RG, 06.11.1917 - III 193/17

Daten
Fall: 
§ 839 Abs. 1 Satz 2 BGB zugunsten des Beamten
Fundstellen: 
RGZ 91, 96
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
06.11.1917
Aktenzeichen: 
III 193/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Bochum
  • OLG Hamm

Kommt dem Beamten die Vorschrift des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB. auch dann zugute, wenn zugleich dem anderen, von dem der Verletzte Ersatz zu erlangen vermag, auf Schadensersatz haftet?

Tatbestand

Die vier Kläger verkauften im Jahre 1910 den auf sie von der Witwe S. vererbten Grundbesitz an die Nebenintervenientin. In dem von dem Erblasser der Beklagten als Notar beurkundeten Kaufvertrage vom 15. Dezember 1910 wurde der Mitkläger H. nicht als Mitverkäufer, sondern nur als Bevollmächtigter der beiden Mitklägerinnen N. und K. M. aufgeführt. Auf Veranlassung des Grundbuchrichters wurde dies in der Auflassungsverhandlung vom 8. Februar 1911 berichtigt.

Weil der Mitkläger H. eine rechtlich beachtliche Erklärung für sich selbst nicht in dem notariellen Kaufverträge, sondern erst nach dem 1. Januar 1911 in der Verhandlung vom 8. Februar 1911 abgegeben habe und deshalb der § 63 des Zuwachssteuergesetzes vom 14. Februar 1911 keine Anwendung finde, wurden die Kläger auf Grund des § 62 dieses Gesetzes zu einer Zuwachsteuer von 33.939,20 M herangezogen und mit ihrer hiergegen gerichteten Klage im Verwaltungsstreitverfahren von dem Bezirksausschuß und dem Oberverwaltungsgericht abgewiesen.

Die Kläger beanspruchen jetzt Ersatz der von ihnen gezahlten Zuwachssteuer und der Kosten des Verwaltungsstreitverfahrens von den Erben des Notars mit der Behauptung, letzterer habe durch die unrichtige Fassung des Kaufvertrags seine Amtspflicht schuldhaft verletzt; ihm habe ein Erbschein vorgelegen, aus dem das Miterbrecht des H. klar hervorgegangen sei.

Das Landgericht verurteilte die Beklagten unter Vorbehalt der Beschränkung ihrer Erbenhaftung zu 3/4 der geforderten Beträge und wies im übrigen die Klage ab. Das Oberlandesgericht dagegen erkannte auf völlige Abweisung der Klage. Die Revisionen der Kläger und der Nebenintervenientin wurden zurückgewiesen.

Gründe

"Das Berufungsgericht hat, obwohl es eine für den Schaden ursächliche fahrlässige Amtspflichtverletzung des Notars bejaht und, abweichend von dem Landgericht, ein mitwirkendes Verschulden der Kläger verneint, die Klage auf Grund des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB. abgewiesen, weil die Kläger von der Nebenintervenientin Ersatz zu erlangen vermochten. Diese hat sich nämlich in dem Kaufvertrage vom 15. Dezember 1910 verpflichtet, "den Verkäufern diejenige Wertzuwachssteuer, welche dieselben entrichten müssen", zu erstatten.

Der Berufungsrichter ist der Ansicht, durch die Fassung dieser Vertragsbestimmung sei der Vertragswille klar zum Ausdrucke gebracht, daß die Kläger von jeder Wertzuwachssteuer befreit sein sollten. Diese von der Nebenintervenientin angefochtene Auslegung ist frei von Rechtsirrtum ... (wird näher ausgeführt).

Sowohl die Kläger als auch die Nebenintervenientin beanstanden endlich die Anwendung des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB. auf den gegebenen Fall, weil der Notar nicht nur den Klägern, sondern auch der Nebenintervenientin, und zwar auf Grund der gleichen Verhandlung und des gleichen Rechtsverhältnisses hafte, also doch immer derjenige sei, welcher für den Schaden aufzukommen habe. Der Schaden könne mithin nicht "auf andere Weise", sondern müsse von dem Notar ersetzt werden, so daß ein Rechtsstreit zwischen den Klägern und der Nebenintervenientin für den Notar ohne Bedeutung und für die schließliche Rechtslage sinn- und zwecklos sei. Die Abweisung der jetzigen Klage aus dem Grunde des Vorderrichters führe nur zu einer nutzlosen Vermehrung der Prozesse. Stehe, wie hier, der Dritte, von dem der Verletzte Ersatz zu erlangen vermöge, in demselben Rechtstreite wie der Verletzte, so könne sich der Beamte auf die Vorschrift des § 839 Abs. 1 Satz 2 nicht berufen.

Auch dieser Angriff ist nicht gerechtfertigt. Mit Recht erklärt der Berufungsrichter eine solche einschränkende Auslegung dieser Vorschrift für unvereinbar mit dem Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers, wonach der Verletzte unterschiedslos die möglichen Wege, Ersatz zu erlangen, zu beschreiten hat, bevor er den Beamten haftbar macht. Das Gesetz versagt dem Verletzten nicht etwa dann den Anspruch, wenn im Endergebnis ein anderer als der Notar den Schaden ersetzen muß, sondern wenn "der Verletzte" auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag; es kommt also lediglich darauf an, ob der jetzige Kläger die Möglichkeit hat, von einem anderen als dem Notar seinen Schaden erstattet zu bekommen. Darauf, ob und aus welchem Rechtsgrunde dieser andere seinerseits wieder sich an den Beamten halten kann, kommt es nach dem Gesetze nicht an. Diese Frage kann auch nicht in dem Rechtsstreite zwischen dem Verletzten und dem Beamten zur endgültigen Entscheidung gebracht werden, auch wenn der andere als Nebenpartei an ihm teilnehmen sollte. Denn auch in diesem Falle sind in dem Rechtsstreit Einwendungen unzulässig, die dem Beamten nur gegen den anderen zustehen. Solche Einwendungen, wie z. B. ein Einwand auf Grund einer zwischen ihnen getroffenen Abrede oder die Einrede der Verjährung, sind auch nicht deshalb unmöglich, weil der Beamte dem anderen auf Grund derselben Verhandlung und desselben Rechtsverhältnisses haftet wie dem jetzigen Kläger, weil beide "in demselben Rechtsstreite stehen". Den Ausführungen der Revision kann demnach irgendwelche Bedeutung für die Auslegung des § 639 Abs. 1 Satz 2 nicht zuerkannt werden."