RG, 08.10.1917 - IV 228/17

Daten
Fall: 
Leibrentenversprechen
Fundstellen: 
RGZ 91, 6
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
08.10.1917
Aktenzeichen: 
IV 228/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • Kammergericht Berlin

Ist in dem Vergleiche zwischen Miterben, nach welchem der eine Teil den Anspruch auf ein Kapital aufgibt und als Entschädigung für die Nutzungen des Kapitals einen lebenslänglichen Anspruch aus Zinsen erhält, ein Leibrentenversprechen im Sinne des § 761 BGB. zu finden?

Tatbestand

Die Parteien sind die gesetzlichen Erben ihrer 1912 verstorbenen Mutter, der Witwe L. H. Diese hat laut notarieller Urkunde vom 9. September 1905 für den Beklagten schenkungsweise eine Schuld von 18.000 M bezahlt. Nach Behauptung des Klägers ist zwischen ihm und dem Beklagten nach dem Tode der Mutter wegen dieser Schenkung eine Einigung dahin zustande gekommen, daß der Beklagte sich verpflichtete, solange er die Stellung bei der Mitteldeutschen Kreditbank oder einer anderen Bank innehaben würde, an den Kläger auf dessen Lebenszeit jährlich in vierteljährlichen Vorauszahlungen 400 M zu zahlen, welche die Zinsen der Hälfte des Kapitals von 18.000 M darstellen sollten. Mit der Klage wurde die Zahlung der vom 1. Oktober 1915 bis 1. April 1916 rückständigen Beträge verlangt, wogegen der Beklagte widerklagend die Feststellung beantragte, daß dem Kläger der behauptete lebenslängliche Rentenanspruch nicht zustehe. Die Vorinstanzen gaben unter Abweisung der Klage der Widerklage statt. Das Reichsgericht hob auf aus folgenden Gründen:

Gründe

"Nach der Darstellung des Klägers haben zwischen ihm und dem Beklagten über den Nachlaß ihrer Mutter wegen der von der Erblasserin laut Urkunde vom 9. September 1905 dem Beklagten gemachten Schenkung von 18.000 M erbrechtliche Streitigkeiten bestanden. Der Kläger hielt sich durch diese Schenkung in seinem Pflichtteilsrechte für verletzt und beanspruchte deshalb die Herausgabe der Hälfte der Schenkung. Zwischen den Parteien ist es schließlich nach der Behauptung des Klägers zu einer Einigung gekommen, wonach der Kläger auf die Rückzahlung der Hälfte des Kapitals mit 9000 M verzichtet, der Beklagte dagegen sich verpflichtet hat, die Zinsen dieser Summe mit 400 M jährlich (ziemlich 4' 1/2 vom Hundert) an den Kläger auf dessen Lebenszeit zu entrichten.

In diesem Abkommen findet das Berufungsgericht ein wegen Mangels der Schriftform (§ 761 BGB.) unverbindliches Leibrentenversprechen. Diese Auffassung kann nicht gebilligt werden.

Der in den §§ 759 flg. BGB. geregelte Leibrentenvertrag stellt sich als ein besondersartiger Vertrag dar, dessen Eigentümlichkeit wesentlich darauf beruht, daß durch ihn ein einheitliches, in sich geschlossenes Stammrecht geschaffen wird, aus welchem sich die einzelnen Renten als Nutzungen des Stammrechts ergeben (RGZ. Bd. 67 S. 204, Bd. 68 S.141, Bd. 80 S. 206, Bd. 89 S. 259). Zuzugeben ist, daß ein solches einheitliches Recht auch durch Vergleich begründet werden kann. Erforderlich ist aber in diesem Falle, worauf bereits in dem Urteile RGZ. Bd. 89 S. 259 hingewiesen ist, daß dem Schuldverhältnis durch Umschaffung (Novation) die neue Grundlage eines einheitlichen Stammrechts gegeben wird, das durch sein Bestehen unabhängig von dem bisherigen Schuldverhältnis den Anspruch auf die Einzelleistungen hervorbringt. Über das Vorhandensein einer solchen Umschaffung ist keine bestimmte Feststellung getroffen. Nach der Darstellung des Klägers handelte es sich um einen erbrechtlichen Anspruch. Der Kläger behauptete, durch die dem Beklagten gemachte Schenkung in seinem Erbrechte beeinträchtigt zu sein, und verlangte zur Gleichstellung mit dem Beklagten die Herauszahlung der Hälfte des geschenkten Kapitals. Um eine Einigung zustande zu bringen, hat er schließlich den Anspruch auf das Kapital fallen lassen und sich damit begnügt, daß ihm die Zinsen des Kapitals und zwar nur auf seine Lebenszeit gezahlt werden. Durch diese Beschränkung auf die Lebenszeit des Klägers verlor aber der Anspruch nicht ohne weiteres den Charakter eines erbrechtlichen, auf Zahlung von Zinsen gehenden Anspruchs, mag nun bei Eingehung des Vergleichs, wie der Kläger behauptet, ausdrücklich vereinbart sein, daß die Rente eine Zinsvergütung bilde, oder mag in dieser Form eine Vereinbarung nicht getroffen sein. Das Vorbringen des Klägers bietet hiernach für eine Umschaffung keine genügende rechtliche Grundlage. Unrichtig ist es, wenn das Berufungsgericht meint, von einer Verzinsung könne, da der Kläger den Anspruch auf das Kapital aufgegeben habe, nicht die Rede sein. Der Zinsenanspruch konnte in diesem Falle als Rest des Kapitalanspruchs sehr wohl bestehen bleiben.

