RG, 18.12.1917 - III 356/17

Daten
Fall: 
Arglisteinrede
Fundstellen: 
RGZ 91, 359
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
18.12.1917
Aktenzeichen: 
III 356/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Frankfurt a.M.
  • OLG Frankfurt a.M.

Voraussetzungen der allgemeinen Arglisteinrede gegen die Berufung auf die aus § 139 BGB. folgende Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäfts.

Tatbestand

Die Klägerin hatte am 4. Februar 1913 mit den Gebrüdern Heinrich und Paul R. über deren Anwesen nebst Inventar, insbesondere Maschinen, behufs Betriebes einer Schweinemästerei, Talgschmelzerei und Seifensiederei einen Mietvertrag auf drei Jahre fest und mit weiterem Fortlaufe je um ein Jahr, falls nicht Kündigung erfolgte, abgeschlossen. Im Falle des Verkaufs stand den Gebrüdern R. das Recht der vorzeitigen Lösung des Vertrags zu; der Klägerin war jedoch ein Vorkaufsrecht eingeräumt.. Diesen Vertrag hatte der Beklagte notariell beglaubigt. Nur hiermit, behauptet er, sei er von der Klägerin beauftragt gewesen, während die Klägerin geltend macht, sie habe den Beklagten wegen der Form des Vertrags zu Rate gezogen, ihm auch den Vertragsentwurf vorgelegt, und er habe erklärt, die Beglaubigung genüge.

Mitte August 1913 erhob die Klägerin Schadensersatzklage gegen die Brüder N., weil diese beim Vertragsschluß eine Konzessionsbeschränkung arglistig verschwiegen hätten und weil die vermieteten Maschinen mangelhaft seien. Auf den Einwand der N., der ganze Vertrag sei mangels notarieller Beurkundung der Vorkaufrechtsabrede nichtig, erwiderte sie, "sie hätte zweifellos auch ohne dieses Vorkaufsrecht den Vertrag getätigt". Der Prozeß endete mit einem Vergleiche. Schon vorher hatten die R. die Miete wegen Verkaufs des Anwesens auf den 31. Oktober 1913 gekündigt; an diesem Tage hatte die Klägerin das Anwesen geräumt.

Die Klägerin machte nunmehr den Beklagten ersatzpflichtig für den Schaden, der ihr durch Abschluß des Vergleichs entstanden sei. Das Landgericht wies die Klage in der Erwägung ab, daß der Mietvertrag auch ohne das Vorkaufsrecht zum Abschluß gelangt sein würde. Der Berufungsrichter ließ diese Frage dahingestellt, bestätigte die Abweisung aber aus dem Grunde, weil die Klägerin den von den Brüdern R. erhobenen Einwand der Ungültigkeit des ganzen Vertrags mit dem Gegeneinwande der Arglist habe entkräften können. Das Vorkaufsrecht sei nur zu ihren Gunsten vereinbart worden; sie sei bereit gewesen, den Vertrag auch ohne das Vorkaufsrecht aufrecht zu erhalten.

Die Revision der Klägerin hatte Erfolg.

Gründe

"Der § 139 AGB. stellt die Regel auf, daß bei Nichtigkeit eines Teiles des Rechtsgeschäfts das ganze Rechtsgeschäft nichtig ist. Die Ausnahme soll sich nur aus dem Willen der Vertragschließenden Willen ergeben: dann nämlich, wenn anzunehmen ist, daß das Rechtsgeschäft auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Nicht entfernt also ist es der Vertragspartei, in deren ausschließlichem Interesse und zu deren alleinigem Vorteile der nichtige Vertragsteil vereinbart und bestimmt war, anheimgegeben, die nach der Regel des § 139 schon bei dem Abschlusse vorhandene Nichtigkeit des ganzen Vertrags nachträglich und einseitig wieder zu beseitigen, nämlich den Vertrag wenigstens im übrigen zu einem gültigen zu machen, einfach dadurch, daß sie den ihr allem vorteilhaft gewesenen nichtigen Vertragsteil "verzichtend ausschaltet", d. h. der andern Partei in dieser oder jener Weise erklärt, sie wolle den Vertrag auch ohne diesen Vertragsteil aufrecht erhalten. Eine derartige Befugnis, einen völlig nichtigen, also rechtlich überhaupt nicht bestehenden Vertrag zu einem gewissen Teile, also als einen abgeänderten anderweiten Vertrag, hinterher ohne Mitwirkung und gegen den Willen der anderen Partei ins Leben zu rufen, ist weder durch eine ausdrückliche Rechtsvorschrift gegeben, noch aus dem Zusammenhalte gesetzlicher Bestimmungen und Zwecke zu folgern. Sie ist durch § 139, durch dessen Regel und durch den in ihm aufgestellten Tatbestand der allein offen gelassenen Ausnahme, gerade verneint. Sie widerstreitet den Begriffen des Vertrags und der Nichtigkeit. Sie würde ohne jede gesetzliche Grundlage für eine gewisse Gruppe von Fällen den § 139 einfach beseitigen, und sie ist auch aus dem Gesichtspunkte der exceptio doli generalis (RGZ. Bd. 56 S. 78, Bd. 57 S. 64, Bd. 58 S. 356, Bd. 64 S. 223. Bd. 86 S. 191, Bd. 87 S. 283) keineswegs abzuleiten. Die Partei, die sich auf die Nichtigkeit des ganzen Vertrags kraft der Regel des § 139 beruft, übt damit ein ihr zustehendes Recht aus, insbesondere dann, wenn der nichtige Vertragsteil wegen Formmangels nichtig ist (vgl. die Motive zum Entwurf des BGB. Bd. 1 S. 181; RGZ. Bd. 52 S. 5, Bd. 70 S. 20, Bd. 72 S. 343. 392, Bd. 61 S. 267). Eine Arglist ist in dieser Berufung auch dann nicht zu finden, wenn die andere Partei unter Absetzen von dem nur ihr allein günstig gewesenen, nichtigen Vertragsteile nur im übrigen den Vertrag aufrecht erhalten will.

