RG, 17.04.1917 - VII 45/17
Inwieweit bestimmt sich der nach § 2 des preußischen Stempelsteuergesetzes vom 30. Juni 1909 für die Stempelpflichtigkeit maßgebende Erfüllungsort nach der Vorschrift des § 269 BGB., und zwar insbesondere bei Unterlassungspflichten?
Tatbestand
Die Klägerin hat mit der Rotterdamschen Droogbok Maatschappij in Rotterdam einen schriftlichen Vertrag geschlossen, der zuerst von der Klägerin in Kassel und dann von der Maatschappij in Rotterdam unterschriftlich vollzogen worden ist. Auf Erfordern des Beklagten zahlte die Klägerin für diesen Vertrag, den der Beklagte als einen Pachtvertrag im Sinne der Tarifst. 48 III in preuß. StempStG. vom 30. Juni 1909 ansah, einen Stempel von 79 M. Mit der Klage verlangt sie die Nachzahlung. Das Landgericht gab dem Klagantrage statt, und das Oberlandesgericht wies die Berufung des Beklagten zurück. Auf die Revision des Beklagten wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Die Vertragsurkunde ist erst durch die am 2. Mai 1911 in Rotterdam erfolgte Unterschrift der holländischen Gesellschaft zur Vollendung gelangt, ist also eine im Auslande von einem Inländer und einem Ausländer errichtete Urkunde im Sinne des § 2 StempStG. vom 30. Juni 1909. Sie hat Lizenzrechte von nur schuldrechtlicher Art, nicht ausschließliche Lizenzrechte (RGZ. Bd. 83 S. 93) begründet und sie betrifft daher nicht "im Inland befindliche Gegenstände", denn diese schuldrechtlichen Vertragsrechte haben im Stempelinlande (Königreich Preußen) kein räumliches Dasein (NGZ. Bd. 11 S. 255). Die Entscheidung der Frage, ob die Urkunde der preußischen Stempelabgabe unterliegt, hängt daher nach der Vorschrift des § 2 davon ab, ob der Vertrag über ein Geschäft lautet, das in Preußen zu erfüllen ist. Das ist, im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanzen,. zu bejahen.
Schon im Urteile vom 5. März 1908 (RGZ. Bd. 68 S. 76) hat der erkennende Senat dargelegt, daß überall, wo es sich wie hier um eine erfüllbare Schuldverbindlichkeit handelt, der nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu ermittelnde Erfüllungsort auch der Ort ist, an dem im Sinne des § 2 StempStG. zu erfüllen ist. Maßgebend ist hiernach der § 269 BGB. Er bestimmt für Schuldverhältnisse, daß die Leistung, wenn ein Ort für sie weder bestimmt noch aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen ist, an dem Orte zu erfolgen hat, an dem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte. Entscheidend ist daher in erster Reihe der Vertragswille. Ist er im Vertrage nicht unmittelbar ausgedrückt, so wird er durch das Gesetz dahin ergänzt, daß die Vertragschließenden einen Leistungsort im Auge gehabt haben, der der Natur der Sache entspricht. Zwar kann bei Verschiedenheit der dem einen und dem anderen der Vertragschließenden obliegenden Leistungen der Erfüllungsort für beide auch ein verschiedener sein (RGZ. Bd. 49 S. 72, 76). Handelt es sich aber wie beim § 2 StempStG. um die Feststellung eines einheitlichen Erfüllungsorts, der für die Frage der Stempelpflichtigkeit des ganzen Vertrags bestimmend sein soll, so ist als Erfüllungsort "des Geschäfts" der Ort zu betrachten, wo diejenige Verpflichtung zu erfüllen ist, der nach dem Inhalte des Vertrags die größere Bedeutung innewohnt und die deshalb dem Vertrage das wesentliche Gepräge gibt (RGZ. Bd. 88 S. 77).
