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RG, 14.02.1889 - VI 282/88

Daten
Fall: 
Schadloshaltung des Verletzten durch Vergleich
Fundstellen: 
RGZ 23, 38
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
14.02.1889
Aktenzeichen: 
VI 282/88
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht München II
  • Oberlandesgericht München

Findet §. 7 Abs. 2 des Reichshaftpflichtgesetzes vom 7. Juni 1871 auch auf solche Fälle Anwendung, in welchen die Schadloshaltung des Verletzten durch Vergleich geregelt ist?

Tatbestand

Der Beklagte ist am 4. Oktober 1879, zu welcher Zeit derselbe bei der Eisenbahn in Elsaß-Lothringen als Bremser bedienstet war. während einer Fahrt ohne eigenes Verschulden verunglückt und infolge der hierbei erlittenen Verletzungen dienst- und erwerbsunfähig geworden. Infolgedessen hat die Kaiserl. Generaldirektion jener Eisenbahn unter Anerkennung ihrer Haftpflicht aus dem Gesetze vom 7. Juni 1871 mit dem Beklagten zu Straßburg am 21. August 1882 einen schriftlichen "Vergleich" abgeschlossen, worin sie sich verpflichtete, dem Beklagten M. außer der ihm zukommenden Pension von 222 M als Schadensersatz vom 1. September 1882 an noch eine lebenslängliche Jahresrente von 735 M zu bezahlen, wogegen sich M. mit der hiernach festgesetzten Entschädigung als für alle seine ihm gegen die Generaldirektion aus den ihm am 4. Oktober 1879 zugestoßenen Verletzungen erwachsenen Ansprüche befriedigt erklärte.

Im Jahre 1887 ist M. vom Schwurgerichte O. wegen Mordes zum Tode verurteilt und zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe begnadigt, welche Strafe er zur Zeit verbüßt.

Klägerin erachtet nun infolge der letzterwähnten Thatsachen eine Veränderung der Verhältnisse des Beklagten im Sinne des §. 7 Abs. 2 des Reichshaftpflichtgesetzes für eingetreten und hat daher bei dem Landgerichte München II Klage erhoben mit dem Antrage, zu erkennen:

die dem Beklagten zugebilligte Rente von 735 M werde vom Tage der Klagezustellung an für die Dauer der Inhaftierung aufgehoben.

Beklagter wendete ein, daß §. 7 Abs. 2 a. a. O. sich auf durch Vertrag oder Vergleich festgesetzte Renten nicht beziehe, und daß nach dem hier anzuwendenden Code civil der Klaganspruch gleichfalls nicht begründet sei.

Der erste Richter schloß sich dieser Ansicht an und wies mit Urteil vom 18. Januar 1888 die Klage ab.

Derselbe führt aus, §. 7 Abs. 2 des Reichshaftpflichtgesetzes vom 7. Juni 1871 finde nur Anwendung, wenn dem Beschädigten als Schadensersatz eine Rente durch richterliches Urteil zuerkannt worden sei. Es ergebe sich dies aus dem Gesetze selbst und insbesondere auch aus der Entstehungsgeschichte der bezüglichen Vorschrift. Diese, im Entwurfe nicht enthalten, habe erst infolge eines Abänderungsantrages von Lasker und Genossen Ausnahme im Gesetze gefunden. Bei der Beratung über diesen Antrag sei mehrfach darauf hingewiesen, daß derselbe der Lehre von der res judicata, widerspreche, worauf der Antragsteller Lasker entgegnet habe, nach seinem Antrage solle das Erkenntnis des Richters nur ein Interimistikum sein, welches für die Höhe der Entschädigung nur so lange maßgebend sei, bis der Richter wieder angegangen und demselben Thatsachen nachgewiesen würden, auf Grund deren die erkannte Entschädigung nicht mehr geleistet zu werden brauche. Bei der dritten Lesung habe Windthorst (Berlin) das Bedenken geäußert, daß, da fragliche Vorschrift sich nur auf den Prozeß, nicht auf den Vertrag beziehe, die Interessenten gewissermaßen gezwungen seien, sich zu vergleichen und zu vertragen, um einer Anfechtung der richterlichen Entscheidung vorzubeugen. Die Deduktion dieses Abgeordneten habe nirgends eine Widerlegung gefunden, und Abgeordneter v. Kleist habe bemerkt, er könne hierin nichts als eine Singularität erkennen, die man mit in den Kauf nehmen müsse; er vermöge darin kein Unglück zu finden, wenn beim Wegfalle des Grundes für fernere Gewährung der Rente der betreffende Interessent verhindert sein sollte, seine Rechte geltend zu machen, weil bei Feststellung der Rente nicht ein richterliches Erkenntnis, sondern ein Vergleich zu Grunde gelegen hätte.