Der Berufungsrichter verwendet die Urteile des VI. und des II. Zivilsenats des Reichsgerichts RGZ. Bd. 86 S. 323, Jur. Wochenschr. 1916 S. 390 dazu, dem Klaganspruch entgegenzuhalten, die Klägerin habe den von den Brüdern R. erhobenen Einwand der Nichtigkeit des ganzen Vertrags durch den Arglistgegeneinwand entkräften können. Diese Anschauung ist rechtsirrig; sie beruht auf einem Mißverständnis der beiden Reichsgerichtsentscheidungen. Dort hatte die die völlige Nichtigkeit aus § 139 anrufende Partei aus dem abgeschlossenen Vertrage die Vertragsleistung der anderen Partei (das Darlehen von 18.800 M bez. die gekauften 150 Aktien) in der Hand; die Berufung auf die Regel des § 139 (wegen Nichtigkeit des zur Sicherung des Darlehens bestellten Pfandrechts bez. der zur Sicherung des Kaufpreises erfolgten Abtretung) sollte ihr dazu dienen, sich der dem Empfang entsprechenden Vertragsverpflichtung (zur Rückzahlung des Darlehens, zur Zahlung des Kaufpreises) zu entledigen und gleichzeitig das Empfangene zu behalten. Ein solches Verholten ist allerdings arglistig und begründet die exceptio doli generalis; vgl. denselben Fall in RGZ, Bd. 71 S. 436, Bd. 78 S. 354, Bd. 86 S. 194 flg. Von einem solchen Tatbestand ist aber hier keine Rede. Aus der Miete und aus dem Vorkaufsrechte hatten die Brüder R. nichts in ihre Hand empfangen, was sie kraft der von ihnen geltend gemachten völligen Nichtigkeit des Vertrags nunmehr vertraglos behalten wollten. Im Gegenteil, aus der Miete hatte die Klägerin die Mietgegenstände in der Hand, und die Brüder R. hatten bei Nichtigkeit des ganzen Vertrags erst diese Mietgegenstände aus den Händen der Klägerin heraus wieder an sich zu bringen. Das Vorkaufsrecht hatte nicht den Zweck, die Erfüllung irgend einer Vertragsleistung, insbesondere der Vertragsleistung der R., zu sichern; es stand vielmehr außerhalb der durch die Miete gegebenen Rechte und Pflichten, und seine Verwirklichung bedeutete gerade die Beendigung des Mietverhältnisses. Es fehlt also zwischen der Miete und dem Vorkaufsrechte durchaus der innere Zusammenhang, wie er in den bezeichneten Reichsgerichtsentscheidungen zwischen der Hingabe des Darlehens oder der Kaufsache und den behufs Sicherung der Gegenleistung beigefügten Sicherungsgeschäften (Pfandbestellung, Abtretung) vorhanden war. Dort wollte der Darlehnsnehmer oder der Käufer die Frucht eben dieses Geschäfts behalten, das Geschäft selber aber und demnach seine Gegenverpflichtung auslöschen. Hier hatten die Brüder R. weder aus der Miete noch geschweige aus dem Vorkaufsrecht etwas in der Hand, dessen Rückgabe an die Klägerin ihnen nach dem Vertrage, wenn er gültig war, oblag, ihnen aber durch die Nichtigkeit des Vertrags (abgesehen von Bereicherung) abgenommen wurde. Sie konnten darum das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit (RGZ, Bd. 78 S. 352) oder das Bewußtsein, gegen Treu und Glauben im Verkehr zu verstoßen, gar nicht haben."