RG, 14.01.1919 - III 336/18

Daten
Fall: 
Ausnutzung eines Kiesbergs
Fundstellen: 
RGZ 94, 279
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
14.01.1919
Aktenzeichen: 
III 336/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht I Berlin
  • Kammergericht Berlin

1. Rechtliche Natur eines Vertrags über die Einräumung eines persönlichen Rechtes zur Ausnutzung eines Kiesbergs gegen Entgelt.
2. Anwendbarkeit der §§ 581 Abs. 2, 577 Satz 1, 571 Abs. 1 BGB. in einem Falle, wo sich der Verpächter im Pachtvertrage die Vorauszahlung des gesamten Pachtzinses bedungen und solche geleistet erhalten hat.

Tatbestand

Der Fabrikbesitzer K. hat als Eigentümer des Gutes T. dem Kläger durch Vertrag vom 13. Februar 1911 1000 Quadratmeter Fläche zur Ausnutzung eines Kiesberges unter der Bedingung verpachtet, daß der Pächter die besseren Stellen bis 6 Meter, die ganzen 1000 Quadratmeter aber, wie es im Vertrage heißt, nicht mehr als 4 1/2 Meter tief ausbeuten dürfe. Der Pachtzins ist auf insgesamt 2700 M vereinbart worden, wovon die letzte Rate am 1. Februar 1912 entrichtet werden sollte. Am 30. Juli 1913 hat K. das Gut an die Eheleute N. veräußert und aufgelassen. Am 12. Mai 1914 ist für den Beklagten der Nießbrauch am Gute eingetragen worden. Dieser hat die Duldung der Kiesentnahme verweigert. Der Kläger begehrt deshalb seine Verurteilung, die Entnahme in der Weise, wie es der Vertrag bestimmt, zu gestatten. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung des Beklagten das der Klage stattgebende Urteil des Landesgerichts aufgehoben und auf Klagabweisung erkannt. Die Revision des Klägers führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung.

Gründe

"Das Berufungsgericht läßt es unentschieden, welche rechtliche Natur dem Vertrage vom 13. Februar 1911 beizumessen ist, und vertritt die Meinung, daß, auch wenn ein Pachtverhältnis in Frage stehen sollte, der Beklagte zu dessen Fortsetzung nicht verpflichtet sein würde, weil der nach §§ 581 Abs. 2, 577 BGB. entsprechend anzuwendende § 571 Abs. 1 auf Pachtverträge keine Anwendung finden könne, die bestimmen, daß der Pachtzins in einer vorweg zu zahlenden Summe und nicht periodenweise zu entrichten sei.

Der von der Revision angestrebten Nachprüfung dieses Entscheidungsgrundes würde es nicht bedürfen, wenn der bezeichnete Vertrag entweder als Kauf, oder wenn er zwar als Pacht aber als solche eines Rechtes (RGZ. Bd. 70 S. 74), oder endlich wenn er zwar als Pachtvertrag über ein Grundstück anzusehen wäre, der Verpächter jedoch das Grundstück, wie der Beklagte geltend macht, dem Kläger zur Ausübung der Vertragsrechte nicht überlassen hätte (§§ 577, 571 Abs. 1). Keine dieser Voraussetzungen trifft indessen zu. Verträge, welche die Einräumung einer schuldrechtlichen Befugnis zur Gewinnung von Bodenbestandteilen gegen Entgelt zum Gegenstande haben, sind in der Rechtsprechung des Reichsgerichts sowohl unter dem früheren wie dem jetzigen Rechte in der Regel als Pachtverträge über Grundstücke und nur bei besonderer Sachlage als Kaufverträge aufgefaßt worden (Jur. Wochenschr. 1903 S. 131 Nr. 24, 1909 S. 451 Nr. 2). Im vorliegenden Falle sind weder der Vertragsurkunde noch dem Parteivorbringen Umstände zu entnehmen, die eine solche ausnahmsweise Behandlung des Vertrags rechtfertigen. Insbesondere ist die Gegenleistung des Klägers nicht nach der tatsächlichen Ausbeute, die er erzielen würde, bemessen, sondern auf eine feste Summe bestimmt worden. Hierbei haben allerdings die Vertragsparteien die von ihnen vermutungsweise angenommene Tiefe der Kiesschicht von 4 Meter zugrunde gelegt. Allein dem Kläger steht das Recht zu, die Schicht an den besseren Stellen bis zu 6 Meter, im ganzen bis zu 4 1/2 Meter Tiefe auszubeuten, und der Vertrag besagt nicht, daß der Kläger im Falle einer solchen Ausnutzung Nachzahlung zu leisten habe.

