danke-sagen-unterstützen

Unveröffentlichte Gerichtsentscheidung hinzufügen: Mehr erfahren...

RG, 12.03.1916 - III 296/17

Daten
Fall: 
Wegeunterhaltspflichtigen
Fundstellen: 
RGZ 92, 310
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.03.1916
Aktenzeichen: 
III 296/17
Entscheidungstyp: 
Urteil

1. Ist der Rechtsweg zulässig für Streitigkeiten zwischen dem Wegeunterhaltungspflichtigen und einer Straßenbahn über die Rechtswirksamkeit der zwischen ihnen in dem Zustimmungsvertrage getroffenen Vereinbarungen über die Beförderungspreise?
2. Zum Begriffe der bürgerlichen Rechtsstreitigkeit in § 13 GVG.

Tatbestand

In einem Vertrage zwischen den Parteien, in dem die Klägerin der Beklagten das Recht zur Benutzung ihrer Straßen für den Bahnbetrieb der Beklagten verlängerte, waren die Fahrpreise, die die Beklagte auf den im Gebiete der Klägerin liegenden Strecken erheben durfte, festgesetzt. Im Jahre 1916 erhöhte die Beklagte die Fahrpreise. Die Klägerin klagte darauf auf Unterlassung der Erhebung höherer als der vereinbarten Preise. Die Beklagte wandte die Unzulässigkeit des Rechtswegs ein. Das Landgericht erachtete diese Einrede für begründet, das Berufungsgericht verwarf sie. Die Revision ist zurückgewiesen worden.

Aus den Gründen

... "Für den Klaganspruch ist der Rechtsweg zulässig, jedoch nicht, wie das Berufungsgericht annimmt, weil der Anspruch ein rein zivilrechtlicher wäre, sondern weil er, obwohl ein öffentlichrechtlicher, doch als ein bürgerlichrechtlicher im Sinne des § 13 GVG. anzusehen ist.

Der Anspruch entspringt einem Vertrage, der die Zustimmung der Klägerin zur Einführung des elektrischen Betriebes auf den in ihrem Gebiete liegenden Bahnstrecken der Beklagten und zur Benutzung ihrer Straßen über einen in früheren Verträgen festgesetzten Zeitpunkt hinaus zum Gegenstande hat. Der Vertrag stellt sich also als ein sogen. Zustimmungsvertrag nach § 6 des Kleinbahngesetzes dar. Ein solcher Vertrag ist aber, wie der erkennende Senat bereits in dem Urteile vom 12. Mai 1908 (RGZ. Bd. 68 S. 373) ausgesprochen hat, im wesentlichen ein öffentlichrechtlicher. Er wird geschlossen zwischen dem aus Gründen des öffentlichen Rechtes zur Unterhaltung des Weges Verpflichteten, regelmäßig, ja fast ausschließlich von einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes, und einem Unternehmen, das dem öffentlichen Verkehr dienen soll und das mit Rücksicht hierauf in seinem Entstehen wie in seinem Betriebe besonderen Bestimmungen unterworfen ist, welche die Wahrung des öffentlichen Verkehrsinteresses sichern sollen – vgl. §§ 14, 18, 21, 22 bis 24, 29, auch §§ 9, 42 –, einem Unternehmen also, das nach seinem Wesen und seiner verwaltungsrechtlichen Behandlung selbst als ein öffenllichrechtliches bezeichnet muß. Der Zweck und der Hauptinhalt eines solchen Vertrags ist, dem Bahnunternehmer eine Benutzung des öffentlichen Weges zu sichern, welche nicht nur weit über den Gemeingebrauch daran hinausgeht, sondern auch eine gewisse Beeinträchtigung dieses Gemeingebrauchs für andere mit sich bringt. Der Wegeunterhaltungspflichtige verfügt durch die Erteilung seiner Zustimmung zu einer solchen Benutzung über den Weg in seiner der Öffentlichkeit dienenden Bestimmung. Die Zustimmungserklärung enthält also eine Willenserklärung unzweifelhaft öffentlichrechtlicher Art, und sie, als der Hauptinhalt eines solchen Vertrags, drückt dem Vertrag in seiner Gesamtheit, vorbehaltlich der abweichenden rechtlichen Kennzeichnung von Einzelbestimmungen, den Stempel dieser Wesensart auf. Die Zustimmung kann, wo sie wegen grundsätzlich ablehnenden Verhaltens des Wegeunterhaltungspflichtigen gegenüber den Verkehrsbedürfnissen versagt oder unter Aufstellung zu weitgehender Forderungen mißbräuchlich vorenthalten wird, nach § 7 ergänzt werden. Diese Bestimmung des § 7, welche die Benutzung öffentlicher Wege auch gegen den Willen des Wegeunterhaltungspflichtigen, der doch auch seinerseits öffentliche Interessen wahrzunehmen hat, dem Unternehmer ermöglicht, konnte nur zugunsten eines Unternehmens erfolgen, dessen Förderung das öffentliche Interesse erheischt; sie enthält also gleichfalls eine Anerkennung des öffentlichrechtlichen Charakters dieser Unternehmen und der öffentlichrechtlichen Bedeutung der durch den Ergänzungsbeschluß zu regelnden Verhältnisse. Die Ergänzung aber, welche § 7 vorsieht, beschränkt sich nicht auf die Erteilung der Zustimmung zur Benutzung des öffentlichen Weges an sich, sondern erfaßt auch die nach § 6 Abs. 3 an den Unternehmer gestellten Ansprüche. Der Ergänzungsbeschluß soll den sachgemäßen Ausgleich widerstreitender öffentlicher Interessen schaffen und muß sich deshalb notwendig auch auf die Regelung dieser mit der Zustimmungserteilung im engsten Zusammenhange stehenden Ansprüche erstrecken.