Übrigens ergebe sich aus dem Gesetze selbst, daß jene Vorschrift nur auf richterliche Urteile zu beziehen sei. Es schließe sich diese Vorschrift nicht nur an die im Abs. 1 gegebenen Direktiven an, welche das Gericht bei Feststellung des Schadensersatzes zu beachten habe, sondern es sage der Abs. 2 selbst, daß die Aufhebung oder Minderung der Rente gefordert werden könne, wenn diejenigen Verhältnisse, welche die "Zuerkennung" oder Höhe der Rente bedingt hatten, inzwischen wesentlich verändert seien. Da nun hier ein Spezialgesetz in Frage stehe, und jene Vorschrift sich zudem als eine Ausnahmebestimmung darstelle, so dürfe dieselbe nur auf die Zuerkennung der Rente beschränkt und nicht auf den Fall der Feststellung der Rente durch Vergleich ausgedehnt werden.

Der Berufungsrichter billigt diese Entscheidung und fügt bei, die Rechtsanschauung der Vorinstanz fuße vor allem im Texte des Reichsgesetzes selbst. Dieses Gesetz bezeichne sich selbst als ein Spezialgesetz, unterliege daher in seiner Anwendung den jedem Spezialgesetze zukommenden Beschränkungen. Abs. 2 und 3 des §. 7 stellten sich nur als eine Ergänzung des in Abs. 1 vorgezeichneten gerichtlichen Verfahrens, in Anschluß an den - nun aufgehobenen - §. 6 daselbst, dar. Beide Paragraphen enthielten die Normen, nach denen sich das Gericht bei Anwendung des Gesetzes in denjenigen Fallen, in welchen die Ersatzpflicht selbst, sowie die Bestimmung der Höhe des Schadens auf Andringen einer Partei zu seiner Entscheidung gebracht werden, zu richten habe bezw. hatte, ohne materielle Bestimmungen treffen zu wollen, welche geeignet waren, außergerichtliche Abmachungen zu regeln, wie solches beispielsweise bei §. 5 Abs. 2 der Fall. Abgesehen aber auch von dem Wortlaute des Abs. 2 des §. 7, welcher zu dem obigen Resultate führe, würde eine ausdehnende Anwendung desselben auf Vergleiche auch deshalb undurchführbar erscheinen, weil die Umstände, welche zum Abschlusse des Vergleiches führten, entweder gar nicht, oder doch nur in unzuverlässiger Weise nach außen erkennbar würden, ja vielleicht zumeist den Vergleichskontrahenten selbst gegenseitig unbekannt blieben. Eine Änderung hinsichtlich der zugebilligten Rente könne aber nach §. 7 Abs. 2 nicht ohne Beurteilung der früher maßgebend gewesenen Verhältnisse durch den Richter ausgesprochen werden; solche Änderung sei vielmehr durch die Kenntnis dieser früheren Verhältnisse bedingt, und es habe1 für die Frage, ob die Verhältnisse sich geändert haben, und ob diese Änderung eine wesentliche sei, eine Gegenüberstellung der früheren, für die Rente und deren Höhe ausschlaggebenden Umstände und der später zu Tage getretenen stattzufinden. Daß Vergleiche kein genügendes Substrat für eine solche Gegenüberstellung böten, bedürfe keiner Ausführung.

Daß übrigens der Gesetzgeber sich der Unanwendbarkeit des Abs. 2 auf außergerichtliche Abmachungen wohl bewußt gewesen und solche gewollt habe, wie Endemann ausführe, gehe aus den stenographischen Berichten über den von Lasker und Genossen gestellten, von Eysold modifizierten Antrag hervor. Es handle sich bei den einschlägigen Reichstagsdebatten nicht um bloße Meinungsäußerungen einzelner Abgeordneter, sondern um die Bedeutung und Tragweite jener Anträge selbst. Diese Verhandlungen ließen keinen Zweifel übrig, daß die Antragsteller sowie die Gegner des Antrages und die anwesenden Vertreter der Regierungen einig waren, daß der Vertrag, das außergerichtliche Abkommen, durch den Zusatz Abs. 2 nicht getroffen würden.

