RG, 14.01.1919 - II 362/18
Betrifft die Frage, ob zugunsten des Geschäftsbetriebs einer Gesellschaft m.b.H. ein Konkurrenzverbot besteht oder nicht, eine wesentliche Eigenschaft des Geschäftsanteils der Gesellschaft?
Tatbestand
Die Klage ist gegen die Firma H. P. N., eine offene Handelsgesellschaft, und zugleich gegen deren Inhaber gerichtet. Das Geschäft ist, von kleinem Anfang ausgehend, immer mehr ausgedehnt worden. Die Firma besitzt Filialen in Berlin, Düsseldorf, Mannheim und Bremen. Es ist bei ihr Geschäftspraxis, daß sie, wenn bei einer Ausdehnung des Geschäfts auf neue Gebiete oder Waren eine gewisse Stabilität erreicht ist, diesen Zweig in eine Gesellschaft m. b. H. verwandelt, wozu auch in einzelnen Fällen fremde Kapitalien herangezogen worden sind, wodurch das Risiko verringert und dem Stammhause die Möglichkeit eines sicheren Verdienstes durch Provisionen verschafft wird. So ist am 20. September 1910 die Mandschurische Erportgesellschaft als Gesellschaft m.b.H. begründet worden mit einem Stammkapital von 1000000 M. Ihr Zweck ist nach § 2 der Satzung der Einkauf landwirtschaftlicher Produkte in der Mandschurei sowie der Betrieb sonstiger Handelsgeschäfte irgendwelcher Art. In Wirklichkeit hat es sich immer nur um ersteres gehandelt. Am 9. Januar 1913 ist die klagende Firma der Gesellschaft in der Form beigetreten, daß das Stammkapital um 500000 M erhöht, der entsprechende Stammanteil von den Mitbeklagten H. P. N. erworben und gleichzeitig auf die Klägerin übertragen wurde, die es übernahm, die Einzahlungen zu leisten, und 50 % hiervon gezahlt hat. Die Mandschurische Exportgesellschaft hat sich im wesentlichen auf den Export von Sojabohnen aus der Mandschurei nach Europa beschränkt, mit dem weiteren Umsatze von Waren auf dem europäischen Markte hat sie sich im allgemeinen nicht befaßt. Wohl aber hat das letztere - in welchem Umfange ist Gegenstand des Prozesses - die Beklagte getan. In § 9 der Satzung der Gesellschaft m. b. H. lautet es:
Die Gesellschaft hat mit der Firma H. P. N. und deren sämtlichen Filialen einen Vertrag geschlossen, nach welchem sich diese Firma für die Dauer von 10 Jahren verpflichtet, ihre Einkäufe in der Mandschurei durch die Gesellschaft vornehmen zu lassen.
Die Klägerin behauptet, daß in dieser Fassung die Verpflichtung der beklagten Firma nur unvollkommen zum Ausdruck gekommen sei. Diese habe sich im Laufe der seiner Zeit geführten Verhandlungen ganz allgemein verpflichtet, sei übrigens aber auch ohnedies nach Maßgabe des unter den Parteien bestehenden Rechtsverhältnisses verpflichtet gewesen, sich jedes Eigengeschäfts in Sojabohnen zu enthalten.
Die Klägerin beansprucht Rechnungslegung über alle seit ihrem Eintritt in die Gesellschaft in Sojabohnen abgeschlossenen Geschäfte und Schadensersatz dafür, daß die Beklagte diese Geschäfte auf ihren Namen und ihre Rechnung abgeschlossen hat. Sie hat auch erklärt, hilfsweise für den Fall daß obige Bestimmung der Satzung nicht eine Auslegung in ihrem Sinne finden sollte, den Erwerb des Geschäftsanteils wegen Irrtums anfechten zu wollen, und beantragt, die Beklagten zur Erstattung des von ihr eingezahlten Betrags zu verurteilen.
Das Reichsgericht, das die Revision gegen das klagabweisende Berufungsurteil zurückwies, äußerte sich zu der Irrtumsanfechtung.
Gründe
... "Die Anfechtung des Erwerbes des Geschäftsanteils auf Grund des § 119 BGB. ist vom Vorderrichter mit Recht zurückgewiesen worden Daß es sich bei dem Irrtum darüber, inwiefern die Stammfirma in ihrer geschäftlichen Betätigung freie Hand behielt, um einen Irrtum über eine Eigenschaft des Geschäftsanteils der Gesellschaft m. b. H handle, gibt der Vorderrichter zu, ohne es zu begründen. Es ist aber nicht richtig. Der Tatbestand des § 119 Abs. 2 liegt gar nicht vor. Es handelt sich hierbei um eine Frage der rechtlichen und Vertragsmäßigen Beziehungen, in welchen die Gesellschaft m. b. H. zu Dritten steht, und ohne den Worten und Begriffen Gewalt anzutun, kann man nicht ohne weiteres den Komplex solcher Beziehungen zu einer der Substanz einer Sache oder einer Person inhärierenden Eigenschaft umdeuten. Zudem muß es sich nach § 119 um einen Sachverhalt handeln, wie er typisch im Leben und Verkehr mehr oder weniger oft in gleicher Weise vorkommen pflegt. Nur unter dieser Voraussetzung hat der Verkehr Veranlassung und Gelegenheit, sich über die Bedeutung einer Eigenschaft einer Person oder einer Sache, wie die Vorschrift das voraussetzt, ein Urteil zu bilden. Endlich ist es die Klägerin selbst, welche betont, daß sie ihren Anspruch nicht aus dem gesellschaftlichen Verhältnis der Mandschurischen Exportgesellschaft herleitet. Sie gründet ihn vielmehr auf einen besonderen, neben dem Erwerbe des Geschäftsanteils herlaufenden Vertrag mit den Beklagten, so daß, wenn sie dazu schreiten würde, ihren Geschäftsanteil auf einen Dritten zu übertragen, damit noch nicht ohne weiteres das hier geltend gemachte Recht auf den Dritten übergehen würde. Selbst wenn man also von einer Eigenschaft sprechen könnte, würde es sich doch nicht um eine Eigenschaft des Geschäftsanteils handeln."