Auch in § 6 Abs. 2 des Gesetzes tritt die öffentlichrechtliche Natur des Zustimmungsvertrags deutlich hervor. Das Gesetz verpflichtet den Unternehmer zur Unterhaltung und Wiederherstellung des benutzten Wegeteils; diese Verpflichtung ist eine öffentlichrechtliche – vgl. Urteil vom 21. Dezember 1911 IV. 205/11 in Gruchots Beitr. Bd. 56 S. 1040 und Jur. Wochenschr. 1912 S. 304 Nr. 24. s. auch Eger, Kleinbahngesetz (3. Aufl.) Anm. 27 zu § 6 (S. 151) –, sie tritt aber nur "mangels anderweiter Vereinbarung" ein; daraus ergibt sich, daß die in dem Zustimmungsvertrage getroffene Vereinbarung über die Wegeunterhaltungspflicht auch deren öffentlichrechtliche Regelung zum Gegenstande haben kann.

Erscheint es nun auch, wie erwähnt, nicht ausgeschlossen, daß einzelne Bestimmungen dieser öffentlichrechtlichen Verträge eine privatrechtliche Natur haben, so gilt dies doch keinesfalls für die zwischen dem Straßenbahnunternehmer und dem Wegeunterhaltungspflichtigen, insbesondere Städten oder Landgemeinden, im Rahmen des Zustimmungsvertrags getroffenen Tarifvereinbarungen. Daß diese Tarifvereinbarungen, die tatsächlich zahlreich geschlossen sind, auch rechtlich zulässig sind, daß sie als eine besondere Art des Entgelts, den der Wegeunterhaltungspflichtige nach § 6 Abs. 3 für die Benutzung des Weges beanspruchen kann, anzusehen sind, kann nach der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung – siehe Drucks. des Abgeordnetenhauses 1892 Bd. 4 Nr. 206 S. 21/22 – nicht bezweifelt werden. Die von Eger, a. a. O. Anm. 28 zu § 6 S. 167, und anderen vertretene Gegenmeinung hat sich im Rechtsleben mit Recht keine Geltung verschaffen können – vgl. Fleischmann in Gruchots Beitr. Bd. 61 S. 726 flg. –, und in § 8 des Reichsgesetzes über die Besteuerung des Personen- und Güterverkehrs vom 8. April 1917 wird die Rechtswirksamkeit solcher Vereinbarungen vorausgesetzt, wenn damit auch die Streitfrage nicht entschieden werden sollte.

