegeben, also aus ihr ersichtlich sein müsse. Dabei brauchten selbstverständlich die Tatsachen nicht in allen Einzelheiten aufgeführt zu werden, sondern es genüge eine die Nachprüfung ermöglichende Bezeichnung. Das Berufungsgericht hat im Anschluß an diese Erörterungen die im Prozeß dem Kläger entgegengehaltenen Vorwürfe in vier Gruppen von einzelnen Tatsachen eingeteilt und meint, etwa in solcher Weise hätten die Tatsachen auch im Testament angegeben werden müssen.
Mit Recht wendet sich die Revision gegen diese Auslegung der Vorschrift in § 2336 Abs. 2. Daß die Auslegung weder im Wortlaute, des Gesetzes noch in dessen Entstehungsgeschichte eine sichere Stütze findet, verkennt das Berufungsgericht selbst nicht. Auch aus den Äußerungen in der Rechtslehre, auf die das Urteil sich beruft, läßt sich nichts Wesentliches für die von ihm vertretene Auffassung herleiten; die Bemerkung im Komm. v. RGR. Anm. 2 zu § 2336, die das Berufungsgericht für sich anführen zu können glaubt, bezeichnet im Gegenteile nur so viel für notwendig, daß erkennbar sei, auf welchen der verschiedenen Entziehungsgründe des § 2333 sich der Erblasser stützen wolle. Ähnlich Dernburg, Bürgerl. Recht Bd. 5 § 121 VI 4.
Aber auch die vorbezeichneten Ausführungen des Berufungsurteils, wonach der Gesichtspunkt der praktischen Durchführbarkeit in den Vordergrund gerückt und von diesem aus als unerläßliche Voraussetzung für die Gültigkeit der Pflichtteilsentziehung die Angabe bestimmter Tatsachen erklärt wird, können nicht als zutreffend anerkannt werden; sie leiden an dem Fehler, daß die beiden in Abs. 2 und 3 des § 2336 behandelten Erfordernisse, die Bezeichnung des Entziehungsgrundes und seine Beweisbarkeit, nicht genügend auseinandergehalten werden. Es mag sein, daß Fälle vorkommen, in denen eine in der Weise wie hier gefaßte letztwillige Anordnung um deswillen wirkungslos bleibt, weil die unterbliebene Angabe von Einzeltatsachen zur Folge hat, daß der Beweis für das Vorliegen des Entziehungsgrundes nicht erbracht werden kann. Daraus darf jedoch nicht rückwärts geschlossen werden, daß schon die Anordnung selbst wegen Mangels jener Angaben nicht dem Gesetz entsprochen hätte.
Bei den Beratungen der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfes zum Bürgerlichen Gesetzbuch ist der Gedanke geäußert worden (Prot. Bd. 5 S. 556), eine zu allgemeine Fassung der Pflichtteilsentziehungsgründe führe dazu, daß die Enterbung nicht mehr vom Erblasser, sondern vom Erben und vom Richter abhängig sei. Ein solcher Rechtszustand müßte freilich vermieden werden, aber etwas Derartiges steht hier auch nicht in Frage. Jene Bemerkung richtete sich gegen den Antrag, von der Aufnahme bestimmter Pflichtteilsentziehungsgründe in das Gesetz völlig Umgang zu nehmen und dafür eine allgemein gefaßte Vorschrift etwa in der Art, wie sie für das Ehescheidungsrecht in § 1568 besteht, aufzustellen. Dieser Antrag hat keine Annahme gefunden, und es kann sich jetzt nur darum handeln, ob etwa auch die dann in der Kommission neu aufgenommene Vorschrift in Nr. 5 des § 2333 so allgemein gefaßt ist, daß sie eine Befürchtung der bezeichneten Art rechtfertigt. Das ist aber zu verneinen; der hier gebrauchte Ausdruck "ehrloser oder unsittlicher Lebenswandel wider den Willen des Erblassers" ist keineswegs so unbestimmt, daß er nicht eine Abgrenzung gestattete, welche Art von Verfehlungen von ihm umfaßt werden sollte und welche