Von Bedeutung ist ferner der von der Revision hervorgehobene Umstand, daß derartige Vergleiche nach dem natürlichen Rechtsempfinden und der Verkehrsanschauung gemeinhin nicht in den Rahmen der Leibrentenverträge fallen. Bereits in dem Urteile RGZ. Bd. 67 S. 208 ist dargelegt, daß es mit Rücksicht auf die Formvorschrift des § 761 und die bei Nichtbeachtung der Form entstehende Ungültigkeit, die durch Erfüllung nicht geheilt werden kann, ein unumgängliches praktisches Bedürfnis ist, den Leibrentenvertrag in den seiner wirtschaftlichen Natur entsprechenden Grenzen zu halten. Hierfür darf die Verkehrsauffassung, der auch in den Entscheidungen in RGZ. Bd. 84 S. 135. Bd. 80 S. 211 und Bd. 89 S. 282 eine große Bedeutung beigemessen wird, nicht unberücksichtigt bleiben. Es kommt dabei nicht sowohl auf die Auffassung an, welche die Parteien im einzelnen Falle über den Charakter des Vertrags haben, sondern auf die im Verkehr ausgebildete allgemeine Auffassung. Nach dieser Auffassung ist es aber, wenn sich die Parteien über ein streitiges Kapital dahin vergleichen, daß der eine Teil den Anspruch auf das Kapital aufgibt und als Entschädigung für die Nutzungen des Kapitals, damit er bei Lebzeiten hieraus keinen Nachteil erleidet, den lebenslänglichen Anspruch auf Zinsen erhält, aller Regel nach nicht auf einen Leibrentenvertrag abgesehen, der wesentlich anderen Zwecken und Zielen dient. Äußerlich hat allerdings dieser Vertrag mit dem Leibrentenvertrage das gemeinsam, daß eine lebenslängliche Rente zu entrichten ist. Diese Rente kommt aber bei dem ersteren Vertrage nur dadurch heraus, daß der viel weiter gehende Kapitalanspruch in entsprechender Weise beschränkt ist.

In Betracht kommt endlich, daß nach dem Vergleiche die Verpflichtung des Beklagten nur so lange bestehen soll, als er eine Stellung bei einer Bank innehat. Ist diese Beschränkung, wofür manches spricht, dahin zu verstehen, es solle die Verpflichtung zur Zahlung der Rente, wenn der Beklagte vorübergehend außer Stellung kommt, nicht endgültig aufgehoben sein, sondern die Entrichtung der einzelnen Leistungen davon abhängen, daß er in der betreffenden Zeit eine Bankstellung innehat, so würde unbedingt dem Vertrage die Eigenschaft eines Leibrentenvertrags abgehen, weil zwar das Bestehen des Leibrentenrechts selbst in seiner Gesamtheit, nicht aber der Anspruch auf die einzelnen Leistungen von besonderen Bedingungen abhängig gemacht werden kann (RGZ. Bd. 67 S. 211). Eine solche Prüfung ist nicht vorgenommen worden. Schon dieser Mangel müßte zur Aufhebung des Berufungsurteils führen, auch wenn diese nicht aus den beiden vorangegebenen Gründen geboten wäre." ...