Bei diesen Tarifvereinbarungen ist nur der Unternehmer auch privatwirtschaftlich beteiligt. Der Wegeunterhaltungspflichtige, die Gemeinde, schließt sie nicht zur Wahrung ihrer privatwirtschaftlichen Interessen, sondern im öffentlichen, im Verkehrsinteresse, insbesondere im Interesse ihrer Einwohnerschaft. Die Verträge sind unter anderem häufig darauf gerichtet, den Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte der erwerbstätigen Bevölkerung zu einem billigen Preise zu sichern, damit das Wohnen in anderen Stadtvierteln oder in Vororten im Interesse der gesundheitlichen und sonstigen Fürsorge zu erleichtern, nicht selten auch, der Bevölkerung die Möglichkeit zu gewähren, unter Beibehaltung ihrer Wohnung, womöglich eines eigenen Heims, die Arbeitsgelegenheit von Nachbarorten wahrzunehmen.

Aus einer solchen Vereinbarung klagt hier die Klägerin, und ihr Anspruch richtet sich nicht auf irgendwelche an ihr Kämmereivermögen zu machende Leistung, sondern auf die Innehaltung des Vertrags, auf Aufrechterhaltung der Beförderungssätze, die sie um ihrer Einwohnerschaft willen mit der Beklagten vereinbart hat. Sie nimmt also lediglich öffentlichrechtliche Interessen mit ihrer Klage wahr, und deshalb muß der Anspruch als ein öffentlichrechtlicher angesehen werden.

Der Begriff der bürgerlichen Rechtsstreitigkeit im Sinne des § 13 GVG. deckt sich aber nicht mit dem Begriffe der zivilrechtlichen Streitigkeit und schließt nicht schlechthin solche Ansprüche aus, welche nach heutiger Auffassung als öffentlichrechtliche angesehen werden. Der Gesetzgeber hat den Begriff der bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten als einen gegebenen, ungeachtet seiner Verschiedenheit in den verschiedenen Gebieten des Reiches im geschriebenen oder ungeschriebenen Rechte fixierten, vorausgesetzt – Begr. zu § 2 Entw. GVG., Hahn, Materialien Bd. 1 S. 47 –, und er hat, was hiernach als bürgerliche Rechtsstreitigkeit galt und deshalb dem ordentlichen Rechtsweg unterstand, auch fernerhin als solche gelten lassen wollen. Nicht das Gerichtsverfassungsgesetz, sondern die Reichsgesetze im allgemeinen und, soweit diese darüber schweigen, die Landesgesetze entscheiden hiernach darüber, was als bürgerliche Rechtsstreitigkeit anzusehen ist. In Ermangelung positiver Bestimmung des einzelnen in Betracht kommenden Gesetzes ist seiner Gesamtheit und der darin zum Ausdruck kommenden Rechtsauffassung sowie der zur Zeit seines Erlasses herrschenden Rechtsübung zu entnehmen, ob die Streitigkeiten, zu denen die Anwendung des Gesetzes führen kann, der Entscheidung im ordentlichen Rechtsweg unterliegen oder in anderer Weise, durch Entscheidungen der Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichte, geschlichtet werden sollten. Der Mangel einer Anordnung der letzteren Art, der auch durch entsprechende Anwendung sonstiger die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichte regelnden Vorschriften nicht ergänzt werden kann, wird da, wo mit der Entstehung von Streitigkeiten notwendig gerechnet werden mußte, und wo die öffentliche Ordnung die Entscheidung solcher Streitigkeiten unbedingt erfordert, regelmäßig dazu führen, die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte, die Zulässigkeit des Rechtswegs zu bejahen, auch wenn es sich um einen Anspruch handelt, der nach heutiger Auffassung ein öffentlichrechtlicher ist. Dies gilt besonders dann, wenn zur Zeit des Erlasses des Gerichtsverfassungsgesetzes oder des besonderen in Betracht kommenden späteren Reichs- oder Landesgesetzes die öffentlichrechtliche Natur des betreffenden Anspruchs noch nicht allgemein anerkannt war. Die Rechtsauffassung über die Scheidung von öffentlichem und Privatrecht hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte wesentlich geändert. Mehr und mehr sind Rechtsgebilde, die früher als privatrechtliche angesehen wurden, als dem öffentlichen Rechte angehörig erkannt worden. Dieser Wechsel der Auffassung kann unmöglich zur Folge haben, daß die Streitigkeiten aus solchen früher als privatrechtlich angesehenen Rechtsgebieten nunmehr dem ordentlichen Rechtsweg entzogen werden und damit jeder Rechtsschutz für die betreffenden Ansprüche wegfällt.