nicht. Würden etwa einem Abkömmlinge, dem der Pflichtteil in der angegebenen Weise entzogen werden soll, nur persönliche Mißhelligkeiten zwischen ihm und dem Erblasser vom Erben entgegengehalten, so würde er sich mit Recht darauf berufen können, daß ein solches Verhalten von dem angegebenen Entziehungsgrunde nicht getroffen werde. Auf der andern Seite lassen sich Fälle denken, in denen von vornherein jeder Zweifel ausgeschlossen ist, welche Tatsachen der Erblasser mit dem in Rede stehenden Ausdrucke treffen wollte, so etwa bei einer Tochter, die sich vor den Augen der Eltern der Prostitution ergeben und unter polizeiliche Sittenkontrolle gestellt hat. Es wäre ein nicht zu rechtfertigender Formalismus, wenn man in solchen Fällen die Gültigkeit der Anordnung von der Angabe bestimmter Einzelheiten, an der niemand ein Interesse haben kann, abhängig machen wollte. Um so mehr als sich oft das persönliche Gefühl des Erblassers dagegen sträuben mag, derartige peinliche Vorkommnisse im einzelnen zu erörtern und zum Gegenstande der künftigen Nachlaßverhandlungen zumachen, während vielleicht damit gerechnet werden kann, daß der Betroffene, dem ja seine Verfehlungen bekannt sind, sich mit einem allgemeinen Hinweise zufrieden gibt. Auch im Streitfalle sind Zweifel nach der Richtung, was der Erblasser bei seiner Verfügung im Auge gehabt habe, vom Kläger gar nicht erhoben worden; er hat weder behauptet, daß durch die fehlende Angabe, von Einzelheiten seine Prozeßlage erschwert wäre, noch auch, soweit ersichtlich, seinerseits überhaupt geltend gemacht, daß die Pflichtteilsentziehung aus dem Grunde, auf den das Berufungsgericht seine Entscheidung gestützt hat, ungültig wäre.
Es könnte übrigens auch nicht anerkannt werden, daß auf dem vom Berufungsgerichte für richtig erachteten Wege das Ziel, tunlichste Klarheit über die Gültigkeit derartiger Pflichtteilsentziehungen herbeizuführen, erreicht würde. Die Möglichkeit, daß einem Erblasser, der im allgemeinen über den Lebenswandel seines Abkömmlings ganz zutreffend unterrichtet ist, irgendeine Einzelheit unrichtig oder ungenau mitgeteilt wird, liegt sehr nahe, und die Aufnahme eines derartigen Umstandes in das Testament könnte leicht dazu dienen, eine sachlich durchaus gerechtfertigte Anordnung zu Falle zu bringen. Auch ob eine solche Einteilung in Gruppen, wie sie das Berufungsgericht empfiehlt, der Erreichung des bezeichneten Zweckes förderlich wäre, kann zweifelhaft sein; so ließe sich z. B. die vom Berufungsgericht unter Nr. 2 aufgeführte Gruppe: "daß er seinem Vater Bruch des Ehrenwortes vorgeworfen und eine, schlechte Sterbestunde gewünscht habe", schwerlich unter den Begriff des ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels bringen, und derartige Unstimmigkeiten könnten gleichfalls wieder als Handhaben zu Angriffen gegen eine der Sache nach berechtigte Pflichtteilsentziehung benützt werden.
Nach alledem muß die in Rede stehende Angabe des Pflichtteilsentziehungsgrundes im Testament als ausreichend erachtet werden und es wird nun seitens des Berufungsgerichts zu prüfen sein, ob der angegebene Grund zur Zeit der Testamentserrichtung vorhanden war und erweisbar ist.
Inwieweit bei den sonstigen in § 2333 aufgeführten Entziehungsgründen, insbesondere etwa bei dem unter Nr. 3 genannten, oder bei der Pflichtteilsbeschränkung nach § 2338 die Angabe von Einzelheiten erforderlich ist, bedarf hier keiner Erörterung."