Nach der unangefochtenen und auch nicht zu beanstandenden Auslegung des Berufungsrichters ist hier als die Hauptverbindlichkeit die Verpflichtung der Klägerin anzusehen, daß sie es unterlassen muß, der holländischen Gesellschaft gegenüber von ihren durch die Patenterteilung begründeten Rechten auf Verbot der Herstellung und des Vertriebes der ihr patentierten Maschinenkonstruktionen Gebrauch zu machen. Gegenüber dieser der Klägerin obliegenden individuellen Leistung tritt die Pflicht des anderen Vertragsteils auf Zahlung eines Entgelts in barem Gelde, wie sie bei vielen zweiseitigen Verträgen in gleicher Weise zu finden ist, an Bedeutung zurück. Die übrigen im Vertrage für die beiden Teilnehmer festgesetzten Verpflichtungen - z. B. daß die Klägerin der holländischen Gesellschaft ihren Rat und ihre Erfahrung zur Verfügung stellt, ihre künftigen Verbesserungen zur Ausführung überläßt, ihr die Konstruktionszeichnungen für die ersten Ausführungen liefert und die von jener angefertigten Zeichnungen prüft und korrigiert, daß ferner die holländische Gesellschaft der Klägerin von jedem erhaltenen Auftrage Mitteilung macht, ihr die Hauptzeichnungen unterbreitet, Einsicht in ihr Bestellungsbuch gestattet usw.; - stellen nur Nebenverpflichtungen gegenüber der Verpflichtung dar, den wirtschaftlichen Gebrauch und die Nutzung der von der Klägerin gemachten Erfindung auf bestimmte Zeit gegen ein bestimmtes Entgelt zu gewähren. Der Vertrag ist hiernach, in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des Senats (RGZ. Bd. 76 S. 235), als ein Pachtvertrag im Sinne der Tarifst. 48 III StempStG. anzusehen.
Nach den vorstehenden Erwägungen kommt es darauf an, festzustellen, wo die bezeichnete Hauptverpflichtung der Klägerin zu erfüllen ist. Sie hat nicht die Überlassung einer Sache oder eines Rechtes zu Gebrauch und Nutzung zum Gegenstande, denn das Patentrecht verbleibt zur Ausbeutung und Erteilung auch ausschließlicher Lizenzen völlig zur Verfügung der Klägerin. Ihre Leistung ist vielmehr im wesentlichen eine negative; sie gewährt zwar dem anderen Vertragsteile die wirtschaftliche Möglichkeit, die patentierte Erfindung auszubeuten, rechtlich läuft diese Leistung aber nur darauf hinaus, daß sie jeden Widerspruch gegen die von der holländischen Gesellschaft vorzunehmende Ausbeutung zu unterlassen hat. Auch auf solche Unterlassungspflichten ist die Vorschrift des § 269 BGB. anzuwenden (RGZ. Bd. 51 S. 312. Bd. 69 S. 13, Gruchot, Bd. 47 S. 919). Im Vertrag ist hier ein besonderer Leistungsort für die Unterlassung nicht bestimmt. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus den Umständen, insbesondere der Natur des Schuldverhältnisses, denn die Pflicht der Klägerin ist eine dauernde des Inhalts, an jedem Orte, an dem sie sich aufhält, und während der ganzen Vertragszeit sich des Widerspruchs gegen die Ausbeutung der Erfindung durch die holländische Gesellschaft zu enthalten. Es kommt daher die im § 269 BGB. aufgestellte Hilfsregel zur Anwendung, nach der Kassel, der Sitz der klagenden Gesellschaft, als Erfüllungsort anzusehen ist. Es entspricht übrigens auch, wie anzunehmen ist, dem Vertragswillen der Betätigten, daß die Klägerin ihrer Unterlassungspflicht im wesentlichen in dem geschäftlichen Mittelpunkt ihrer Verkehrsbeziehungen nachzukommen habe, da sie von dort aus regelmäßig ihre geschäftlichen Interessen wahrzunehmen pflegt. So hat auch der II. Zivilsenat des Reichsgerichts im Urteile vom 28. Juni 1895 (Jur. Wochenschr. 1895 S. 381 Nr. 9) die Auffassung vertreten, daß als Erfüllungsort für die den Patentinhaber aus der erteilten Erlaubnis erwachsende Verpflichtung, die Anfertigung und Vertreibung der patentierten Gegenstände zu dulden, nur sein Wohnort angesehen werden könne, da er "von dort aus" den Widerspruch unterlassen müsse. Hiermit ist unvereinbar die Ausführung des Berufungsrichters, im Stempelinlande vollziehe sich nur ein verhältnismäßig geringer Teil "der Vertragsausführung" - nämlich der Herstellung und des Vertriebes der patentierten Konstruktionen - und "damit" der Erfüllung der der Klägerin obliegenden Unterlassungspflicht. Entscheidend ist nicht der Ort der Handlungen der holländischen Gesellschaft, gegen die Widerspruch zu unterlassen ist, sondern der Ort, wo und von wo aus ein Widerspruch durch die Klägerin nicht erhoben werden darf. Der Vertrag war daher, und zwar als Pachtvertrag, zu versteuern, über die Höhe der Abgabe besteht kein Streit. Der Rückforderungsanspruch der Klägerin ist somit unbegründet. Den Kostenpunkt bestimmte § 97 Abs. 3 ZPO."