Die von der Klägerin eingelegte Revision wurde zurückgewiesen, aus folgenden Gründen:

Gründe

"Den Ausführungen der Vorinstanzen muß hierorts lediglich beigepflichtet werden. Nach Wortlaut und Sinn des §. 7 Abs. 2 kann derselbe nur auf den Fall einer, vom Richter zuerkannten, Rente bezogen werden, und die Reichstagsverhandlungen dürfen zur Unterstützung dieses Resultates insofern wohl herangezogen werden, als jene Tendenz des Zusatzes besonders betont und von keiner Seite widersprochen wurde. Es lag dem Gesetzgeber fern, eine Änderung der das Vertragsrecht regelnden Normen der verschiedenen Landesgesetzgebungen eintreten zu lassen. Eine solche Änderung ist allerdings, soweit es sich um Ausschließung oder Beschränkung der Anwendung der §§. 1-3 des Gesetzes durch Vertrag handelt, durch §. 5 des Gesetzes ausgesprochen, eine Vorschrift, welche sich auf die Vertrage der Unternehmer mit dem Publikum oder den Bediensteten vor Eintritt eines Unfalles bezieht.

Für die Verträge zwischen Unternehmern und Verunglückten bezüglich der Regelung der Entschädigung im einzelnen Falle hat das Gesetz sich jedes Eingriffes enthalten. Hat eine solche Regelung durch Übereinkommen der Parteien stattgefunden, so steht dieselbe bezüglich ihrer Wirksamkeit, Dauer, Abänderung oder Anfechtung unter den Normen des bezüglichen Landesrechtes.

Nun hat aber Klägerin geltend gemacht, nach dem Code civil - Art. 2052 - stünden Vergleiche den richterlichen Urteilen gleich, und deswegen habe §. 7 Abs. 2 a. a. O. wenigstens auf solche Vergleiche, welche unter der Herrschaft des Code civil abgeschlossen seien, Anwendung zu finden. Diese Anschauung widerlegt der zweite Richter mit der Erwägung, jene Bestimmung des Art. 2052:

les transactions ont, entre les perties, l'autorité de la chose jugée en dernier ressort,

habe wohl ihre Berechtigung hinsichtlich der Rechtswirksamkeit der Vergleiche, nicht aber hinsichtlich der unter gewissen Voraussetzungen eintretenden Zulässigkeit der Wiederaufnahme des durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossenen Verfahrens. Inwiefern der Vergleich vom 21. August 1882 einer Aufhebung oder Abänderung zugänglich, könne nicht in analoger Anwendung des Reichsgesetzes, sondern nur nach dem einschlägigen Civilrechte beurteilt werden.

Dieser Ausführung kann, was die Anwendung des §. 7 Abs. 2 des Haftpflichtgesetzes anlangt, aus den in den obigen Erörterungen enthaltenen Gründen lediglich beigepflichtet werden. Wenn auch nach einer Reihe von in Deutschland geltenden Civilgesetzen die Vergleiche in ihrer Wirkung, ja teilweise bezüglich ihrer Vollstreckbarkeit, den rechtskräftigen Urteilen gleichstehen (bezüglich der gerichtlichen Vergleiche siehe §. 702 C.P.O.), so haben sie doch ihrem Wesen nach überall nur die Natur eines Parteiübereinkommens, eines Vertrages, an sich, und man kann nicht sagen, daß durch den Vergleich der einen Partei etwas zuerkannt, der anderen etwas aberkannt sei. Die Vergleiche sind in ihrem Wesen etwas von den richterlichen Urteilen durchaus verschiedenes; und deswegen leidet §. 7 Abs. 2 a. a. O. auf Vergleiche, sollten solche selbst vor dem Richter abgeschlossen sein, eben keine Anwendung. Von einer analogen Anwendung jener in einem Spezialgesetze enthaltenen Ausnahmebestimmung kann selbstverständlich keine Rede sein, abgesehen davon, daß es auch an den Voraussetzungen für die Annahme einer Analogie überall fehlen würde."

  • 1. vgl. Endemann, Kommentar S. 67 flg.