Die Annahme, daß der Pachtvertrag ein Recht und nicht ein Grundstück zum Gegenstand habe, ist ausgeschlossen, weil die sachgemäße Ausübung der eingeräumten Gerechtsame wirtschaftliche Maßnahmen des Pächters erfordert, die den Besitz des auszubeutenden Grund und Bodens zur Voraussetzung haben.

Die Überlassung der für die Kiesgewinnung in Betracht kommenden Bodenfläche ist unbedenklich darin zu erblicken, daß der Kläger im Einverständnis des Verpächters mit der Kiesentnahme begonnen hat. Hieran würde es nichts ändern, wenn mit den Ausführungen des Beklagten in der Revisionsinstanz davon auszugehen wäre, daß nicht ein räumlich abgegrenzter Teil des Kiesberges dem Ausbeutungsrechte des Klägers unterworfen sei, dieser vielmehr nach freiem Belieben die auszunutzende Teilfläche bestimmen könne. Bei einer solchen Gestaltung der Vertragsrechte würde in der Gestaltung der Kiesentnahme die Überlassung des ganzen Kiesberges zu finden sein (RGZ. Bd. 6 S. 7).

Die hier noch erforderliche Stellungnahme zu dem Entscheidungsgrunde des Berufungsgerichts hat dessen Unhaltbarkeit ergeben. Er trägt in den § 571 Abs. 1 eine Unterscheidung hinein, die ihm fremd ist. Das Berufungsgericht hält die erwähnte Beschränkung des Anwendungsbereichs der Vorschrift für geboten, weil der Gesetzgeber nach seiner aus § 573 erkennbaren Absicht dem Grundstückserwerber zur Entschädigung für den Eintritt in die Vermieterpflichten das Recht auf den Mietzins, der auf seine Eigentumszeit entfalle, in bestimmten Grenzen sichern wolle und weil diese Absicht durch die Vereinbarung einer Vorauszahlung des gesamten Mietzinses im Mietvertrage vereitelt werde. Damit konstruiert der Vorderrichter eine rechtliche Abhängigkeit zwischen dem Pflichtenkreise des Erwerbers und seinem Eintritt in den Genuß der Mietzinsen, für die das Gesetz keinen Anhalt bietet. Gegen Vorauserhebungen und Vorauszahlungen von Mietzinsen, die in Gemäßheit des Mietvertrags erfolgen, läßt das Gesetz dem Erwerber keinen Schutz angedeihen. Nach der Bestimmung des § 571 Abs. 1 tritt er in die sich während der Dauer seines Eigentums aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte ein. Der Wille des Gesetzes geht also nicht dahin, daß dem Erwerber unter allen Umständen ein Gegenwert für die ihm obliegende Überlassung der Mietnutzung gebühre. Es billigt ihm einen Anspruch auf Mietzins nur zu, wenn und soweit ihm infolge seines Eintritts in die Rechte des Vermieters ein solcher auf Grund des Mietvertrags erwächst. Ist daher der Mietzins nicht in Teilbeträgen, die nach dem Ablauf einzelner auf die Mietzeit verteilter Zeitabschnitte fällig werden, zu entrichten, sondern nach dem Mietvertrag in seinem vollen Betrage zu einer Zeit, die noch vor der Veräußerung des Grundstücks liegt, zu zahlen, so erlangt der Erwerber Mietzinsansprüche überhaupt nicht. Es verbleibt ihm nur der Rückgriff auf seinen Rechtsvorgänger nach Maßgabe des Veräußerungsvertrags. Aus dem § 573 und dem damit zusammenhängenden § 574 ist das Gegenteil nicht abzuleiten. Beide Vorschriften stellen, zum Teil im Interesse des Vermieters, zum Teil zum Schutze des Mieters, Ausnahmen von der sich aus § 571 Abs. 1 ergebenden Beschränkung der rechtsgeschäftlichen Verfügungsfreiheit der Vertragsparteien in Ansehung der Mietzinsen auf. Ihr Anwendungsgebiet muß deshalb in derselben Weise wie das der Regelvorschrift begrenzt werden und erstreckt sich demnach nicht auf solche Vorauserhebungen und Vorauszahlungen von Mietzins, die in Übereinstimmung mit dem Mietvertrag erfolgen. Hätte, der Gesetzgeber zugunsten des Erwerbers auch die Rechtswirksamkeit im Mietvertrage vereinbarter Vorauszahlungen beschränken wollen, so hätte diese Absicht um so mehr eines unzweideutigen Ausdrucks im Gesetze bedurft, als hierdurch die Handlungsfreiheit der Mietparteien nicht unerheblich eingeengt worden wäre.