§ 13 GVG. muß hiernach dahin verstanden werden, daß als bürgerliche Rechtsstreitigkeit anzusehen ist, was nach der zur Zeit des Erlasses des Gerichtsverfassungsgesetzes geltenden Rechtsauffassung oder nach der Auffassung des in Betracht kommenden späteren Gesetzes durch die ordentlichen Gerichte zu entscheiden war.

In diesem Sinne aber ist auch der hier erhobene Klaganspruch ein bürgerlichrechtlicher. In der Rechtsprechung wurden die Zustimmungsverträge zunächst als privatrechtliche Mietverträge bezeichnet (vgl. besonders RGZ. Bd. 40 S. 285); sogar der Anspruch auf Gewährung des in dem Zustimmungsvertrage vereinbarten Freifahrtscheins für die Gemeindebeamten wird in einem Urteile des Reichsgerichts vom 6. Februar 1912 IV. 421/01 als ein privatrechtlicher erachtet, well die Festsetzung des Entgeltes nach § 6 des Kleinbahngesetzes Gegenstand freier Vereinbarung der Vertragschließenden sei und nur beim Nichtzustandekommen einer solchen Vereinbarung die Vorschrift des § 7 Platz greife. Bei der Beratung des Kleinbahngesetzes ist nun allerdings die öffentliche Bedeutung der Unternehmen und die öffentlichrechtliche Natur der Bestimmungen nachdrücklichst betont worden, nicht aber in der Absicht, damit die Streitigkeiten, die aus dem Verhältnis zwischen den Wegeunterhaltungspflichtigen und dem Unternehmer nach erteilter Zustimmung entstehen könnten, allgemein dem Rechtswege zu entziehen. Nur für den Fall, daß die behördliche Ergänzung der Zustimmung des Unterhaltungspflichtigen eintreten muß, ist in § 7 Abs. 2 bestimmt, daß durch den Ergänzungsbeschluß zugleich über die nach § 6 gestellten Ansprüche unter Ausschluß des Rechtswegs zu entscheiden ist. Darüber, wie Streitigkeiten aus einem zwischen den Beteiligten in freier Vereinbarung geschlossenen Vertrage, Streitigkeiten, die als unvermeidlich erkannt werden mußten, zu schlichten seien, enthält das Gesetz nichts. Die Zuständigkeit irgendwelcher Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichte dafür läßt sich nicht begründen. Danach müssen diese Streitigkeiten jedenfalls insoweit als bürgerlichrechtliche angesehen werden, als sie wie der vorliegende nicht über diejenigen Grenzen hinausgehen, welche der Vertragsfreiheit des Unternehmers vom Gesetze gezogen sind."