Die Protokolle der Kommission für die II. Lesung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, welche die wesentliche geschichtliche Grundlage der §§ 571 flg. enthalten, unterstützen das gewonnene Ergebnis. Die Kommission hat den Eintritt des neuen Eigentümers in das Mietverhältnis so, wie es dem jetzigen § 571 entspricht, also in der Weise gestaltet, daß er sich unmittelbar kraft Gesetzes als eine Folge des Eigentumserwerbs und unabhängig von der Rechtsstellung des Veräußerers vollzieht. Ein Antrag, die Rechte des Vermieters im Wege der Einzelrechtsnachfolge nach Maßgabe der für die Abtretung geltenden Grundsätze auf den Erwerber übergehen zu lassen, wurde abgelehnt. Ausschlaggebend waren dabei die Erwägungen, daß, wenn die Pflichten aus dem Mietvertrage mit dem Eigentum an dem Grundstücke verbunden würden, dem Erwerber als Entgelt für die ihm während seiner Eigentumszeit obliegenden Verpflichtungen die aus dem Mietverhältnis sich ergebenden Rechte des Vermieters eingeräumt werden müßten. Lasse man den Erwerber nur wie einen Zessionar in die aus dem Mietvertrage sich ergebenden Rechte eintreten, so würde dieser im Falle einer für längere Zeit erfolgten Vorauserhebung des Mietzinses durch den Vermieter für diese Zeit zur Gewährung des vertragsmäßigen Gebrauchs verpflichtet sein, ohne ein entsprechendes Entgelt hierfür zu erhalten (Protokolle Bd. 2 S. 139, 145). Aus dieser Begründung erhellt deutlich, daß der Erwerber in den Genuß der Mietzinsen für die Dauer seines Eigentums nur insoweit treten sollte, als solche nach dem Mietvertrage während dieser Zeit erwachsen und fällig werden würden. Überdies zeigt die Begründung, daß ein Ausgleich für die Aufbürdung der Vermieterpflichten nur durch die Beschränkung solcher rechtsgeschäftlicher Verfügungen über die Mietzinsen herbeigeführt werden sollte, die nicht schon im Mietvertrage vorgesehen waren. Nur Vorauserhebungen dieser Art haben die Protokolle, wie der Zusammenhang lehrt, im Auge.

Nach alledem konnte das Berufungsurteil nicht aufrechterhalten werden. In der Sache selbst vermochte das Revisionsgericht nicht zu entscheiden, da die bisher noch nicht erörterten Streitpunkte Erwägungen erfordern, die auf tatrichterlichem Gebiete liegen."